Dieses Mal dauerte es nur fünf Jahre, bis POVERTY'S NO CRIME ein neues Album präsentieren. Immerhin lagen zwischen dem letzten Longplayer "Spiral Of Fore" (2016) und "Save My Soul" (2007) neun Jahre. Somit kommen die Niedersachsen fast zügig mit neuem Stoff um die Progrock-Ecke - pünktlich zum 30-jährigen Bandjubiläum. Vielleicht war das der Tempomacher für "A Secret To Hide". Aber nach Schnellschuss oder gar Hektik hört sich das überwiegend zu Hause und somit ohne Studiokosten zusammengetüfftelte Album nicht an. Ganz im Gegenteil, jeder Musiker hatte so mehr Zeit und Muse, sich seinem Part und seiner Idee zu widmen, und das bereicherte und stimulierte den Kreativprozess.
Das Werk startet melodiös ("Supernatural"), gewohnt komplex und eher rockig als metallisch, wobei hier die Balance ausgewogen ist. Den Nordlichtern gelingt es spielerisch, von rockigen Episoden weichzeichnerisch in metallische Gefielde zu schippern und ebenso zurück, ohne harte Kanten oder einen ruppigen Verlauf ("Flesh And Bone"). Im Hintergrund softet mal eine gefällige Keyboard-Melodie ab, ehe diese von Gitarrenwänden partiell überdeckt wird. Das ist zu den packenden und dennoch vielschichtigen Melodien spannend und unterhaltsam. Volker Walsemanns feinsinniger, dezenter und gefühlvoller Gesang führt dazu farbgebend durchs Programm und mausert sich im weiteren Verlauf zu einer der Kostbarkeiten von "A Secret To Hide".
POVERTY'S NO CRIME überzeugen auf Album Nummer acht nahezu in allen Belangen. Das Songwriting ist gestenreich und punktet mit Liebe zum Erzählen. Großartiges Album!
Starkes Artwork und gehaltvolle Füllung geben in wenigen Worten mein Resümee des sechsten Albums "Spirit Of Alchemy" von Johan Kihlberg´s IMPERA wieder. Johan Kihlberg ist ein schwedischer Schlagzeuger, der bereits Jahrzehnte im Musikgeschäft tätig ist und u.a. mit Acts wie KISS, THIN LIZZY und weiteren großen Namen zusammen gearbeitet hat. IMPERA ist sein Projekt; Unterstützung findet er hier bei befreundeten Musikern, meist Landsmännern, wie u.a. Gitarrist Lars Chriss (LION´S SHARE), Sänger John Lindkvist (NOCTURNAL RITES) oder EUROPE-Bassist John Gunnar Levén. Eingetütet hat der als Co-Songwriter, Mastermind und Co-Produzent agierende Stockholmer Künstler zeitgemäßen Hard Rock an der Grenze zum Metal, wie ihn einst DIO in seiner letzten Solo-Phase präsentierte. Wobei Gitarrist Lars Criss, der ebenfalls co-produziert und eigentlicher Hauptsongwriter ist, nochmal Erwähnung finden muss.
"Nothing Will Last" eröffnet und kontrastiert mit Orchester-Pomp das Album hart und Power Metal-lastig. Sänger John Lindkvist macht einen klasse Job; sein Gesangsstil und seine kraftstrotzende Performance erinnern an Ronnie Romero, seine Klangfarbe indes ist etwas schriller. "Read It And Weep" ist ein Hybrid aus ACCEPT-Groove und DOKKEN-Refrain. Auch die Rythmus-Fraktion verzichtet überwiegend auf dumpfes Doppelbass-Gewitter und unterlegt mit variantenreichem und differenziertem Beat die Songs. Einzig die abschließende, rein instrumentale und synthetische Keybord-Nummer "Battle" wirkt doch etwas unausgegoren und deplatziert.
Gleichwohl bleibt es ein unerwartet starkes Album, das auch handwerklich kaum Mängel zeigt. Man stellt sich die Frage, warum hat man IMPERA, immerhin seit 2011 aktiv, zuvor nicht auf dem Schirm gehabt? Wer auf kernigen Hard Rock bzw. Metal steht, macht mit "Spirit Of Alchemy" nichts falsch.
