Eric AK wohnt jetzt in Polen und nennt sich Lukasz? Der Sänger der polnischen Bay-Area-Thrasher (ja, es sind nicht die gleichnamigen Holländer) erinnert bisweilen frappierend an den Barden der Newsted-Kapelle Flotsam & Jetsam. Und auch musikalisch bewegen sich RETRIBUTION durchaus in der Nähe der Arizona-Thrash-Heads. Allerdings gehen sie wesentlich vielfältiger zu Werke, das mag der eine, der andere nicht. So lassen sich Slayer-Fragmente genauso hören wie modernere Parts, die sogar an Fear Factory erinnern. Und wenn es an die Grenzen geht, dann liegen in der Nähe des Power Metals, Annihilator gehen hier sicherlich als Einfluss durch. Eine ganze Menge oder? Vielleicht liegt hier das Problem, der mit gutem Sound ausgestatteten Veröffentlichung: Denn vor lauter Bäumen sieht der Hörer hier den Wald nicht, will sagen: Ansätze gut, Songs okay. Allenfalls. Allerdings scheint es da draußen inzwischen (wieder) so viele Thrasher zu geben, dass auch RETRIBUTION ihr Klientel finden dürrften. Denn schlecht sind sie keineswegs, aber eben auch nicht herausragend.
Die Schweden sind prima Musiker, der Sound ist überaus professionell und die Bandbreite der Band von Power Metal über Dark und Doom Metal bis hin zu symphonischeren, progressiveren Klängen groß, der markante Gesang mit Abstrichen okay. Dicke Keyboards prägen „The Great Unifier“ – ohne den gern genommenen, übelriechenden Fett-Schmonz. Und trotzdem fehlt diesem recht guten Heavy-Metal-Album eins: Das Herz. Angetrieben vom druckvollen aber eben auch klinisch-klingenden Drum-Kit sorgen die riffbetonten Gitarren für das metallische Innenleben dieser episch angelegten, aber doch voraussehbaren Geschichte. Daran, dass HER WHISPER sich nicht im Hirn festfräst, daran kann auch King-Diamind-Klampfer Mike Wead (Gastsolo) oder The Storyteller Frederik Groth (Mix und Mastering) nichts ändern. Für Fans anspruchsvolleren Power Metals ist dieses Album sicherlich einen Test wert, selbst, wenn es viele mitreissendere und charmantere Kapellen gibt. Die Zeile „We Are Nothing“ aus „Their Finest Hour“ ist dann aber doch übertrieben.
NOXIOUS aus dem niedersächsischen Nirgendwo schlagen auf ihrer ersten EP „Newborn“ moderne Metaltöne an, die ziemlich gut produziert aus den Boxen kommen. Von Metal-Riffs über Metalcore-Geschrei bis zu cleanem Gesang findet sich alles, was eine junge, hippe Band heutzutage auffahren kann. Mag die Beschreibung auf Metalcore hindeuten, haben NOXIOUS doch mitnichten den drölften Victory Records-Klon erschaffen, stattdessen konzentrieren sie sich auf abwechslungsreiche Songs, die im Alternative-Bereich angesiedelt sind, auch wenn sie in dem Bereich zum Härtesten gehören. Die fünf Songs der EP können mit gutem Aufbau und viel Abwechslung überzeugen und gehen gut ins Ohr. Besonders in den ruhigeren Passagen mit cleanem Gesang („Children’s Tears“) offenbaren NOXIOUS Vielversprechendes, besonders der Sänger kann hierbie glänzen. „Newborn“ ist ein guter Einstand, auf den NOXIOUS aufbauen können.
MAN MUST DIE sind versierte Musiker, die sich auf „The Human Condition“ technisch sauber durch die elf Songs prügeln. Immer schön auf die Zwölf und keine Gnade zeigen, das mag das Death Metal-Herz. Wenn, ja wenn, die Songs etwas inspirierter wären und nicht nur zum Schaulaufen genutzt werden würden. So verkommen sie zur lieblosen Aneinanderreihung von Riffs, die durch den Shouter niedergebrüllt werden. Immerhin macht der seinen Job gut. Trotzdem bleibt von der Scheibe nicht viel hängen, dazu sind die Songs zu ähnlich und zu zerstückelt. Zum Füllen einer leeren Stelle in der Playlists des iPods mag ein Song aus dem Album funktionieren, am Stück nervt das ewig gleiche Geschredder irgendwann nur noch.
