WE ARE THE OCEAN haben kurz vor den Aufnahmen zu „Maybe Today, Maybe Tomorrow“ ihren etatmäßigen Sänger Dan gefeuert, der den danach angebotenen Posten als Bandmanager nicht annahm. Auf dem neuen Album singt also Gitarrist Liam, einen neuen Sänger wollten die Briten scheinbar nicht so kurz vor den Aufnahmen dazuholen. Das Ergebnis ist durchwachsen. War der Vorgänger eine Gute-Laune-Platte irgendwo in der Schnittmenge von Hardcore und Pop, ist „Maybe Today, Maybe Tomorrow“ viel stärker in Richtung Rock unterwegs, was stark an der Fokussierung auf Liams klare Stimme und den Radio-tauglichen Songaufbau liegt. Natürlich geht die Chose gut in’s Ohr, so viel Songwriting-Vermögen muss WE ARE THE OCEAN zugestanden werden, aber so knackig wie beim Vorgänger ist das Ergebnis nicht. Handwerklich ist auch nach der Reduzierung auf vier Musiker alles im grünen Bereich, gerade da Liam einen guten Job macht und, wenn auch in anderer Stimmlage, den geschassten Sänger gut ersetzt. Aber waren WE ARE THE OCEAN bislang für EVERGREEN TERRACE- und RISE AGAINST-Fans zu empfehlen, schielen sie mit „Maybe Today, Maybe Tomorrow“ auf die zahlenmäßig größeren Anhängerschaften von NICKELBACK – na gut, und dem letzten RISE AGAINST-Album. Alles völlig im Rahmen, da das Ergebnis in Form poppiger Songs gut geschrieben ist, aber der Vorgänger wusste ob seiner dezent härteren Aurichtung etwas besser zu gefallen.
Adrie Kloosterwaard hat das gleiche Problem wie DEW-SCENTED-Cheffe Leif: ihm hauen dauernd die Musiker ab. So gab es vor den Aufnahmen zu „The Carnage Ending“ mal wieder ein komplett neues Line-Up, wobei die aktuelle Besetzung ja kaum eine langweiligere Platte als „Legacy Of Ashes“ einspielen kann. Und höre da, nach dem Intro startet der Longplayer richtig gut mit einem stark nach US-Death klingenden „Unheavenly Domain“. Schön mit fettem Groove und einem sehr gut klingenden Bandchef am Mikro. Geht da noch was, kommen SINISTER vielleicht sogar aus der zweiten Reihe raus? Jo, zumindest wenn Songs wie das knackige und technisch anspruchsvolle „Regarding The Imagery“ herangezogen werden, auf dem SINISTER alle Register ziehen. Auf einem ähnlich hohem Niveau bewegt sich das ganze Album, was so nach dem Vorgänger nicht zu erwarten war – da hat die neue Mannschaft die Songs gut umgesetzt und vielleicht ja sogar beim Songwriting frischen Wind reingebracht. In der aktuellen Besetzung kann Adrie Kloosterwaard mit seiner Lebensaufgabe SINISTER nicht viel falsch machen, „The Carnage Ending“ ist dafür ein gutes Indiz – und ein starkes Death Metal-Album. Chapeau!
Nach ihrer äußerst gelungen EP "Speed Machine" legen die Bajuwaren von SPEEDBOTTLES nun einen Longplayer vor. Um zu zeigen - das sie es auch über zwanzig Minuten schaffen kurzweilig und unterhaltsam zu rocken. Und ?? Yep - SPEEDBOTTLES bekommen das Ding gebacken. Die fünf Jungs starten mit ihrem rotzigen Rock ´n´ Roll spielfreudig aus den Boxen und halten auch auf Länge das Wasser am dampfen. Die Zwölf Nummern die irgendwo zwischen alten AC/DC und MOTÖRHEAD liegen, schmeißen sich vor einen in den Dreck, das man nach dem Hören ein Bad in Kernseife braucht. Geschwindigkeit und Rhythmik wechseln sich ab - sicher die Refrains werden meist im Chor gegrölt, dennoch fühle ich mich auch auf Dauer nicht gelangweilt.
