„Let The Truth Speak“ wäre bei vielen Band das Highlight ihres Schaffens, bei den Amis von EARTHSIDE ist es „erst“ Album Nummer zwei (das bereits sehr gute Debüt „A Dream In Static“ erschien allerdings schon im Oktober 2015). Was Jamie van Dyck (Gitarren, Backing Vocals, Programmierung, Keyboards), Ben Shanbrom (Schlagzeug, Backing Vocals), Frank Sacramone (Keyboards, Synthesizer, Programmierung, Schlagzeug, Gitarre) und Ryan Griffin (Bass, Backing Vocals) dabei hier abliefern ist großes Kino, richtig großes Kino.
Die vier Instrumentalisten legen Wert auf größtmögliche Dynamik, schaffen es vertrackt und eingängig zugleich zu klingen, sind abwechslungsreich bis zum Anschlag – und trotzdem finden die meist überlangen Songs zusammen zu einem großen Ganzen. Obwohl der Fokus klar auf instrumentalen, modernen Prog liegt – wie der tolle, symphonisch untermalte Opener „But What If We're Wrong“ oder dass fast 12-minütige, nie langweilige „Watching The Earth Sink“ – geben die unterschiedlichen Gastsänger (siehe Tracklist unten) einzelnen Songs noch zusätzliche Facetten, ohne die instrumentale Intension zu stören. Prog, Post-Prog, Alternative? Whatever! Also was braucht der Progfan mehr? Zeit! Ja, man braucht einfach mehr Zeit um sich die Komplexität der Songs und die experimentellen Ausdrucksformen zu erschließen. Zeit die sich lohnt zu investieren – denn „Let The Truth Speak“ wächst mit jedem Durchlauf. Und diese Durchläufe sollte sich der einschlägig bewanderte Musiknerd auch gönnen. Denn was schrieb ich Anfangs über EARTHSIDE und ihr zweites Album: großes Kino, richtig großes Kino.
Kleiner Wermutstropfen zum Schluss – auf der mir vorliegenden Version der CD fehlt der 10 Song „All We Knew And Ever Loved“ mit LEPROUS-Drummer Baard Kolstad.
1.But What If We're Wrong (feat. Sandbox Percussion) 04:30
2.We Who Lament (feat. Keturah) 08:44
3.Tyranny (feat. Pritam Adhikary of Aarlon) 08:39
4.Pattern Of Rebirth (feat. AJ Channer of Fire From The Gods) 04:40
5.Watching The Earth Sink 11:46
6.The Lesser Evil (feat. Larry Braggs & Sam Gendel) 10:59
7.Denial's Aria (feat. Keturah, VikKe & Duo Scorpio) 05:26
Mit ihrem vierten Langspieler kommen die Schweizer COMANIAC um die Ecke. In der Szene konnten sie mit den Vorgängern völlig zu Recht viele positive Kritiken verbuchen und die Teaser zu "None For All" ließen die Vorfreude auf das neue Werk weiter steigen. Kann das Quintett die Vorschusslorbeeren rechtfertigen? Beginnen wir von vorne: der Opener "Eye To Eye" startet mit einem sehr feinen Akustikgitarren-Intro und schlägt dann in einen bärenstarken Thrasher um, der nicht nur in Sachen Gesang, sondern auch in den Riffs an die frühen BELIEVER erinnert. Die Grundstruktur des Songs ist ziemlich straight, die Ausführung allerdings technisch sehr anspruchsvoll. Das wird auch bei weiteren Tracks die Marschroute sein. Das folgende "Desolation Manifest" offenbart deutliche Einflüsse eher klassischen (Prog-)Metals und zeigt noch beeindruckender, was die Band drauf hat. Sehr schön, wie man aber nicht Kompliziertes um der Kompliziertheit Willen vorträgt, sondern immer songdienlich bleibt. Einen Pfad der Tugend, den manch herausragende Instrumentalisten leider hin und wieder verlassen. Nicht so die Aargauer, die stattdessen den erbarmungslosen Titeltrack nachschieben. Das Highlight des Albums. Ausgefeilte Rhythmik, brillante Riffs, feine Gitarrensoli, Intermezzo mit Akustikgitarre, das alles gepaart mit einem eingängigen Refrain. Große Kunst.
Ähnliche Qualitäten offenbaren danach auch die Abrissbirnen "Start The Madness" und "Breakdown Rite" sowie das proggige "Between The Stars". Das Einzige, was nicht so richtig zünden will sind die balladesken Momente. Handwerklich werden diese selbstverständlich ebenfalls exzellent ausgeführt, allerdings offenbart der Gesang Grenzen, die nicht so recht zum Niveau der instrumentalen Umgebung passen wollen. Dabei macht das abschließende "Self Sacrifice" noch eine deutlich bessere Figur als "Long Life Doll".
