Es war jetzt zehn Jahre recht still um Euch. Hat DISILLUSION in dieser Zeit existiert, und was hast Du gemacht in den Jahren?
Ja das stimmt, auf dem Papier sind das zehn Jahre. Aber wir waren noch bis 2011/12 aktiv und haben live gespielt, nur ab dann natürlich sehr wenig. Die Band gab es auf jeden Fall formal noch. Es war klar, dass es weitergehen wird, nur der Zeitpunkt war offen. Jeder hatte sein Leben zu organisieren, Kinder kamen, die berufliche Selbständigkeit kam hinzu - man muss ja auch von irgendetwas leben - und so tröppelte die Band langsam in die Ferne. Es hat seine Zeit gedauert, bis sich alles so weit zurecht gerückt hat, das man mit der Band wieder loslegen kann. DIILLUSION ist kein Freizeit-Verein. Wenn wir sagen, wir machen eine neue Platte, dann heißt das dann auch: voller Fokus. Das muss dann auch vollumfänglich möglich sein. Da geht nicht einmal die Woche proben oder so. Das ist dann schon mindestens ein Halbtagsjob und das muss dann auch finanziell alles gedeckelt sein. Darum hat es so lange gedauert, um alles zu sondieren, um auch der Band und den Fans gerecht zu werden.
Erstes Lebenszeichen ist Eure neue Single "Alea", die als Digi Pack zu erwerben ist. Warum nur eine Single? Und was bedeutet der Titel?
Als uns vor ca. zwei Jahren klar wurde, wir kommen wieder zurück, und wir das dann auch angefangen haben zu kommunizieren, war uns natürlich bewusst, dass man den Leuten auch neues Material anbieten muss, um alles zu unterstreichen. Für ein ganzes Album ist es einfach noch zu früh, hier brauchen wir auch noch ein wenig Hilfe von den Fans und Freunden, es ist ein Crowdfunding geplant. Ein Comeback mit nur einigen Bildern und Konzerten, das war uns zu wenig. Für uns als Band war es wichtig, uns auch gleich mit einem neuen Song zu präsentieren, um zu zeigen, wo wir stehen. Dass es "Alea" wird, stand für uns alle gleich fest. Der Song ist ein Zeichen, dass wir uns selber setzen - nach innen und nach außen. Zum Titel: das Wort selbst war mir beim Schreiben des Songs völlig präsent. Warum und ob das was mit dem Unterbewusstsein zu tun hatte, keine Ahnung. Natürlich, am Ende ist das ein Cäsar-Zitat "Alea iacta est", was soviel heißt wie "die Würfel sind gefallen". Das trifft für uns auch so zu. Die Entscheidung ist gefallen, wir machen die Band noch mal. Ohne Kompromisse, mit allem Herzblut, Profession und mit allen dazugehörenden Risiken. "Alea" ist das Zeichen dafür.
Mir gefällt das Artwork der Single, aber auch sonst empfand ich Eure visuelle Kommunikation immer als recht gelungen und anspruchsvoll. Wie wichtig ist Dir das? Oder ist alles eher Zufall und Glück, dass Ihr gute Kommunikations-Designer erwischt habt?
Ich finde, das Visuelle, das Erscheinungsbild sind sehr wichtig, es muss zur Band passen. Zufall ist das nicht. Es freut mich, dass es Dir gefällt, aber da steckt natürlich ein Plan dahinter. Die Idee mit den Wolken stand schon etwas länger. An dieser Stelle natürlich herzlichen Dank an die Grafikerin Sandra Finke, die viel mehr aus der Idee gemacht hat. Wir kennen uns aus Leipzig, und natürlich spielt es auch eine Rolle, aus welcher Stadt wir kommen. Hier gibt es eine bekannte Kunstschule (Hochschule für Grafik und Buchkunst), das liegt hier alles im Äther, ist in der Stadt einfach ein aktives Thema.
Es gibt Leute, die bezeichnen Euch als Melodic Death Band. Ich tue mir total schwer, Euren Stil in eine ganz bestimmte Ecke zu stellen. Wie würdest Du selber Euren Stil bezeichnen? Und welche Einflüsse würdest Du für Dich benennen?
Wie die Leute unsere Musik benennen oder kategorisieren, ist mir vollkommen egal. Einflüsse habe ich eine Menge, viele davon haben mit Metal gar nichts zu tun. Ich bin in meinem "Hauptleben" Musikproduzent. So bin ich tagtäglich mit vielen verschiedenen Musikstilen am arbeiten, somit bin ich total vielseitig aufgestellt, es geht von Klassik, Weltmusik, Dark Wave über New Pop Richtung Metal. Speziell im Metal gefallen mir Bands wie MASTONDON und KATATONIA, die ich letztens live gesehen habe, und ich warte sehnsüchtig auf die neue TOOL. Nehmen wir "Alea", es entzieht sich eigentlich jedweder Kategorisierung. Sicher, da sind Gitarren drin, aber ich denke, es ist weit mehr in dem Song zu finden.