Soundmäßig ist das Ding für eine Eigenproduktion okay, dennoch mit Platz nach oben. "Downstroke Demons" ist ein häßliches, schmutziges Scheibchen mit Eiern, Selbstbewußtsein und jeder Menge Rock`n´Roll - Bravo !!
XIBALBA haben mit Dan Seagrave den großen Namen des Death Metal verpflichtet, wenn es um Covergestaltung geht, immerhin hat der gute Mann neben „Haste La Muerte“ Werke von SUFFOCATION, MORBID ANGEL, DISMEMBER und ENTOMBED veredelt. So ist dann das Artwork der neuen Scheibe der Kalifornier ein echter Hingucker und ein Hinweis, dass sich die Band nicht allein im Hardcore verortet. Hardcore-Attitüde haben die jungs sicher im Blut, daneben kommt aber auch die Vorliebe für druckvollen Death Metal der US-Schule zum Vorschein, gerade OBITUARY klingen immer wieder durch. Auch dem Sludge und Doom stehen XIBALBA offen gegenüber, was „Hasta La Muerte“ zu einer extrem bösartigen Platte werden lässt, die dem Hörer immer wieder die Faust in’s Gesicht donnert. Wenn dann noch ein SUNNO)))-Mitglied bei einigen Songs Gitarrensachen beisteuert (z.B. bei „Cold“) kann es nur gut werden. Und höre da, ist es auch. „Hasta La Muerte“ ist bei aller Bösartigkeit abwechslungsreich genug, um nicht in Monotonie zu verfallen, wie „Senteced“ oder das nach vorne gehende „Stoneheart“ zeigen. „Hasta La Muerte“ ist eine Vollbedienung für alle Krachmaten, die auf bösen Sound stehen. Und gleichzeitig eine gelungenes Beispiel für musikalische Offenheit.
DOWNFALL OF GAIA gehören schon lange zu den renommiertesten Bands des deutschen DIY-Undergrounds, immerhin ist die Band nicht nur einer der Vorreiter bei der Melange aus Hardcore, Crust und Metal, sondern auch eine hart arbeitende Band, die den DIY-Gedanken lebt. Der Deal mit Metal Blade kam da für alle Beteiligte überraschend, mehr dazu sagt die Band aber im Interview. „Suffocating In The Swarm Of Cranes“ war zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichung schon fertig konzipiert, verbogen haben haben sich die Vier also nicht. Das Ergebnis einer intensiv-knackig Studiosession ist eine gut einstündige Achterbahnfahrt aus purer Aggression und ruhigen Momenten („I Fade Away“), verpackt in eine genau passend rohe Produktion. DOWNFALL OF GAIA haben sich beim Songwriting nur an das gehalten, was ihnen stimmig erschien, klassischen Songaufbau wird hier vergeblich gesucht, was ja für die Band und ähnlich gelagerte Kollegen (PLANKS, LIGHTBEARER…) typisch ist. So lassen sie vielen Songs Zeit zur Entfaltung und zum langsamen Aufbau der Welle, die dann über den Hörer hineinbricht („Vulnus“). Und wer Postrock und Blastbeats in einen Song packen kann, ohne dass es heterogen klingt, hat sowieso schon gewonnen, Beweis siehe „Giving Their Heir To The Masses“. DOWNFALL OF GAIA bleiben sich auch mit „Suffocating In The Swarm Of Cranes“ true und liefern erneut erstklassige Arbeit ab. Ein Album, das Authentizität, Hingabe und Leidenschaft versprüht. Grandios!