Ich glaube mein Schwein pfeift. Die alten Herren sind wieder da, lauter als sie dies die letzten zehn Jahre waren. Kaum einer hätte 2008 eine neue SEPULTURA Ära erwartet und doch ist sie wieder da: Max und Iggor Cavalera treten gemeinsam auf als hätte die lange Sendepause nicht gegeben. Schon im Titelsong und Opener „Inflikted“ zeigt das Quartett (ergänzt um Marc Rizzo (SOULFLY) an der Gittare und Joe Duplantier (GOJIRA) am Bass) um was es bei CAVALERA CONSPIRACY geht: Moderner Thrash Metal ohne wilde Spielereien, rasiermesserscharf produziert (von Logan Mader, u.a. MACHINE HEAD) und wütend. Manche Dinge benötigen wohl eine Reifezeit von einer Dekade und ein neues Umfeld als Katalysator damit solch grandiose Statements wie „Terrorizer“ entstehen können bei dem Max kraftstrotzden Alter Egos des Bösen proklamiert und im Chorus sich ganz der Simplizität einiger Schlagwörter hingibt – live ganz sicher eine Granate. Der Nackenbrecher „Sanctuary“, das düstere „Black Ark“, das fast im US Death Metal hausierende „Hex“, der Gitarren-Groover „The Doom Of All Fires“, das rotzig-schnelle „Nevertrust“ oder der Mitgröhl-Garant „Must Kill“ - CAVALERA CONSPIRACY haben mit „Inflikted“ genau das Album gemacht das man sich hätte erträumen können aber nicht zu wünschen wagte. Die Rhythmen sind packend, die Drums gnadenlos und dabei weitgehend vom Tribal der SOULFLY Ära befreit. Die Gitarren lassen fast jeden Song brennen und sind zugleich erbarmungslos und songdienlich melodiös – und wie damals ist auch Max Gesang durchgängig wild gebrüllt. „Inflikted“ hat keinen Platz für Lückenfüller, alle Songs begeistern – dieses Album ist der erste „Tipp“ den ich seit langem gebe. Von ganzem Herzen und sicher auch weil sie mich vom Flair so an SEPULTURA von damals erinnern. Und für die volle Dröhnung Früher: „Inflikted“ erscheint wie alle Roadrunner Themen auch auf Vinyl via Cargo.
Wer es nicht vorher gewusst hat, der weiß es spätestens nach ein paar Sekunden Musik: Das hier sind extrem extreme brasilianische Death-Metaller. Sie orientieren sich ohne Zweifel an Kollegen wie Krisiun, sind mindestens genauso herzlos, aber einfach nicht so gut. Denn nicht selten geht einem die zugegeben äußerst brutale Mucke genauso auf den Sack wie das Getrommel der Samba-Tanten beim Karneval in Rio. Aber während man den Damen wenigstens noch auf Hupen, Glocken und Schüttelbacken gucken kann, maskieren sich die Tätowierten und nerven mit knüppelhartem, aber recht uninspiriertem Geballer. Zu allem Überfluss befinden zwischen den Titeln auch noch Überleitungen aus Klassik oder Akustik, mit denen die Südamerikaner aber keinesfalls für Erholung sorgen. Ein Stück wie „Urutu“ zum Beispiel kann auch nicht schlimmer sein, als ein selbstgespieltes Gitarren-Solo nach Klebstoff-Genuss. Oder das klarinettige „Variaceos 1“ – klingt wie eine Vertonung von Brahms nach acht Flaschen Pfeffi. Nee, Jungs, wenn ich mich mit meinem Kopf mal zwischen Güterwaggon und Gleis kommen möchte, dann suche ich mir den Zeitpunkt selber aus.