Mir ist aufgefallen, dass ihr nicht mehr bei Metal Blade seid, sondern bei Kick The Flame. Ist das Eure neue Plattenfirma oder gar Deine eigene?
Kick The Flame ist nicht meine Firma. Es ist auch ein Label, aber in erster Linie ist es ein Verlag. Der Mann dahinter ist Rajk Barthel, der ja früher bei DISILLUSION Gitarre gespielt hat. Das ist alles irgendwie eine Familie hier, die mit Abstand beste Situation. Hier ist quasi alles im Haus. Das Studioverbund Haus in Leipzig, hier ist der Verlag auch mit drin. Somit müssen wir nicht einmal miteinander telefonieren, sondern wir treffen uns einfach in der Küche. Die nächste Frage ist jetzt, ist es denn zwingend notwendig, ein Label zu haben? Nein, ist es meiner Meinung nach nicht.
Wann kommt das neue Album auf den Markt?
Im Zuge der Tour, die jetzt im November stattfindet, werden wir das Crowdfunding bzw. die ganze Finanzierungssache anfangen zu promoten. Dann geht es ab Januar los mit der neuen Platte. Auf jeden Fall wird das neue Album 2017 erscheinen. Das wird so sein, das muss so sein.
Was willst Du noch loswerden?
Auch wenn das jetzt pathetisch klingt, wir sind wirklich glücklich, was hier passiert. Nach so vielen Jahren, nach so einer Schweigephase, ist ein derart großes Interesse an der Band zu spüren, so viel Post und E-Mails. Wir sind allen Leuten da draußen dankbar dafür, und das bestätigt uns auf unserem Weg. Das alles hat auch was mit Vertrauen zu tun und das werden wir versuchen zu erfüllen bzw. zurückzuzahlen.
Ich wünsche Euch viel Erfolg mit "Alea", bei der Tour und natürlich bei allem weiteren, was ihr am Realisieren seid.
Ich danke Dir. Alles gute und vielleicht bis bald!
Kaum vorstellbar, dass die kanadischen Prog Rock Urgesteine von SAGA einmal ohne ihren Sänger Michael Sadler weiter Musik machen würden, aber nach der Jubiläumstour Ende 2007 und passend zum 30-jährigen Jubiläum war tatsächlich Schluss für den sympathischen Ausnahmekönner mit dem unvergleichlichen Timbre. Er möchte sich zukünftig mehr seiner Familie und seinem neugeborenen Sohn widmen, und dann lieber nur bei Projekten und Solowerken mitwirken. Demnächst wird er dabei u.a. mit RUDY’S JOURNEY (Gitarrist von PUR) schon wieder livehaftig unterwegs sein.
Doch zurück zu SAGA, der letzte Auftritt mit Sadler am 5. Dezember 2007 in der Muffathalle München wurde für eine DVD mitgeschnitten und bildet somit einen würdigen Abschluss einer bemerkenswerten Karriere mit vielen Höhen zu Beginn mit Hammeralben wie u.a. „Saga“ (1978), „Worlds Apart“ (1981) und den glorreichen 80er Jahren mit einigen klasse Hits wie „On The Loose“, „Wind Him Up“ oder auch „The Flyer“ aber auch wenigen Tiefpunkten mit den doch eher orientierungslosen sehr seicht-popigen Werken in den 90er Jahren, die wir lieber sofort wieder vergessen wollen.
Diese Doppel-DVD „Contact – Live in Munich“ bietet nochmal alles, was diese Band über die Jahre ausgezeichnet hat und ihr insbesondere hier bei uns in Deutschland bis heute eine treue Fangemeinde beschert hat: den typischen sehr keyboard- bzw. synthieeingefärbten Sound (Jim Gilmour) zusammen mit dem prägnanten Gitarrenspiel von Ian Chrichton, dessen unnachahmliche Licks man aus hunderten von Saitenhexern heraushört und natürlich diese absolute Hammerstimme von Michael Sadler. Er ist zwar äußerlich deutlich älter geworden und mit Haaren nur noch spärlich gesegnet aber sein immenses Ausdrucksvermögen und die Klangfarbe seiner Stimme scheinen ewig jung geblieben zu sein, er singt bei seinem letzen SAGA-Gig nochmal ohne Übertreibung wie ein junger Gott.
