„Let The Truth Speak“ wäre bei vielen Band das Highlight ihres Schaffens, bei den Amis von EARTHSIDE ist es „erst“ Album Nummer zwei (das bereits sehr gute Debüt „A Dream In Static“ erschien allerdings schon im Oktober 2015). Was Jamie van Dyck (Gitarren, Backing Vocals, Programmierung, Keyboards), Ben Shanbrom (Schlagzeug, Backing Vocals), Frank Sacramone (Keyboards, Synthesizer, Programmierung, Schlagzeug, Gitarre) und Ryan Griffin (Bass, Backing Vocals) dabei hier abliefern ist großes Kino, richtig großes Kino.
Die vier Instrumentalisten legen Wert auf größtmögliche Dynamik, schaffen es vertrackt und eingängig zugleich zu klingen, sind abwechslungsreich bis zum Anschlag – und trotzdem finden die meist überlangen Songs zusammen zu einem großen Ganzen. Obwohl der Fokus klar auf instrumentalen, modernen Prog liegt – wie der tolle, symphonisch untermalte Opener „But What If We're Wrong“ oder dass fast 12-minütige, nie langweilige „Watching The Earth Sink“ – geben die unterschiedlichen Gastsänger (siehe Tracklist unten) einzelnen Songs noch zusätzliche Facetten, ohne die instrumentale Intension zu stören. Prog, Post-Prog, Alternative? Whatever! Also was braucht der Progfan mehr? Zeit! Ja, man braucht einfach mehr Zeit um sich die Komplexität der Songs und die experimentellen Ausdrucksformen zu erschließen. Zeit die sich lohnt zu investieren – denn „Let The Truth Speak“ wächst mit jedem Durchlauf. Und diese Durchläufe sollte sich der einschlägig bewanderte Musiknerd auch gönnen. Denn was schrieb ich Anfangs über EARTHSIDE und ihr zweites Album: großes Kino, richtig großes Kino.
Kleiner Wermutstropfen zum Schluss – auf der mir vorliegenden Version der CD fehlt der 10 Song „All We Knew And Ever Loved“ mit LEPROUS-Drummer Baard Kolstad.
1.But What If We're Wrong (feat. Sandbox Percussion) 04:30
2.We Who Lament (feat. Keturah) 08:44
3.Tyranny (feat. Pritam Adhikary of Aarlon) 08:39
4.Pattern Of Rebirth (feat. AJ Channer of Fire From The Gods) 04:40
5.Watching The Earth Sink 11:46
6.The Lesser Evil (feat. Larry Braggs & Sam Gendel) 10:59
7.Denial's Aria (feat. Keturah, VikKe & Duo Scorpio) 05:26
Wir packen THE HIRSCH EFFEKT natürlich in keine Schublade, das wäre nicht möglich, bzw. es wären viele Schubladen: Indie-Rock, Progressive Metal, Emocore, Mathcore, auch von „Artcore“, „Indielectro Post Punk Metal“ oder einfach „Krawallkunst“ war zu lesen.
Zuletzt brachte das Trio 2020 den Longplayer „Kollaps“, 2021 die EP „Gregær“ und 2022 die EP „Solitaer“ auf den Markt. „Urian“ ist ihr sechstes Album.
