Eine Live DVD von NEW MODEL ARMY kann eigentlich nur eine runde Sache sein, bei den Stärken dieser Formation. Hier ist zwar ein schon etwas älterer Gig anlässlich des zwanzigjährigen Bestehens der Army aus dem Dezember 2003 im altehrwürdigen Astoria Club in London aufgezeichnet worden, aber mit gutem Unterhaltungswert. Diese Aufnahmen „Live 161203“ sind recht authentisch gehalten, ohne große Schnörkel oder gar zuviel technischem Schnickschnack. Wer die Band schoneinmal livehaftig erlebt hat, weiß wo von ich spreche. Alle anderen dürfte dieser Mitschnitt überzeugen, einnmal werden mehr die Qualitäten und Stärken dieser legendären britischen Formation rübergerbacht: Live auf der Bühne zu stehen und ihren typisch etwas rauh angehauchten Independent Rock mit gelungenen Melodien vor einem bereitwilligen Publikum zu zelebrieren. Diese Kapelle kommt live einfach immer noch einen Tick stärker als auf ihren Studiotonträgern zur Geltung. Die ganze urwüchsige Kraft sowie mitreißende Energie ist in dieser kleinen Location mit einer wunderbar clubmäßigen Atmosphäre von Beginn an mit jedem Akkord greifbar. Vor der Bühne im Zuschauerraum ist viel Bewegung angesagt, es gibt immer wieder Moshpits und ja, man kann den Schweiß förmlich riechen, fühlt sich als Zuschauer mitten in dem Konzert, das von der Decke tropfende Kondenswasser meint man ebenfalls zu spüren.
Ebenfalls klar heraus kommt hier erneut, NEW MODEL ARMY sind die Band von Justin Sullivan oder auch: Er ist zum größtenteil die Band. Dies hat nichts mit einer Abqualifizierung der Restmitglieder zu tun, aber der rein äußerlich nicht gerade smarte Fronter und Sänger drückt der Musik seinen ureigenen Charakter auf.
Meist etwas verschmitzt-diabolisch grinsend mit großer rockender Zahnlücke (das britische Gesundheitssystem lässt grüßen) schmettert er seine oftmals sozialkritischen Vocals ins weite Rund.
Die Band versteht sich seit ihrer Gründung Ende der 1970er Jahre in Bradford von Justin Sullivan (Gesang, Gitarre), Stuart Morrow (Bass) bis teilweise auch heute noch als Sprachrohr der (unterdrückten) Arbeiterklasse. Die Musik drückt dies bestens aus mit einer wilden Mischung aus Post Punk, klassischem Rock und etwas Folklore, jenseits des irischen Saufliederpathos. Die Inhalte der Texte sind oft politisch gehalten und das Dreigestirn Sullivan, Morrow und Heaton traf mit seiner Musik zu Beginn der 1980er Jahre den Nerv der Zeit. Den stilistischen Stempel der unbequemen Rockrevoluzer haben die Herren bis heute nicht abgelegt. Die Setlist dieses Gigs umfasst 21 Tracks mit einem gelungenen Querschnitt durch die gesamte Bandhistorie. Sullivan hält sich verbal auch nicht zurück, als er Klassiker wie „51st State“ anstimmt oder bei Here Comes The War“ äußerst wütend seine starke Kritik an US-Präsident Busch und seinem regierungsstil ins Spiel bringt.
Insbesodnere auch die alten Kracher wie „Over The Wire“ „Wounderful Way To Go“ oder das energetische „Purity“ werden sehr kraftvoll durchgezogen. Balladeske Momente oder gar Pausen sind hier eher selten. Die Musiker sind voll dabei, wenn dabei auch stets das Instrument im Blick bleibt, Show oder gar Posing sind hier völlig außen vor, „Poison Street“ (mit einem klasse Harmonicasolo von Mark Feltham) oder „Stupid Questions“ zeigen eine bestens eingespielte Band. Es geht 90 Minuten musikalisch sehr gut ab, die Lightshow ist bestens abgestimmt, nichts spektakuläres aber solide genauso wie das Bildmaterial. Keine tausend Kameraperspektiven oder zig Schnitte werden hier dauernd gezeigt, nein hier reichen auch mal „normale“ unhektische Bilder ohne zuviel Anspruch aus. Allein die Extras der DVD sind eher verzichtbar - es gibt eine äußerst dünne Bandbiografie zum selber Ablesen, unspektakuläre Aufnahmen vom Soundcheck sowie ein Interview (leider ohne Untertitel mit Justin). Aber auf das kommt es bei einem NEW MODEL ARMY Konzert und auch auf dieser DVD sowieso nicht an, denn hier zählen einfach nur (handgemachte) Musik und Emotionen pur.
Live 161203
Band:
Genre:
Nicht angegeben
Tracks:
21
Länge:
152:0 ()
Label:
Vertrieb:
InterviewDie wichtigste Frage zuerst: Warum löst ihr euch auf?