Mit einigen Kameras bestens in Szene gesetzt zeigt sich die ganze Band glänzend aufgelegt, eine solide abgestimmte Lightshow, nicht zu übertrieben, manchmal etwas verwischt und die Schnitte sind abwechslungsreich gesetzt. Die Interaktionen sind jetzt auch nicht zu unübersichtlich, die Herren standen noch nie für waghalsige oder gar emsige Bühnenakrobatik, hier stand und steht die Musik mit ihren Inhalten im Vordergrund. Der Sound, wahlweise in Stereo oder 5.1.Dolby-Digital-Mix, ist allererste Sahne. Über die Setlist lässt sich sicher etwas streiten, vor allem der Anfang mit zwar keinen schlechten aber auch leicht schwerfälligen Titeln, lässt zunächst noch keine so überschwängliche Stimmung in der vollbesetzten Halle aufkommen. Dies sollte sich aber nach hinten raus nach dem mehr oder weniger überflüssigen Drumsolo noch wesentlich positiver in Richtung überschwänglich ändern. Bewusst wurde natürlich versucht von den vielen Studiowerken (insgesamt 18) möglichst die Besten zu präsentieren, nicht ohne die ein oder andere Überraschung - mein Highlight ganz klar: das kraftvolle „Careful Where You Step“. Mit zunehmender Konzertdauer wird dann die Band immer lockerer und versprüht ihre typische Spielfreude kombiniert mit den packenden Arrangements sowie prägnanten Refrains.
Sadler kämpft sich emotional durch die vielen rührigen Momente dieses Abends, ist meist locker drauf mit teilweise lustigen Ansagen, u.a. als er den damals erneut ausgewechselten und noch nicht lange mitspielenden Drummer Chris Suhtherland als den 143sten neuen Schlagwerker vorstellt. Apropos: der Junge hat einen ordentlichen Punch, sein Naturschlagzeug kommt dabei klanglich wesentlich besser rüber als die manchmal drögen Elektropads seiner Vorgänger. Sein Solo ist zwar nicht der Überhammer, aber mit Publikumsmitsingteil mittels des Refrains von „Sex Machine“ (JAMES BROWN) und coolem Beckenspiel einigermaßen erträglich. Da ist der Virtuose Chrichton hinter seiner Megakeyboardburg schon ein anderes Kaliber. Was der alles an Variationen mit vielen klassischen Adaptionen aus den Tasten herausholt ist schon klasse. Auch sein tolles Instrumentalsolo mit dem Übergang zu dem von ihm selbst gesungenen und begleiteten „Scratching The Surface“ sind einer der vielen Höhepunkte dieses Konzerts. Zuvor durfte er zusammen mit Sadler ein abgespecktes „Times Up“ präsentieren und dann zeigte der Fronter Solo auf dem Barhocker bei „The Security Of Illusion“ was für ein grandioser Sänger da von Bord ging. Der Mann hat eine Ausstrahlung und Bühnepräsenz, der man sich einfach nicht entziehen kann. Zusammen mit seinen theatralischen Gesten im Stile eines Freddy Mercury ist er irgendwie ein kleines Gesamtkunstwerk.
Gegen Ende wird es natürlich immer schwermütiger, die Fans heben zig Schilder mit "Bye, bye Michael" in die Höhe, feiern ihn minutenlang ab und wollen ihn nicht von der Bühne lassen. Natürlich darf auch die Hymne der Band „Humble Stance“ mit Sadler am Bass nicht fehlen. Auch „10.000 Days“, der Titeltrack vom letzen Werk, kommt mit toller akustischer Gitarre klasse rüber, wenn auch der Refrain zumindest teilweise vom Band kommt, der klingt 1:1 wie auf der CD, Schwamm drüber - andere Bands lassen ganze Instrumentalpassagen vom Band laufen.
Auf der DVD ist auch die längere Originalpause mit den Zugabeforderungen vor dem allerletzten Track („What’s It Gonne Be Tonight“, auch eine Überraschung aber es passt perfekt) enthalten, manche Zuschauer machten sich bereits auf den Heimweg, um dann aber wieder zurückzukehren. Nach 135 Minuten ist dann leider Schluss, natürlich wird Sadler auch von seiner Band und der Crew mit Blumen verabschiedet und das alles ist wunderbar festgehalten.
