Karen Lynn Greening alias LEE AARON hat weiß Gott in ihrem Leben schon viel ausprobiert. Sie startete als eine der ersten Frauen, die sich im Metal behaupten konnten, produzierte und schrieb im folgenden haufenweise Songs, etablierte sich als beste Rocksängerin Kanadas und veröffentlichte bis heute 16 Alben (ohne Kompilationen und Liveaufnahmen). Zwischendurch unternahm sie Ausflüge in den Jazz, Blues und wagte sich sogar an die Oper. „Das Einzige, was ich noch nicht gemacht habe, ist ein komplettes Cover-Album“ sagt sie selbst und es erscheint einem fast logisch, dass sie das nun umsetzen musste.
So mannigfaltig, wie sie selbst aufgestellt ist, liest sich nun auch die Tracklist der elf Nummern, die es auf “Tattoo Me“ geschafft haben. Hier werden sowohl Epochen als auch Genre in einer Art und Weise gemischt, wie dies kaum jemand vor ihr gewagt hätte. Aus den 60ern finden wir Blues-Rock von NINA SIMONE's “The Puscher“, hoch energetische Rebelltracks wie “It's My Body“ von ALICE COOPER aus dem Jahre 1972 oder LED ZEPPELIN's “What Is And What Should Never Be“ ebenfalls aus den 70ern. Die 80er werden mit HEART's “Even It Up“ und die 90er mit “Malibu“ von HOLE zitiert. Das punkig angehauchte “Are You Gonna Be My Girl“ von JET (ich habe den Song im Original schon geliebt) gefällt mir persönlich besonders gut und “Go Your Own Way“ von FLEEDWOOD MAC hat schlicht und ergreifend eine Frischzellenkur erfahren. Aus dem Bereich Brit-Pop wird etwas von ELASTICA und den kalifornischen 77's zum Besten gegeben. Erwähnenswert ist zu guter Letzt unbedingt noch die Interpretation von ELTON JOHN's “Someone Saved My Life Tonight“. Dieser Track hat für die kanadische Rockröhre eine ganz besondere Bedeutung. “Ich habe stundenlang auf dem Kellerboden gelegen und mir diese Nummer immer wieder angehört. Ich wollte unbedingt, dass mich jemand aus meinem langweiligen Leben rettet, als ich Teenager war...und die Musik war das für mich“ erinnert sie sich. Die Gesangsdarbietung fällt ebenda besonders leidenschaftlich und herzergreifend aus, eingebettet in Sean Kellys grandiosem, von Streichern flankiertem Akkustikgitarrenspiel.
Eines haben allerdings alle Versionen gemein, sie klingen ohne wenn und aber nach LEE AARON, die jedem einzelnen Song durch ihre unfaßbar vielseitige und kraftvolle Stimme ihren eigenen feurigen Geist einhaucht. Produziert wurde diese großartige Homage an LEE AARON's musikalische Wegbereiter von ihr selbst in ihrem Studio in Vancouver, das sie aus der Not heraus während der Pandemie aufgerüstet hat und von Frank Gryner abgemischt (hat auch bei beiden Videos Regie geführt), der u.a. mit ROB ZOMBIE und DEF LEPPARD bereits zusammen gearbeitet hat.
Da es sich erfreulicher Weise bei den ausgewählten Titeln nicht um jene handelt, die im Laufe der Zeit bereits hunderte Male gecovert und abgenudelt wurden, könnte man tatsächlich annehmen, dass mit “Tattoo Me“ ein weiteres eigenes, das 17. Album vor liegt.
HENRIK PALM ist ein schwedischer Musiker, der u.a. als Gitarrist bzw. Bassist in Bands wie IN SOLITUDE und GHOST in Erscheinung trat. "Nerd Icon" ist sein drittes Solowerk und wenn ich so auf das Artwork schaue, ist es schwer zu erahnen, welches musikalische Angebot mich wohl erwartet. Singer-Songwriter, Blues, Country oder vielleicht Garage Rock? Und Letztgenanntes kommt tatsächlich zu Gehör, aber viel mehr noch dazu.