Nun ist es endlich da: Das neue KÄRBHOLZ-Album. Nach vielen Verzögerungen und diversen Release-Verschiebungen kommen die Chartstürmer endlich mit „Kontra“ aus dem Quark und präsentieren ihre Version von deutschsprachiger Rockmusik. Eins vorweg - die Welt wird sich auch nach „Kontra“ weiterdrehen. Die Band liefert genau den Stoff, welchen die Fans von ihr verlangen. Räudiger Gesang paart sich mit einprägsamen Riffs, die immer eine Mischung aus den HOSEN und den ONKELZ darstellen. Soweit so gähn, aber KÄRBHOLZ schaffen sich trotzdem ihre ganz eigene Lücke und Vision von deutschsprachiger Musik. Hier werden auch gerne mal Umwege und der Fuß vom Gaspedal genommen, um neue Stilelemente einzubringen. Natürlich dürfen auch ruhige Klänge nicht ganz fehlen. „Voran“ wartet mit einer sanften Gesangsstimme auf, die einen Gegenpol zu den meist rohen Vocals bietet und überzeugt mit cleanen Gitarren, Klavier und Violinen. Guter Song, der die weiche Seite von KÄRBHOLZ bestens aufzeigt. Einen ganz anderen Weg schlägt der Song „Rückenwind“ ein. Hier fühlt man sich ein wenig an THE BOSSHOSS erinnert, und ein typisches Western-Feeling kommt auf. Man kann förmlich die Strohballen über die Route 666 rollen sehen… Etwas seltsam und durchaus gewagt kommt „Easy“ durch die Boxen. Hier dominieren Beats aus der Konserve und ein durchaus tanzbares Grundkonzept. Nicht gut und nicht schlecht, aber gewiss nicht passend für ein Album wie „Kontra“.
Ansonsten dominieren solide bis wirklich gute Deutschrocker, die oftmals kritische Themen intelligent beäugen und auch interessant vertont werden. Textlich distanziert man sich gleich im Opener von der AFD/NPD-Fraktion und stellt klar: „Es darf nie wieder sein wie vor 88 Jahren“. Klar, es gibt viele Songs gegen rechtes Gedankengut, aber einer mehr kann bestimmt nicht schaden. Die Hooks, das wahrscheinlich wichtigste Element auf einer Platte dieses Genres, treffen alle sicher das angesteuerte Ziel und dürften live für gute Laune sorgen.
Die Ampel zeigt also insgesamt grün für KÄRBHOLZ, die sich hier zwar kein Denkmal gesetzt haben, aber für solide und gute Kost sorgen. Der Mut zum Experimentieren steht der Band gut zu Gesicht, aber zu viel sollte man in Zukunft auch nicht wagen, wie der Song „Easy“ beweist. Nach dem Schulnotensystem würde ich hier eine Zwei minus vergeben – die Versetzung ist somit nicht gefährdet und wird durch einen zu erwartenden Chart-Einstieg untermauert werden.
Knapp vier Jahre sind seit ihrem letzten Output vergangen. Bereits zum damaligen Album kehrte Originalsänger Magnus Ekwall in die Band zurück. Und auch heute, beim mittlerweile neunten Album ("Earthrise"), nimmt er wieder seine angestammte Position am Mikrofon ein. Somit ist die schwedische Rockinstitution THE QUILL nahezu in Originalbesetzung am Start.
