Bei diesem Review fangen wir doch gleich mal beim Titelsong an – Dieser ist ein rätselhaftes Keyboard-Stück, welches ich auf meinem alten Yamaha-Keyboard auch ohne Übung aus dem Ärmel schütteln könnte. Völlig unnötig und unpassend. Ansonsten hauen einen die Schweden auch nicht um. Typischer Schweden-Death trifft auf AUTOPSY und wird mit SLAYER-Soligequietsche formvollendet. Für die Abwechslung wird mit gut abgehangenen Doom-Parts sowie halbgaren Grindcore-Parts gesorgt. Keine Ahnung, was die Jungs in den letzten sieben Jahren so getrieben haben, aber nach dem letzten Longplayer war scheinbar effektives Songwriting nicht so auf dem Stundenplan. Alles nicht wirklich schlecht, aber meilenweit von einem gefälligen und salbungsvollen Nicken entfernt. Songtitel wie „Fucking Your Fucking Corpse“ oder „Vodka Til The Grave“ reihen sich in die Belanglosigkeit ein und bringen noch nicht mal einen 14-jährigen Todesmetaller aus dem Gleichgewicht. Naja, Mr. Nopants, Rob the Slob, Rich Hard und ein gewisser Calamares-Hoschi werden sich schon etwas dabei gedacht haben (oder auch nicht…). Was bleibt, ist billige Provokation auf einem völlig durchschnittlichen musikalischen Level. Braucht also kein Mensch, und ich habe jetzt Bock auf BONFIRE.
Sind die ONKELZ zu stumpf und die TOSEN eh im Mainstream versunken? Willkommen in der Welt von HERZLOS! Nach 13 Jahren Bandgeschichte präsentieren sich die Pfälzer als gereifte Deutschrock-Band, die eine echte Alternative zu den Genre-Vorreitern bietet. Auf 11 Songs schlagen die fünf Jungs nicht nur partykompatible Töne an, sondern können mit nachdenklichen und kritischen Texten überzeugen. Schon der Titeltrack „Babylon“ lässt diese Marschrichtung erkennen. „Die halbverbrannte Welt braucht nicht noch einen Partysong…“ - Genau, aber die Welt braucht Songs wie diesen grandiosen Einstieg in ein völlig überzeugendes Album. Die Stimme von Sänger Marvin hat genau die richtige Schärfe, um den Songs die richtige Würze zu geben. Ob Herzlos den Erfolg einfahren, den sie in „Radiotauglich“ beschreiben, bleibt fraglich, da die Band definitiv nicht mit den Massenmedien kompatibel ist. Zu hart, zu unbequem und einfach zu intelligent – Trotzdem konnte mit dem letzten Album eine Chartplatzierung verbucht werden, die mit dem neuen Album definitiv auch in greifbarer Nähe ist. Keine großen Freunde werden sich auch beim Song „Influencer“ gemacht, dessen Titel hier Programm ist: „Auf der Jagd nach den Klicks…“. HERZLOS können aber auch soft, aber immer mit Anspruch. „Auf Dich Und Dein Leben“ ist keine Ballade zum Nebenherhören, sondern zeigt mit minimalem Instrumentenaufwand, wie man große Gefühle intensiv vertont. Großartig! „Die Nacht Ist mein Grabstein“ beginnt metallisch und mit einer ordentlichen Portion Härte. Hier zeigen HERZLOS Ecken und Kanten und können, mit einem Gastauftritt von Hip-Hopper GORREST FUMP, das Kunststück für sich beanspruchen, nicht ins Peinliche abzudriften. „Antiserum“ kann inhaltlich und natürlich auch musikalisch voll überzeugen. Der Song bleibt im Gehirn kleben und reiht sich nach dem Titeltrack als zweiter Earcatcher auf dem Album ein.
„Babylon“ kann mich restlos überzeugen. Selten hat ein deutschsprachiges Album mir so viel Spaß bereitet, und selten wurde die Skip-Taste so oft verwendet wie beim Titeltrack, der es schwer macht, bis zu den folgenden Songs vorzustoßen, die viele weitere Perlen hervorbringen. HERZLOS ist es gelungen, kritisch, eingängig und ehrlich abzuliefern, und sie veröffentlichen einen ungeschliffenen Diamanten, dem besonders das „Nichtperfekte“ bestens zu Gesicht steht. Musikalisch und inhaltlich gibt es hier keine Kritikpunkte. Leider ist nur der Zeitpunkt der Veröffentlichung ein undankbarer – Corona, Du Arschloch! HERZLOS hätten auf den vielen Sommerfestivals bestimmt viele neue Freunde finden können, aber „Babylon“ hat so viel Potential, dass man die Party bestimmt auch auf 2022 verschieben kann. Chapeau, geiles Album!