Das geheimnisvolle, einleitende "Instrumental Funeral" würde sicher auch gut zu GHOST passen und überrascht schon mal ganz ordentlich mit heavy Gitarren und nahezu doomiger Anmutung. "Subway Morgue" ist dann der leicht punkige Garage Rock, aber auch hier schwingt eine gewisse spiritistische Spannung mit, gleich einem Poltergeist, der zwischen den Noten umherschwebt. Das gefällt und macht aus der schroffen Nummer etwas ungewöhnliches. Dieses Anonyme, Unvertraute behält der Künstler auf Albumlänge bei. Sein Gesang ist limitiert, aber er wird wie bei "Lunch Hour (Of The Wolf)" teilweise so verfremdet, dass er wie ein Instrument zu werten ist. Gerade der Gesang hat eine gewisse Nähe zu GHOST, nicht so melodienreich und poppig, dafür eher okkult und bedrohlich. Ich bin tatsächlich etwas irritiert und frage mich, wie kann man ein so spannendes Album so unattraktiv und unpassend verpacken. Eine geisterhafte Melodie, die stoisch wiederholt wird, reicht tatsächlich aus, um das eher eindimensionale und ereignisarme "Talismanic Love" mystisch und rätselhaft erscheinen zu lassen. Das ist einfach gut gemacht. Leider verliert der schwedische Multiinstrumentalist gegen Ende etwas die kreative Puste. Bei "From The Grave" überspannt er den Bogen, die Nummer bleibt für die nahezu 8 Minuten doch etwas zu blass. Und auch "Many Days" fehlt es an der zuvor gebotenen Spannung.
Gleichwohl, HENRIK PALM erschafft Atmosphäre mit einem ganz eigenen Klangkosmos. "Nerd Icon" ist ein anregendes Album, dem ich beide Daumen drücke, dass es trotz seines zurückhaltenden Erscheinugsbildes seine Hörer findet.
Ein sehr feines Erzeugnis flattert uns dieser Tage ins Haus, denn NECROT aus Oakland veröffentlichen mit „Lifeless Birth“ ihr drittes Album nach dem sehr positiv aufgenommenen, jedoch hierzulande etwas untergegangenen „Mortal“ aus dem Jahr 2020. Das Trio, dessen Mitglieder unter anderem auch bei STORMKEEP, VASTUM oder WATCH THEM DIE spielen, liefert hier eine bemerkenswerte Vorstellung ab, denn ihr typisch US-geprägter Death Metal in der Tradition von MORBID ANGEL, AUTOPSY oder INCANTATION ergießt sich nicht in wüsten, kurzen Kracheruptionen, sondern wirkt von vorne bis hinten durchdacht und sogar eine Spur progressiv, was vor allem von dem stets gekonnten Wechsel zwischen Midtempo- und schnellen Passagen untermauert wird. Hört Euch als perfektes Beispiel das bereits veröffentlichte „Drill The Skull“ an, das trotz seiner punktgenau gesetzten Breaks als eingängige Hymne durchgeht - klasse! Aber auch der (ebenfalls zuvor veröffentlichte) Opener „Cut The Cord“, der grandiose Titeltrack (mit viereinhalb Minuten neben „Winds Of Hell“ das kürzeste Stück des Albums), das mit einem doomigen Mittelteil veredelte „Dead Memories“ oder der überlange Titelsong (mit einem BOLT THROWER-würdigen Finale!) kennen keine schwachen Momente, wachsen von Durchlauf zu Durchlauf und formen ein Album, das sich jeder Traditions-Deather mit US-Vorliebe blind ins Regal stellen kann.
Lediglich das zwar ganz witzige, aber eher nach Hobbykeller-Grindcore ausschauende Cover-Artwork wird dem hochwertigen Inhalt von „Lifeless Birth“ nicht wirklich gerecht; Gleiches gilt für das achtseitige Standard-Booklet der CD sowie die Gatefold-Hülle der LP. Beides kommt mit den Texten daher, und auf der LP ist der Bandname golden eingeprägt - das war es jedoch schon mit den „Highlights“ der Verpackungen. Hier wäre tatsächlich mal mehr mehr gewesen, was Euch aber nicht davon abhalten soll, dieses granatenstarke Werk, das nebenbei ganz locker mit dem aktuellen AUTOPSY-Album „Ashes, Organs, Blood And Crypts“ mithalten kann, zu Gemüte zu führen.
