Nach zwei EPs präsentiert der Sechser KENAI mit „Hail The Escapist“ sein erstes Album. Die Band stammt zwar aus Essex, ihre Musik klingt aber überhaupt nicht englisch, sondern vielmehr nach typisch amerikanischer Machart. Emo und Pop-Punk lassen grüssen, zusätzlich werden auch immer wieder kurze Screamo-Parts eingebaut. Dabei liegt über allem ein starker Pop-Appeal, was nicht nur an den getragenen Refrains und den gelegentlichen Keyboard-Klängen im Hintergrund, sondern auch an dem glatten, ziemlich weichgespülten und in der Vordergrund gemischten Gesang liegt. Es gibt Menschen, die mögen diesen Sound, aber selbst diese werden mit „Hail The Escapist“ ein Problem haben: Dafür, dass der Gesamtsound eben recht poppig ist, bietet das Album nämlich ganz einfach zu wenige gute Melodien. Hier bleibt nichts wirklich hängen, die Scheibe dudelt ohne nennenswerte Höhepunkte vor sich hin. Genauso wie ich werden also auch Anhänger der oben genannten Stile KENAIs Erstling nicht viel abgewinnen können.
Mit dem Album „Eleven. Return And Revert“ legen MIDAS FALL aus Edinburgh ihr Debüt vor. Ihr Sound ist vorwiegend melancholisch, atmosphärisch und ruhig und lässt sich wohl am ehesten als eine Mischung aus Post-Rock und Alternative mit leichten Progressive-Einflüssen beschreiben. Bands wie MOGWAI oder MONO haben hier deutliche Spuren hinterlassen, im Gegensatz zu diesen, zum Großteil oder komplett instrumentalen, Bands arbeiten MIDAS FALL aber durchgehend mit Gesang, für den Frontfrau Elizabeth Heaton zuständig ist. Eine weitere Parallele zu den oben genannten Bands ergibt sich durch die Strukturen der Songs. Diese sind ähnlich dynamisch aufgebaut und steigern sich häufig von ruhigen, fließenden Passagen zu lauten Parts. Der durchgehende Gesang und die fast durchgehend eingängigen Harmonien verleihen dem Sound allerdings eine deutliche Pop-Note und machen ihn stellenweise durchaus radiotauglich. Wenn man sich daran einmal gewöhnt hat, entwickelt die Musik von MIDAS FALL eine völlig eigene Faszination, was nicht zuletzt der fantastischen Stimme von Elizabeth Heaton zu verdanken ist, die so glasklar wie auch kraftvoll und wandelbar ist. So bietet „Eleven. Return And Revert“ immer wieder intensive Momente und entführt einen in traumhaft-melancholische Klangwelten. Stellenweise bleibt die Band zwar etwas zu sehr an der Oberfläche und verspielt dadurch einen Teil ihres großen Potentials, ein tolles Album hat sie hier aber trotzdem abgeliefert. Man darf schon jetzt gespannt auf den Nachfolger sein.
Pünktlich zu Ostern haben die LOKALMATADORE aus Mülheim an der Ruhr ihre „Punk Weihnacht“ veröffentlicht. Darauf gibt es drei neu eingespielte Weihnachts-Songs zu hören, und als satten Bonus gibt es noch einen aus 21 Songs bestehenden Live-Mitschnitt oben drauf, der am 24. Oktober 2009 in der Hamburger Markthalle beim United Voices Festival aufgenommen wurde. Die Fans der Ruhrpott-Punks werden sich gleich aus mehreren Gründen über die Scheibe freuen: Erstens handelt es sich bei den ersten drei Tracks um die ersten Studioaufnahmen seit 2000, zweitens ist der Live-Mitschnitt die erste Live-Aufnahme seit 1994, und drittens verkürzt beides zusammen die Wartezeit aufs nächste Album, das demnächst erscheint und den fantastischen Titel „Söhne Mülheims“ trägt. Jetzt wird aber erst noch „Punk Weihnacht“ gefeiert, und mit deren Opener „Knülle unterm Weihnachtsbaum“ bekommt man auch noch einen echten Klassiker präsentiert. Dieser ist 1982 entstanden und einer der ersten LOKALMATADORE-Songs überhaupt. Live wurde er schon oft gespielt, aber jetzt wurde er auch zum ersten Mal