Ich kann mich noch ziemlich genau an ein Hammeralbum von MARTIGAN "Man Of The Moment" aus 2002 erinnern – das Ding war einfach klasse und bot alles was (Neo) Progrockfans sich so (meistens) wünschten. Und dies hat sich auch mit dem aktuellen Werk „Vision“ keinen Millimeter geändert, denn die Kölner stehen für lupenreinen, klassischen Neo-Progrock, eine Art Querschnitt der alten MARILLION, PENDRAGON und natürlich einen guten Schuss IQ. Letztere wegen der teilweise recht dominanten Keyboards sowie des wunderbar virtuos-perligen Gitarrenspiels. Für die Texte und den prägnanten Gesangseindruck sorgt nach wie vor Leadsänger Kai Marckwordt, der den gleichwertigen Widerpart zur bestens abgestimmten Instrumentenfraktion bildet. Der neue Silberling beinhaltet acht Tracks, davon zwei ultralange Epen über der Zehn- und zwei andere jenseits der Zwanzig-Minuten-Grenze.
Die Songs, angefangen mit dem 23:12 Minuten Teil "Boatman's Vision" verzaubern durch breitflächige Klanglandschaften und üppige Melodiebögen die den Zuhörer mit auf eine elegische Reise nehmen. Beinahe wie selbstverständlich, ohne dabei etwa zu angestrengt zu klingen, werden großzügige Soloparts miteingebaut wobei insbesondere Gitarre (Björn Bisch) und variantenreiche Keyboards mit viel Hang zum symphonischen (Oliver Rebhan) glänzen können. Hier wird vielfach auf melodramatische Effekte gezielt, eine Erzählstimme ist beim Opener genauso eingebaut, wie Geräuschkollagen, sphärische positive Parts wechseln sich ab mit hymnischen Teilen um dann wieder in mollige Bilder abzutauchen. Bei dem opulenten-pompösen „Touch In Time“ mal mit etwas riffigeren Gitarren (die ruhig etwas mehr nach vorne gemischt sein könnten) ausgestattet, singt, lebt und leidet sich Fronter und Geschichtenerzähler Kai Marckwordt nicht nur hier in bester FISH bzw. PETER GABRIEL-Manier mehr oder weniger theatralisch durch seine Texte. Auch wenn er vielleicht nicht so ganz das große Volumen abdecken kann, er hat eine tolle Präsenz und klingt authentisch. Ebenfalls sehr überzeugend: das relativ kraftvolle sowie schwungvolle „Much More“, hier singt Kai mal sogar richtig aggressiv (könnte er ruhig noch öfter tun).
Aber auch für die leichtere Muße fühlen sich MARTIGAN durchaus zuständig, dies wird bei „Craze This Town“ deutlich, aber dann sorgt diese wunderbar elegische Gitarrenparts für die Rückkehr zum ansonsten recht simplen Track.
Der eigene hohe Anspruch der Band ein abwechslungsreiches Album zu machen, das Eingängigkeit und Komplexität mit einer ungewöhnlichen Selbstverständlichkeit verbindet ist größtenteils ohne Abstriche geglückt. Weiterhin hoch anrechen muss ich den Herren auch, dass auf das bei vielen Bands übliche Gefrickel komplett verzichtet wurde.
Der selbst produzierte Sound überzeugt ebenfalls, an machen Stellen groovt es sogar mal so richtig lässig wie bei dem leicht orientalisch angehauchten „Red & Green“. Von der oftmals insbesondere britischen Neo-Prog Vertretern vorgeworfenen Kühle ist bei MARTIGAN nie etwas zu spüren, im Gegenteil hier wird Wert auf atmosphärische Intensität gelegt, die nicht nur das Hirn sondern auch das Herz überzeugt.
Trotzdem bestehen auch zu den technischen Fähigkeiten natürlich keine offenen Fragen, die Arrangements sitzen perfekt, die Melodien fließen zielgenau, Breaks und Pausen werden gefühlssicher eingestreut, so dass die vermeintliche Komplexität nie im Vordergrund steht sondern trotz aller Längen in ein entspanntes Zuhören mündet. Die Band punktet somit in allen Bereichen, es gibt genügend Ideen zu entdecken und so ist der für viele Progfans so wichtige Langzeiteffekt hier auf "Vision" absolut gegeben. MARTIGAN haben ihre Visionen nach langer Pause erneut vortrefflich umgesetzt, wenn auch die großen Innovationen aus bleiben, denn dies hat man alles schon mal so ähnlich gehört. Ein toll gemachtes Artwork sorgt noch für das I-Tüpfelchen einer starken Veröffentlichung, von einer Band die zum Vorgänger deutlich gereifter klingt und die mit diesem Output für alle Neo-Progfreaks eine absolute Kaufempfehlung darstellt.