Es war meine Entscheidung, die Band aufzulösen. Als ich dies der Band mitgeteilt habe, witzelte Steve: „Jetzt bist du mir zuvorgekommen!“ Es schien mir, dass diese Band nach 17 Jahren mehr erreicht hat, als ich jemals gehofft hatte, also warum nicht auf dem Zenith aufhören? Zu viele Bands bleiben zu lange zusammen, und das ist traurig. Ich glaube, mit diesem Album und dieser Abschieds-Tour gehen wir mit einem Lachen im Gesicht. Das nennt man Würde.
Ich hoffe, ihr wisst, wie enttäuscht eure Fans sind. Hast du ein paar tröstende Worte für sie?
Das ist schön zu hören. Ich habe viele E-Mails von Fans erhalten, die enttäuscht sind, aber ich habe ADAM WEST immer als eine dieser Kult-Bands gesehen, die erst wirklich erfolgreich werden, nachdem sie sich aufgelöst haben... wie BAUHAUS, weißt du? Alles, was ich sagen kann, ist, dass die Band ohne all die Fans nichts wäre. Auf der Bühne habe ich immer 150 % gegeben, als wenn mein Leben davon abhängen würde, weil die Fans genau das verdienen. Ich freue mich jetzt schon darauf, all unsere Fans in Europa im Oktober noch einmal zu sehen!
Was sind deine Pläne für die Zukunft?
Ich habe für 2009 schon zwei Solo-7"-Singles in Planung. Das sind Songs, die ich schon immer covern wollte, die aber nicht unbedingt zu ADAM WEST passten. Auf der einen werden einige 60er Mod-Covers sein, auf der anderen zwei JOY DIVISION-Songs. Ich habe nicht vor, eine andere Band zu gründen, aber ich werde sicher mit Freunden zusammenarbeiten, wenn ich gefragt werde und es nach einem guten Projekt klingt.
Du wirst die Band sicherlich vermissen, oder bist du irgendwie auch erleichtert?
Als ich schließlich die Entscheidung getroffen hatte, die Band aufzulösen, war ich unglaublich erleichert. Aber seitdem bin ich tatsächlich ziemlich schwermütig geworden. Diese Band war 17 Jahre lang ein so großer Teil meines Lebens, und ich werde sie mit Sicherheit vermissen.
Befürchtest du nicht, dass ohne ADAM WEST der wahre Rock ´n Roll sterben wird und Emo- und Poppunk-Bands die Underground-Szene beherrschen werden? Oder gibt es andere Bands, die würdige Nachfolger sind?
Shit, dieses Szenario ist schon vor Jahren eingetreten! Aber es gibt da draußen einige gute Bands, und ich hoffe, dass eines Tages ein Kid eine ADAM WEST-Platte hört und inspiriert wird, eine Band zu gründen und weiter rockt. Das ist mein Vermächtnis an diesen Planeten!
Wirst du mit den anderen Bandmitgliedern in Verbindung bleiben, oder wird jeder seines Weges gehen?
Meine Bandkollegen und ich sind beste Kumpels, insofern wird sich also nichts ändern. Steve und Mario haben ihre Stonerrock-Band BORRACHO, und ich habe bereits versprochen, auf jedem ihrer Konzerte in DC zu sein. Und es gibt keinen Grund, warum wir nicht von Zeit zu Zeit zusammen jammen sollten.
Wie wird es mit Fandango Records weitergehen? Ohne ADAM WEST solltest du in Zukunft mehr Zeit dafür haben...
Das ist eine gute Frage! Im Westentlichen habe ich Fandango nach der letzten „Flattery: A Tribute To Radio Birdman #3“-CD stillgelegt, aber vielleicht werde ich in Zukunft noch ein paar 7"-Singles machen. Mal schauen. Wenn ich im Lotto gewinne, werde ich Fandango definitiv wieder beleben.
Euer letztes reguläres Album „Power To The People“ ist 2005 erschienen. Was habt ihr in der Zwischenzeit gemacht?
Zwischen „Power to the People“ und „ESP“, das wir Anfang 2008 aufgenommen haben, haben wir keine neuen Songs aufgenommen. 2006 waren wir damit beschäftigt, die „Longshot Songs For Broke Players 2001-2004“-Compilation zusammenzustellen und in Europa zu touren. 2007 haben wir uns entschlossen, nicht in Europa zu touren und ein bisschen zu Atem zu kommen. Wir haben das Jahr dazu genutzt, um Songs zu schreiben und zu proben und landeten schließlich im Februar 2008 im Studio, um „ESP“ aufzunehmen
Habt ihr versucht, „ESP“ irgendwie speziell klingen zu lassen? Oder wolltet ihr den Fans einfach noch einmal den gewohnten ADAM WEST-Sound geben?