HOLY MOTHER veröffentlichten 1995 ihr Debüt, welches vor allem durch den formidablen Gesang von Mike Tirelli und dem virtuosen Bassspiel Randy Covens in Erinnerung blieb. Die Plattenfirma drängte damals auf ein zeitgenössischeres Klangbild, und so zeigte dich die Band auf dem Zweitwerk „Tabloid Crush“ mit deutlich verändertem Sound. Allerdings war man selbst davon nicht sonderlich überzeugt und änderte den Bandnamen in N.O.W., was bezeichnenderweise für „Not Our World“ stand. Ab 1998 war man wieder als HOLY MOTHER am Start und gab nun einen feuchten Kehricht auf Trends und haute dem geneigten Fan-Volk mit „Toxic Rain“ einen US Power Metal-Hammer um die Ohren, dass es nur so krachte. Bis 2003 folgten drei weitere Alben, und der Sound wurde wieder etwas moderner und grooviger, aber nicht weniger heavy. Trotzdem verschwanden HOLY MOTHER in der Versenkung. Mike Tirelli blieb uns über die Jahre als Live-Sänger von RIOT oder Frontmann von MESSIAH’S KISS erhalten. Als 2014 Wunderbasser Randy Coven ein viel zu frühen Tod starb, sah es erstmal nicht so aus, als würde man aus dem Hause HOLY MOTHER nochmal was vernehmen.
Vor zwei Jahren war Mike mit seiner neuen Formation RISING FIVE als Support für seine alten Kumpels von RIOT V unterwegs. Und irgendwie scheint das der Startschuss für die HOLY MOTHER-Reunion gewesen zu sein, denn auf „Face This Burn“ befinden sich mit der schleppenden Hymne „No Death Reborn“, dem Live-Smasher „Today“ und dem Hit „Superstar“ drei Songs, die auch schon auf dem RISING FIVE-Demo zu hören waren. Darüber hinaus hat man mit der Speedgranate „The River“ auch ein Song vom genialen „Toxic Rain“-Album entstaubt und mit einem Facelift versehen. Bleiben sieben komplett neue Songs, die sehr eigenständig den Spagat zwischen Tradition und Moderne hinbekommen. Mit einem ultrafetten Sound versehen, brutzeln Songs wie das Titelstück oder das fast schon tanzbare „Wake Up America“ mit ordentlich Schmackes aus den Boxen.
Der Neue im Bunde, Greg Giordano, zeichnet für Bass und Gitarre verantwortlich und macht einen formidablen Job. Original-Drummer Jim Harris hat immer noch einen amtlichen Punch, und Superröhre Tirelli hat auch in seinen 50ern nichts an Power eingebüßt. Von aggressivem Fauchen, über die klassische Röhre à la Coverdale bis hin zu souligem Wohlklang, hat der gute Mann einfach alles drauf.
„Face This Burn“ ist ein starkes Comeback, welches einigen Traditionalisten eventuell zu modern tönen wird, jedem Freund zeitlosen und eigenständigen Heavy Metals aber wunderbar reinlaufen müsste. Und die Old School-Fraktion kann sich auch entspannen: Eine neue MESSIAH’S KISS-Platte ist auch fast fertig.
Die ersten Momente fühlen sich an wie RAMMSTEIN, aber als seien die Boxen irgendwie ausgefallen. Doch der „Action Star“ mausert sich zum aktiven Genre-Hüpfer, genau wie das folgende „7 Jahre Moabit“ mit seinem Stakkato-Sprechgesang. „Macheliebelang“ beginnt dann gar wie ein Neue-Deutsche-Welle-Song. Aber auch dieser Song schlägt die Brücke zwischen Thrash, NDH und Crossover. Nicht ohne die sich daran schmiegenden Grenzen auch noch zu überschreiten. Das geht mal gut wie beim punkig-MOTÖRHEADschen „Kuttengott“, mal eben nicht so. Was aber dem gesamten Ding neben dem insgesamt sehr echten und passenden Sound anzumerken ist, ist Spielfreude. Die CD, die auch noch die EP von 2017 mit dem namensgebenden Hit „Rambomesser“ beinhaltet, knallt einem allgegenwärtigen Humor vor den Latz. Das Augenzwinkern, mit dem die Ulmer alles Mögliche aufs Korn nehmen – die Metal-Szene zum Beispiel – ist allgegenwärtig. Vielleicht, weil sie Humoristen sind? Witzig iss´es nämlich. Nur, inwieweit die Chose eine Hommage an die klassischen Action-Serien der 80er-Jahre sein soll, das habe ich gar nicht verstanden. Wer´s sich besorgen will, schaue bei iTunes oder auf der Homepage. Aber Achtung: Der Hörer muss vielleicht auch über sich selber lachen können – und eine gewisse Toleranz zu einem wilden Stilmix mitbringen, sonst muss er auch noch ein bis fünf Punkte abziehen.