Auf der zweiten DVD gibt es als Bonus ein ca. 10 minütige Dokumentation, bei der Chrichton und Gilmour über die Anfänge der Band in Toronto berichten (leider ohne Untertitel), mehrere Photogalerien mit Musik unterlegt sowie sechs weitere Songs von einem Gig der Tour in Mannheim. Die Takes stammen von Underground TV, wobei der Sound gleichnamig rüber kommt, kein Vergleich mit dem Münchner Konzert. Insgesamt hätte es aber schon noch ein wenig mehr Inhalte bzw. liebe zum Detail sein dürfen auf dieser Bonus-DVD, ein ausführliches Booklet mit Jahresdaten der Songs usw. wären auch nicht schlecht gewesen.
Neben einer normalen Doppel-DVD erschient das Werk auch als Doppel-CD und CD/DVD-Boxset.
Diese DVD kann man nicht nur als Vermächtnis für alle SAGA-Fans uneingeschränkt empfehlen, sondern sie sollte auch für alle Liebhaber gelungener Konzertmitschnitte eine Pflichtveranstaltung sein und in keiner ordentlichen Musiksammlung fehlen.
SAGA sind inzwischen schon wieder mit einem neuen Album „Human Condition“ sowie dem neuer Sänger ROB MORATTI am Start und ich kann jetzt schon verraten: Alle Pessimisten werden positiv überrascht sein.
Obwohl es diesen Sechser aus der Nähe von "Leipzsch" d.h. richtig wäre hier zu sagen die Band FACTORY OF ART an sich, bereits seit 1990 gibt. damals noch mit dem Ausblick "reinen" instrumentalen Artrock machen zu wollen, woraus sich auch der etwas pragmatische Name ergeben haben dürfte, kommt nun erst in 2002 die zweite offizielle Scheibe heraus. Über das stilvolle "Apfel"-Coverartwork sollte man keine großen Worten verlieren, kann passieren aber absatzfördernd ist das sicher nicht. Egal nach vielen Besetzungswechseln sowie einigen Hochs und Tiefs haben die Jungs jetzt scheinbar doch noch die Kurve gekriegt und mit dem aktuellen "The Tempter" eine, aus meiner Sicht, überdurchschnittlich gutes Album mit einer sehr gelungenen Mischung aus Power Metal und leicht progressiven Elementen fabriziert. Vor allem der eindringliche Gesang von Jens "Petri" Schmikale, der trotz einiger (unnötiger) Grölattacken, mit seiner tiefen und etwas düsteren Stimme positiv zu gefallen weiß, in Verbindung mit dieses tollen Melodien und einer gesunden, kantigen Härte machen dieses Album absolut hörenswert. FACTORY OF ART gehen auf dieser CD teilweise recht aggressiv zu Werke und erinnern mit ihren stellenweise brachialen Riffs und den heruntergestimmten Gitarren des öfteren an die alten METALLICA Scheiben. Auch die klanglich und ausdrucksmäßig äußerst variabel eingesetzten Keyboards, die aber trotzdem nie aufdringlich wirken, setzen der insgesamt ebenfalls druckvollen Produktion geradezu noch die Krone oben drauf. Schon das beeindruckende Instrumental gleich zu Beginn "Overture: Adam’s Theme" macht mehr als deutlich, hier ist eine absolut reife und eingespielte Band mit Spitzeninstrumentalisten am Werk ist, die mit ihrer gelebten Spielfreude auch die vielen musikalische Details nicht nur als rein schmückendes Beiwerk verkommen lassen. Weitere Anspieltipps auf "The Temper" sind neben dem Titeltrack noch das stampfer -und abgehmäßige "Story of Pain" und das eher episch-voluminös gehaltene "The Healing: Part II" zu nennen. Die Band kommt bei allen soundtechnischen Ausschmückungen und liebevollen Einzelheiten stets auf den Punkt und verzettelt sich nicht darin. Gerade Fans etwas härterer progressiver Mucke und "normalen" (Power) Metals, die auch wieder mal auf Musik jenseits aller HAMMERFALLS oder RHAPSODYS und der dabei fast immer typisch hohen Gesangsstimmen hören wollen, will sagen die auf einen originellen Sound abseits des momentanen Einheitsbreies abfahren, müssen hier auf jeden Fall zuschlagen. Dieses neue Werk von FACTORY OF ART darf man sogar blind kaufen.
GÖSTA BERLINGS SAGA aus Stockholm sind der Traum eines jeden Rezensenten - oder vielleicht vielmehr Albtraum? Denn die Musik des Quintetts, das sich nach einem Roman von Selma Lagerlöf benannt hat, lässt sich nur schwer in Worte fassen und Vergleiche mit anderen Bands sind zumindest wackelig. Trotzdem soll - nein, MUSS - das neue Werk " Forever Now" gebührend gefeiert werden. Es erscheint nicht nur zum 25-jährigen Bandjubiläum sondern markiert den bisherigen Höhepunkt in der musikalischen Reise dieses unfassbar kreativen Kollektivs. Dabei ließ sich die Band erstmals seit Bandgründung fünf Jahre Zeit für den neuen Output, der das fantastische "Konkret Musik" von 2020 beerbt.
