Die Musik von JENIFEREVER aus dem schwedischen Uppsala ist zunächst schwer zu fassen. Etwas bodenlos schweben die neun Songs ihres dritten Albums vor sich hin und scheinen irgendwie nie wirklich zum Punkt zu kommen. Das Tempo ist durch die Bank gemäßigt, sämtliche Instrumente werden fast schon behutsam bedient, und den Gesang von Kristofer Jönson kann man nur als sanft bezeichnen. Der Vierer nimmt sich Zeit, um seine Melodien voll skandinavischer Melancholie zu entwickeln, so dauert kein Song weniger als gut 4 Minuten und ist der längste sogar über 9 Minuten lang, wobei es auch immer wieder längere Instrumental-Passagen gibt. Das Ganze als Indie-Rock zu bezeichnen, trifft es wohl nicht, denn „Rock“ kommt hier eigentlich gar nicht wirklich zum Zug. Vielleicht könnte man es Post-Pop nennen – oder gar Ambient-Pop? Aber wir wollen hier mal nicht gemein werden. Immerhin gelingt es der Band, einen atmosphärischen, vielschichtigen und beinahe meditativen Sound entstehen zu lassen, bei dem auch immer mal wieder SIGUR RÓS durchklingen. Leider nur teilen JENIFEREVER das Schicksal der Isländer: Ihre Musik plätschert druck- und höhepunktlos vor sich hin und ruft schnell Langweile hervor. Eigentlich sogar schon vom ersten Stück an. Okay, das war jetzt doch gemein…
Bands ohne Bassisten kann ich normalerweise nicht viel abgewinnen. Der Sound von BUG GIRL ist aber so dreckig, dass vielen gar nicht auffallen dürfte, dass hier mit dem Geschwisterpaar Amber und Clinton Spence nur eine Gitarristin/Sängerin und ein Drummer am Werke sind. Dass das Duo aus Australien kommt, hört man dem neuen Album „Dirt In The Skirt“ deutlich an, denn AC/DC-Einflüsse sind allgegenwärtig. Diese werden aber verpackt in eine Mischung aus Garage Rock und Rock ´n´ Roll, und im Geiste spielen sicher auch MOTÖRHEAD mit, die für zusätzlichen Schub nach vorne sorgen. Diese Mischung kickt gut und zündet vor allem aufgrund des hohen Energiepegels, den die zwei hier an den Tag legen. Allerdings – und damit kommen wir zum Anfang zurück – fehlt mir hier der Bass auf Dauer dann doch. Besonders kurze Solo-Passagen hängen seltsam leer im Raum, aber auch den Riffs fehlt der Boden. Mein Rat an die Band: Holt euch einen Basser, dann werdet ihr zusammen ohne Ende Druck haben!
MAE’S LOST EMPIRE nennt sich diese junge Band aus dem englischen Sheffield, was ein seltsamer und auch etwas umständlicher Name ist. Genauso ist auch die Musik des Vierers ziemlich ungewöhnlich. Klingt sie zunächst einmal vor allem progressiv, stellt man schnell auch einen (vertretbaren) Schuss Emo fest, genauso auch Einflüsse aus Alternative, Metal und Hardcore. Gesang wechselt sich dabei mit Shouts ab, schräge Riffs und Frickel-Parts mit getragenen Melodien, und immer geht es irgendwie ganz anders weiter, als man erwartet hätte. Dieser stilistische Mix wirkt vielleicht erst einmal etwas anstrengend, und auf jeden Fall muss man sich in ihn hineinhören, dann aber fasziniert er umso mehr und macht großen Spaß. Lediglich der Gesang ist etwas zu sehr in den Vordergrund gemischt und wirkt auf Dauer etwas penetrant. Aber das gleichen die hervorragenden spielerischen Qualitäten der Musiker wieder aus. Man höre sich nur alleine an, was Gitarrist und Bassist (Dieser Irre spielt einen 7-Saiter!) immer wieder weggniedeln. „These Words Have Undone The World“ ist ein ausuferndes Album, rastlos, voll mit Energie und aberwitzigen Ideen. Man bedenke dabei: Es handelt sich hier um ein Debüt, und dafür ist diese Scheibe unglaublich gut. Diese Band sollte man definitiv im Auge behalten.
