Seit etwas mehr als 10 Jahren gibt es THE DEAD DAISIES, somit ein durchaus nachvollziehbarer Grund, das wechselhafte Kollektiv mit einer "Best Of"-Scheibe zu würdigen. Noch dazu, da Langzeit-Sänger John Corabi (von 2015 - 2019) zurückgekehrt ist. Glenn Hughes als beständiges Mitglied zu installieren, war sicher von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ist der umtriebige Künstler doch wieder mit BLACK COUNTRY COMMUNION beschäftigt, und darüber hinaus war auch die Dominanz einer Legende wie Glenn, unterstelle ich mal, nicht auf längere Sicht durchzuhalten.
Also gesanglich ist man wieder zurück auf Anfang, und ansonsten komplettieren das einzige dauerhafte Duo aus Bandchef David Lowy und Doug Aldrich, Brian Tichy am Schlagzeug und Michael Devin am Bass die "neuen" THE DEAD DAISIES. In dieser Besetzung ist man im Studio, um neue Songs zu erarbeiten.
Diese "Best Of" ist quasi ein Résumé und Appetithappen zugleich. 20 Songs auf zwei Scheiben und dazu als Leckerli zwei unveröffentlichte Nummern aus der Glenn Hughes-Ära. Was will Fanherz mehr? Die Musiker wählten aus den sechs erschienenen Studioalben einige Lieblingssongs plus Stücke, die sich regelmäßig auf der Tour-Setlist befinden, aus. Die Aufmachung des "Best Of"-Albums lässt kaum Wünsche offen. Das Booklett skizziert die Geschichte der bunten Truppe nach; dazu wird jedes der Alben mit Besetzung, Songs und weiteren Details vorgestellt.
Besser kann man eine solche Veröffentlichung kaum machen. Die Zusammenstellung zeichnet gut die Entwicklung von der Party-Band hin zum Classic Rock-Juwel nach und macht Freude auf das, was da noch so kommen wird. Ich bin gespannt!
SPIRIT ADRIFT begann 2015 als Soloprojekt von Multiinstrumentalist Nate Garrett, und auch heuer steht der bärtige Bandgründer klar im Zentrum des Kollektivs. Aber mehr Band als bei "Ghost At The Gallows" gab es wohl nie, ist das Kollektiv immerhin Tour erprobt und, bis auf der Position am Bass, so seit mehreren Jahren zusammen. SPIRIT ADRIFT haben sich auch mit dem neuen Longplayer von ihren Doom Roots gelöst. Zumindest musikalisch, während textlich und atmosphärisch, nach wie vor eine feine, finstere, eher lichtscheue Aura die Songs umhüllt.
"Give Her To The River" ist purer Metal mit leicht epischem Unterton. Die Stimme von Nate Garrett erscheint zu Beginn etwas blass und eintönig. Sie gewinnt aber von Durchlauf zu Durchlauf an Eindringlichkeit. Die großartige Gitarrenarbeit von Tom Draper (Ex-CARCASS) bereichert, mehr noch, er schmückt mit seinem akzentuierten Spiel und leidenschaftlichen Soli die Songs. Das packende Riffing bei "Burn Burner" mahnt an RUNNING WILD, der Song ist schlicht in seiner Struktur umso direkter, dringt er in den Hörer. Hier wird Metal in seiner Essenz dargeboten, pur und funktional. Das dramatische balladeske "These Two Hands" zeigt sich METALLICA verehrend, aber mit dennoch genug Eigenleben.
Liebe Metalgemeinde - SPIRIT ADRIFT verdienen viel mehr Aufmerksamkeit. "Ghost At The Gallows" ist quasi ein Referenzwerk wie zeitgemäßer Metal 2023 zu klingen hat.
Uns liegt das Album in Vinyl vor. Die Pressqualität der schwarzen Platte ist makellos. Das starke Artwork kommt gut zur Geltung, und auch die Illustration auf der Rückseite ist klasse. Einen tollen Mehrwert stellt das reichhaltig illustrierte, mehrseitige Textbook dar.