im Studio aufgenommen. Insgesamt liefern die drei Neuaufnahmen so ziemlich das, was man erwartet: Rumpeligen Deutsch-Punk mit gelegentlicher Tendenz zum Schlager-Punk, asige Schwachsinnstexte und Refrains, die man auch im Vollrausch noch mitgrölen kann. Damit reihen sie sich nahtlos ins LOKALMATADORE-Oeuvre ein. Das eigentliche Highlight dieser CD aber ist der Live-Mitschnitt. Der kommt in erstaunlich guter Tonqualität, aber auch nicht zu clean daher, und überhaupt wurde hier nichts geschönt, sondern es gibt einfach ein komplettes Konzert ohne Cut, 1 zu 1 mitgeschnitten und auf CD gepackt. Authentischer kann Live-Atmosphäre auf einem Tonträger nicht rüberkommen. Bei der Songauswahl dürfte wohl jeder Fan auf seine Kosten kommen: „Herz aus Gold“, „Barbara“, „Ich lass’ dir den Kochtopf…“, „Fußball Ficken Alkohol“, alles mit dabei, da bleiben keine Wünsche offen. Klar, Anspruch ist bei den LOKALMATADOREN nicht gefragt, genauso wenig Political Correctness. Aber dafür sind halt andere zuständig. Für die Fans ist dieses Album jedenfalls ein echtes Schmankerl, und für Einsteiger ein perfekter Überblick über 28 Jahre LOKALMATADORE.
DRAG THE RIVER aus Colorado bestehen im Kern aus ALL-Sänger Chad Price und Jon Snodgrass, Sänger und Gitarrist von ARMCHAIR MARTIAN. Die beiden gründeten die Band 1996, veröffentlichten jede Menge Alben und spielten schon unzählige Konzerte. Trotzdem dürften sie – zumindest in Europa – kaum jemandem bekannt sein. Das soll sich jetzt mit „Primer“ ändern, einem Best-Of-Album, das Songs aus den Jahren 1996 bis 2009 enthält. DRAG THE RIVER lassen es in ihrer Musik ruhig angehen. Ein gewisser Punk-Spirit spielt zwar mit, die Musik selbst wird aber bestimmt durch Alternative Country und Folk, seltener auch durch klassischen Rock. Der raue Gesang sowie diverse Ecken und Kanten sorgen aber dafür, dass es nie zu schön oder zu glatt wird, auch wenn die Musik stellenweise nur haarscharf am Kitsch vorbei schrammelt. Das ist auch alles schön anzuhören, über die gesamte Länger wünscht man sich aber, es würde öfter mal abgehen. Und irgendwann wird es auch etwas viel mit dem Akustik-Geklampfe und der Slide-Gitarre, und man ist froh über jedes Rock-Riff. Interessant ist, dass sich der Sound der Band über die Jahre überhaupt nicht verändert hat. Ob die Songs älteren oder jüngeren Datums sind, kann man beim Hören wirklich nicht sagen. Wahrscheinlich sollte man sich mal ein Konzert der Jungs anschauen, denn ich kann mir gut vorstellen, dass die Musik live deutlich mitreiβender wirkt. Wer die akustischen Sachen der SUPERSUCKERS oder auch den Singer/Songwriter-Punkrock von GASLIGHT ANTHEM mag, sollte hier auf jeden Fall mal reinhören.
Der rockigste Australien-Export seit AC/DC ist zurück: BUG GIRL haben mit "Blood, Sweat & Beers" eine neue EP am Start. Die Zutaten sind die gleichen geblieben: verdammt dreckiger Rock´n´ Roll, dargeboten vom sich selbst vollkommen genügenden Duo Amber und Clinton Spencer. Schon der treffend benannte Titeltrack "Blood, Sweat & Tears" zeigt wo der Hammer hängt und klingt nach staubigen, heißen australischen Rock-Schuppen, Sängerin Amber zeigt am Mikrophon, was eine Rockröhre ist, und wenn man nicht gerade explizit darauf achtet, käme einem niemals in den Sinn, dass da eventuell gar kein Bassist mit von der Partie sein könnte. "V8 Motor" gibt mit extrem treibender Gitarre Gas, dass einem Angst und Bange werden kann und auch der Rest des Materials lässt sich wohl schlicht am besten mit den folgenden Worten beschreiben, die die Landsmänner der Band vermutlich zu diesem Zweck benutzen würden: "Kicks ass!".
Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Der 1996 gegründete Vierer kommt nicht aus Reno, Nevada, sondern aus Denver, Colorado. Der Bandname bezieht sich darauf, dass in Reno Ehen extrem leicht wieder zu trennen sind. Aber vielmehr sollte hier ja die Musik der Band interessieren, und die geht gut nach vorne und in die Ohren. Die Jungs spielen dreckigen, melodischen Punkrock, der wie eine Mischung aus SOCIAL DISTORTION und den BONES klingt, wobei es nicht durchgehend schnell abgeht, sondern oft auch im Mid-Tempo gerockt wird. Der Sound kommt extrem eingängig daher, kommt in Bezug auf Intensität aber nicht an SOCIAL D und in Bezug auf Druck und Energie nicht an die BONES heran. Überhaupt sind die Songs alle nicht besonders originell und bewegen sich stellenweise nah am Mainstream. Andererseits: Das Album macht einfach Spaß. Der Sound ist genau an den richtigen Stellen dreckig, strahlt eine rotzige Rock n’ Roll-Attitüde aus und hinter jeder Ecke verbergen sich Ohrwürmer. Wer auf die beiden genannten und ähnliche Bands steht, sollte unbedingt mal reinhören.
Satte 11 Jahre ist das letzte Lebenszeichen der Ostdeutschen Punkinstitution DIE SKEPTIKER, das eher durchwachsene Album „Wehr Dich“ her. Das DIE SKEPTIKER jetzt wieder on Tour sind dürfte sich mittlerweile ja schon rumgesprochen haben; die Veröffentlichung von „Dada in Berlin“ (remasterte Best of Scheibe) gab Hoffnung auf mehr. Dem ist so. Mit „Fressen und Moral“ (frei nach Bertold Brecht) gibt es jetzt neuen Stoff der Ost-Berliner Band um Sänger und Texter Eugen Balanskat. Musikalisch ist der gefällig und gekonnt arrangierte Punkrock dabei jederzeit nachvollziehbar, melodisch und Pogo-fähig. Der Härtefaktor tut bei den SKEPTIKERN keinem weh – den erdigen Charme der Straße spürt man nur (noch) dezent - die teilweise inhaltsschweren, oft zeitlos kritischen Texte treffen aber je nach eigener Einstellung schon ins „Schwarze“ – wirtschaftliches Ungleichgewicht, politische Kaste, Rechtsextremismus. Der theatralische Gesang von Eugen Balanskat ist dabei wie schon früher eine Gegenpol zur aggressiveren Musik, verleiht der Botschaft eine zusätzlich eindringliche Note. Unterstützt von Bassist Mathias Kahle, den Gitarristen Lars Rudel (CULTUS FEROX, BLIND PASSENGERS) und Tom Schwoll (u.a. JINGO DE LUNCH, EXTRABREIT), Schlagzeuger Andy Laaf (MAD SIN, BLIND PASSENGERS, CASSANDRA COMPLEX) sowie Gunnar Schröder (DRITTE WAHL) für die Backing Vocals und Georgi 'Joro' Gogow (CITY) an der Violine (für „Ego“) zielen Songs wie das eingängige „Lügenwelt“, der heimliche, sehr aktuelle Titeltrack „Gerechtigkeitsproblem“, das sozialkritische „Aufruhr“ und „Wochenendgewalt“ (thematisiert die rechte Gewalt) auf Kopf und Beine. Mit „Fressen und Moral“ haben DIE SKEPTIKER einen gewollt kritischen Spiegel der deutschen Wirklichkeit in die Punklandschaft zementiert der manchen gut tun wird. Nach der gelungenen Reunion-Tour nun also ein starkes Album, dessen tolles Coverartwork auch noch klasse zum Titel „Fressen und Moral“ passt.