Ein derartiges Old-School-Punk-Cover kann man sich wohl nur erlauben, wenn man schon seit den 80ern in der Deutsch-Punk-Szene aktiv ist: Ein abgewrackter Punk mit Stachel-Frisur und Nietenlederjacke hängt zusammengesunken vor einer Mauer rum. DIE SCHWARZEN SCHAFE aus Düsseldorf haben aber durchaus Berechtigung dafür, und das neue Album „Jetzt kommen die Jahre“ kommt gerade rechtzeitig zum 25-jährigen Bandgeburtstag heraus. Wer aber glaubt, hier angestaubten, in die Jahre gekommenen 80er Deutsch-Punk zu hören zu bekommen, wird schnell eines Besseren belehrt. Die 13 Songs kommen vielmehr unerwartet frisch und fast schon modern daher. Dabei wird die Geschwindigkeit neben viel dreckigem Midtempo auch immer wieder mal hochgeschraubt, und diverse Ohrwürmer verirren sich in die Gehörgänge. Das heißt nicht, dass der Vierer hier in irgendwelche Mainstream-Gefilde abdriftet – dem Sound wohnen immer noch genügend Wut und alte Schule inne. Aber das Ganze wird einfach mit viel unverbrauchter Energie, Druck und Spielfreude rübergebracht. Auch die Texte kommen äußerst unverkrampft daher. In „Ein Tag im Frühling“ geht es um Polizei-Willkür, und am Ende des Albums steht das programmatische „No Nation“, ansonsten geht es aber angenehm klischeefrei zu. Unterm Strich liefern die Düsseldorfer mit „Jetzt kommen die Jahre“ ein tolles Album ab, das durchgehend nach vorne geht, sich dabei aber auch melodischen Parts nicht verschließt und trotzdem nichts anderes ist als rauer, authentischer Punk.
Die sechsköpfigen US CHRISTMAS aus North Carolina machen es einem mit ihrem fünften Album nicht gerade leicht. Schon auf den schleppenden 13-minütigen Opener mit seinem monotonen Riff und den psychedelischen Gitarren-Jams muss man sich wirklich einlassen, um ihn voll erfassen zu können. Dranbleiben lohnt sich hier aber tatsächlich einmal, auch wenn der Rest des Albums kaum leichter zu konsumieren ist. Düster und sphärisch bewegt sich die Band auf den Pfaden von Space- und Post-Rock durch das fast 77-minütige Werk, mit schweren Gitarren-Riffs, spacigen Vintage-Synthesizern und Sound-Effekten, nur selten unterbrochen durch noisige Ausbrüche, um dann auch wieder in ruhigen, fast meditativen Momenten zu schweben, die stellenweise durch eine Violine auch einen folkigen Anstrich erhalten. Darüber erklingt Nate Halls inbrünstiger und nicht immer ganz korrekt intonierter Gesang, an den man sich auch erst mal etwas gewöhnen muss. Mag das für manche anstrengend und für andere wiederum langweilig klingen, so kann ich nur aus eigener Erfahrung berichten, dass diese Scheibe, sobald man einmal in deren dunklen Klanglandschaften angekommen ist, einen nicht mehr so schnell loslässt. Ist „Run Thick In The Night“ erstmal ein schwerer Brocken, findet man sich mit jedem Hören weiter hinein. Und dann erschließt sich einem dieses Album mit all seiner Vielschichtigkeit erst richtig und offenbart einem einen atmosphärischen Space-Blues, wie ich ihn in dieser Intensität noch von keiner anderen Band gehört habe.