DEGREED scheinen es langsam wissen zu wollen. Nach dem starken Longplayer "Are You Ready" (2022) legen die vier Schweden bereits heuer einen neuen Longplayer nach. So schnell waren sie noch nie. Somit dürfen wir annehmen, dass der Vierer sich kreativ in einer Hochphase befindet und eben diese ihrem Publikum schnellstmöglich präsentieren will. Und tatsächlich ist "Public Address" ein überzeugendes und schmackhaftes Album geworden.
DEGREED kredenzen uns zu Beginn dynamischen Hard Rock, der nach vorne marschiert und im Kern oft mit einem packenden Refrain garniert ist. Doch die Band hat einige überraschende Moves im Repertoire, die das Werk spannend und abwechslungsreich machen. Das mit viel Bombast behängte und schneidige "The Way of The World" ist eines dieser interessanten Stücke. Oder auch das schwülstige, an TNT mahnende, mit 80er Keyboard verzierte "This Is Love" verdutzt den Zuhörer, punktet aber mit gehaltvoller und ergreifender Melodie. Hierbei muss der variable, emotionale und leidenschaftliche Gesang von Bassist und Sänger Robin Eriksson Erwähnung finden. DEGREED überzeugen auf "Public Address" mit griffigen Melodien, nahezu durchweg gelungenen Songs und einem modernen, detaillierten und sehr geschmeidigen Sound. Gleichwohl schaffen sie es, nicht zu poppig oder gar kitschig zu klingen. Wer auf Melodic Rock / AOR nordeuropäischer Machart steht, darf hier ungehört zugreifen.
Schaut man auf das Artwork von VYPERAs "Race Of Time", so bekommt man den Eindruck: Frontiers Records legt wenig Wert auf die visuelle Unterstützung des Albums. Vielleicht trumpft das Quintett ja musikalisch so auf, dass sich jede weitere Investition als unnötig herausstellt. Wobei ich konstatieren muss, dass ich diese Ansicht, wenn sie denn so wäre, nicht teilen kann.
"Race of Time", das Zweitwerk der Schweden, ist kein schlechtes Album, aber eben auch kein herausragendes. Weder handwerklich noch songwriterisch und schon gar nicht inspirationstechnisch können VYPERA überzeugen. Die fünf Musiker bieten eine gefällige Mischung aus 80er Jahre geprägtem Hair Metal, der sich mal an DOKKEN, WARRANT oder auch den üblichen Verdächtigen orientiert, ohne die Klasse der Originale zu erreichen. Ihre Landsmänner von NESTOR haben einen ähnlichen Ansatz, diesen aber konsequenter und auch mit mehr eigenem Anstrich umgesetzt.
Das Album bietet somit typische Genrekost. Der Sound und die Darbietung sind roh und "ungekämmt", was auf der einen Seite etwas holprig klingt, aber auf der anderen Seite einen gewissen authentischen Charme entfaltet. Hier kommt es auf die Perspektive und Sympathie des Hörers zu Band und Album an. Vielleicht ist das Artwork ja doch genau das richtige, zumindest werden hier keine zu hohen Erwartungen geweckt.
Nach einigen Querelen hat sich ART NATION wieder zusammengerauft, Gründungs-Gitarrist Christoffer Borg ist zurück und passend zum "Neustart" heißt das Werk "Inception". Und tatsächlich scheint frische Energie in den Adern der Schweden zu fließen. Das Eröffnungs-Duo aus dem aufgekratzten und stürmischen "Brutal & Beautiful" und dem groovend getriebenen "The Last Of The Burned" setzt hier, gleich zu Beginn, ein Ausrufezeichen. Stark, wie es ART NATION gelingt, energische Härte und feinfühlige Melodie so ineinander zu drapieren, dass beides greift - und das durchaus gleichberechtigt und harmonisch. Die sich oft im Grenzbereich bewegende Stimme von Mastermind Alexander Strandell punktet mit ihrer präzisen, hohen Klarheit und gleichzeitiger Schärfe. Das Songwriting ist nahezu immer mit einem packenden Refrain bestückt, der seine Widerhaken ins Fleisch des Hörers bohrt. Dass dies oft mit gleichem Aufbau, ähnlicher Struktur und dazu recht simpler Keybordarbeit einhergeht, stört Genre-Anhänger sicher nicht sonderlich.