Die Band kredenzt dem Hörer, wie gewohnt, eine Melange aus psychedelischem Hard Rock der Marke LED ZEPPELIN, doomigen BLACK SABBATH und dazu eine leichte Prise 90er-Jahre-SOUNDGARDEN. Der wuchtige Opener "Hallucinate" vereint dann auch gleich stimmig alle aufgezählten Bandeinflüsse auf einen Schlag. "Keep On Moving" ist bluesiger, dynamischer 70er-Jahre-geprägter Hard Rock, der griffig in der Melodieführung und mitreißend im Tempo ist. "Earthrise" wird im weiteren Verlauf aber zusehends dunkler und nachdenklicher, was sicher auch mit der gesetzten Thematik von Entfremdung und Enge in den Texten zu tun hat. Das oben aufgezählte inspirierende Dreiergespann wird nun klar von einem BLACK SABBATH-Einfluss dominiert. Gitarrist Christian Carlsson gelingt es hierbei aber, mit seinen quirligen und irgendwie meist fidelen Soli oder Licks, einen gewissen aufhellenden Schwung und 70er-Jahre-Heavy Rock-Groove mit einzubetten. Apropos 70er-Einfluss - auf "Earthrise" sind drei Longtracks verbaut, die allesamt überzeugen, im besonderen das atmosphärische, tief atmende und gegen Ende in ein berauschendes Finale mündende "Evil Omen".
Beim ersten Hörgang war ich nicht sicher, welches Geschlecht denn die Stimme innehat. Auch der Name des Sängers gab mir nicht auf Anhieb Gewissheit. Die Vocals von Wanja Neite erinnern partiell an Geddy Lee von RUSH, dessen Gesang nie unumstritten war, aber immer für ein scharf geschnittenes Profil und Charakter bürgte. Darüber hinaus bietet die Hildesheimer Band HOUND auf ihrem zweiten Longplayer "I Know My Enemies" zuweilen songwriterisch beeindruckende und anspruchsvolle Rockmusik, genauer gesagt, klassischen 70er-Jahre-Hard Rock mit psychedelischer Ausprägung.
"Sleep In Thunder" eröffnet das Album kantig und eigen. Der Titel erinnert an eine wilde Melange aus LED ZEPPELIN und frühen RUSH, ehe der Song atmosphärisch "Luft holt" und dann mit einem enthusiastischen Solo sein Ende findet. "Head Under Water" überrascht danach mit eher verhaltenem Temperament, seinem THE DOORS-Keyboard und fast schon jazziger Struktur. Das wippende und verträumte "I Smell Blood" gefällt dafür sofort, während das nervöse "Without A Sound" zwischen Punk und Rock schwankt.
Einfach ist woanders. HOUND fordern den Hörer mit ihrer Sprunghaftigkeit sowie ihrer musikalischen Vielfalt und nicht zuletzt mit Wanja Neites polarisierendem Gesang. Gleichwohl, "I Know My Enemies" ist ein spannendes, sehr eigenes und unterhaltsames Album.
Was sagt Gitarrist Christofer Johnsson so schön zu seinem neuen Album „Leviathan"? „Wir haben beschlossen, den Fans das zu geben, nach dem sie schon so lange fragten. "Leviathan" ist das erste Album, das wir ganz bewusst mit THERION-Hits vollgepackt haben."
Mich hat keiner gefragt, denn ich hätte mir Hits aus der Frühphase von THERION gewünscht. Kennt noch einer „Symphony Of The Dead“ vom Überalbum „Beyond Sanctorum“? Das waren meine THERION, und ich habe es geliebt. Tja, THERION haben sich weiterentwickelt – für mich in die ganz falsche Richtung – eine unehrliche Richtung! Soll dieses künstliche Etwas etwa Metal sein? Sollen das Operneinflüsse sein? Jeder damalige Künstler, der sich an Opern versucht hat, würde sich bei diesem aufgeblähten Unsinn im Grab herumdrehen. Der im Allgemeinen gelobte Gesang von Thomas Vikström klingt wie eine überfahrene Zitrone, und die Gitarristen scheinen verlernt zu haben, dass eine Gitarre auch Krach und Melodien erzeugen kann. Sorry, aber ich kann diesem elitären Pathos nichts, aber auch gar nichts abgewinnen. Soundlöcher werden konsequent mit wild zusammengeschusterten Chören zugemüllt, und der weibliche Sologesang bringt einen an den Rand des Wahnsinns.