DOOL kommen mit ihrem dritten Studioalbum "The Shape of Fluidity" ums Eck. Und nein, das dritte Album ist nicht das entscheidende, wie immer mal wieder zu lesen ist. Langer Atem ist in der heutigen Zeit viel wichtiger, eine gute Promotion, auf Tour gehen und einfach einen guten Job machen. Am besten, wenn möglich, bei jedem Werk. Und hier scheinen DOOL doch einiges richtig zu machen. Die Band packt in ihre Kunst immer auch inhaltlich einiges mit dazu. Das neue Album dreht sich hier um Wandel, Veränderung, Weiterentwicklung und Einsichten. Musikalisch bleiben sich die Musiker indes treu und weben in ihren stimmungsvollen Rock wieder schimmernde Fäden aus Metal dazu.
"Venus in Flames" fließt, um beim Albumtitel zu bleiben, zäh und heiß brodelnd aus dem Longplayer. Es kühlt sich aber etwas beim "Fließen" ab und offenbart dabei seinen im Kern süßen Inhalt. Wobei immer eine gewisse Bitternis mitschwingt, was bei DOOL erwartbar ist. Schön ist, dass die Songs ihr ganzes Antlitz erst nach 5 bis 6 Minuten zeigen. Die emotionalen Vocals von Raven van Dorst transportieren die Melodien und laden die zum Teil schroffen Nummern mit Empfindungen auf. Der Gesang ist partiell feminin und fragil, aber auch dedrückend und beschwörend. DOOL hadern und suchen, verbinden aber wunderbar das ganze Dunkle und Ungewisse mit Schönheit. Passend nachzuhören beim ungemein ereignisreichen, kurzweiligen Titelsong.
DOOL haben mit ihrem dritten Album "The Shape of Fluidity" viel zu erzählen. Atmosphärisch, episch, sie zeigen sich wandelbar, und doch bleibt alles gebunden und nachvollziehbar. Ein düsteres Werk auf den ersten Blick, beim zweiten Blick erhellt es sich und scheint von innen heraus. Starke Band, starkes Album!
Mit der Veröffentlichung der Alben sieben, acht und neun erscheint nun der dritte Teil der THUNDER Re-Release-Reihe von BMG. Diese drei Werke bilden eine Schaffensphase ab, die mit einem „Knall“ (BANG!) endete. Die Hardrock-Dinos hatten sich 2002 (nach der Trennung 1999) ursprünglich wegen einer Einladung zum Monsters Of Rock Festival wieder zusammengerauft und bekamen durch das anschließend aufgenommene Werk “Shooting At The Sun“ so richtig Aufwind, von dem sie sich zunächst weiter treiben ließen.
Auf “The Magnificent Seventh!“ bastelte man einmal mehr an der eigenen Erfolgsgeschichte, die sich wahrlich hören lassen konnte. Ähnlich dem Vorgänger werden hier hochklassige Nummern präsentiert, die ihresgleichen suchen. “I Love You More Than Rock'n'Roll“ startet die Scheibe mit viel Groove. “Amy's On The Run“ dagegen punktet mit ordentlich Melodielinie. Höhepunkt der Scheibe ist für mich allerdings der sechs Minuten Rocker “Together Or Apart“. Hier zeigt Danny Bowes einmal mehr, welche Bandbreite er zu bieten hat und dass es nicht viele in diesem Genre gibt, die ihm in Punkto Gesang das Wasser reichen können. Zum Ende hin wird’s mit “One Foot In The Grave“ schön bluesig, eine Disziplin, die auf dieser Scheibe indes ein wenig zu kurz kommt. Am Abschlußtrack “One Fatal Kiss“ hat übrigens kein geringerer als RUSS BALLARD mit geschraubt. Die beiden Scheiben in transparentem gelben und blauem Vinyl liegen in bedruckten, jedoch ungefütterten Innenhüllen.
Ähnlich wie bei MAGNUM ist es die Chemie zwischen dem grandiosen Songschreiber und Gitarristen Luke Morley und einem Sänger, wie Danny Bowes, der ein ums andere Mal über sich hinauswächst, was die Musik von THUNDER zu etwas Besonderem und Unvergleichbarem macht. Ob das nun die (hard-) rockenden Songs, wie der Titeltrack und “Last Man Standing“ oder Balladen wie “A Million Faces“ und “It's All About Love“ oder aber groovend blueslastige Nummern wie “The Devil Made Me Do It“ - alles fügt sich zu einem wunderbaren Gesamtwerk, gewürzt mit einer guten Prise englischem Humor, das alle Facetten aufweist, für die THUNDER seit Jahrzehnten stehen.