Alles in allem haben wir es hier jedoch mit einem der stärksten, abwechslungsreichsten und anspruchsvollsten Thrash Metal-Alben zu tun, die dieses Jahr von einer europäischen Band veröffentlicht wurden. "None For All" sollte sich jeder zulegen, für den Thrash und Anspruch keine unvereinbaren Gegensätze sind. Bei der Formkurve, die COMANIAC auf ihren Alben bislang zeigten, können wir in Zukunft noch einige Banger erwarten.
„Necromanteum“ ist das neunte Album von CARNIFEX; nach "World War X" (2019) und "Graveside Confessions" (2021) folgt jetzt die 42-minütige Fusion von Deathcore, Death und Black Metal. Neben fetten Drums und Breakdowns setzen die Kalifornier aus San Diego vor allem auf viel Atmosphäre. Das Ganze könnte auch die Vertonung eines Horrorstreifens sein, CARNIFEX liefern einen superben Soundtrack zu Halloween.
Wen der textliche Inhalt interessiert: Es geht um ein Psychomanteum, einen Ort wo Menschen Kontakt zu den Toten herstellen können und, wenn man durch einen Spiegel tritt, vielleicht sogar ins Totenreich gerät. Das Psychomanteum wurde von Raymond Moody, dem Begründer des Begriffs Nahtoderfahrung, in seinem Buch „Reunions: Visionary Encounters with Departed Loved Ones“ populär gemacht.
Beim Opener „Torn In Two“ gibts Chor- und Gruselsound, aber es wird auch voll auf die Kacke gehauen. Sänger Scott Lewis brüllt und poltert in exzellent tiefer Brachialität. Bei „Death's Forgotten Children” gibt`s Schützenhilfe von Tom Barber (CHELSEA GRIN, Ex-LORNA SHORE), der Song hat giftige Breakdowns parat. Titeltrack „Necromanteum“ hat melodischen Gitarren und geschickte Black Metal-Nuancen an Bord.
Die Scharfrichter lassen auf dem neuen Longplayer einen interessanten Trend erkennen: die Mucke ist theatralisch und druckvoll symphonisch. Die Produktion und Inszenierung ist mitreißend und beeindruckend und erinnert hier und da an DIMMUR BORGIR in „Death Cult Armageddon“. Bei CARNIFEX ist die Eingängigkeit und Hitdichte jedoch nicht so ausgeprägt. Old-School-Deathcore ist kaum noch zu hören.
Als die letzten Klänge von „Heaven And Hell All At Once“ mit pompös orchestralen Sounds und guten Soli verwehen, lehne ich mich etwas mürbe und verstört aber zutiefst zufrieden zurück in die Sessellehne.
BUSH wurden 1991 in London gegründet, galten aber irgendwie immer als „amerikanische“ Band. Bereits ihr selbst veröffentlichtes Debüt „Sixteen Stone“ (1994) wurde in den dortigen College-Sendern rauf und runter gespielt und brachte in den USA den Erfolg. Das BUSH bis heute auf der anderen Seite des Atlantiks mehr Beachtung finden als in ihrer Heimat (bzw. Europa im Allgemeinen) ist bis heute zu beobachten. 24 Millionen verkaufte Tonträger und über 1 Milliarde Streams sprechen auch für sich. Hierzulande sind es vor allem einzelne Hits wie „Glycerine“, „Swallowed“ und „Greedy Fly“ die einem im Ohr sind.
Und da kommt dann eine ausführliche Best-Of-Scheibe gerade recht. Auf „Loaded: The Greatest Hits 1994-2023” findet man auf zwei CDs verteilt 21 Songs aus jeder Schaffensphase der Band; darunter eben auch alles Hits“ und mit „Nowhere To Go But Everywhere“ einen neuen Song der gegenwärtigen Besetzung aus Gavin Rossdale (Gesang, Gitarre), Chris Traynor (Gitarre), Corey Britz (Bass) und Nik Hughes (Schlagzeug). Dazu mit dem „Stingray Mix“ von „Mouth" vom Remix-Album „Deconstructed“ (1997) und eine Coverversion von „Come Together" (2012) von den Beatles, welche kaum bekannt ist. Da bei BUSH, wie bei manch anderer Combo auch, die Alben der neueren Phase nicht immer voll zündeten ist diese „Loaded: The Greatest Hits 1994-2023“ für Fans die nicht schon alles im Schrank haben lohnenswert. Ach ja, das Booklet hat alle Texte – Linernotes und Pics leider Fehlanzeige.
Metalcore hat sich vom Stiefkind des klassischen Metals längst zu einem vielseitigen Genre mit unzähligen verschiedenen Strömungen entwickelt. Von Trend oder Eintagsfliege kann man nach fast dreißig Jahren sicher nicht mehr reden. Heutzutage loten Bands wie SLAUGHTER TO PREVAIL, LORNA SHORE, SPIRITBOX oder auch Veteranen wie UNEARTH die unterschiedlichsten musikalischen Nischen aus. BEARTOOTH gehen mit ihrem neuesten Album "The Surface" konsequent in Richtung Eingängigkeit und Melodie. Dabei verbindet die Truppe um Mastermind Caleb Shomo zeitgemäße Instrumentenbeherrschung mit jeder Menge Vibes des melodischen Punks wie wir ihn aus der Zeit der Jahrtausendwende kennen und brutalen Break- und Riffdowns.