Eventuell kann man einem Einsteiger dies noch als Metal verkaufen, und dieser wird versuchen, diesen Mist noch gewinnbringend an Oma und Opa zu verkaufen. Nein, nicht mit mir. Für mich hatte sich das Thema THERION schon nach „Theli“ erledigt, aber ein Funken Hoffnung bleibt ja immer noch. Ich kann und will den eingeschlagenen Weg von THERION leider nicht verstehen - es ist eindeutig genug! Scheinbar gibt es ja ein paar Wahnsinnige, die sich diesen spannungsfreien Mist kaufen, sonst hätte Nuclear Blast bestimmt längst den Riegel vorgeschoben. Ich gehöre nicht zu dieser Gruppe und ehrlich gesagt: Ich bin verdammt stolz darauf!
Sind die ONKELZ zu stumpf und die TOSEN eh im Mainstream versunken? Willkommen in der Welt von HERZLOS! Nach 13 Jahren Bandgeschichte präsentieren sich die Pfälzer als gereifte Deutschrock-Band, die eine echte Alternative zu den Genre-Vorreitern bietet. Auf 11 Songs schlagen die fünf Jungs nicht nur partykompatible Töne an, sondern können mit nachdenklichen und kritischen Texten überzeugen. Schon der Titeltrack „Babylon“ lässt diese Marschrichtung erkennen. „Die halbverbrannte Welt braucht nicht noch einen Partysong…“ - Genau, aber die Welt braucht Songs wie diesen grandiosen Einstieg in ein völlig überzeugendes Album. Die Stimme von Sänger Marvin hat genau die richtige Schärfe, um den Songs die richtige Würze zu geben. Ob Herzlos den Erfolg einfahren, den sie in „Radiotauglich“ beschreiben, bleibt fraglich, da die Band definitiv nicht mit den Massenmedien kompatibel ist. Zu hart, zu unbequem und einfach zu intelligent – Trotzdem konnte mit dem letzten Album eine Chartplatzierung verbucht werden, die mit dem neuen Album definitiv auch in greifbarer Nähe ist. Keine großen Freunde werden sich auch beim Song „Influencer“ gemacht, dessen Titel hier Programm ist: „Auf der Jagd nach den Klicks…“. HERZLOS können aber auch soft, aber immer mit Anspruch. „Auf Dich Und Dein Leben“ ist keine Ballade zum Nebenherhören, sondern zeigt mit minimalem Instrumentenaufwand, wie man große Gefühle intensiv vertont. Großartig! „Die Nacht Ist mein Grabstein“ beginnt metallisch und mit einer ordentlichen Portion Härte. Hier zeigen HERZLOS Ecken und Kanten und können, mit einem Gastauftritt von Hip-Hopper GORREST FUMP, das Kunststück für sich beanspruchen, nicht ins Peinliche abzudriften. „Antiserum“ kann inhaltlich und natürlich auch musikalisch voll überzeugen. Der Song bleibt im Gehirn kleben und reiht sich nach dem Titeltrack als zweiter Earcatcher auf dem Album ein.
„Babylon“ kann mich restlos überzeugen. Selten hat ein deutschsprachiges Album mir so viel Spaß bereitet, und selten wurde die Skip-Taste so oft verwendet wie beim Titeltrack, der es schwer macht, bis zu den folgenden Songs vorzustoßen, die viele weitere Perlen hervorbringen. HERZLOS ist es gelungen, kritisch, eingängig und ehrlich abzuliefern, und sie veröffentlichen einen ungeschliffenen Diamanten, dem besonders das „Nichtperfekte“ bestens zu Gesicht steht. Musikalisch und inhaltlich gibt es hier keine Kritikpunkte. Leider ist nur der Zeitpunkt der Veröffentlichung ein undankbarer – Corona, Du Arschloch! HERZLOS hätten auf den vielen Sommerfestivals bestimmt viele neue Freunde finden können, aber „Babylon“ hat so viel Potential, dass man die Party bestimmt auch auf 2022 verschieben kann. Chapeau, geiles Album!