Livealben sind eine Sache für sich – für den Fan mangels Bonussongs nicht immer interessant, für Neueinsteiger als quasi-Compilation hingegen eine nette Sache. Anders sieht es bei Akustik-Livealben aus – hier freuen sich Fans über ungewohnte Variationen ihrer Lieblingssongs, während für Neueinsteiger der Nutzen ob des veränderten Sounds weniger hoch ist. POLAR BEAR CLUB haben mit „Live At The Montage Theater” ein solches Akustik-Livealbum eingespielt. Das zeigt Band und Publikum in entspannter, harmonischer Atmosphäre, es wird gelacht, gescherzt und viel gemenschelt. Gesungen wird auch, sieben POLAR BEAR CLUB-Songs plus Coversongs von SAVES THE DAY und THE WEAKERTHANS, die sich gut in den Set einfügen. Höhepunkt der auf der Scheibe vertretenen Songs ist zweifellos „At Your Funeral“, bei dem der ganze Laden mitsingt, und natürlich „Living Saints“, das als dritter Song der Setlist das Eis bricht. „Live At The Montage Theater” ist so ein für Fans interessantes Livealbum, zeigt es die Band doch von einer anderen, ruhigeren Seite und mit einer gelungenen Songauswahl. Hätte nur drei bis fünf Songs mehr haben können...
Die Chaostruppe MELVINS ist mal wieder am Start und öffnet dem Hörer das Tor in eine wohlig kakophonische, anarchische und immer bezaubernde Vorhölle. Ihr neuestes Schaffenswerk „Freak Puke“ benötigte erstmal einen neuen Zusatz am Namen: THE MELVINS LITE. Wahrscheinlich um der Tatsache gerecht zu werden, dass Basser Jared Warden durch Trevor Dunn von FANTOMAS ausgewechselt wurde und Zweit-Drummer Coady Willis gleich ganz beurlaubt wurde. Die Verbindung zu FANTOMAS ist ja hinlänglich bekannt. „Freak Puke“ ist eine Free-Jazz-Hippie-Doom-Mix-Platte. Standbass, Besen am Schlagzeug, hin und wieder Geigen und andere eher klassische Instrumente werden aufgefahren. MELVINS sind einfach Kunstschaffende, frei von allen Konventionen. „Freak Puke“ besticht vor allem durch einen wohligen Wechsel von extrem schrägen Free-Jazz-Einlagen und den langsam dahin plätschernenden erdigen Rocknummern. MELVINS-Jünger werden auch hier ihre Freude finden, alle anderen sollten, wie bei allen Platten der Band, erstmal reinhören, ob die vier Herren zur Zeit des jeweiligen Albums auch auf derselben Welle geschwommen sind, wie man selbst. In ihren gefühlten hundert veröffentlichen Platten, wird man auf alle Fälle irgendwo fündig.
VIRTUE CONCEPT legen mit „Sources“ gerade mal ein Jahr nach Bandgründung ihr Debütalbum vor. Das kann klappen, muss aber nicht. Der erste Durchlauf lässt schon mal einen positiven Eindruck zurück, die Bayern wissen hörbar, wie moderner Metalcore klingen muss und haben den Songs eine solide Produktion gegeben. Dazu noch Gäste von DEADLOCK und MISERY SIGNALS und ein schickes Artwork, das lässt hoffen. Im Großen und Ganzen ist das Ergebnis dann auch in Ordnung, ganz besonders angesichts des Alters der Band. Skandinavien wird gehuldigt, der Gesang klingt in guten Momenten nach PARKWAY DRIVE und beim Songwriting wird die Balance zwischen hart und melodisch gehalten- Stellenweise klingt das Ganze noch sehr bemüht, da hakt es bei den Ideen an der Gitarre und könnte der Gesang noch kraftvoller sein („Grey Days“), während Sachen wie das zwischen knackig nach vorne gehend und verspielt agierende „Awake“ zeigen, dass in dieser Band ordentlich Potential steckt. Das thrashige „The Law Of The Jungle“ ist ebenfalls ein gelungener Song, mit dem VIRTUE CONCEPT Live ordentlich abräumen werden. Für ein erstes Lebenszeichen vollkommen ok, was die Bayern hier in Form von „Sources“ abgeliefert haben. Wenn sie beim Folgewerk offen für neue Ideen sind und ihren Sound variieren, kann das was werden – falls nicht, bleibt immerhin eine weitere solide Metalcorekapelle, die Live Spaß machen wird.
