Um es mal wie in der guten alten "Was bin ich?"-Sendung anzufangen: Sind ENSLAVED Black Metal? Antwort: "Jein, ich würde sagen, im weitesten Sinne ja." ENSLAVED sind vielleicht die Blue Öyster Cult der Schwarzwurzel-Szene: Die Norweger verquicken Härte und Kälte ihres Ursprungs mit fast schon progressiven Parts und balladesken Anleihen, mit Keyboard und Klavier. BM-Brutalität äußert sich vor allem in der grätzigen Kreisch-Stimme Grutles (aber auch clean singt), und auch in den aggressiven Teilen der Songs, die nicht ohne das typische hoch-hektische Riffing auskommen. Stumpf-Knüppel-High-Speed-Attacken sucht Hörer aber vergebends. Ein Titel wie "Ascension" dürfte den Normalo-Schwarz-Mörteler überfordern - zumindesr aber einfach nerven, denn hier wimmelt es vor Breaks, vor progigger Key-Unterfütterung - vor vielem, was in den "wahren" BM nun mal nicht hinein gehört. ENSLAVED aber bekommen die Kurve, bevor sie sich in allzu seichten Gefilden nasse Füsse holen. Sie haben es fertig gebracht, himmlische Melodien, kalte Wut und verzwickte Ideen zu einer unglaublichen CD zu verquicken. Heraus gekommen sind große Songs wie das ausführliche und trreibende "Lunar Force" (mehr als sieben Minuten lang) oder das gigantische "Neogenesis" (knapp zwölf Minuten lang) - oder der Rest. So kann Black Metal heutzutage auch klingen, ob er es muss, sei mal dahingestellt. In jedem Fall haben ENSLAVED eine der Referenzscheiben des anspruchsvollen BM gemacht - was auch ohne die Mitwirkung von Abbath und Nocturno Culto geklappt hätte. Wahrscheinlich eben nix für Traditionalisten, aber vielleicht genau deshalb schlichtweg unglaublich - das hätte sogar Robert Lembke gewusst.
Mit wie vielen Prog - Projekten wurden wir in den letzten Jahren zugeschüttet und wie viele davon sind uns wirklich in Erinnerung geblieben??? Mal ehrlich: zu viele Künstler dieses Genres beschränken sich auf ein paar frickelige Songs, zu denen dann Gastsänger antreten und ein paar Zeilen singen dürfen, wobei der Werbeeffekt zumeist größer ist als die Ausgereiftheit der Umsetzung. Zu den wenigen Leuten, die es schaffen, genau dieses zu vermeiden, gehören unter Anderem etwa Arjen Lucassen oder Henning Pauly. Letzterer ist nicht nur studierter Musiker, sondern auch Hauptsongwriter, Gitarrist, Keyboarder, etc. von CHAIN und bereits durch Projekte wie FRAMESHIFT (feat. James LaBrie) oder sein Solo - Werk "13 Days" bekannt. Auf dem zweiten CHAIN - Album "Chain.Exe" sind nicht nur die eigentlichen Bandmitglieder zu hören, sondern auch diverse Gastmusiker wie Michael Sadler (SAGA), Mike Keneally (u.A. STEVE VAI, FRANK ZAPPA) oder TSO - Star Jody Ashworth. Soviel zu den Fakten, aber was hebt "Chain.exe" nun von den oben genannten, anderen Prog - Platten ab? Ganz einfach: das Teil ist einfach nur fantastisch! In knapp 80 Minuten baut die Band ein hochverdichtetes, musikalisch brillantes Spannungsfeld auf, das sogar die letzten DREAM THEATER - Alben blass aussehen lässt. Dabei reicht die Spannweite von relaxtem Artrock über moderne Parts bis hin zu recht harten Passagen mit symphonischen Elementen. Den Auftakt dabei markiert das überragende, 38 - minütige(!) und in sieben Abschnitte aufgeteilte "Cities", das über sämtliche Progressive - Facetten inklusive Gänsehautmelodien, Satzgesang und abgefahrene instrumentale Achterbahnfahrten verfügt. Allein dieser Song steckt voller so vieler Details, das deren Beschreibung hier den Rahmen sprengen würde (achtet mal auf die immer wiederkehrenden Melodien… geil!!!). "She Looks Like You" entspannt den Hörer nach diesem Gewitter mit einer kurzen, smoothen Ballade, bevor "Eama Hut" Gehörknobeleien vom Allerfeinsten serviert (Bombast und recht harter Gesang treffen auf einen vertrackten Songaufbau plus superben Refrain - klasse!). Der von einem Choral begleitete Stampfer "Never Leave The Past Behind" fährt partiell verzerrten Gesang auf und haut jeden Proggie mit seinen unglaublichen Spannungsaufbauten komplett aus den Latschen, einfach nur genial! Das SAGA - Cover "Hot To Cold" entpuppt sich als verspielt umgesetzte Hymne, für die sich Michael Sadler nicht umsonst gerne zur Verfügung gestellt hat. "Last Chance To See" markiert dann den ruhigen, würdigen Abschluss eines absoluten Superalbums, dessen Vielseitigkeit selbst für den Progressive - Bereich nicht alltäglich ist. Für Genre - Fans ist "Chain.exe" demnach ein Pflichtkauf und gehört für mich zu den herausragendsten Werken der letzten Jahre. Ein Album voller musikalischer Oberklasse und tiefgreifender Emotionen und darum auch so wertvoll. Der totale Hammer!!!