“Robert Johnson's Tombstone“ ist von den dreien wohl das in Gänze stimmigste, authentischste und abwechslungsreichste Werk. Das Cover wurde übrigens von der Band eigenständig entworfen und umgesetzt. Aus den ebenfalls selbst gestalteten und mit Songtexten sowie diversen Infos bedruckten Innenhüllen entnehme ich eine knallig-rote und eine transparent-pinkfarbene Scheibe.
“Bang!“ bildet wie bereits erwähnt den Abschluß dieser Trilogie. Rein optisch ist es allerdings ebenso an dieser Stelle einzuordnen. Das Design ist zum einen nicht mein Fall, zum anderen wurde das Bild offensichtlich wieder einmal hochskaliert und ohne weitere Nachbearbeitung gedruckt. Die Innenhüllen enthalten lediglich die Songtexte, Infos und weitere Fotos (wie ich sie aus meinem CD-Booklet kenne) fehlen indes.
Musikalisch sehe ich dieses Album dessen ungeachtet ganz weit vorne in der Diskographie der Engländer. Das liegt nicht nur an der erneut kreativen Vielfalt des Liedguts, die dem Vorgänger kaum nachsteht, sondern vielmehr an der Seele die den Songs innewohnt. Hardrock vom Feinsten gibt's zunächst beim Opener “On The Radio“ und Stadionrocker “Stormwater“, Balladen, wie „Retribution“ oder „Watching Over You“ lassen uns dahinschmelzen, Bluessongs wie “Carol Ann“ bringen dezent die Füße zum wippen oder versetzen uns in eine sanft melancholische Stimmung bei “Have Mercy“ oder “One Bullet“. Es ist gerade diese Melancholie, die sich durch “Bang!“ wie ein roter Faden zieht und das Herzblut spürbar macht, womit die Songs gestrickt sind und ebenso vorgetragen werden.
In den Bonustracks befindet sich auf diesem Output obendrein ein besonderer Leckerbissen. Während die Neuveröffentlichungen allesamt das eine oder andere Outtake sowie Livetakes auf den 4. Seiten haben, wurde hier eine nette Coverversion des TOM JONES Klassikers “Delilah“ (Barry Mason / Les Reed) als Live-Interpretation drauf gepackt. Die LPs passen ansonsten in gelb und weiß ausgezeichnet zum Design.
Alle Platten sind sauber gefertigt und geben die Musik hochaufgelöst, druckvoll und transparent wieder. Die Ausstattung könnte etwas üppiger sein, wie z.B. gefütterte Innenhüllen oder eine Codebeilage für MP3s. Gemessen am Preis, der dafür aufgerufen wird, wäre das nur angemessen.
The Magnificent Seventh! & Robert Johnson's Tombstone & Bang!
TAKIDA sind gerade mit THOSE DAMN CROWS in Europa unterwegs, und auch die KRIS BARRAS BAND würde toll zu dem Package passen. Das aus England stammende Kollektiv ist nach ihrem Sänger, Gitarrist und ehemaligen MMA-Kämpfer Kris Barras benannt. Er gründete die Band 2015. "Halo Effekt" ist Album Nummer Fünf und beinhaltet eine geschmeidige Mischung aus Hard, Alternative und Melodic Rock. Dass der Namensgeber ordentlich austeilen kann, ist sicher kein Nachteil; allerdings überzeugt der Gute hier mit Stimme und gehaltvollem Songwriting.
Der Opener "Hourglass" irritiert mit pfeifendem Einstieg, mausert sich aber nach kürzester Zeit zu einem mitreißenden, gefühlvoll intonierten Melodic Rock Song. Das darauffolgende "Unbreakable" klingt um einiges kantiger und im New Metal Look. Aber auch hier wird ein Refrain geboten, der zupackt und ein hohes Verständnis für griffige Melodien offenbart. Ich kann, auch im weiteren Verlauf des Longplayers, nichts an "Halo Effekt" kritisieren. Das Album ist aus einem Guss, es bietet durchweg gehaltvolle Songs, ist in seinem Tempo variabel, klingt kräftig und muskulös, ist detailliert in Szene gesetzt und auch handwerklich überzeugend performed. Die KRIS BARRAS BAND ist eine Entdeckung für mich. Ich würde mich wundern, wenn dieses Album nicht verfängt und seine Hörerschaft findet. Und das völlig zu recht!
Wer auf Bands, wie die oben bereits erwähnten sowie SHINEDOWN oder THREE DAYS GRACE steht, kann hier bedenkenlos zugreifen.