Integrität, Credibility, DIY sind Begriffe, die im Punk/ HC-Kontext hochgehalten werden; schnell ist der Ruf nach Ausverkauf und Verrat der Ideale da. Wenn eine Band wie VERSE nach relativ kurzer Zeit ihre Rückkehr verkündet und die Comeback/ Reunion-Platte mit einer Tour promotet, wird gleich wieder gewettert. Aber ehrlich, reich werden VERSE mit dem Scheiß nicht. Zwar wird für sie sicher mehr bei rumkommen als mit Burgerbraterjobs und Aushilfsgeschichten, aber auch dann sind sie immer noch weit weg von MTV „Crips“. Wie dem auch sei, jeder wird seine eigene Meinung zu VERSE und der neuen Scheibe haben. „Bitter Clarity, Uncommon Grace” hat es aber verdient, davon unabhängig betrachtet zu werden.
Der Einstieg mit „The Selfish Of The Earth“ und „The Selfless Of The Earth” als thematisch verbundene Songs ist gelungen, VERSE können auch 2011/ 2012 noch komplexe Songs schrieben, die zwischen Hardcore und Singer/ Songwriter pendeln (was bei „The End Of All Light” spatter noch deutlicher wird). Wütend können sie auch sein, wie „The Silver Spoon And The Empty Plate” beweist, das knackig startet, um dann in VERSE-typische Songwriter-Gefilde zu münden. Überhaupt ist die Scheibe stark an die von LA DISPUTE und DEFATER geprägte Verschmelzung von Hardcore und dem Geschichtenerzählen der US-Folk-Bewegung orientiert, was für VERSE aber ja nichts neues ist, hier beißt sich die Schlange quasi in den Schwanz. Die Richtung steht also, mit dem Ergebnis wissen VERSE auch zu überzeugen – wer die bisherigen Werke der Band mochte, wird auch „Bitter Clarity, Uncommon Grace”. Die Songs sind komplex und emotional, ohne die catchyness vermissen zu lassen, die viele Bridge9-Bands auszeichnet. Zwar hätte die Produktion etwas druckvoller sein können, so ist die Platte etwas roher ausgefallen. VERSE ist ein mit „Bitter Clarity, Uncommon Grace” ein schickes Album gelungen, mit dem sie noch nicht ganz an ihre Glanztaten vergangener Jahre anknüpfen können, das aber trotzdem auf hohem Niveau agiert und mit dem VERSE auf Augenhöhe mit der Konkurrenz agieren können.
ALL HAIL THE YETI wären auf ihrem Labeldebüt gerne eine Band, die den Erfolg von RED FANG und DOWN hätten. Fette Gitarren treffen auf schleppendes Tempo und stützen Songs, die sich wild bei allen Spielarten des Metals bedienen und dann noch etwas Southern Rock und bluesige Anleihen („Ruby Bridge“) draufpacken. Das kann funktionieren, ein Haufen New Orleans-Bands macht das ja schon seit langem vor, ebenso viele Bands der zweiten Generation. Aber im Falle von ALL HAIL THE YETI kommt trotz guter Produktion und eines Sänger in Gestalt von Connor Garrity, der eine kraftvolle und variable Stimme hat und die geschickt einzusetzen versteht. Leider hapert es beim Songwriting, das über weite Strecken nicht mehr als den ewig gleichen Grundbeat und sich frappierend ähnelnde Riffs zustande gebracht hat – Samples wie nach „The Weak And The Wounded“ oder die Naturgeräuscheaufnahmen, die den Albumabschluss „Judas Cradle“ unnötig in die Länge ziehen sind da auch nicht mehr als eine nette Idee, da sie oft fehl am Platz wirken. „All Hail The Yeti“ ist eine gefällig rockende Platte, deren Songs für sich genommen ganz nett sind und zum Kopfnicken einladen, aber am Stück gehört schnell zu langweilen beginnen. Es wird für die schwer tätowierte Band darauf ankommen, wie sie sich Live schlagen und was sie aus ihrem Zweitwerk machen, mit „All Hail The Yeti“ ist ihnen ein höchstens solider Einstand gelungen.