Der 10. Longplayer von VLAD IN TEARS erblickt in diesem Sommer das Licht der Welt. Oder soll ich lieber sagen, den Kerzenschein in der Gruft? Dark Metal ist die Hauptzutat, die der italienische Fünfer seit Beginn seiner Karriere (2008) in seiner Musik anbietet. Heuer wird mal wieder ein wenig auf ein jüngeres Publikum geachtet. Zumindest sind die drei Brüder plus zwei Mitmusikanten mehr auf das grooven der Songs fokusiert, und ihr Sound wirkt ein Stück elektronischer und unterkühlt, was moderner anmutet. “Your Trace“ hat schon New Metal-Gene, dazu gesellt sich ein fluffiger, poppiger Refrain. Das Kalkül der Italiener ist absolut nachvollziehbar; ob diese Variabilität allerdings vom Publikum oder gar von der mühsam erarbeiteten Fanbase mitgetragen wird, ist offen. Man bewegt sich nicht komplett aus der Gruft, um im Anfangs-Bild zu bleiben, aber trägt dazu Plateau-Sneakers. Positiv ist die Coolness der Band wie bei “Let Me Love You“, wobei hier Mr. Manson grüßt.
Das Songwriting auf dem Longplayer ist gefällig und solide. Auch handwerklich gibt es nichts an “Hide Inside“ zu mäkeln. 13 Songs mit einer Laufzeit von nahezu 55 Minuten sprechen auch für einen gewissen kreativen Workflow, der doch einiges zu Tage bringt und anzubieten hat.
Der Kanadier Jacob Deraps veröffentlicht mit seinem Zwei-Mann-Projekt DERAPS mit "Viva Rock N' Roll" sein zweites Album. Und ähnlich wie das Debüt bleibt er dem klassischen Hard Rock, 70er Jahre geprägt, mit starker VAN HALEN Schlagseite treu. Die Leidenschaft, sein Können und auch die songschreiberische Finesse sind unverändert hoch. Auch in Anbetracht dessen, dass er sich, bis auf das Schlagzeug, in allen Belangen für DERAPS zuständig zeigt, erledigt er hier wieder einen tollen Job.
Der Titelsong macht direkt klar, wohin die Reise geht: Schlaghose, behaarte Brust und enthusiastisches Gitarrenspiel sind die Zutaten. VAN HALEN müssen in dieser Review mindestens so oft genannt werden wie DERAPS. Denn ohne deren Einfluss und Inspiration ginge hier nichts, selbst die Chöre bewegen sich auf deren Herrschaftsgebiet. Ich bin der Meinung, klingt wonach ihr wollt, wenn's gut gemacht ist - und das ist es. "Last Fall" und "Setting Sun" feiern den Hard Rock der alten Schule authentisch und voller Herzblut. Wer das kann und macht, ist ein Guter. "Viva Rock N 'Roll" ist eine Liebeserklärung an das Genre.
Was mir aber nicht zusagt, ist die grafische und visuelle Ausrichtung und Begleitung der "Band" und deren Alben. Sowohl das Logo als auch die bis jetzt gezeigten Artworks taugen in keinster Weise, die Kunst von DERAPS zu spiegeln, visuell zu transportieren oder in einer geeigneten Form anzupreisen.
LIV KRISTINE hat sich den Frühling als "Sendetermin" ausgesucht, um ihr siebtes Soloalbum "Amor Vincit Omnia" zu veröffentlichen. Ob das blühende, summende und sonnenbeschienene Umfeld die richtige Atmosphäre für die doch eher düsteren und sinnierend anmutenden Songs schafft, darf durchaus in Frage gestellt werden; gleichwohl, es bleiben ja noch die Wolken, der Regen und die Nacht. LIV KRISTINE hat mit dem Studio-Musiker Sascha Dannenberg ein relativ unbeschriebenes Blatt als Komponist und Produzent verpflichtet und damit auch eine grundlegende, zumindest personelle, Neuaufstellung markiert.