Die Platte beginnt mit dem langsamen „Agora“. Der Song ist überraschend reduziert: nur Stimme, Akustikgitarre, Cello und Bass sind zu vernehmen. „Dieser Krieg, diese Pest, meine Welt findet nicht mehr zu mir zurück. Entgleist, entrückt“, heißt es. Nils Wittrock klingt gefühlvoll und verletzlich. „Otus” kommt sehr facettenreich, spannungsvoll und mit einer Postrock-Schlagseite und sphärische Passagen daher. Dem Prog-Track wohnt etwas Episches inne. Zu „2054“ heißt es endlich: Knüppel aus dem Sack, aber natürlich nimmt auch der Song Wendungen. Der Titeltrack „Urian“ startet ebenfalls hart und geht eher in die Extreme Metal-Richtung, nach 3 Minuten wird es elektronischer und wirrer mit ekstatisch-progressiven Start-Stop-Momenten. Der Song strotzt vor Wut und wilder Verzweiflung. Es folgen die melodische Alternative Rock-Nummer „Stegodon” und das melancholische „Granica“. Textlich dreht es sich um eine Reise an die polnisch-ukrainische Grenze zur aktuellen Kriegszeit, gegen Ende nimmt das Lied mehr Fahrt auf. „Blud“ weiß mich vollkommen zu überzeugen und hat heftige Riffs und Screamo-Offensiven im Gepäck. Hier zeigen die Hirsche ein wunderbares Spannungsfeld zwischen Vorschlaghammer und Melancholie. Mit „Eristys“ setzt die Band einen nachdenklichen langsamen Song an das Ende der Scheibe.
Insgesamt ist „Urian“ für THE HIRSCH EFFEKT-Verhältnisse weniger vertrackt. Brachiale Ausbrüche treffen auf Melancholie und teilweise durchaus eingängige Melodien, aber es gibt auch dichtes Bass-Schlagzeug-Gitarrengefrickel mit Djent-Grooves.
Das Hannoveraner Trio zeigt ein beeindruckendes kreatives Wechselbad der Gefühle!
Nach dem brillanten "The Mutiny" aus dem Jahr 2021 legt die irisch-französische Truppe MOLYBARON ein neues Album vor. "Something Ominous" ist dessen Titel und die kompakte Spielzeit von rund 38 Minuten, verteilt über zehn Songs, lässt knackigen Inhalt vermuten. Und genauso ist es auch. Die Band hat noch einmal an ihrem Songwriting gefeilt und herausgekommen ist ein Album, das in allen Belangen höchsten Ansprüchen genügt. Warum MOLYBARON dann weiterhin keine Stadien füllen werden? Nun, sie teilen das Schicksal einiger großartiger Bands der Rockgeschichte, indem sie stilistisch keinem (Sub-)Genre eindeutig zugeordnet werden können. Zwar stehen sie bei Inside Out unter Vertrag, sind aber weit weg von proggigem Gefrickel, auch wenn die handwerklichen Fähigkeiten beeindruckend sind. Für den Fan des straighten (Alternative-)Metals könnten die Arrangements allerdings zu ungewöhnlich sein. Dazu kommen allerlei Einflüsse, bei denen Bands aus der Bandbreite von MUSE, ALTER BRIDGE bis hin zu TRIVIUM einfallen, gerne gewürzt mit Riffs, die die ein oder andere Metalcore-Band stolz machen würde. MOLYBARON sind darüber hinaus Meister der Dynamik, die das Laut-/Leise-Spiel perfekt zelebrieren. Wie die Band das Ganze ein um das andere Mal in flüssige, packende, eingängige Kompositionen gießt, ist ganz hohe Kunst. Großen Anteil hat der Gesang von Gary Kelly, der mit seiner prägnanten Stimme die Band unverkennbar macht..
"Something Ominous" kommt etwas düsterer und auch härter als der Vorgänger daher, was sich bereits im farbbefreiten Artwork manifestiert. Musikalisch werden einem teilweise die härtesten Riffs der Bandgeschichte um die Ohren gehauen.("Dead On Arrival"), andererseits brilliert das Quartett mit der düsteren Ballade "Daylight Dies In Darkness" oder mit Ohrwürmern wie dem Titelsong oder "Set Alight". Eigentlich gehört sowas auf die ganz großen Bühnen dieser Welt.
Wer bislang MOLYBARON mochte, wird mit dem neuen Album sehr glücklich werden, wer sie noch nicht kennt, tut sich einen großen Gefallen, der Band eine Chance zu geben. "Something Ominous" hat als Album alles, was eine Band riesengroß werden lassen könnte, wenn sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Ansonsten bleibt es auf jeden Fall ein Leckerbissen für musikalische Feinschmecker und ein Anwärter auf das Album des Jahres.