Schon die Eröffnung des Albums mit "Full Release" setzt den Ton für das Album. Ist es ein Intro, ist es ein Song, irgendwas zwischendrin? Jedenfalls kommt hier bereits das Soundtrack-hafte zum Vorschein, das dem Hörer immer wieder begegnen wird. So zum Beispiel im hypnotischen Titelsong, der gut und gerne zur Untermalung eines Siebziger-Jahre-Krimis dienen könnte. Dabei kommen natürlich auch Einflüsse der großen Prog-Protagonisten aus diesem Jahrzehnt zum Vorschein, seien es KING CRIMSON oder YES oder CAPTAIN BEEFHEART, ohne diese jedoch direkt zu zitieren. Ein ähnlicher Vibe durchzieht "Forever Now" von Anfang bis Ende. Trotzdem ist die Band bedingungslos im Hier und Jetzt, hält ihre Musik von einer reinen Retro-Veranstaltung fern.
Kurioserweise findet sich die vorab veröffentlichte "Single" namens "Fragment I" nicht auf dem Album, dafür jedoch "Fragment II". Dieses leicht orientalisch anmutende Klangfeld mündet in "Ascension", das Schwingungen von THE MARS VOLTA auffängt, ohne in deren Hektik zu verfallen. Ein mitreißender Song mit treibender Rhythmusgruppe und wunderbaren Arrangements. Egal wie man die Musik von GÖSTA BERLINGS SAGA kategorisieren möchte, viel besser geht es nicht. Im folgenden "Dog Years" zeigt man sich dagegen etwas ruhiger und düsterer. Das Grundriff könnte direkt einem Horror-Klassiker entsprungen sein, womit sich der rote Faden der Filmmusik weiter durch das Album zieht. Einen Höhepunkt haben sich GÖSTA BERLINGS SAGA für den Abschluss des Albums aufgehoben: das großartige "Ceremonial" mit seinen fließenden Melodien und hypnotischen Rhythmen hinterlässt einen Hörer, der eigentlich nichts anderes will als dieses Album sofort erneut zu hören.
Mit "Forever Now" ist GÖSTA BERLINGS SAGA ein ganz großer Wurf gelungen. Selten war instrumentale Musik spannender und noch seltener hat eine Band fünfzig Jahre Progressive Rock so kunstvoll in ein fesselndes Album gegossen, das sich ganz sicher in vielen Bestenlisten des Jahres 2025 finden wird.
Wenn Meshuggah einen Mathe-Leistungskurs geben, dann sind IMPERIAL TRIUMPHANT die Professoren im Studium der Raketenwissenschaft. Mit Musik hat das Schaffen der Amis nur noch an der Basis etwas zu tun. Denn das Trio kippt alles Mögliche in eine riesige Petrischale, holt den Quirl heraus, den es vorher mit den Regeln der Navier-Stoke-Gleichung programmiert hat. Rein kamen, stumpf aufgezählt: (Death)-Metal, Rock, Math-Core und Jazz, Bläser, Percussions, immer wieder solistischer Bass, noisy Fast-Lärm, Gegrunze, Gewimmer, erzählerische Ziwschenspiele und Effekte und noch viel mehr. Raus kommt eine nahezu unhörbare, kakophonische Melange extremer „Musik“. An der Genießbarkeit des Albums ändern auch Gäste wie Dave Lombardo oder Yoshiko Ohara absolut nichts. Denn immer, wenn der ungebildete Hörer, denkt: „Oh, ein Song“, dann kommt wieder ein überraschendes Element aus dem Topf des Versuchslabors herausgepurzelt. Doch das Album endet nicht wie ein Experiment mit einem amtlichen Feuerwerk im Chemie-Labor oder mit dem Start einer Rakete in den Weltraum, sondern mit viehischen Kopfschmerzen oder gar imaginärem Ohrenkrebs. Deswegen klebt der Warnhinweis wie auf einer Schachtel Zigaretten nicht umsonst: „IMPERIAL TRIUMPHANT can impair your mental health and cause cardiovascular disease and epileptic seizure. Use new ,Goldstar‘ responsibly at own risk‘. Oder gar nicht. PS: Der Sound ist escht richtisch geil, längst nicht so künstlich wie es die musikalische Ausrichtung des Trios vermute ließe. Hochgebildete Musik-Nerds könnten mit diesem goldenen Star glücklich werden, genauso wie mit eben Meshuggah, Converge, The Dillinger Escape Plan oder Primus. „Normale“ Menschen müssen danach zum Arzt.