Mit „Physik“ meldet sich pünktlich zum 25-jährigen Jubiläum eine der irrsten Punkbands Deutschlands zurück. Die einen lieben DIE KASSIERER, die anderen hassen sie, und bis heute ist nicht ganz geklärt, ob sie einfach nur prollige Säufer sind oder richtig was auf dem Kasten haben, ob sie Dilettanten oder große Künstler sind. Mit dem neuen Album haben sie sich sieben Jahre Zeit gelassen, aber diese Fragen beantworten wird es auch nicht. Zwar gibt es mit „Ich fick dich durch die ganze Wohnung“ oder „Das Lied vom Kot“ Songs, wie sie die Fans vermutlich erwarten. Dass die Wattenscheider aber auch ganz anders können, zeigt sich z. B. in den vielen Verweisen auf den Schlager der 20er Jahre, zu hören z. B. im „Zitronenhai“, dem Georg Kreisler-Cover „Was für ein Ticker ist ein Politiker“ oder „Nieder mit der Arbeit“, ein Punk-Cover eines Stücks aus den 20ern. Auch Songs wie „No Future, das war gestern“ und „Ich war ein Spinner“ haben witzige, gesellschaftskritische und z. T. auch durchaus subtile Texte. Und dann gibt es auch noch ein paar Songs, die einfach nur blöd, zugegebenermaßen aber doch ganz witzig sind, wie der „Drillinstructor-Song“, oder die „Wirtshausschlägerei“, ein Cover des Rolf Zuckowski-Klassikers „In der Weihnachtsbäckerei“. Musikalisch geben sich die KASSIERER so vielfältig wie nie, so werden z. B. auch Off-Beat, elektronische Sounds und ein Zither-Orchester verwurstet. Das Problem des Albums ist aber, dass sich die KASSIERER offenbar nicht so recht für eine Marschrichtung entscheiden konnten. Zum Teil wird hier denjenigen Fans Stoff geboten, die auf die üblichen Fäkal-, Bums- und Sauf-Texte stehen, zum Teil werden aber auch eindeutig satirische und wirklich geistreiche Stücke zum Besten gegeben. So ganz glücklich wird mit „Physik“ also wohl niemand werden.
Warum NEUROSIS gerade jetzt ein Live-Album herausbringen, ist mir nicht so wirklich klar. Schließlich haben die Kalifornier schon seit drei Jahren kein Studioalbum mehr veröffentlich. Und warum haben sie dafür ein Konzert von 2007 ausgewählt und keines neueren Datums? Wahrscheinlich dient der Release vor allem zur Überbrückung, bis die nächsten Studioaufnahmen im Kasten sind, und das Konzert hat sich wohl deshalb angeboten, weil es auf dem Roadburn-Festival in Holland aufgenommen wurde, das zwar erst seit 1999 existiert, mit seinem Programm zwischen Stoner, Sludge, Progressive, Doom und Psychedelic aber schon jetzt einen legendären Ruf genießt. Warum auch immer diese Scheibe entstanden ist – sie hat auf jeden Fall ihre Berechtigung. Hier wird ein NEUROSIS-Konzert authentisch und mit all seinen Facetten wiedergegeben, von den ruhigen, fließenden über die schleppend psychedelischen bis hin zu den harten und lärmigen Passagen. Der Sound ist ziemlich ungeschönt, dadurch stellenweise auch etwas undifferenziert und weniger mächtig als auf den Studioalben, dafür kommt die intensive Live-Atmosphäre aber wirklich gut und eindrücklich rüber. Der Grossteil der Songs stammt von den letzten beiden Alben „Given To The Rising“ und „The Eye Of Every Storm“, aber es gibt auch weiter zurückliegendes Material zu hören, wie „The Doorway“ von „Times Of Grace“ (1999) oder „Crawl Back In“ von „A Sun That Never Sets“ (2001). Fans sollten die Scheibe sowieso ihr Eigen nennen, aber auch Einsteigern sei sie empfohlen, denn sie bietet einen guten Überblick über das Schaffen der Band.
Tracklist:
Given To The Rising
Burn
A Season In The Sky
At The End Of The Road
Crawl Back In
Distill
Water Is Not Enough
Left To Wander
The Doorway
Ich dachte eigentlich, die Zeit der instrumentalen Gitarristen-Alben sei schon lange vorbei. Umso erstaunter war ich, als ich feststellte, dass das neue Solo-Album des griechischen Gitarren-Wunderkindes Konstantinos Kotzamanis alias CONSTANTINE tatsächlich ausschliesslich rein instrumentale Musik enthält. Hauptberuflich Lead-Gitarrist bei den deutsch-griechischen Power-Metallern MYSTIC PROPHECY, darf er sich hier neun Songs lang nach Lust und Laune an seinem Instrument austoben. So wird hier in bester Satriani/Vai-Manier durchgehend gegniedelt und gedudelt, was das Zeug hält, Hookline reiht sich an Hookline, Solo an Solo. Stilistisch bewegt sich das Album dabei zwischen melodischem und Power Metal, wobei auch immer mal wieder progressive Elemente eingesetzt werden. Klar, was der Typ technisch drauf hat, ist sicher über jeden Zweifel erhaben. Echtes Feeling fehlt aber völlig, und dazu wird die Musik mangels „echter“ Songs ziemlich schnell eintönig. Im Prinzip ist „Shredcore“ vor allem eine 36-minütige Fingerübung, die für Metal-Gitarristen bestimmt ganz spannend sein könnte, zum bloßen Anhören aber totlangweilig ist.