AVKRVST ist eine norwegische Progressive Rock Band, die von Martin Utby (Komponist, Schlagzeuger und Synthesizer) und Simon Bergseth (Komponist, Gitarren, Bass und Gesang) gegründet wurde - zwei Musikern und Freunden, die zusammen aufgewachsen sind und schon unzählige Gigs mit vielen verschiedenen Bands gespielt haben, aber bis dato nicht zusammen. Mit dem nun vorliegenden Erstlingswerk sollte sich das ändern.
Die gesamte Musik wurde in einer kleinen Hütte tief in den norwegischen Wäldern (Alvdal) während eines regnerischen, kalten Herbstes und Winters geschrieben und aufgenommen. Simon und Martin wurden im Folgenden von Øystein Aadland (Bass, Keyboard), Edvard Seim (Gitarre) und Auver Gaaren an den Tasten unterstützt.
“The Approbation“ ist ein Konzeptalbum über eine düstere Seele, die nur mit ihren Gedanken allein gelassen wird. Es führt den Hörer durch die Gedanken eines Mannes, der mit der Akzeptanz des Todes kämpft und in den Abgrund gezogen wird.
Nach einem kurzen Intro namens “Østerdalen“ startet es mit der ersten veröffentlichten Single “The Pale Moon“. Die überaus atmosphärisch dichte Nummer zeigt direkt, wo die Reise hin geht. Eingeleitet von einem Gitarrenbrett schwebt man anschließend in ruhigere Sphären auf luftig leichten Melodiebögen. Das ändert sich jedoch gegen Ende des Tracks. Die Stimmung wird zunehmend finsterer und schwerer bis uns schauerliche Growls hinausgeleiten. Das anschließende “Isolation“ kommt mit jeder Menge Dynamik und bissigen Gitarren aus den Startlöchern. Die folgenden Parts werden durch einen üppigen, klassischen Hammondorgelsound vorzüglich in der Spur und auf Spannung gehalten, er nimmt im Ausklang dagegen erneut durch die zupackenden Gitarren deutlich an Fahrt auf. “Arcane Clouds“, die zweite Single, nimmt uns mit in die Hütte, weit abseits der Zivilisation, in der das Werk entstanden ist. Man kann sogar den Regen an den Scheiben plätschern hören. Der Titelsong markiert den epischen Abschluss dieses wuchtigen, melancholischen Stück Musik. Er vereint im Prinzip alles, was die Protagonisten in den vorherigen Stücken kreiert haben und steht mit seinen variierenden Stimmungen symbolhaft für das komplette Werk. Klanglich wird hier alles geboten von lässig über beschwingt bis hin zu düster, dunkel, schwer und aggressiv. Einerseits stehen die Keys im Gegensatz zu den beißenden Gitarren, die die Schärfe zum Vorschein bringen, andererseits erschaffen die üppigen Orgeln einen wunderbaren Soundteppich.
Bereits im Alter von sieben Jahren schlossen Martin und Simon einen Pakt, eine Band zu gründen, wenn sie älter wären. Jetzt, 22 Jahre später, haben sie diesen Wunsch in die Tat umgesetzt. Ein Album ist entstanden, inspiriert von allem, was sie in ihrer Kindheit gehört haben, wie z.B. Porcupine Tree, Opeth, Neal Morse und King Crimson.
Leider ist es den Norwegern nicht gelungen, diese vielen Einflüsse und Vorlieben zu einer eigenen Identität zu entwickeln. So wirkt einiges, wie Stückwerk, etwas unausgegoren, ja bisweilen leer. Die Scheibe ist gleichwohl ein guter Anfang mit reichlich Potential.