Vision
Band:
Genre:
Nicht angegeben
Tracks:
9
Länge:
79:18 ()
Label:
Vertrieb:
Review: Molecular Heinosity
Zehn Jahre ist Solo-Keyboarder DEREK SHERINHAM schon nicht mehr bei DREAM THEATER, dabei kam es mir eigentlich noch gar nicht so lange vor. In seinen fünf Jahren beim Flaggschiff des Progressive Metal war er zumindest bei einem bis heute der besten Alben der New Yorker maßgeblich beteiligt: „Metropolis Pt. 2: Scenes From A Memory“. Nicht nur alleine deshalb sondern auch aufgrund seines ungemein melodisch-virtuosen Tastenspiels, das er auf zahlreichen gelungenen Solowerken seit 1999 zunächst unter PLANET X dann mit eigener Firmierung bestens unter Beweis gestellt hat, ist er bis heute sicher einer der fähigsten und kreativsten Tastenbearbeiter der Szene.
Er hat sich so einen sehr guten Ruf erworben, aber ob er sich mit dieser sechsten Scheibe Namens „Molecular Heinosity“ wirklich einen Gefallen getan hat, wage ich eher zu bezweifeln, denn die dargebotenen Inhalte sind alles andere als packend, unterhaltend oder gar irgendwie zeitlos. Obwohl die Vorraussetzungen eigentlich besser fast nicht hätten sein können - Sherinian holt sich nämlich eine ganze Reihe fähiger Musiker wie u.a. Brian Tichy (FOREIGNER, PRIDE & GLORY), Zakk Wylde (Gitarre - BLACK LABEL SOCIETY, OZZY OSBOURNE), Virgil Donati (Drums - u.a. STEVE VAI, STEVE WALSH, PLANET X) oder Tony Franklin (Bass- BLUE MURDER, JIMMY PAGE) ins Boot und wollte ein betont nach Prog Metal klingende Scheibe abliefern. Dies ist rein oberflächlich zwar auch gelungen, für eine reine Instrumentalscheibe eines Keyboarders habe ich noch nie einen sich selbst so zurücknehmenden Protagonisten erlebt. Sherinian fährt, so lässt sein ehemaliges Umfeld verlauten, total auf Gitarristen und deren kraftvolles Spiel ab und dies wolle er mit seinen Songs sowie aufwendigen Arrangements auf „Molecular Heinosity“ einfach ausleben.
Dies ist leider, wenn überhaupt, nur in Ansätzen gelungen. Das Cover mit den netten Totenköpfen dürfte die Metaller sicher ansprechen, der Albumtitel klingt eher pseudo-ffekthascherisch um wahrscheinlich die Gitarristenseele anzusprechen. Die Musik ist größtenteils ziemlich belanglos, es fehlt wie bei so vielen reinen Instrumentalarien an Inhalten, Struktur sowie irgendwelche Wiedererkennungsmomenten. Bestes Negativbeispiel sind die ersten drei Tracks, die so eine Art opulente Trilogie (mit einem nichtssagenden Zwischenteil „Ascension“) darstellen sollen aber bei der man aber über knappe 16 Minuten nie Anfang und Ende oder sonst was erkennt. Es wird munter drauf los gefiedelt, georgelt, zigfache Breaks und nerviges Gitarrengenöle (gegen Ende gibt es zwar auch gelungene düster-dunkle Riffe bei „Primal Eleven“) aber insgesamt wird hier genau das geboten, was man eigentlich als Nichtmusiker nicht hören möchte – grausig!
Die beteiligten Musiker sind sicher absolute Könner an ihren Gerätschaften aber die ganze Schose kommt derart seelenlos daher, da helfen auch ein paar wenige sphärische getaktet Parts nicht weiter, die kämpfen verzweifelt um ein wenig Atmosphäre („The Lone Spaniard“) auf dieser Scheibe. Vergebens. Es wird zwar durchaus fett abgerockt, mit den obligatorischen Läufen rauf und runter, relativ ähnlich klingend ergibt das ein wenig stimmiges Album. Als einziger Lichtblick bleibt da der einzige Song mit Gesang „So Far Gone“ ganz zum Schluss, dargeboten von Wylde und hier wieder im typischen Ozzy Osbourne Style, klasse so gut hat der Madman seit Jahren nicht mehr geklungen.
Diesen „Heino“ kann man sich ansonsten absolut verkneifen, Virtuosität ist ebenfalls nicht alles und ersetzt keine guten Songs - für alle Nichtinstrumentalfetischisten ist „Molecular Heinosity“ daher eine höchst überflüssige Scheibe und (leider) kein Vergleich zum guten Vorgänger „Blood Of The Snake“ (2006).