OPETH sind zurück und präsentieren uns mit ihrem langerwarteten 14. Studioalbum "The Last Will and Testament" ein neues Kapitel ihrer musikalischen Reise. Wie gewohnt erwartet den Hörer ein dichtes Gewebe aus progressiven Elementen, das zwischen sanften Melodien und brachialen Riffs changiert. Und ja.... "the growls are back", wie das Internet schon seit Wochen in tourettehaftem Zwang und in immer engerer Taktung postulierte. Während die instrumentale Leistung jedoch einmal mehr vollständig überzeugt, ist der Gesang von Mikael Åkerfeldt der spielerischen Exzellenz nicht immer gewachsen. Dieses Problem ist im Land des Prog leider nicht unbekannt, gerieren sich doch oft die Hauptakteure der Bands auch als Lead-Sänger, ohne in dieser Disziplin das herausragende Niveau ihres Umfelds zu erreichen. Natürlich ist es nicht schlecht, was der gute Mikael da von sich gibt, aber gerade in Sachen Growls ist in den letzten 25 Jahren in der Metal-Szene einiges passiert und die eindimensionalen Death Metal-Gurgeleien des Meisters sind doch leider etwas outdatet.
Instrumental beweisen OPETH jedoch einmal mehr, dass sie zu den innovativsten und versiertesten Bands der Progressive-Metal-Szene gehören und dabei nicht vergessen, ein Gesamtpaket mit nachvollziehbaren Songs zu schnüren. Die Arrangements sind, wie man es von Opeth gewohnt ist, sehr vielschichtig. Es gibt erneut tolle Streicherparts von Dave Stewart (EGG, KHAN) zu hören, ebenso wie die Flöte von niemand Geringerem als Ian Anderson sowie sehr feine Backing Vocals von Joey Tempest. Die Gitarrenarbeit begeistert zwischen Präzision und Atmosphäre, das Schlagzeugspiel von Studio-Debütant Waltteri Väyrynen kommt ebenso komplex wie dynamisch daher und die Keyboard-Parts verleihen den Stücken wie so oft einen wunderbar morbiden Touch. Vielleicht liegt es auch am Drumming, das "The Last Will and Testament" eine Frische ausstrahlt, wie lange kein Album der Schweden mehr. Man fühlt sich immer wieder an die ganz großen Taten von Anfang des Jahrtausends erinnert. Während in den letzten Jahren eine leichte Stagnation auf höchstem Niveau zu verzeichnen war, vermittelt die Band hier den Eindruck wieder richtig zu brennen.
Auf Songtitel verzichten OPETH bei diesem Album fast gänzlich. Die Songs sind in die Paragraphen 1 -7 gegliedert und lediglich das abschließende "A Story Never Told" kommt in den Genuss eines klassischen Titels. Dies ist dem textlichen Konzept geschuldet, das die Hörerschaft in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurückversetzt. Es erzählt die Geschichte eines wohlhabenden, konservativen Patriarchen, dessen letzter Wille schockierende Familiengeheimnisse zutage bringt. Die Songs spiegeln dabei vielerlei Geständnisse aus Sicht jenes Patriarchen wider. Wer sich also für lyrische Ergüsse begeistern kann, kommt hier voll auf seine Kosten.
"The Last Will and Testament" ist das stärkste Album von OPETH seit "Watershed" und beweist die Band einmal mehr als Meister ihres Fachs. Wer in Åkerfeldts Gesang keinen Nachteil sieht, muss hier zuschlagen und kann das Album getrost in die Top 10 des fast abgelaufenen Jahres einreihen.
"Angelm" von KERRETTA ist keine gewöhnliche Platte. Es ist eine klangliche Expedition, die die Hörer*innen auf eine Reise durch die Kontinente mitnimmt. Das Album konzipiert als "proto-astrale Kollision von Pangea und tektonischen Platten" ist eine ambitionierte und gelungene Mischung aus wuchtigen Riffs, atmosphärischen Soundscapes und experimentellen Elementen. Was sich erst einmal etwas prätentiös anhört, mündet jedoch in erstaunlich geerdeten Post-Rock, der auf Einflüssen der Großen des Genres wie MOGWAI, RUSSIAN CIRCLES oder GODSPEED YOU BLACK EMPEROR! fußt. Genau wie die Veteranen des Genres schaffen es die Neuseeländer, mit ihrer Musik wirklich zu berühren. Die instrumentalen Tracks sind dabei alles andere als statisch. Sie entwickeln sich dynamisch und führen den Hörer durch die ganze Palette an Emotionen. Mal sind es die eisigen Weiten der Antarktis, die sich in den Klängen widerspiegeln, mal die unendliche Weite des Pazifischen Ozeans.