Das Artwork von “The Approbation“ stammt übrigens von Mastermind Eliran Kantor, der Folgendes über das Cover zu sagen hat: „Ich wollte das Element der vergehenden Zeit während einer Zeit der Abgeschiedenheit und Selbstreflexion in einer Waldhütte finden und dachte an die Sterne über mir. Alles auf dem Boden schläft und schlummert, während direkt über uns das Universum auf niemanden wartet. Das passte gut zu vielen Texten, da in ihnen die Elemente des Himmels immer die Rolle spielen, die unaufhaltsam ist und ständig auf den Menschen da unten einwirkt, der nach oben starrt und sich von der Schwerkraft seiner Umgebung mitreißen lässt und wie sie ihn zum Nachdenken anregt."
Als ich das erst Mal mit MIKE OLDFIELD in Berührung kam war das Anfang der 80er-Jahre als er mit Hits wie „Moonlight Shadow“, „Shadow On The Wall“ oder „To France“ die Hitparaden anführte. Erst Jahre später entdeckte ich die wahren Werke des Multitalents – darunter sein 1973er-Debüt „Tubular Bells“ – das sich bis heute über 16 Millionen mal verkaufte, Virgin Record von null auf hundert brachte und sich ganze 286 Wochen in den britischen Charts hielt.
Michael Gordon Oldfield (Jahrgang 1953) ist dabei ein „alleinschaffendes“ Genie – Multiinstrumentalist, Komponist und Texter. Seine Einflüsse reichen vom Rock/Blues über Folk bis in die Klassik. Und so war schon sein Debüt „Tubular Bells“ geprägt von unterschiedlichen musikalischen Stilen und unterschiedlichsten Instrumenten und Effekten (die sich auch auf unterschiedlichen Tonspuren wiederfanden). Das Album ist fast ausschließlich instrumental, Oldfield spielte innerhalb einer Woche fast alles selbst ein (akustische und elektrische Gitarren, Farfisa, Hammond-Orgel, Flöte, Glockenspiel, Klavier, Mandoline, Perkussion und Violine), wobei man die „Tubular Bells“ man Ende des ersten Teils hört. Die fast 50-minütige Komposition wirkt auch vor allem als Ganzes – ein paar Fakts zu Einzelheiten möchte ich hier trotzdem bringen:
Das Klavierintro des Part One wurde im Film „Der Exorzist“ verwendet.
Im Mittelteil des Part Two gibt der gute Mike einige undefinierbare, gutturale Laute von sich (wurde als „Caveman“ bekannt).
Bei der Aufnahme wurde unbeabsichtigt das Rufzeichen des Langwellensenders GBR in Rugby (England) aufgezeichnet. Die Signale des streuten offenbar in Mikrofone und Tonabnehmer ein und wurden mit aufgenommen.
Am Ende von Part Two wurde das Traditional „The Sailor’s Hornpipe“ mit eingearbeitet.
Dabei enthält die „Tubular Bells – 50th Anniversary Edition” neben dem aufgewerteten Original-Mix auf der CD noch ein unveröffentlichtes Demo, das vor fünf Jahren aufgenommen wurde und damals der Anfang einer neuen Version des Werks zu seinem 50-jährigen Jubiläum sein sollte. Dann entschied sich Mike Oldfield dagegen - und die achtminütige Einleitung wurde auf Eis gelegt. „Tubular Bells 4 Intro“ bildet nun praktisch den Abschluss dieses Klassikers. Zum ersten Mal seit 2012 ist auch „Tubular Bells/In Dulci Jubilo (Music for the Opening Ceremony of the London 2012 Olympic Games)“ enthalten, welches damals nur sehr begrenzt veröffentlicht wurde. Dazu gibt es noch die Tubular Beats Remix-Zusammenarbeit mit YORK, welche die tanzbare Seite des Werkes zeigt (sicherlich Geschmackssache).
Originalton Mike Oldfield: „Wenn man sich die musikalischen Ergüsse eines angstgeplagten Teenagers noch einmal anhört, ist es schwer zu glauben, dass ich das vor 50 Jahren wirklich war. Die Musik klingt nicht so angstbesetzt, aber nur ich kenne die Jahre der Arbeit und des Stresses, die `Tubular Bells´ hervorgebracht haben. Das waren alles Live-Aufnahmen, ohne zweite Chancen oder Studiotricks, wie wir sie heute gewohnt sind. Als ich `Tubular Bells` aufnahm, hätte ich nie gedacht, dass es jemals jemand hören würde, geschweige denn, dass wir es fünf Jahrzehnte später feiern würden! Vielen Dank an alle, die mir über die Jahre zugehört haben."