DEREK SHERINIAN, seines Zeichens Keyboarder (Dream Theater, Platypus, Planet X) mit langjähriger Liveerfahrung (unter anderem auch schon mit Kiss und Alice Cooper unterwegs) legt nun seinen dritten Solostreich namens "Mythology" vor. Geboten wird hochwertige Instrumentalkost von Metal über Progrock bis hin zu rockenden Jazzpassagen und semiakustischen Parts, bei welchen Mr. Sherinian nicht penetrant sein Keyboard in den Vordergrund stellt, sondern seinen Kompositionen eine abwechslungsreiche Instrumentalisierung verpasst. Über weite Strecken ähnelt "Mythology" nämlich eher dem Soloalbum eines Gitarristen. Schon der ultrastarke, achtminütige Opener "Day Of The Dead" bietet zum Beispiel genügend Spielraum für die ausgezeichnet eingebundenen Gitarristen Zakk Wylde (Ozzy Osbourne, Black Label Society), Steve Lukather (Toto) und Allan Holdsworth (UK) - harte Metalriffs treffen meisterhaftes Gitarren- und Keyboardspiel - großes Kino. Das nachfolgende "Alpha Burst" ist nicht so spektakulär (dafür sehr eingängig) und erinnert an eine Joe Satriani-Nummer (hier darf sich Steve Stevens verkünsteln). Besser wird es dann wieder mit dem metallischen "God Of War". Zakk Wylde legt hier einen harten rhythmischen Teppich aus, auf dem John Sykes (Blue Murder, Thin Lizzy) gekonnt seine Soli ausbreitet. Anders, aber echt gelungen dann "Goin To Church". Die spanisch angehauchte Flamenconummer besticht vor allem durch das virtuose Spiel des ehemalige Billy Idol Gitarrero Steve Stevens. Nach einer wieder eher uninspirierenden Nummer - "El Flamingo Suave" ist zwar total melodisch, klingt aber wie oft gehört - kommt mit "Trojan Horse" ein echtes Highlight. Nach versöhnlichem Beginn kommt es zu einem regelrechten Zweikampf zwischen der Violine von Jerry Goodman (Mahavishnu Orchestra) und DEREK SHERINIAN - klasse. Bei "One Way To The Other" ist dann headbanging time angesagt, "A View From The Sky” ist der ruhige Moment des Albums (Solo Steve Stevens) und "The River Song” erinnert vom Tempo wie vom Gesang (Zakk Wylde) ein wenig an das letzte Black Label Society Output. Ach ja, auch die Stammbesatzung auf DEREK SHERINIAN Nummer drei lässt sich sehen, als da wären Tony Franklin am Bass sowie die beiden Toto-Jungs Steve Lukather/Gitarre und Simon Phillips/Schlagzeug welche ein solides, jederzeit hochklassiges Fundament für die Eskapaden von Sherinian und seinen Gastmusikern legen. Für Instrumentalfreaks hat die vorweihnachtliche Zeit ja einiges zu bieten - unter anderem halt auch DEREK SHERINIAN und sein hochkarätiges Orchester. Ottonormalhörer wird das eher kalt lassen - neben genannten Freunden instrumentaler Klänge sollten vor allem Musiker mal die Lauscher aufmachen.
Eines muss man den Releases von Wöllis Label Goldene Zeiten lassen: Allesamt sind wirklich gute Produktionen, klar und transparent, aber fett in den Gitarren und den Drums. So auch im Falle des Debüts von STIGMA, über das es aber ansonsten nicht viel Positives zu berichten gibt. Aber fangen wir vorne an: angesiedelt zwischen Alternative Pop und New Rock wechseln sich ganz im Stile von NICKELBACK und Konsorten zugegebenermaßen sehr fett groovende Riffs und melodisch-ruhige Parts ab. Die Arrangements sind dabei fast durchgehend identisch: Rockiges Riff - ruhige, melodische Strophe - melodischer Refrain mit dicken Gitarren im Hintergrund. Das wird ziemlich schnell langweilig, da irgendwann alles gleich klingt und man die CD spätestens nach der Hälfte getrost zur Seite legen kann, da man eh schon alles gehört hat, was die Band zu bieten hat. Was zunächst aber äußerst positiv auffällt, ist die wirklich tolle Stimme von Sänger Marcus Modwozinski, die vor allem an den harten Stellen sehr druckvoll und dreckig rüberkommt. Problematisch sind allerdings die ruhigen Passagen, denn da verfällt er zu oft in einen nölig-schleimigen Singsang, der unangenehm an die SÖHNE MANNHEIMS erinnert. In diese Richtung tendieren z. T. leider auch die Texte: "Ich will meine Seele befreien" klingt einfach zu sehr nach Ober-Nervbacke Xavier Naidoo. Herrn Modwozinski ist es dann auch nicht zu blöd, in diversen Textzeilen 1000 mal gehörte Klischees wie "Ich hab´ geträumt von Dir" oder "Der Regen kommt, der Regen geht" zu intonieren. Dazu gehört schon jede Menge Mut. Ein weiteres Problem der CD ist aber, dass die eingangs erwähnte extrem gute Produktion in Überproduktion umschlägt, z. B. in der Ballade "Irrweg", die eigentlich sehr schöne Harmonien besitzt, mit einer schlichten akustischen Gitarre anstatt von Keyboard-Streichern und elektronischem Beat aber wesentlich eindrucksvoller wäre. Weniger wäre hier mehr gewesen. Den Tiefpunkt der Scheibe stellt aber "Gib nicht auf" dar: harmloser Kommerz-Radio-Pop, wie man ihn zur Zeit leider viel zu oft hört, einfallslos und platt. Wirklich gut ist eigentlich nur der letzte Track, "L.O.S.", der mit einem Stoner-Baller-Riff à la QUEENS OF THE STONE AGE alles wegbläst und nahezu ohne die üblichen Schnulz-Melodien auskommt. STIGMA sind sicherlich keine schlechte Band, aber es fehlen noch eine gehörige Portion Eigenständigkeit und Abwechslung.