Mit diesem fünften Longplayer seit der Bandgründung im Jahr 2012 übertrifft sich Shomo in Sachen Songwriting selbst. War schon der Vorgänger "Below" ein Feuerwerk an Melodien, geht "The Surface" den eingeschlagenen Weg konsequent weiter. Die Refrains des Titelsongs, von "Riptide" oder der Halbballade "Look The Other Way" brennen sich in die Gehörgänge ein und verlassen sie so schnell nicht wieder. Dabei sind die genannten Songs nur persönliche Highlights. Alle elf Stücke halten ein fantastisches Niveau. Was BEARTOOTH darüber hinaus von der gewöhnlichen 08/15-Metalcore-Truppe abhebt, sind die feinfühligen Lyrics, die größtenteils davon berichten wie sich Caleb Shomo nach psychischen Problemen wieder in ein lebenswertes Leben zurück gekämpft hat. Dabei überschreitet er die drohende Grenze zur weinerlichen Pathetik allerdings nie. Eine Kunst für sich.
In "The Better Me" erhalten BEARTOOTH prominente Unterstützung durch den Country-Rocker Hardy. In Europa weitgehend unter dem Radar laufend, ist dieser in den USA aktuell DER Rising Star der Szene. Auch in dieser Kollaboration manifestiert sich die Öffnung zu massentauglicheren Klängen. Dabei gehen sicher Fans der ersten Stunden verloren, wenn man den Ansatz allerdings so kompetent verfolgt wie das Quintett aus Ohio, ist dies trotzdem definitiv die richtige Entscheidung.
BEARTOOTH liefern mit "The Surface" ein eingängiges, jedoch keineswegs plumpes Werk, setzen sich mit den Texten wohltuend von irgendwelchem Metal(core)-Bullshit-Bingo ab und überzeugen damit auf ganzer Linie. Wenn es ihnen gelingt, diese Qualität weiter beizubehalten, könnten sie in den nächsten Jahren durchaus einen Status wie etwa BILLY TALENT erlangen. Zu wünschen wäre es Ihnen.
Nach ein paar E.P.s (unter dem Titel „Past Of“ auch als Compilation erhältlich) und dem 2020er Werk „Final Day“ veröffentlichen die Finnen SATAN’S FALL dieser Tag ihr neuestes Album „Destination Destruction“. Auf den ersten Blick verwirrt zwar das neu designte Logo, aber schon nach wenigen Minuten wird klar, dass innen immer noch SATAN’S FALL darin steckt. Das heißt es brödelt klassischer Metal mit vielen 80er Zitaten aus den Boxen. Mal klingen ACCEPT („Garden Of Fire“) durch, mal sind eher andere junge wilde wie AMBUSH oder ENFORCER („Afterglow“) diejenigen, die mir in den Sinn kommen. SATAN’S FALL sind aber keine Tribute Band, sondern haben durchaus eigenes Profil. So ist den Songs eine latente Melancholie anheim, welche die Finnen von der schwedischen Konkurrenz abhebt. Auch hat man sich in Sachen memorablem Songwriting und Abwechslungsreichtum im Vergleich zum Vorgänger merklich weiterentwickelt und schöpft den stilistischen Rahmen gekonnt aus. Die rotzigen Vocals von Miika Kokko passen perfekt und lassen sogar leichte Erinnerungen an ELM STREET aufkommen. Gerade die schon genannte Up-Tempo Granate „Garden Of Fire“, das treibende und mit vielen Rhythmuswechseln ausgestatte „No Gods, No Masters und das episch dahintreibende „Dark Star“ sind wahre Pretiosen metallener Schmiedekunst neuzeitlicher Prägung.
Zum Schluss wartet man noch mit zweierlei Coverversionen auf. Einerseits wird der Titelsong der Power Rangers in ein stählernes Gewand gegossen (ähnliches hat im Metal ja durchaus Tradition: LION „Transformers“, XENTRIX „Ghostbusters, BONDED BY BLOOD „Ninja Turtles“) und dann ist da noch „Es Wird Viel Passieren“, die Titelmelodie, der deutschen Daily Soap „Marienhof“. Angeblich hat man das auch in Finnland nach der Schule geschaut. Total obskur. Hinzu kommt die urbane Legende, dass der ursprüngliche Komponist ein finnischer Metalmusiker war, welcher ein Demo an eine deutsche Plattenfirma schickte. Diese reagierte zwar nicht, aber ein paar Jahre später tauchte einer der Songs eben als Titelmelodie für Marienhof auf, ohne entsprechende Credits natürlich. Ob an dem Gerücht wirklich was dran ist, kann ich leider nicht verifizieren, spannend ist es allemal.
Aber auch ohne „Marienhof“ ist „Destination Destruction“ ein starkes traditionelles Heavy Metal Album mit Herzblut und Profil und sollte die Band in den Fokus der AMBUSH/ENFORCER/TAILGUNNER/SEVEN SISTERS Anhänger bringen.