Wie man derart schlimme und abscheuliche Themen (Serienmorde, Kannibalismus, häusliche Gewalt) in solcher Art und Weise angenehm vertonen kann bleibt mir ein Rätsel – und zeigt natürlich das Können der deutschen Art-Rock-Urgesteine von RPWL. Auf ihrem neuen Werk „Crime Scene“ präsentieren Yogi Lang, Kalle Wallner, Marc Turiaux und der neue Bassist Marcus Grützner Abartiges und Gewalttätiges. Oft in ihrer ureigenen, an PINK FLOYD angelehnten Art wie beim hervorragenden, überwiegend melodisch-sanften Opener „Victim of Desire“ (der dazu noch einiges an instrumentalen Finessen präsentiert), aber auch ungewohnt episch-rockig („Another Life Beyond Control” mit seinen recht überraschenden Wendungen). Dazwischen ist es vor allem das fast schon poppige „Life In A Cage“ und das fast 13-minütige Prog-Glanzstück „King Of The World” das einen schwelgen läßt. DIE RPWL-Fangemeinde wird es lieben. „Crime Scene“ von RPWL ist wieder ein tolles und zeitloses Album einer klassen Truppe.
Bei ENSLAVED bleibt es spannend und unberechenbar! Auf ihrem 16. Album liefern die Norweger komplexe Songstrukturen und tolle Atmosphäre: Ein bisschen Black Metal (in erster Linie in Form des harsch raspelnden Gesanges von Sänger und Bassist Grutle Kjellsons) und viel psychedelischer Progressive Metal. Die Band aus Bergen entwickelt sich auch nach 30 Jahren noch weiter und hat ein quasi unerschöpfliches Kreativpotential. Vor 30 Jahren veröffentlichten ENSLAVED bereits einen Song mit dem, aus der nordischen Mythologie stammenden Titel „Heimdal“, so wird thematisch eine Verbindung zu den Anfangstagen der Truppe geschaffen. Klanglich liegt das neue Material einige Seemeilen entfernt von „Vikingligr Veldi“ aus dem Jahr 1994 und dem vorangehenden „Yggdrasill“-Demo. Wobei die Inhaltsstoffe ähneln und auch damals nachdenkliche Keyboardteppiche gewoben wurden. Viel Liebe steckt die Band auf „Heimdal“ in die Arrangements und Effekteinsatz und sie beweisen wieder mal „Arsch in der Hose“ und scheißen auf Komfortzone. ENSLAVED machen das was sie wollen und kümmern sich herrlich wenig um Trends, und auch darum geht’s im Black Metal. Natürlich wird der ein oder andere Hörer, härteren Zeiten der Band (verständlicher Weise) nachweinen; ich persönlich mag den alten und den neueren experimentellen Stil der Truppe.