Molecular Heinosity
Band:
Genre:
Nicht angegeben
Tracks:
9
Länge:
39:39 ()
Label:
Vertrieb:
Review: Time Must Have A Stop
Ja was denn, schon wieder eine Progkapelle von unseren östlichen Nachbarn aus Polen. Dort scheint in den letzten Jahren eine regelrechte Epidemie ausgebrochen zu sein, ähnlich wie die Skandinavier mit ihren zig typischen Düsterkapellen, egal ob Death oder Gothic Metal Schiene, hat sich dort eine andere Szene entwickelt. Diese Band nun nennt sich VOTUM, kommt aus Warschau und reiht sich mit ihrem gelungenen Debüt „Time Must Have A Stop“ problemlos in die bisherige Reihe bereits etwas bekannterer Formationen wie SATELITE, QUIDAM, AFTER und natürlich den Senkrechtstartern der letzten Jahre RIVERSIDE ein und muss sich qualitätsmäßig beileibe nicht vor den bereits Etablierten verstecken.
Wobei VOTUM ganz klar schon eher die Metalschiene bedienen, vielleicht nicht die schnellste und härteste Ausprägung wie etwas SYMPHONY X, aber es geht deutlich geradliniger rockend, nicht so betont vertrackt, auch atmosphärisch weniger prägnant und eine ganze Ecke weniger kopflastig als bei ihren Vorbildern von RIVERSIDE zu. Apropos, da werden von dem Sextett auch noch OPETH, PORCUPINE TREE und PINK FLOYD genannt, aber musikalisch findet sich davon nur relativ wenig vordergründig wieder. Von den Stimmungsbildern her ist alles relativ düster, melodramatisch angehaucht, fast schon einen Tick Gothic und es gibt auch vor allem ab der Mitte des Albums zunehmend sehr viele gelungene atmosphärische Parts, aber in bester Progmetal-Tradition auch immer mal wieder mit heftigeren Attacken. „Time Must Have A Stop“ braucht zu Beginn etwas, um in die Gänge zu kommen aber dann kriegt die Band doch noch die Kurve mit einigen sehr gelungenen Tracks bzw. Passagen. Wie schon angedeutet sind VOTUM deutlich mehr Metal als RIVERSIDE, die dies immer nur mal andeuten und sich dann wieder in ihre verträumt-sphärischen Arrangements zurückziehen, auf dieser Scheibe ist dies schon anders, etwas geradliniger, man lässt es etwas mehr laufen. Fette Riffs sind hier kein Fremdwort, es gibt aber auch typisch elegische (Neoprog) Solos u.a. bei dem eingängigen „The Pun“. Die Rhythmusfraktion ist eher etwas lebendiger unterwegs mit kraftvollen Drums und auch die Tasten dürfen neben vielen düsteren Flächen auch mal gelungene Klaviersounds mit einbringen. Der Sound insgesamt ist recht direkt gehalten, manchmal etwas roh, mit weniger Hochglanz und kommt ohne viel Effektspielereien aus. Auch die Stimme am Mikro ist mit Maciel Kosinski gänzlich anders bestückt als bei RIVERSIDE. Er ist viel mehr ein Metalsänger mit einem kraftvoll-klaren Organ, er kann richtig „aufmachen“ aber auch durchaus gefühlvollere Parts rüberbringen. Nur muss er hier noch etwas am Feeling feilen, „Train Back Home“ klingt da noch etwas zu dünn. Da ist dann die balladeske Nummer „Away“ schon etwas besser geraten, schöne ruhige Akustikparts zu Beginn und hinten raus wird es schön packend mit einem klasse Gitarrensoloabschluss.
Die Arrangements sind relativ geradlinig, auf größere Überraschungseffekte wurde genauso verzichtet wie technische Zuschaustellung der einzelnen Musiker. Hier wird Wert auf harmonisches Teamwork gelegt und die Pladde ist dabei mehr als ordentlich geworden, solide ohne einen negativen Ausreißer nach unten aber auch ohne echten Kracher - na ja, mit einer Ausnahme. „Passing Scars“ mit diesem orientalischen Flair sowie dieser leicht bedrohlichen Note hätte so was werden können, aber dazu fehlt es noch an der ein oder anderen Nuance am Songwriting. Mein Favorite ist daher ganz klar das abwechslungsreiche „The Hunt Is On“, ein Track der sich erst langsam aufbaut mit coolem Refrain, klasse Drums und schönen Verläufen mit viel Dynamik. Das heftigste Teil ist dann für unsere Schwarzkuttlerfraktion „Look At Me Now“ geworden, hier wird sogar mal ordentlich gegrowlt, zwar ein wenig viel „Aahs“ beim Normalgesang aber nicht übel. Zum Schluss hauen VOTUM dann noch mit dem 11-minütigen Titeltrack einen Proghammer raus, der sich gewaschen hat: hymnenhafte Refrains, melancholische Parts, viele Breaks mit wechselnden Songverläufen, gelungene Instrumentalteile und ein stimmiges Gesamtbild runden ein überzeugendes Debüt ab. Dort bitte beim nächsten Album weitermachen.
Time Must Have A Stop
Band:
Genre:
Nicht angegeben
Tracks:
8
Länge:
51:11 ()
Label:
Vertrieb:
Seiten