Ich glaube, „ESP“ ist eines der besten Projekte, die ich je gemacht habe. Ich glaube, dass Songwriting, Performance und Produktion alles 1a ist. Ich bin sehr stolz darauf, dieses Album den ADAM WEST-Abgesang zu nennen. ADAM WEST-Fans erwarten High-Energy Punk Rock ´n Roll, und das haben wir ihnen gegeben... in höchstem Maße!
Ihr wollt vier 7"-Singles aus dem Album auskoppeln. Also glaubst du immer noch an das Single-Format?
Ja, ich glaube immer noch daran, dass 7"-Singles das wesentliche Medium für Musik sind. Mit zwei Songs auf einem Stück Vinyl mit einem coolen Cover kannst du das Leben eines Menschen verändern. Muss ich noch mehr sagen?
People Like You hat drei Singles-Compilations veröffentlicht, von denen die letzte bis ins Jahr 2004 reicht. Also hoffe ich, dass es eine weitere mit dem Material von 2004 bis 2008 geben wird...?
Wir haben wirklich nichts, was aus den Jahren 2004 bis 2008 übrig geblieben ist. Wir haben viel unveröffentlichtes Material aus der Anfangszeit, und vielleicht wird es eines Tages auf dem „ADAM WEST Box-Set“ veröffentlich werden... haha... Aber People Like You plant, 2009 eine „Very Best Of ADAM WEST“-Compilation zu veröffentlichen. Das sollte etwas Besonderes für die Fans sein.
Einer eurer Songs wurde auf einer „Tribute To Batman“-Compilation veröffentlicht. Euer Name geht ja auf den Schauspieler zurück, der Batman in der Fernsehserie gespielt hat, also liegt der Bezug nahe. Kannten die Leute vom Label euch bereits, oder haben sie gut recherchiert?
Ehrlich, vom ersten Tag an habe ich versucht, alle Batman-Bezüge zu vermeiden! Ein ADAM WEST-Fan aus Rennes in Frankreich hatte uns ein paar Mal live gesehen und bat uns, einen Song zu dieser Compilation beizutragen. In den meisten Fällen hätte ich „nein“ gesagt, aber er war so enthusiastisch und plante eine 12"-Picture-Disc. Wie hätte ich da „nein“ sagen können?
Für mich wart ihr immer eine echte Live-Band. Von der ersten Sekunde an tretet ihr dem Publikum in den Arsch. Woher nehmt ihr jeden Abend diese Energie?
Danke für dieses sehr nette und zutreffende Kompliment! Ja, ich stimme dir zu. Als ich noch Teenager war und die Jim Morrison-Biographie „No One Gets Out Of Here Alive“ gelesen habe, habe ich gelernt, dass ein Künstler auf der Bühne jedes Mal performen muss, als wenn es seine letzte Show auf Erden wäre. Andernfalls ist es bedeutungslos. Man muss die Energie seiner Seele packen und 150 % geben. Das Publikum verdient das beste, und dasselbe tust du als Künstler. Daher bin ich sehr kritisch gegenüber anderen Bands, die einen lahmen Sänger haben. Wenn sie mich nicht überzeugen können, dass sie so gut singen und performen, wie sie nur können, warum sollte ich mich dafür interessieren? Ich habe noch nie einen Gig abgesagt, weil ich krank war, Schmerzen hatte, müde war, keine Stimme mehr hatte etc. Nicht ein Mal in 17 Jahren! So muss es sein.
Im Oktober werdet ihr in Europa eine Farewell Tour spielen. Worauf dürfen sich die Fans freuen?
Wir haben vorher wirklich nicht realisiert, wie schwierig es ist, eine Setlist für eine Farewell Tour zusammenzustellen. Wir haben sooooo viele Songs, die wir spielen wollen und von denen wir glauben, dass die Fans sie hören wollen! Also haben wir einige Zeit damit verbracht, die Songs herauszusuchen und einige gute Übergänge zwischen den Songs einzubauen. Ich glaube, wir habe ein solides Set, das jeder mögen wird. Außerdem haben wir viele Zugabensongs in petto, also sag den Fans, sie sollen jeden Abend Zugaben verlangen! Beim letzten Konzert in Berlin werde ich wahrscheinlich auf der Bühne heulen. Im Ernst!
Glaubst du, dass es möglich ist, dass sich ADAM WEST eines Tage wiedervereinigen?
Aber klar. Wir sind alle Freunde, und ich kann mir vorstellen, dass ich in ein paar Jahren wieder Lust darauf haben könnte, eine Six-Song-EP aufzunehmen und in Europa für ein paar Wochen zu touren. Ich hoffe nur, die Fans sind noch für uns da, wenn das geschehen sollte. Bis dahin hoffe ich, dass wir uns auf der Tour sehen. I habe geplant, jeden Abend auf der Bühne zu sterben... haha...
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