Nach dem gespenstischen "Prelude" kredenzt uns die Künstlerin zusammen mit ihrem Mann, Michael Espenæs, einen fast death-doomigen Einstand mit dem Titelsong. Der könnte in der deutschen Übersetzung auch von ROSENSTOLZ sein. Musikalisch ist er eine Melange aus DRACONIAN und ihrem Ursprung THEATRE OF TRAGEDY. "Ode to Life Pristine" beschreitet in seiner Stimmung einen ähnlichen Pfad, ist musikalisch aber viel reduzierter und ohne Growls. Die Produktion des Albums ist kristallklar und wunderbar ausgeleuchtet. Jeder Part strahlt in seiner Essenz und bildet erst zusammen ein neues Ganzes. Applaus an dieser Stelle an den Karlsruher Produzenten, Gitarristen und Komponisten des Longplayers. Hier scheinen sich zwei auf einer künstlerischen Ebene gefunden zu haben, und das hört, nein, das spürt der Rezipient. Erzählerisch, feministisch und irgendwie vergeistigt präsentieren sich Sound und Künstlerin bei "12th February". ENYA mit einer Gothic Rock-Ausrichtung ist als Vergleich durchaus entsprechend. Meint man, bei manchem Anfang oder Moment im Song seine Aufmerksamkeit lockern zu können, so zieht man im nächsten Moment wieder die Zügel an und hält die Spannung.
Mit wenig Ausnahmen ("Unzip My Love") zeigt sich das Album eher schlendernd, nicht forsch; aber "Amor Vincit Omnia" hat Ausstrahlung, ist voller Inspiration und Kraft. Ein Gothic Rock-Album, das sehr persönlich, anmutig und gleichzeitig modern klingt. Hut ab einmal nach Karlsruhe und einmal nach Norwegen oder eben in die Schweiz, meines Wissens lebt sie ja in der Alpenrepublik.
Ich bin kein Freund von solchen Coveralben. Erschwerend kommt hinzu, dass die gebotenen Songs auch zu den üblichen Verdächtigen solcher Alben gehören. Und doch gefällt mir manches ausgesprochen gut bei HERMAN RAREBELL & FRIENDS. Dazu später mehr.
Herman Rarebell war von 1977 bis 1996 Schlagzeuger der SCORPIONS und damit in der erfolgreichsten Zeit der Hannover Hardrocker. Bei den Hitalben "Lovedrive", "Blackout", "Love at the First Sting" und "Crazy World" war er der Mann an den Drums. Federführend hat sich Michael Voss (u.a. MICHAEL SCHENKER, MAD MAX) als Gitarrist, Sänger und Mitproduzent in dieses Projekt eingebracht. Dazu konnte man u.a. mit Dann Huff, Howard Leese und Bob Daisley namhafte Musiker für das Album gewinnen.
Hochkarätige Mitmusiker für ein Projekt zu buchen ist in der heutigen Zeit (digitale Aufnahme, physische Anwesenheit unnötig) nichts besonderes mehr. Aber das von Michael Voss stark gesungene und atmosphärische "In The Air Tonight" ist einfach gut gemacht. Und es ist mutig, sich an diese im Original bereits nahezu perfekte Nummer heranzutrauen. Überragend ist Van de Forsts emotionale Performance von "Love Is A Battlefield". Auch der Song strahlt Frische und gleichwohl Vertrautheit aus, was ich als besondere Kunst in diesem Covermetier empfinde. Und das gelingt nahezu immer, wenn die Dame aus Münster am Mikro steht, was sie relativ häufig, manchmal nur partiell macht. Und ja, auch die neuen Arrangements leisten einen Beitrag. "Every Breath You Take" zum Beispiel klang nie hoffnungsvoller und dynamischer wie hier. Zugegeben, "Sweet Child O'Mine" holt mich nicht ab, das liegt aber schon am Original. Und "Here I Go Again" kann kein anderer Sänger besser singen als David Coverdale. Aber das wunderbare "Passion Rules The Game" war schon bei den SCORPIONS ein Hammer-Song, hier wächst das Ding aber tatsächlich noch mal. Und dieser Umstand ist für ein Coveralbum eigentlich der Ritterschlag.
Also, HERMAN RAREBELL & FRIENDS ist ein bockstarkes Werk gelungen, weniger wegen Schlagzeuger Herman Rarebell oder anderer großer Namen, sondern wegen Mitproduzent und Arrangeur Michael Voss und nicht zuletzt Sängerin Van De Forst, die beide einen tollen Job gemacht haben.
SWEET haben sich 2024 mit dem verdammt kraftvollen "Full Circle"-Album eindrucksvoll zurückgemeldet. Diese SWEET-Reinkarnation fand sich aber bereits 2019 zusammen und hatte mitten in der Corona-Hochzeit eigentlich ihren Bandflow neu gefunden. Hier ausgebremst zu werden, brachte das Kollektiv etwas ins Wanken. So beschloss man, ja fast zum Trotz, die alten SWEET-Klassiker neu aufzunehmen und so auch diese befremdliche Pandemiezeit kreativ und aktiv zu überbrücken.