ART NATIONs Neustart darf als gelungen bezeichnet werden. "Inception" ist ein modern klingendes, kompaktes Melodic Rock-Album, das unterhalten will. Und das macht es mit Energie und griffigen Melodien.
Joel Hoekstras aktive Zeit mit WHITESNAKE wird wohl eher im überschaubaren Rahmen bleiben. Hat doch Bandchef David Coverdale das Ende der weißen Schlange im Blick. Und, wenn ich das anmerken darf, völlig zu recht. Somit macht es durchaus Sinn für den Gitarristen, auch seiner Solokarriere wieder etwas Leben einzuhauchen. Hierfür hat sich Joel mächtige Unterstützung geholt, ohne dabei übermäßig namedropping zu betreiben. Tatsächlich machen seine Mitmusikanten JOEL HOEKSTRA'S 13 doch irgendwie zur Supergroup. Aber zugegeben, in der heutigen digitalen Welt ist dieser Begriff bei weitem nicht mehr das, was er früher einmal war, als diese Supergroups auch live im Studio und gar auf der Bühne gemeinsam musizierten. Ich schweife ab.
"Crash Of Life" ist Soloalbum Numero drei, und die hochkarätige Besetzung verdient Erwähnung, da sie eben das Album mitprägt. Derek Sherinian mischt mit seinem Keyboard- und Orgelspiel ordentlich Classic Rock Moves unter die Kompositionen, und Sänger Girish Pradhan begeistert mit seiner unverbrauchten, markigen und bärenstarken Stimme. Dass Jeff Scott Soto nur für die Backing Vocals gebraucht wurde, spricht hier Bände. Um die Aufzählung zu vervollständigen, die wuchtige, aufspielende, antreibende Rhythmus-Sektion wird von Tony Franklin und Vinny Appice übernommen.
JOEL HOEKSTRA'S 13 positioniert sich gekonnt zwischen Classic und Melodic Rock; die Übergänge sind fließend, mal hat das eine Genre Übergewicht, mal schiebt die erwähnte Orgel die Songs in die 70er / Anfang 80er Jahre. Wobei hier sowohl die Produktion als auch die Arrangements nie angestaubt, antiquiert sind, sondern immer auch eine gewisse Moderne in sich tragen.
Der kernige Opener "Everybody knows Everything" hat eine geschmeidige Melodie und einen packenden Refrain, der an Joe Lynn Turners RAINBOW-Zeit denken lässt - ja wenn da nicht Girish mit seiner Stimme eine Schippe ungestüme frühe TESLA oder BADLANDS mit drauf packen würde. "Damaged Goods" würde wunderbar zu Davids Schlange passen, und das entrückte "Torn into Lies" kann sich mit Tom Kiefers (CINDERELLA) Schmachtballaden messen. "Far Too Deep" holt dagegen die Keule raus, der wuchtige Song ist düster und an der Grenze zum Metal. Das Songwriting ist zum Zunge schnalzen; ich kann keiner Nummer die Berechtigung absprechen, veröffentlicht zu werden, ausnahmslos jede verdient es. Das Gitarrenspiel des New Yorker Gitarristen ist famos und druckvoll und zu keiner Zeit unpassend dominant, sondern immer songdienlich und verbindend.
"Crash Of Life" ist ein bockstarkes Album geworden. Wer hätte nicht Lust, diese "Band" mit diesem feinen Material mal live zu sehen? Leider, so prognostiziere ich, wird dies nicht geschehen. Das ist sehr schade!