Erst wird das letzte Abendmahl nachgestellt, dann schlägt man ihn ans Kreuz bzw. an die Flying V-Gitarre, und jetzt heißt sein neues Album "Immortal", sprich "unsterblich". Dieser Zyklus vermittelt so ein wenig den Eindruck, dass die Selbstwahrnehmung des bepelzten Künstlers etwas überhöht zu sein scheint. Gleichwohl und richtig ist natürlich, Michael Schenker ist einer der großen Gestalter des klassischen Hard Rocks und ein unverzichtbares Juwel für das Genre. Endlich wieder unter dem vertrauten Banner MSG, veröffentlich der Wahl-Londoner nun seinen neuen Longplayer.
"Drilled To Kill" ist purer dynamischer Power Metal, "gescreamt" von Ralf Scheepers, doch im Song-Kern zieht das Power Metal-Monster seine Maske, und darunter grinst uns seelenvoller Hard Rock entgegen. Tolle Melodien, ein starkes Songfinale und ein energischer Opener. Ich stelle mir bei der Gelegenheit nur die Frage, was hat ein mit hektischem Doublebass angetriebener Power Metal-Song auf einem MSG-Album zu suchen? Hierbei fällt mir auf, dass diese Entwicklung bereits bei vorangegangenen Alben ("Revelation") partiell zu beobachten war. Warum habe ich nicht damals schon Einspruch eingelegt? Vielleicht, weil Michaels Spiel und Songwriting gekonnt im Song eingebettet sind, und sein Feeling immer das richtige Maß an Wärme und rockiger Vertrautheit vermittelt.
Das Solo am Ende von "Don't Die On Me Now" rechtfertigt nahezu allein den Erwerb des Albums. Ja, und natürlich muss erwähnt werden, dass neuer Hauptsänger dieses Mal Ronnie Romero ist. Warum gerade der talentierte Chilene einem eher durchschnittlichen Sänger wie Michael Voss bei der gefühlvollen Ballade "After The Rain" weichen muss, erschließt sich mir nicht. Bei dem epischen puren Hard Rocker "Sail The Darkness" darf er dann seine ganze Klasse unter Beweis stellen. Ich empfinde die wechselnden Sänger heuer nicht mehr so recht nachvollziehbar (Ralf Scheepers, Joe Lynn Turner... why?), sie machen das Album partiell eher inhomogen, trotz ihrer starken Performance. Michael Schenker dämpft diese Uneinheitlichkeit allerdings mit seinem überragenden Spiel ab. Selten war es zentraler, prominenter und Leben spendender für die Songs als hier. Zu guter Letzt schließt Michael das Werk mit seinem ersten komponierten Song "In Search Of The Peace Of Mind" (ehemals ein SCORPIONS-Track) ab. Diese Nummer atmet pures 70er-Jahre-Feeling, und der Scorpion hat irreversibel dem Song sein Gift ins Fleisch injiziert. Großartig!
"Immortal" ist ein verdammt starkes MSG-Album geworden, doch mit diesen Songs wäre noch mehr möglich gewesen.
Tatort: Las Vegas - Tatzeit: Weihnachten 2020. Die opulenten Hotels sind mit künstlichen Weihnachtsbäumen vollgestopft, und künstlicher Schnee rieselt von den blinkenden Werbetafeln. Passanten laufen vergnügt über die Boulevards und tragen große Pakete für das kommende Fest in ihre polierten Autos. Ein Hauch von Apfelzimt und Truthahn liegt in der Luft, der durch Feenstaub anheimelnd glitzert. Aus der Ferne hört man leises Glockengeläut, welches sich langsam nähert. Verschiedene Scheinwerfer fokussieren sich auf einen fliegenden Schlitten, den ein rotnasiges Rentier zieht. Auf dem prächtigen Schlitten kann man einige musizierende Gestalten erahnen. Die Passanten bleiben stehen, und Gerüchte machen die Runde. Dieses Jahr sollen RHAPSODY ihre Variation von Weihnachten dem Nachtleben von Las Vegas vortragen und haben sich Unterstützung von Andrew Lloyd Webber, Helene Fischer und Frank Sinatra ins Boot geholt. Doch weit gefehlt – Ein Lamettavorhang öffnet sich, und nicht RHAPSODY, nein, eine Band mit dem Namen MAJESTICA soll das diesjährige Weihnachtsfest musikalisch anreichern. Die Passanten lächeln glücklich und beseelt, aber in der Ferne sieht man einen Kuttenträger, der dicke Tränen in den künstlichen Schnee vergießt. Frohe Weihnachten!