Gesagt - getan, jetzt gibt es das Werk unter dem passenden Titel "Isolation Boulevard" zu erwerben. 12 Klassiker, 2020 eingespielt von Andy Scott, Bruce Bisland, Lee Small, Steve Mann und dem Profil gebenden und bärenstarken Paul Manzi an den Vocals. Eingetütet sind u.a. "Fox On The Run", "Action", "Love is Like Oxygen" und weitere "must haves" der Glam Rock Legende. Es bleibt der typische SWEET-Sound erhalten, wird aber ins Jahr 2020 transportiert. Paul Manzi und der Rest der prominent besetzten Band machen aus den wohlbekannten Party-Nummern doch eher kernige Hard Rock Songs, die zum Teil ordentlich Bums haben. Wie agil und lebendig die Band ist, zeigt sich bei der Covernummer "New York Groove": ganz großartige Version mit Frische-Touch inside.
Das Album zu hören, macht Freude und motiviert, SWEET in dieser beachtlichen Besetzung auch bald live zu erleben.
LAST TEMPTATION bieten dynamischen, 80er Jahre geprägten Hard Rock, der ganz solide ins Gehör groovt und eine positive Ausstrahlung hat."Heart Starter" ist das dritte Album der französischen Truppe. Das Lineup ist bis auf Bandgründer, Gitarrist und Chef Peter Scheithauer komplett neu. Die Stimme von Neu-Sänger Loup Malevil ist gefällig, sein Stil eher amerikanisch, aber besonders charakteristisch sind seine Vocals nicht. Auch die Songs punkten nicht mit großen Gesten oder scharfen Konturen, unterhalten aber durchaus mit verlockenden Melodien. Die Spielfreude und Leidenschaft, mit der die Songs performt werden, kann überzeugen. Ein wenig Namedropping gibt es auch: mit Billy Sheehan, Rudy Sarzo, Vinny Appice und Don Airey sind einige ganz große Künstler partiell an den Aufnahmen beteiligt.
LAST TEMPTATION ist ganz sicher nicht die letzte Versuchung, was geschmeidigen Hard Rock amerikanischer Machart angeht. Wer aber mit THE NEW ROSES, BLACKRAIN oder auch frühen SKID ROW etwas anfangen kann, wird auch hier fündig. Eine passende Gelegenheit, die Band live zu erleben, hat man 2025, denn da begleitet der Vierer MIKE TRAMP's WHITE LION in Bochum und Frankfurt.
Es geht in die zweite Runde der TRAPEZE "Lost Tapes"-Veröffentlichungen. Und auch "Vol. 2" bietet wieder authentischen Classic Rock performt von Musikern, die z.T. Legendenstatus haben und u.a. bei DEEP PURPLE, WHITESNAKE und URIAH HEEP aktiv waren. Nahezu jeder Song wird von einer unterschiedlichen Besetzung präsentiert. Einzig Mel Galley ist die Konstante - neben ihm hören wir am Gesang noch GLENN HUGHES sowie Pete Goalby - und trotzdem bleibt das Werk doch recht gebunden und hat den Charakter einer Band.
Der Opener "Homeland" lässt uns den frühen, souligen und beseelten GLENN HUGHES hören. Hier wird auch deutlich, dass sich der Wahlkalifornier schon ausgiebig bei den alten TRAPEZE-Nummern bedient hat. Den "Homeland" gibt er auf seinem Solo-Werk "From Now On..." bereits zum Besten, und auch das später erklingende "Coast To Coast" kennen wir von dem starken HUGHES-THRALL-Album. Nahezu alle Songs stammen aus den 70ern bis frühen 80ern; das hat etwas frisches und unverfälschtes. "Take It on (Down The Road)" ist kein Hard Rocker, der nur einen auf Schlaghose macht, nein - denn genau diese hatten die Musiker zu dieser Zeit tatsächlich auch an.
Mit "Live Fast Die Laughing" enthält das Album den letzten Song, den Mel Galley vor seinem Tod, 2008, aufgenommen hat. 14 Songs mit einer Spielzeit von über 70 Minuten, inklusive manch ausufernder Improvisationen, geben den Blick frei auf eine intensive und eigenwilligere Zeit für Rockmusik(er). TRAPEZE "Lost Tapes Vol. 2" ehrt die Rockmusik und nicht zuletzt Mel Galley und seine großartige und ursprüngliche Band.