Besonders beeindruckend ist die Vielseitigkeit des Albums. Von metal-lastigen Passagen bis hin zu sanften, melancholischen Momenten ist alles dabei. Die Band scheut sich nicht, mit verschiedenen Stilmitteln zu experimentieren und schafft so eine einen eigenen Klangkosmos aus verspielten Details und heftigen Ausbrüchen. "Angelm" ist ein Album, das man sich nicht einfach nur anhört, sondern dem man sich wirklich hingeben und darin versinken kann. Und das ist sicher das Beste, was man über ein Album aus diesem Genre sagen kann. Für Fans von Post-Rock und experimenteller Musik ist "Angelm" ein absolutes Muss.
KERRETTA liefern mit "Angelm" ein beeindruckendes und vielschichtiges Album ab, das sowohl die Fans des Genres als auch Neugierige begeistern wird. Dies ist umso erstaunlicher, da es das erste vollwertige Studioalbum seit zehn Jahren darstellt. Es ist jedoch wert, sich auf diese Klangwelten einzulassen und sich von der Musik mitnehmen zu lassen. Einen Anspieltipp zu benennen verbietet sich hier, denn "Angelm" ist - wie so oft im Post-Rock - ein Album, das am Stück genossen werden sollte, damit sich seine volle Größe entfalten kann.
Mit "The Hunting Party" legen BLIND EGO ihr fünftes Studioalbum vor und beweisen einmal mehr, dass sie zu den spannendsten Protagonisten der deutschen (Prog-)Rockszene gehören. Gitarrist Kalle Wallner (bekannt durch seine Hauptband RPWL) und seine Mitstreiter haben mit diesem Werk ein Album geschaffen, das sowohl bisherige Fans als auch Neulinge begeistern dürfte. Die größte Veränderung gegenüber den Vorgängern ist der neue Sänger Kevin Kearns. Seine kraftvolle Stimme fügt sich hervorragend in den Sound der Band ein und verleiht den Songs eine Portion Härte - wie das gesamte Soundgewand etwas an Heaviness gewonnen hat. Dabei bleiben BLIND EGO jedoch ihrem charakteristischen Sound treu: Melodische Gitarrenriffs, eingängige Hooks und ein proggiges Grundgerüst bilden die Fundament für ein Album, das sowohl straight nach vorne gehen kann als auch nachdenklich-melancholische Momente bietet.
Textlich geht es auf "The Hunting Party" um existenzielle Fragen, gesellschaftliche Kritik und persönliche Erfahrungen. Verfasst wurden die Lyrics vom Autor Dominik Feiner und sie heben sich sprachlich doch sehr wohltuend vom leider oft arg formelhaftem Vorgehen der Konkurrenz ab. Die musikalische Umsetzung ist dabei stets auf höchstem Niveau. Kalle Wallners Gitarrenspiel ist virtuos und präzise, das Schlagzeug von Michael Christoph treibt die Songs filigran-kraftvoll voran und Yogi Langs Keyboards setzen wunderbare, atmosphärische Akzente.
Besonders hervorzuheben sind die Songs "The Stranger", "Spiders" und "Boiling Point", die mit ihrer Energie und ihrer Vielseitigkeit überzeugen. Die abschließende Ballade "When the Party's Over" zeigt die Band von einer anderen Seite und belegt eindrucksvoll das Können aller Beteiligten an diesem Album. Die Sologitarre von Kalle Wallner verdient hier das Prädikat "besonders wertvoll".
Blind Ego haben mit "The Hunting Party" ein starkes Album abgeliefert, das sowohl musikalisch als auch textlich überzeugt. Die neue Besetzung hat dem Sound der Band frischen Wind eingehaucht, ohne dabei die charakteristischen Elemente zu vernachlässigen. Fans anspruchsvoller und moderner Rockmusik dürften hier voll auf ihre Kosten kommen.