Die vier Kanadier von SIGHTS & SOUNDS spielen allesamt in Hardcore-Bands, von denen die bekannteste wohl die von Sänger und Gitarrist Andrew Neufeld, COMEBACK KID, sein dürfte. Offenbar hatten die Jungs Lust, sich mal in andere musikalische Gefilde zu begeben, und das tun sie auf ihrem Debüt-Album „Monolith“ ohne jeden Zweifel. Elemente aus Progressive und Post-Hardcore werden hier vermischt mit Pop und Akustik-Passagen, walzende Gitarrenriffs und donnernde Drums mit eingängigen Melodien und Keyboard-Flächen. Das Ganze wird zum einen zusammengehalten durch Andrew Neufelds Gesang, der nicht nur richtig singen kann, sondern dazu auch noch über eine äußerst wandelbare Stimme verfügt, zum anderen aber auch durch den fetten, dichten Gesamtsound, für den Devin Townsend verantwortlich zeichnet. Trotzdem will der Funken nicht so ganz überspringen. Dazu kommen die Refrains nämlich doch zu mainstreamig daher, die balladesken Parts zu kitschig und sind die brachialen Passagen soundtechnisch zu überladen und fast schon übertrieben bombastisch. Auch wenn alles mit viel Energie gespielt ist, bleibt die Musik des Vierers dadurch immer an der Oberfläche und erreicht nie die Tiefe der großen Bands ähnlicher Genres wie ISIS, THIS WILL DESTROY YOU oder DREDG. Diese Bands klingen in der Musik von SIGHTS & SOUNDS zwar immer wieder an, werden dabei aber lediglich zitiert, ohne dass deren Intensität und unkonventionelles Songwriting aufgenommen wird. Die Ansätze von „Monolith“ stimmen also, nur ist die Ausführung songtechnisch zu glatt und soundtechnisch zu aufgeblasen.
Die vier Holländer von PROFUNA OCEAN haben für ihr Debüt eine eher ungewöhnliche Form gewählt: „Watching The Closing Sky“ ist nämlich eine Live-EP. Allerdings wird durch die vier Songs eine Gesamtspielzeit von gut 37 Minuten, also fast schon Albumlänge erreicht. Die Länge der Stücke lässt es schon vermuten: Die Jungs spielen Progressive Rock. Sie bevorzugen dabei aber eine ruhige, eher verhaltene und leicht poppige Variante. So stehen melancholische Harmonien und Melodien im Vordergrund, sind die Tempi größtenteils langsam und die Rhythmen fließend und wird nur höchst selten richtig gerockt. Zum Teil fühlt man sich an PORCUPINE TREE erinnert, aufgrund der Stimme von Gitarrist, Sänger und Songschreiber Raoul Potters muss man aber auch immer wieder an SNOW PATROL denken, im überlangen letzten Song „S.C.I.T.S.“ werden dann noch PINK FLOYD und MARILLION zitiert. Insgesamt dudeln die Songs aber recht seicht vor sich hin. Die langen Instrumentalteile sind schlicht und einfach langweilig, und die wenigen rockigen Parts klingen ziemlich konventionell und konstruiert und kommen noch dazu alles andere als fett rüber. Mitschuld an letzterem trägt sicher auch der völlig drucklose Gesamtsound. Unterm Strich sind die Songs von PROFUNA OCEAN vom Ansatz her gar nicht mal schlecht, aber vom Hocker hauen sie mich nun wirklich nicht.
Mit "Spring Tides" haben JENIFEREVER ein Album mit einer satten Stunde Spielzeit am Start. Man könnte also sagen da wird geklotzt, nicht gekleckert. Lumpen lässt sich das Quartett aus dem schwedischen Uppsala denn auch nicht und fährt in zehn Songs atmosphärischen Ambient Rock auf, wobei fast alle Songs stilgemäß über fünf Minuten lang sind. Verträumt gleiten die Lieder dahin und wecken unterschiedliche Assoziationen: so erinnert zum Beispiel Gesang bei "Ox Eye" an niemand geringeren als die Größen von THE CURE. Große Mitsinghymnen sucht man indes auf "Spring Tides" weitestgehend vergeblich, die Songs arbeiten subtiler und bieten mehr eine Art Hintergrundsoundtrack zu unterschiedlichen Stimmungen als sich dominant ins Ohr zu drängen. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass der Gesang sich mit seinem Einsatz mitunter auch reichlich Zeit lässt und man bereits, einem Instrumentalstück zu lauschen, wie beispielsweise bei "St. Gallen", auf dem der Gesang erst nach zwei Dritteln der Gesamtspielzeit einsetzt. Fazit: gelungenes Futter für Ambient-Freunde.