Denkt man an Brasilien, fallen dem Normalbürger spontan der Karneval in Rio, fußballspielende Nutten oder "Tanze Samba Mit Mir" ein; der Metaller hat sofort und ausschließlich frühe SEPULTURA oder genau so frühe SARCÓFAGO im Sinn, die bis heute die wohl wichtigste kulturelle Front des südamerikanischen Sonnenstaates bilden. Zu einer Zeit, als diese beiden Vorreiter ihr kreatives Pulver bereits verschossen hatten (1996 - nach "Roots" kam ja nix Essentielles mehr, bei den anderen war es noch früher), traten NERVOCHAOS auf die Bühne und lieferten bis heute sechs Alben ab, denen sich mit "Nyctophilia" nun Langspieler Nummer Sieben anschließt. Aber statt räudigem Thrash hat sich das Quartett um Schlagwerker und Gründungsmitglied Eduardo Lane sehr groovigem, dabei jedoch ansprechend melodischem Death Metal verschrieben, der wenig technisch, dafür sehr eingängig daherkommt und stellenweise an frühe (spät machen einfach viele Bands nix Dolles mehr!) SIX FEET UNDER oder mitunter sogar an frühe (ich weiß, ich weiß...) DEBAUCHERY erinnert, als sie noch kein Comedy-Act waren. Nach dem ersten Hören kommt "Nyctophilia" sogar reichlich unspektakulär daher, aber spätestens nach dem dritten Durchlauf kristallisieren sich ein paar Treffer wie "Ritualistic", "Ad Majorem Satanae Gloriam", "The Midnight Hunter", "Rites Of The 13 Cemeteries", "Vampiric Cannibal Goddess" oder "World Aborted" heraus, die zwar alle etwas unter einer dumpfen, sterilen Produktion leiden, Fans von kurzweiligem Old-School-Todesstahl aber bedenkenlos gefallen könnten. Zieht man hinzu, dass NERVOCHAOS "Nyctophilia" mit einem fast komplett grundrenovierten Line-Up eingespielt haben, dann stellt das Album einen echten Achtungserfolg dar, bei dem ich mir vorstellen kann, dass die Songs vor Allem live richtig gut knallen. Weiter so!
Diese Rezension fällt mal wieder unter die Rubrik "Blick über den Tellerrand". Aber vielleicht kennt ja mancher Hard Rock-Fan OTIS TAYLOR, war der Gute doch 2008 mit dem seligen GARY MOORE auf Deutschland-Tour. Aber natürlich hat der 68jährige Musiker nichts mit hartem Rock am Hut. Blues, ursprünglich mit leichtem Country-Beigeschmack ist des amerikanischen Künstlers Musik. Oft spärlich instrumentiert, schafft OTIS TAYLOR es wie kaum ein anderer Blues-Musiker, entspannte, relaxte oder eben tief aufwühlende, leidenschaftliche Gefühle, in seinen Zuhörern zu wecken. Gitarre, Banjo, Blasinstrumente, zusammen oder einzeln, aber niemals als lautes Getöse, allein für sich "tanzen" diese Instrumente ihre ganz eigene "Bedeutung".
OTIS TAYLORs neues Album "Fantasizing About Being Black" führt als Thema das Trauma der afroamerikanischen Geschichte mit sich. Es erzählt von Sklaven, Ungerechtigkeit, Angst, Rassismus und Entmenschlichung. Wie gehabt eindringlich, in seiner rythmischen, manchmal stoischen, zuweilen düster beschwörenden, mal folkisch beschwingten Art. Spuren von Jazz, Americana und Blues mischen sich wie die entführten Sklaven unter die Bevölkerung zu einem neuen Ganzen. "Fantasizing About Being Black" ist ganz großen Kino: berührend, mal hell, mal dunkel - und nicht weniger als eine überragende Platte.
Aus Hamburg kommt die Band BLACKDRAFT, die mit dem Album "Recipe Of Pain" debütieren. Im Angebot haben die Nordlichter eine Melange aus Metal, Hard Rock und eine Prise Gothic. Die Gitarren haben einige interessante Soli im Gepäck, dürfen ganz ordentlich braten, und auch manche Melodie der 12 Nummern zeigt durchaus Potenzial. Das Manko ist das Stimmchen von Julia D. Wallenius, dem Durchschlagkraft und "Metalpeal" fehlen. Das versucht man mit growlartigem Backround-Gesang zu maskieren, doch der Schuss geht nach hinten los, denn es wirkt eher deplatziert und inszeniert böse als gelungen. Es gibt Momente, in denen Julia mehr Leidenschaft in die Stimmbänder legt, wo ihr Gesang plötzlich zu funktionieren scheint, nur leider passiert das (noch) viel zuwenig. Die abschließende ABBA-Nummer "Gimme Gimme Gimme" macht Spaß und verdient allein schon ob der Idee Szenen-Applaus. Letztendlich vergessen wir nicht, das ist ein Debüt, somit könnte ich mir vorstellen, dass eine amtliche Produktion hier weit mehr aus der sympathischen Band rausgeholt hätte.
Mit „II“ legt das Quintett aus Oslo mit dem schönen Bandnamen sein – klar – zweites Album vor. Im Gegensatz zum knappen Albumtitel sind die sechs Stücke darauf mit Spielzeiten zwischen fünf und elf Minuten ziemlich lang geraten, was daran liegt dass die Norweger sich viel Zeit nehmen, um ihre Songs aufzubauen und diese auch gerne mal in längeren Instrumentalpassagen ausufern lassen. Der Bandname dagegen hält, was er verspricht: Der Blues ist allgegenwärtig und manifestiert sich in Delta Blues, Stoner, Doom und Psychedelic Rock, die Stimmung ist durchgehend düster. Es gibt drückende Gitarren-Riffs zu hören, treibende wie auch komplett ruhige Passagen und diverse Jam-Parts, meistens alles innerhalb eines Songs. Dabei schälen sich auch immer wieder tolle Melodien heraus, die sich unweigerlich im Gehörgang festsetzen. Richtig ruhig wird es im höchst atmosphärischen „When The Light Dies“, bei dem man direkt eine hereinbrechende Wüstennacht vor dem inneren Auge hat. Der Sound ist angenehm organisch und klingt so, wie das Album eingespielt wurde, nämlich live.
Abzug gibt es allerdings für den Gesang: Arnt O. Andersen schreit sich stellenweise ganz schön einen zurecht, ohne dass er jedoch allzu viel Druck in der Stimme hat, und besonders in den oberen Lagen wird es bei ihm schnell dünn. Das schmälert den Genuss insgesamt etwas, wird aber zumindest teilweise immer wieder durch die tollen Instrumentalpassagen wettgemacht. Trotz dieses kleinen Mankos ist „II“ ein intensives und facettenreiches Album geworden, das Anhängern von psychedelischem Blues- und Stoner-Rock bedenkenlos zu empfehlen ist.