Der Blockflöten-Virtuose Volker Kuinke präsentiert sein drittes Album und wird mit seinem Bandprojekt eventuell nicht den gestanden Metal-Fan ansprechen, obwohl manche Kuttenträger ja stolz einen Patch von JETHRO TULL auf ihrer Kutte tragen. Und für genau diese sollte SYRINX CALL eine Offenbarung sein. Volker Kuinke nutzt sein Instrument nicht als dominante Waffe wie sein Kollege von JETHRO TULL, sondern ist eher für die beiläufigen und harmonischen Töne zuständig. Dies harmoniert perfekt mit dem Sound des Projekts, welches eine gesunde Mischung aus alten GENESIS, JETHRO TULL und MIKE OLDFIELD darstellt. Tja, und dann kommt noch eine ganz gesunde Prise der Altmeister ELOY hinzu. Kein Wunder, Volker Kuinke war an verschiedenen Alben von ELOY beteiligt und konnte gleich drei Mitglieder der Allstars für sein Konzeptalbum gewinnen.
Auf „Mirrorneuron“ begegnen wir der künstlichen Intelligenz „Kai“, welche den Auftrag hat, in der Arktis nach Öl zu bohren. Seine Programmierung wird durch Widersprüche von Praxis und theoretischen Berechnungen durcheinandergeworfen. Kompliziert wird die Story durch „Mara“, welche eine Art Psychotherapeutin für humanoide Roboter darstellt, und in die sich „Kai“ durch seine Spiegelneuronen hineinversetzen und somit Gefühle spiegeln kann. Weiter möchte ich in die Storyline nicht vordringen, da meine Neuronen sich weigern, die ganze Geschichte zu kapieren.
Musikalisch können SYRINX CALL absolut überzeugen. „Mirrorneuron“ ist ein melancholisches Album geworden, welches zwar männliche und weibliche Vocals bietet, die aber durch die grandiose instrumentale Umsetzung in den Hintergrund rücken. Zu präsent sind die schmeichelnden Blockflöten, die teilweise von opulenten PINK FLOYD-Parts untermalt werden. Man darf auf „Mirrorneuron“ keine abgefahrenen oder schrägen Töne erwarten. Nein, die Musik ist perfekt arrangiert, hochmelodisch gestaltet, und so mancher Folk-Part belebt das progressive Treiben zusätzlich. Wer also Töne à la KING CRIMSON erwartet, die teilweise entarten, der wird enttäuscht sein. Der Anspruch von Volker Kuinke bewegt sich in eine ganz anderen Richtung und ist leichter verdaulich und hörbar.
Grundsätzlich ist „Mirrorneuron“ ein wirklich gutes Album geworden, welches aber seine Zeit zum Reifen braucht. Am Besten konsumiert man die Texte und die Musik gleichzeitig und lässt daraus ein großes Ganzes entstehen. Musik für Genießer und Denker.
MAJORVOICE, die Dritte: "Morgenrot" macht bereits bei dem Albumtitel klar, dass der eingeschlagene Weg jetzt noch eine Spur schmalziger wird, weil er nun partiell auch in deutsch (vier Titel) beschritten wird. Für Pop-affine Symphonic- oder Gothic Rock-Fans, die auch gerne Bands wie MONO INC., die neuen FAUN oder gar UNHEILIG hören, ist der Longplayer dennoch geeignet. Die Melodien sind pathetisch, durchaus gefällig, zuweilen sehr poppig, präsentiert in einem opulenten und wuchtigen Soundgewand. Die Darbietung des Hauptprotagonisten ist wie gewohnt geprägt von seiner klassischen Gesangsausbildung und der Stimmlage Bass zuzuordnen. Diese Stimme macht den Unterschied zur sonst eher schon bekannten Zutatenliste einer typischen Pop/Rock-Produktion.