Eilif Gundersen (WARDRUNA) spielt ein blechernes Horn, schwappendes Wasser erklingt; auf das Wikinger-Langschiff gesprungen und los geht’s! Zum Auftakt gibt’s mit „Behind The Mirror“ einen komplexen Song, Clear-Gesang und Kreisch-Gesang wechseln sich erwartungsgemäß ab. Zumeist schauen ENSLAVED gedankenverloren verträumt in die Natur und kurz blitzen wilde böse dreckige Momente auf. „Behind The Mirror“ besitzt ein schönes Riffing und spacige Mellotron-Effekte. „Congelia“ offenbart einen sperrigen monoton-frenetischen Rhythmus und einen ordentlichen Stapel Black Metal-Disharmonien. Es folgt „Forest Dweller“ und der Song hat es in sich: Akustik-Gitarre, ein Hauch von Okkult-Rock und natürlich Progressive Rock. Keyboarder Håkon Vinje sorgt szenenweise für DEEP PURPLE-Momente, die Hammondorgel-Sounds sind schön eingesetzt. Kommt hier eigentlich jedes Bandmitglied ans Mikro? (Håkon Vinjes, Iver Sandoy, Grutle) Zu „Kingdom“ trifft proggiger Groove auf ein Industrial-Sequenzer-Intro und exzellente Theatralik. Das Zwischenspiel in der Mitte des Tracks wirkt wie ein Ausschnitt aus einem Ritual. „The Eternal Sea“ ist ein super Track: mysteriös und ergreifend. „Caravans To The Outer Worlds“ kennen wir bereits von der gleichnamigen EP (2021). Es gibt ein gutes Gitarrensolo von Arve "Ice Dale" Isdal, einen lässigen Basslauf und thrashige Riffs zu hören und gegen Ende sind TOOL-Anleihen zu vernehmen. Das Album endet mit dem Titeltrack „Heimdal“ mit schwerem langsamen Riffing.
ENSLAVEDs Architekt Ivar Björnson („Peersen“) schreibt den größten Anteil der Texte und der Musik. Man muss sich nichts vormachen, die progressive und mitunter abgefahrene Komplexität der Musik geht auf Kosten der Hitdichte der Songs. Die Musik ist nicht eingängig, aber macht trotzdem Spaß. Die Produktion ist absolut lupenrein. Das mystisch-stimmungsvolle Coverartwork stammt von Grutle Kjellson und seiner Lebenspartnerin.
Es bleibt spannend wohin die Entdeckungsreise mit ENSLAVED noch hingeht, die Jungs werden noch viele Geschichten zu erzählen haben.
James LaBrie kann im Fragefall auch ohne DREAM THEATER – nur halt nicht ganz so gut… „Beautiful Shade Of Grey“ ist in keinem Fall ein schlechtes Album geworden, aber da das Album fast komplett akustisch umgesetzt wurde, fehlt den durchaus brauchbaren Kompositionen der letzte Kick, um vollständig überzeugen zu können. Natürlich ist technisch alles perfekt eingespielt, da sich LaBrie als sichere Bank Paul Logue und Christian Pulkkinen von der Band EDEN´S CURSE sichern konnte - die Drums wurden von LaBries´s Sohn eingespielt und bei den Lead-Gitarren ist Marco Sfogli, der seit 2015 alle Soloalben von LaBrie veredelte, ein perfekter Rückhalt.
Die Songs lassen durch die akustische Ausrichtung nicht viel Spielraum und somit sind eher ruhige Töne zu verzeichnen. Aus diesem Grund ist „Beautiful Shade Of Grey“ eher für besinnliche Momente geeignet und schreit nicht unbedingt nach einer Live-Umsetzung. Verwunderlich ist, dass LaBrie auf seinem eigenen Soloalbum nicht wirklich zur Geltung kommt – der Ausnahmesänger kann auf „Beautiful Shade Of Grey“ nicht sein ganzes Potenzial ausspielen und somit werden Fans des Sängers ein wenig enttäuscht sein. Bezeichnend ist, dass vielen Songs eine aggressivere Instrumentierung gutgetan hätte und somit die Frage aufkommt, ob LaBrie sich nicht doch eher auf seine Hauptband konzentrieren sollte. Balladen können DREAM THEATER schließlich auch und irgendwie wirken diese auf einem DREAM THEATER-Album nie aus dem Kontext gerissen. Auf „Beautiful Shade Of Grey“ bekommt man einen maximalen „Balladenoverkill“ und somit verpufft der Überraschungseffekt. Ich zähle mich durchaus zu den Fans von Labrie, aber „Beautiful Shade Of Grey“ wird mir wahrscheinlich nur wegen des wirklich hübschen Coverartworks in Erinnerung bleiben.