Wie man am Albumtitel erkennen kann, haben sich MAJESTICA der beliebten Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens bedient und versuchen uns ihre Variation aus Musical, ein wenig Metal und viel, viel Schmalz als Göttergabe zu verkaufen. Spielerisch ist alles im grünen Bereich, produktionstechnisch alles im Lot und der Gesang ist gar herzerweichend. Jetzt aber mal Klartext. Wer braucht eine Metal-Band, die mit Glöckchen arbeitet und laufend Merry Christmas ins Micro haucht? Wer braucht ein mit Zimtsternen verziertes Schlagzeug? Wer braucht den Weihnachtsmann als Rampensau? Und warum wird das verdammte Rentier nicht mal langsam gebraten? Warum gibt es Punsch und kein Bier? Und warum sind RHAPSODY doch noch aufgetaucht und feiern MAJESTICA als Old School-Band und Retter des wahren Metals? Und diese ganzen Weihnachtsmann-Tattoos gehen mir auch langsam auf den Sack! So, und falls Ihr noch immer damit spielt, diese Katastrophe zu kaufen, dann hole Euch der Grinch! Ich habe fertig und warte auf eine Osterplatte von IMPALED NAZARENE!
Ich werde wohl nie ein Freund von EPs werden. Mir erschließt sich einfach der Sinn nicht. Wenn man etwas zu sagen hat, dann soll man das bitte auf einem Longplayer zelebrieren und nicht auf einem Format, welches weder Fisch noch Fleisch ist. Meine Meinung. Ok, MY DYING BRIDE haben es trotzdem getan und servieren uns drei neue Songs auf dem Silbertablett, die qualitativ durchaus mit den Tracks des letzten Albums mithalten können.
Der Titelsong glänzt mit einer düsteren Atmosphäre und erinnert an vergangene Werke wie „Like Gods Of The Sun“. Schöne Piano-Parts und getragene Gitarren tragen einen gelungenen Doom-Song und kreieren diesen speziellen Düster-Sound, den die Engländer perfektioniert haben. Mir fehlen ein paar spannende Momente, aber immerhin hört man ein kurzfristiges Growlen, welches meine kleine Welt dann doch erhellt. Mit „A Secret Kiss“ wird die ganze Sache dann wirklich interessant. Hier lassen MY DYING BRIDE ihre eigene Vergangenheit aufblitzen. Die Gitarren knarren und fiepsen, dass es eine wahre Wonne ist. Auch hier werden wieder Growls ausgepackt, die ich bei den Engländern schon immer sehr schätzte. Zusammen mit dem Klargesang und den tollen Melodien haben wir es hier mit einem echten Klassiker zu tun. Ein wirkliches Highlight in der Bandhistorie. Mit „A Purse Of Gold And Stars“ geht das Stimmungslevel wieder gegen Null. Die Gitarren werden komplett verbannt, und ein Piano führt uns durch diesen klagenden Song. Leichte Synthesizer-Sounds füllen die Soundlöcher, und Klargesang lullt den Hörer ein. Ein vertonter, regnerischer Novembertag. Ich kann mit diesen MY DYING BRIDE nur bedingt etwas anfangen, da mir hier die musikalische Substanz fehlt. Traurig kann jeder, aber dann bitte mit einer Wirkung wie bei dem Vorgänger-Song.
Tja, eine zwiespältige Geschichte. Zumindest verschonen uns die Jungs mit dubiosen Cover-Versionen oder halbgaren Live-Darbietungen. „A Secret Kiss“ lässt wirklich aufhorchen und wurde von Nuclear Blast auch als Lyrics-Video veröffentlicht und kann somit offiziell begutachtet werden. Ob die zwei weiteren Songs einen Kauf rechtfertigen, dass solltet Ihr selber entscheiden. Mir persönlich reicht die Auskopplung, und somit warte ich lieber auf das nächste, vollständige Album.