Durch die Beteiligung an den Sountracks von „Vikings“ und „Assassin´s Creed: Valhalla“ ist die Karriere der Norweger ordentlich in Schwung gekommen, und nebenbei hat die Band durch ihre Musik auch bei dem einen oder anderen ein gesteigertes Interesse an der norwegischen Sprache oder (für wirklich Ambitionierte) dem Altnordischen geweckt. Jetzt steht mit „Kvitravn“ (was gleichzeitig auch der Künstlername von Mastermind Einar Selvik ist) der neue Silberling in den Läden. Auch hier widmen sich WARDRUNA wieder der alten nordischen Klang- und Gedankenwelt und entführen den Hörer mit viel Liebe zum Detail in eine vorchristliche Zeit. Die Songs erschließen sich oft nicht gleich, da klassische Melodiebögen und die damit in der Regel verbundene Eingängigkeit fehlen, entwickeln aber nach einer Weile eine hypnotische Sogwirkung, die durch die immer wieder auftauchende Einblendung von Naturgeräuschen noch weiter verstärkt wird und einen im Geiste an einen anderen Ort und in eine andere Zeit versetzt. Der Einsatz historischer Instrumente tut das Seine dazu. Schon der Opener „Synkverv“ macht klar, dass hier viel Wert auf den Aufbau eines atmosphärisch dichten Gesamtkunstwerks gelegt wird, der Titeltrack „Kvitravn“ („Weißer Rabe“) beginnt stilecht mit Rabengekrächz und zieht einen schnell in seinen Bann: man schließt die Augen und wähnt sich an einem nebelverhangenen Fjord, die (Post-) Moderne scheint auf einmal weit, weit entfernt. Einzelne Songs herauszugreifen ist schwer, da das Album seine Wirkung am besten im Zusammenhang entfaltet. „Kvit Hjort“ kommt etwas verträumter daher, das getragene „Ni“ setzt den Fokus vermehrt auf den Gesang. Sehr schön ist, dass zu den Songtexten auch die englische Übersetzung gereicht wird, so dass die sich vor der nordischen Mythologie verneigenden Lyrics der Mehrheit der Hörer zugänglich gemacht werden, die kein Altnordisch beherrscht – und wer über gewisse Sprachkenntnisse verfügt, freut sich über eine Gelegenheit, diese dem Praxistest zu unterziehen. FAZIT: wer ein Herz für archaisch anmutende, atmosphärische Klänge hat und vielleicht zusätzlich noch eine gewisse Nordland-Sehnsucht hegt, der liegt mit „Kvitravn“ goldrichtig.
Wir schreiben das Jahr 2021...oder doch nicht? Die Multikulti-Formation TRAGEDIAN, mit Hauptsitz in Hamburg, beamt uns direkt in das Italien der späten 90er und frühen 2000er, als uns Labels wie Underground Symphony oder Scarlet mit Myriaden an melodischen Keyboard-lastigen Speed-Bands beglückten oder auch in den Wahnsinn trieben – je nach persönlichem Gusto. Ich war und bin ein bekennender Fan nicht nur der Genre-Primi wie LABYRINTH oder RHAPSODY, sondern liebe auch die zweite Reihe mit Acts wie SHADOWS OF STEEL, PROJECTO oder ARTHEMIS. Und gerade an den etwas härteren Formationen wie eben PROJECTO orientiert sich der Sound von TRAGEDIAN. Viel Melodie, noch mehr Doublebass, leicht knödelige High-Pitched-Vocals von Neu-Sänger Joan Pabón und trotz allem ein verhältnismäßig harsches Gitarrenbrett von Bandleader Gabriele Palermo.
Auf „Seven Dimensions“ geben sich mit Wade Black, Jules Down und Ex-SAVATAGE Goldkehlchen Zak Stevens auch einige Gastvokalisten die Klinke in die Hand. Gerade Stevens glänzt beim ruhigen „Forces Of Light“. Er ist nach wie vor einfach ein Weltklassesänger. Der hauptamtliche venezolanische Frontmann Joan Pabón gefällt mir am besten, als er im ebenfalls eher ruhigen und neu aufgenommen „Forever“ auf Spanisch singen darf. Da wirkt er gleich sicherer.
Ansonsten regiert Freund Bleifuß, und TRAGEDIAN geben tüchtig Stoff. Songs wie „Rising Rage“, „Darkest Of My Days“ oder „The Journey” machen einfach Laune. Mein persönlicher Favorit ist die von einem cheesigen Key-Riff eingeleitete Uptempo-Nummer „Enlightened“. Das erinnert einfach an gute Zeiten und sorgt in diesen Tagen gleich für bessere Stimmung.
„Seven Dimensions“ ist ein herrlich anachronistisches Euro Power/Speed-Album, welches zwar irgendwie aus der Zeit gefallen wirkt, aber genau deshalb auch seine Daseinsberechtigung hat.