Mit „Friend Of A Phantom“ veröffentlichen VOLA ihr nunmehr viertes Album und sitzen damit weiterhin gekonnt zwischen allen Stühlen. Die Dänen bedienen mit ihrem Sound progressive Metaller ebenso wie Fans von Alternative Rock und Djent. Aber VOLA liefern dabei kein Stückwerk ab – bei den Jungs klingt das Ganze wie aus einem Guss. Natürlich nimmt dabei der Opener „Cannibal“ eine gesonderte Stellung ein. Der mit Sänger Anders Fridén von IN FLAMES aufgenommene Song bietet rohe, emotionale Kost und sticht durchaus heraus (deftige Growls vs. gekonnter Instrumentalisierung). Denn im weiteren Verlauf liegt der Fokus weniger auf härte, eher auf eindringliche Songs mit variablen Strukturen. „Glass Mannequin“ kommt als ruhige Pianoballade, die etwas unauffällige Metal-Single „Paper Wolf“ ist ein unterschwelliger Ohrwurm, „Break My Lying Tongue“ zeigt am deutlichsten die elektronische Seite der Band und hat was von Techno. Und auch wenn gegen Ende „Hollow Kid“ nochmals Härte und Kälte des Anfangssongs aufnimmt; VOLA fühlen sich mit cleanen Vocals und melancholischer Grundausrichtung mittlerweile fast am wohlsten. Und so liefern VOLA auch 2024 ein abwechslungsreiches Album ab, auf das man sich als Owner eines offenen Musikgeschmackes einlassen darf.
Man kann es drehen und wenden wie man will: die besten Einfälle im Leben haben doch meistens die Frauen. So schlug die Herzallerliebste von Neal Morse vor, ihr Gatte möge sich mit lokalen Talenten aus Tennessee zusammen tun, um frische musikalische Ideen zu entwickeln. Aus den anfänglichen Jam Sessions kristallisierten sich recht schnell konkrete Songs heraus und das Projekt NEAL MORSE & THE RESONANCE nahm Anfang 2024 ernsthafte Formen an. Natürlich sind die bislang in Prog Rock-Kreisen recht unbekannten Chris Riley, Andre Madatian, Philip Martin, Joe Ganzelli und Johnny Bisaha keine Anfänger oder Amateure, sondern Vollblutmusiker, die dem Altmeister scheinbar tatsächlich noch einmal einen heftigen Push verpasst haben. Versandete die ein oder andere jüngere Veröffentlichung des mittlerweile 64-jährigen Morse in zu viel Worship (bei aller Qualität), so kommt "No Hill For A Climber" wie eine Fortführung der größten Momente von SPOCK'S BEARD und TRANSATLANTIC daher. Insbesondere Ganzelli an den Drums und Madatian an der Gitarre verleihen den Songs die notwendigen Kanten und einen gewissen Punch. Madatians Stil ist moderner und präziser als etwa der von Alan Morse und erst recht von Roine Stolt und veredelt die klassischen Morse-Kompositionen perfekt. Auch Sänger Johnny Bisaha wertet etwa den hochmelodischen Ohrwurm "Ever Interceding" mit seinen tollen Vocals wahnsinnig auf. Bei allem Respekt vor Neal Morses musikalischen Leistungen, lässt die Stimme ab einem gewissen Zeitpunkt im Leben einfach nach und so ist Bisaha eine grandiose Verstärkung an der richtigen Stelle. Morse selbst vergleicht das Album, dessen Titel im übrigen auf ein Zitat aus Barbara Kingslovers Roman Demon Copperhead zurückgeht, mit "Bridge Across Forever" von TRANSATLTANIC oder SPOCK`S BEARDs "V". Und damit schießt er keinesfalls über das Ziel hinaus. Neben drei kürzeren Songs finden sich zwei Longtracks auf dem Album: der 20-minütige Opener "Eternity In Your Eyes" und der fast halbstündige Titelsong. Beide Werke sprühen nur so vor Spielwitz, bedienen sich natürlich - wie bei Morse üblich - gerne beim 70er-Prog von KANSAS über STYX bis KING CRIMSON und sind mit das Beste, was der Meister in diesem Jahrtausend veröffentlicht hat. Von den kompakteren Songs sticht das völlig ungewöhnliche "Thief" heraus. Hier entführt uns die Truppe auf eine proggige Reise in den Film Noir, in Worten kaum zu beschreiben. Der düstere Fünfminüter glänzt mit beschwörenden Vocals von Morse, einer hypnotischen Basslinie und jazzigen Gitarrenakkorden, um sich im Verlauf zu steigern und im Mittelteil eine moderne Version von GENTLE GIANT zu präsentieren. Einer der Songs des Jahres!
In solch einer bestechenden Form war NEAL MORSE eigentlich nicht zu erwarten, insbesondere im Zusammenspiel mit Musikern, die bislang kaum für die breite Masse in Erscheinung traten. Das Kollektiv straft mit "No Hill For A Climber" aber die Zweifler Lügen und legt eines DER Prog-Highlights des Jahres vor. Ein absoluter Pflichtkauf für alle Genre-Fans! Physisch ist das Album gleich in drei Versionen verfügbar: als limitiertes 2CD Digipak (inkl. Instrumentalversionen), Standard CD Jewelcase und Gatefold-Doppel-LP. Get it while you can!