Fast 30 Jahre im Geschäft und dazu passend das 10. Album - Glückwunsch in den Norden der Republik. In den drei Jahrzehnten hat sich außer einem sich ständig drehenden Personalkarussell rund um Bandchef Chris Laut nicht wirklich viel bewegt. Das finden einige genau richtig so, andere würden aber auch anmerken, dass OHRENFEINDT stagnieren. Das starke zweite Album "Rock'n 'Roll Sexgott" hatte neben einem witzigen und ansehnlichen Artwork auch musikalisch etwas mehr Facetten und Inhalt und brachte damals sozusagen zum ersten Mal hörbaren Aussi-Rock mit deutschen Texten zusammen.
Doch so wirklich wurde diese schöne "Geschichte" kaum weiterentwickelt, geschweige denn darin investiert. Chris Laut ist quasi der DANZIG von der Waterkant. Alles wird hier größtenteils allein zusammengeklöppelt. Der Witz bleibt dabei doch meist der gleiche und die Musik sowieso. Ok, wem das gefällt, der kann auch bei dem 10. Album "Wenn Der Teufel Anruft" sicher wieder fündig werden. Rock'n' Roll mit Schnodderschnauze und selbst gephotoshopptem Artwork. "Auch schon Egal" ist die passende Nummer dazu. Gitarrist Pierre Blesse macht einen gewohnt guten Job, und es scheint so, als ob sich hier zwei gefunden haben, ist der Sechsaiter doch seit 2014 bei OHRENFEINDT und damit neben Chris langsam sowas wie ein festes Mitglied. Der Titelsong ist dann auch super abgeschrieben bei Australiens Finest, aber wie gesagt "auch schon egal". Spaß macht das Ding trotzdem, der Text ist ja zumindest irgendwie neu.
Also Freunde, ich habe heute nicht nur applaudiert, sondern war mal das Haar in der Suppe oder der Stein im Rock'n' Roll Schuh. Lasst Euch davon aber nicht kirre machen. So oder so, OHRENFEINDT bleibt OHRENFEINDT bleibt OHRENFEINDT.
Wo WEATHER SYSTEMS draufsteht ist ANATHEMA drin. Auch wenn das Statement wohl nicht zu 100% passt – stehen lassen kann man die Aussage bezüglich des neuen Albums von Daniel Cavanagh schon. So spielte der ANATHEMA-Gitarrist das Album fast im Alleingang ein – nur an die Drums durfte ANATHEMA-Kollege und Produzent Daniel Cardoso. Auch scheinen ein Großteil der Songs ihren Ursprung in den Sessions zu einem neuen ANATHEMA-Album zu haben. Allerdings nahm sich die Band ja bekanntlich in 2020 eine unbefristete Auszeit. Daniel dazu: "Es war zu 80% eine Anathema-Platte, die wir gemacht hätten", fährt er fort. "Es ist definitiv eine Fortsetzung dessen, was ich mit der Band gemacht habe. Wenn Anathema Game of Thrones war, dann ist Weather Systems House of the Dragon. Es ist Teil desselben Universums, aber es ist eine neue Geschichte. Es ist anders, weil es ein bisschen schwerer ist. Ich werde immer die Anathema-Songs spielen, die ich geschrieben habe, weil ich sie so sehr liebe. Weather Systems ist der Name unseres besten Albums, meiner Meinung nach. Ocean Without A Shore ist wie eine Fortsetzung."
Jetzt aber genug mit ANATHEMA und der Vergangenheitsbewältigung – wenden wir uns WEATHER SYSTEMS und dem Album „Oceans Without A Shore“ zu. Und da ist es erst Mal wie bei vielen richtig guten Alben, „Oceans Without A Shore“ benötigt mehr wie einen Durchlauf, um seine Intensität in Gänze zu entfalten. Aber dann darf man sich durchaus 15 Jahre zurückversetzt fühlen. Denn die Analogien zu Cavanagh’s „ehemaliger“ Stammformation sind unüberhörbar und gewollt. Der Unterschied zu den letzten Werken macht vor allem auch die etwas rauere Herangehensweise aus. Der über 9-minütige Opener „Synaesthesia“ zeigt dies schon auf – erhalten die Gitarren bei dem meist flotten Stück doch hörbar mehr Raum wie vorher. Die Single „Do Angels Sing Like Rain?“ dagegen schwelgt dann sehr nah im gewohnten ANATHEMA-Kosmos und überzeugt durch songwriterische Finesse und starken Refrain. Auch als Sänger macht Daniel Cavanagh eine durchaus gute Figur (und auch nicht weit von seiner Stammformation entfernt) – trotzdem sind mit Peter Carlsen, Oliwia Krettek, Paul Kearns und Soraia Silva weitere Gesangstimmen an Bord, welche nicht nur im Background zu hören sind, sondern zum Teil auch ihr Leads haben. Bringt Abwechslung, denn an Bruder Vincent kommt er nicht ganz ran. Stark auch noch „Still Lake” und vor allem „Untouchable Part 3“. Letzterer spannt als Prog-Blaupause auch den Bogen zum ANATHEMA-Album „Weater Systems“. Nicht alles auf „Oceans Without A Shore” kann derart überzeugen – mit „Take Me With You“ hat man sowas was für die Skip-Taste (die Ballade ist einfach zu träge). Aber das ist Jammern auf hohem Niveau.