Richtig schnell waren sie dieses Mal, die Melodic Proggies von SEVENTH WONDER, mit ihrem mittlerweile sechsten Studioalbum. Lagen zwischen “The Great Escape” und “Tiara” noch schlanke acht Jahre, kommt “The Testament” nun lediglich vier Jahre nach seinem Vorgänger auf den Markt. Stilistisch sind sich die Schweden absolut treu geblieben und kredenzen dem Hörer ihren typischen Prog Metal mit relativ wenig Gefrickel dafür aber Refrains im Breitwandformat. Gerade diesen hat es das Quintett sicher zu verdanken, bereits das zweite Album bei den AOR- und Melodic Rock-Spezialisten Frontiers Records veröffentlichen zu dürfen.
Im Vergleich zu “Tiara” von 2018 ist das neue Album wieder deutlich griffiger ausgefallen und kann in Sachen Songwriting nicht nur an das bisherige Opus Magnum “The Great Escape” heranreichen, sondern dieses auch locker überflügeln. “Warriors” eröffnet die Scheibe mit hartem Stakkato-Riffing bevor der hervorragende Gesang von Goldkehlchen Tommy Karevik einsetzt. Der Junge ist sicher DER große Pluspunkt von SEVENTH WONDER und besticht über Albumlänge mit einer grandiosen Gesangsleistung. Kein Wunder, dass er seit zehn Jahren auch KAMELOT sein Organ leihen darf. Es wäre aber nicht so, dass die instrumentale Leistung total ins Abseits gedrängt würde. Auch hier stimmt alles. Fette Riffs, brillante Soli, coole Bassläufe, präzises Drumming und geschmackvoll eingesetzte Keyboards bieten die virtuose Basis für die außerordentlichen Vocals. Der zweite Song “The Light” erinnert (zufällig oder nicht) recht stark an den bisherigen Band-Hit “Alley Cat” - also ein Ohrwurm ersten Ranges. “I Carry The Blame” startet als Hommage an FATES WARNING zu Zeiten von “Parallels”. Daran würden viele Bands scheitern, SEVENTH WONDER liefern aber auch hier grandios ab. Das folgende “Reflections” kommt ohne Gesang aus, ist aber keinen Deut schlechter und leitet in das ebenfalls sehr progressive “The Red River” ein. Ein Höhepunkt des Albums. “Invincible” schmeichelt dem Hörer mit einem Chorus für den viele Melodic Rock-Bands wohl töten würden und der hier wie selbstverständlich in anspruchsvolle Umgebung eingebettet wird.
Vielen Alben gehen zu Ende hin die Höhepunkte aus, nicht so bei “The Testament”. SEVENTH WONDER hauen mit “Mindkiller”, dem Fast-Neunminüter “Under A Clear Blue Sky” und dem ruhigen, atmosphärischen Schlusstrack “Elegy” noch mal alles raus, was sie haben. Gänsehaut garantiert.
Da das Album mit einem wunderbaren Artwork und einer perfekten Produktion veredelt ist, bleibt als Fazit, es hier mit einem Anwärter auf das Album des Jahres zu tun zu haben. Nach dem etwas schwächelnden Vorgänger war das so nicht zu erwarten. Für alle Genre-Fans ist “The Testament” Pflichtprogramm.
IBARAKI ist das neu gegründete Black Metal-Nebenprojekt von TRIVIUM-Fronter Matthew Heafy, welcher erst kürzlich mit TRIVIUMs „In The Court Of The Dragon“ glänzte. Heafy greift seine japanischen Wurzeln auf und bringt sie in die Musik mit ein; das erscheint authentischer, als nordische Mythologie als thematische Grundlage zu wählen. Alleine die Tatsache, dass EMPEROR-Legende Ihshan an “Rashomon” beteiligt ist, eröffnet IBARAKI die Möglichkeit, dass Black Metal-Publikum zuhört. Immerhin ist TRIVIUM eine massenkompatible Band aus dem sogenannten Mainstream. Ihshan interessiert sich bekannterweise für experimentelle Genregrenzen, seine hörenswerten Soloalben sind ein guter Beweis dafür. “Rashomon” wurde von ihm produziert, einige Stücke hat er mitgeschrieben und er ist zwischendurch auch am Gesang und an der Gitarre zu hören. Der Name des Projektes stammt von einer japanischen Geschichte über einen Dämon.