Der vierte Teil der Sampler-Reihe des Düsseldorfer Punk-Labels Teenage Rebel Records ist schon 2007 erschienen. Warum er hier trotzdem noch besprochen wird? Zum einen, weil Teenage Rebel mit dem eben erschienenen LOKALMATADORE-Album und dem für Herbst angekündigten KASSIERER-Album derzeit wieder zwei heiße Eisen im Feuer hat, und zum anderen ganz einfach, weil einem hier für wenig Geld eine volle Ladung authentischer Deutsch-Punk geboten wird. Zum Schnäppchenpreis sind hier ganze 31 Songs zu hören, die das Treiben des Labels dokumentieren, dazu gibt es noch ein 36-seitiges Booklet. Mit dabei sind natürlich die üblichen verdächtigen Ruhrpott-Asi-Kapellen, wie die beiden oben genannten oder auch EISENPIMMEL. Daneben sind aber auch einige Punk-Klassiker vertreten wie RAZZIA, B.TRUG, die HERBÄRDS oder HAMMERHEAD. Auch die BROILERS haben ein älteres Stück beigesteuert, und als Abschluss gibt es noch einen folkigen und völlig unpunkigen Song von T.V. Smith zu hören. Besonders die alten Aufnahmen aus den 80ern sind soundtechnisch zwar unter aller Sau, aber so war das damals eben. Deutsch-Punk-Fans sollten hier unbedingt zuschlagen.
Gerade erst zu Ostern haben die LOKALMATADORE aus Mülheim an der Ruhr mit „Punk Weihnacht“ ein Live-Album inklusive drei neuer (Weihnachts-)Songs veröffentlicht, jetzt wird auch schon ein neues Album nachgeschoben. Na ja, „schon“ trifft es nicht wirklich, immerhin ist „Söhne Mülheims“ das erste Studioalbum seit dem Jahr 2000 und seit der Band-Gründung vor 28 Jahren überhaupt erst das fünfte. Verändert hat sich bei den LOKALMATOREN natürlich überhaupt nichts, sondern sie machen direkt da weiter, wo sie mit „Männer Rock´n´Roll“ aufgehört haben. So werden hier 16 rumpelige Deutsch-Punk-Gassenhauer zum Besten gegeben, allesamt bestens geeignet zum besoffen Mitgrölen und größtenteils versehen mit den üblichen prolligen Sauf-, Kot- und Pimmeltexten. Diese sind zum Teil sogar noch ganz witzig, zum Teil wird’s aber auch einfach eklig. Ein gehöriger Alkoholpegel gehört schon dazu, nüchtern ist das nicht zu ertragen. Einige kleine musikalische Überraschungen gibt es dennoch: Neben auf Deutsch umgetexteten Covers von den BUZZCOCKS und PETER AND THE TEST TUBE BABIES gibt es mit „Surfin´ Tolstoi“ ein Surf-Instrumental zu hören, und bei „Ein Abend im Posthorn“ wird die Slide-Gitarre ausgepackt. Mit dem „Steigerlied“ wird dann auch noch den Bergarbeitern gehuldigt, und lokale Fußball-Fans werden sich über „V. f. B. Speldorf ist der geilste Club der Welt!“ freuen. Zum Abschluss wird beim „komischen Analphabeten“ noch das Alphabet gerülpst. Die Fans werden das Album sicher großartig finden. Wer aber mit den LOKALMATADOREN bislang nichts anfangen konnte, wird auch mit „Söhne Mülheims“ nicht bekehrt werden.