Für ANATHEMA-Fans ist „Oceans Without A Shore“ sicher ein Must-have. Man darf hoffen, dass Meister Cavanagh mit WEATHER SYSTEMS kein „Einmal-Ding“ am Start hat, sondern hier zeitnah nachgelegt wird.
Denkt man an THE SWEET, hat man sofort Songs wie "The Ballroom Blitz", "Teenage Rampage", "Blockbuster!" oder "Fox On The Run" im Kopf. So großartig diese Nummern auch sein mögen, sie entstammen einer fernen Galaxie namens Glam Rock. Wie aber sind THE SWEET im Jahre 2024 aufgestellt?
Das Urgestein Andy Scott (Gitarre) ist der einzige Überlebende der Gründer und zugleich das Bindeglied zwischen Gegenwart und der glorreichen Vergangenheit. Mehr als ein halbes Leben und viele Generationen liegen zwischen dem Gestern und Heute, so dass man sagen könnte, die Musik von damals ist irgendwie erwachsen geworden. Der Zuckerguss auf den hochfliegenden Melodien von früher ist über die Jahre geschmolzen, die kindliche Unbekümmertheit ist einem eher nachdenklichen Ton gewichen, und der Sound hat die Schwere der vergangenen Pandemie assimiliert.
Das Album wurde bereits 2019 begonnen und Corona-bedingt zunächst auf Eis gelegt. Die Arbeit an "Full Circle" wurde erst wieder aufgenommen, nachdem die COVID-Phase der Isolation beendet war. Hierfür stellte Andy eine nahezu komplett neue Truppe zusammen. Tom Cory (Gitarre und Keyboard), der auch an der Produktion beteiligt war, Lee Small (Bass) und Paul Manzi (Gesang) kamen 2019 an Bord, einzig Bruce Bisland am Schlagzeug war bereits da (seit 1991).
Das nächste Level der Entwicklung ist aber aus meiner Sicht in erster Linie solch einem Übersänger wie Paul Manzi, der in seiner Vita drei hervorragende Alben mit ARENA stehen hat, zu verdanken. Neo-Prog trifft auf Glam Rock - eine Melange, die ihresgleichen sucht.
"Circus" rollt gewaltig aus dem Bahnhof und stampft wie die auf dem Cover abgebildete Lok gemächlich durch die Prärie, wobei Andy an der einen oder anderen Stelle die Dampfpfeife mimt. "Don't Bring Me Water" legt ein paar Briketts mehr Melancholie in den Kessel. Hier suhlt sich Paul regelrecht im erdigen Sound. Die Rückbesinnung auf alte Tugenden gelingt Mr. Scott mit "Changes" in der Mitte der CD dann aber doch noch. Hier sind sie wieder: die bunten Gitarrenparts und zuckersüßen Chorgesänge. Umso schwerer wirkt danach allerdings "Everything". Die Nummer entwickelt sich nach basslastigem Einstieg mit herunter gestimmten Gitarren hin zu einer atmosphärischen Ballade, bei der Mr. Manzi erneut zu glänzen vermag. Wir besteigen bei "Destination Hannover" abermals den Zug und reisen mit Dampflok-Rock durch Deutschland. Angekommen in Hannover, lässt man mit "Fire In My Heart" die 70er wieder hochleben. Die Nummer ist darüber hinaus bestens geeignet, beim Konzert diverse Singspielchen zu zelebrieren. Der Titeltrack bildet den opulenten Abschluss einer außergewöhnlichen Platte und zeigt uns einen Ausblick auf das, was wir in Zukunft von dieser Band noch erwarten können. Paul Manzi zieht noch einmal das komplette Register seines Könnens, und Andy Scott folgt mit der Truppe in eine progressivere Zukunft.
"Full Circle" ist unter dem Strich eine klasse Hardrock-Scheibe, die man locker zwischen aktuellen Platten von DEEP PURPLE und URIAH HEEP einordnen kann.