Heafy verbindet in seinem neuen Projekt verschachtelte Prog-Elemente, symphonische Black Metal-Anteile und Folklore. Das Ergebnis ist durchaus interessant, innovativ und gekonnt und offenbart auch eine gutes Songwriting; nach Black Metal klingt es allerdings nur bedingt. Die Frage nach einer Genrezuordnung sollte man bei IBARAKI einfach nicht stellen.
Nach dem japanisch anmutenden Intro „Hakanaki Hitsuzen“ folgt der Opener „Kagutsuchi“: Melodic Black Metal mit Tremolo-Picking, cleanen und geschrienen Vocals. „Ibaraki-Doji“ zeigt Core-Affinitäten, welche auf Symphonic Black Metal und getragene Streicher-Sounds treffen. Die klaren Gesangsparts sind sehr gefühlvoll zerbrechlich vorgetragen und kontrastieren mit dem wütend-leidendem Gebrüll. „Jigoku Dayu“ startet langsam und bald poltert es sehr plötzlich los; der Track wird üppig, dramatisch und dynamisch mit progressiven Gitarrenläufen. Insgesamt ist hier viel gute Gitarrenarbeit zu finden: egal ob Leadgitarre, akustisches Picking oder Arpeggien. Es folgt die erste Singleauskopplung „Tamashii No Houkai“ mit TRIVIUM-Elementen, Keyboard und einem markanten Gameboy-Sound. „Akumu“ ist eine gute düstere Nummer mit Gastsänger Nergal von BEHEMOTH. Das Gesangsduo arbeitet gemeinsam mit harten Riffs an einer unverwechselbar bösen Atmosphäre: Ein bisschen Amerika, etwas Polen, eine Spur Japan. Ein interkontinentaler Ritt in die Hölle. „Komorebi“ ist ein abwechslungsreicher Song mit einigen Dynamikwechseln. In „Ronin“ ist erneut ein Gastsänger mit von der Partie. Die zehnminütige Nummer beginnt mit arg lieblichem Gesang, der glücklicher Weise schon bald von Gastsänger Gerard Way von MY CHEMICAL ROMANCE (Ups) zerstört wird. Manchmal beschert es mir Freude, wenn Balladenhaftigkeit mit dem Vorschlaghammer zerschmettert wird. Im Laufe des vielschichtigen Tracks kommen Akustik-Gitarre und Chorsounds zum Einsatz. Ihsahns Vocals mit EMPEROR-artigen Keys starten kraftvoll und traditionsbewusst in den Song „Susanoo No Mikoto“; es folgen Klargesang und viel Bombast, verschiedene Stimmen, Cello und schließlich ein sehr melodiöses Gitarrenspiel am Ende. Wow, das ist abgefahren! Versucht sich die Truppe hier an einem Musical mit mehreren Akten? An dem Song wurde auf jeden Fall viel herumgeschraubt und viel Energie, Hingabe und Liebe investiert. Das Abschlusslied „Kaizoku“ ist eine blasinstrumenthaltige Shanty-Nummer. Heafys Bandkollegen Alex Bent, Paolo Gregoletto und Corey Beaulieu arbeiten bei einigen Songs mit.
Der typische Black Metal - Konsument wird bei “Rashomon” einfach nicht glücklich. Wenn man aber offen für progressiv-kreative genresprengende Verrücktheiten ist, dann lohnt es sich, in das Album einzutauchen. „Eintauchen“ ist passend, weil IBARAKIs Stil einfach nichts für das Nebenbei-Hören ist; wir haben es mit einem ausgeklügelten intensiven Machwerk zu tun, an dem mehr als ein Jahrzehnt geschustert wurde. IBARAKI entführen die Hörerschaft in ein musikalisches Theaterstück mit Wendungen und Dramatik.