Wer bis dato dachte, aus Göttingen kämen nur Blues und Öko-Studenten, der sieht seinen Fehler spätestens dann ein, wenn der PESTNEBEL aus Südniedersachsen aufzieht. Denn Band-Macher Pestmeister Tairach und seine Spießgesellen haben sich dem kalten, räudigen Black Metal verschrieben. Und haben das Glück, mit ihrem österreichischen Label einen Partner gefunden zu haben, der ihrem Produkt ein professionelles Antlitz gibt (16-Seiten-Booklet mit Texten und Bilder, schick genretypisch gestylt). Weniger hochwertig klingt leider der Sound, was aber durchaus zur Ausrichtung der Scheibe passt und sicherlich auch schon brutal viel schlechter ausgefallen ist. So führt ein Orgelintro prima ins Geschehen ein, ehe das Gaspedal runter kommt. Die Norddeutschen ballern los, hinter ihnen die Hyänen des Gehörnten. Doch tatsächlich verstehen sie es auch immer wieder, den Jägern auszuweichen, um langsamere und atmosphärische Parts zu integrieren – wie im Titelstück. Sicherlich ist „Reich der Schatten“ kein Überflieger-Album geworden, aber Freunde eines soliden schwarzen Wurzel könnten durchaus mal reinhören. Und dadurch wenigstens mit den Klischees der ewig hornbebrillten Göttinger Bildungs-Gesellschaft aufräumen.
Das Material auf „Donnerduett“ hat schon ein paar Jahre auf den Buckel, wird aber erst jetzt veröffentlicht. DONNERGROLL haben ihre alten Demos auf einer CD zusammengefasst, aber leider am Sound nichts verändert. Und der besteht aus richtig schlechten Proberaumaufnahmen, die in unterirdischer Qualität aus den Boxen kommen. Da fällt es kaum auf, dass die Truppe damals keinen Basser hatte. Handwerklich waren die Herren damals nicht sonderlich gut, auch wenn einige Riffs gelungen sind, die meiste Zeit fliegt man aber locker unterhalb des Mittelmaß-Radars. Für absolute Black Metal-Puristen mag das in Ordnung sein, der Rest kann getrost die Finger von diesem Machwerk lassen.
MAKE IT COUNT haben mit GSR eine neue Labelheimat gefunden, über die sie ihr neues Werk „Leeway“ in die Läden bringen. Nach kurzem Intro geht es mit „Make It Count“ gleich ordentlich in die Vollen – schnörkelloser Hardcore der alten Schule wird geboten. Gut umgesetzt, sofort ins Blut gehend und auf den Punkt gespielt. TERROR, BACKFIRE! und Konsorten lassen grüßen. Das ist zwar nicht sonderlich orignell, aber solange die Ideen so gut umgesetzt werden wie in diesem Fall, ist das doch total egal. Manchmal sind die Anleihen an TERROR nicht nur musikalischer Natur, sondern setzen sich in den Texten fort. THE FIRST STEP sind wohl auch keine Unbekannten im Lager der Berliner. Aber besser gut geklaut als schlecht selbergemacht. Und egal woher sie ihre Inspiration haben, MAKE IT COUNT haben zehn verdammt gute Hardcore-Songs geschrieben, die ordentlich nach vorne drücken. Wer darauf aus ist, wird mit „Leeway“ glücklich werden.
Kurt Ballou (CONVERGE) als Produzent und Tourpartner, Relapse Records als Label – GENGHIS TRON sind in der Chaoscore-Ecke einzuordnen. Einen Drummer hat sich das Trio gespart und den Bassisten gleich mit, Kollege Computer übernimmt das. Macht aber nix, der Unterschied zu menschlichen Vertretern ist kaum hörbar. GENGHIS TRON ergehen sich in wilden, experimentellen und manchmal bizarren Soundorgien, die wie bei vielen ihrer Labelkollegen oder MESHUGGAH ale konventionellen Genregrenzen sprengen. GENGHIS TRON treiben es dabei auf die Spitze, da sie sich ausgiebig mit Synthiesounds beschäftigt haben, was manchen Songs einen beinahe poppigen Einschlag verleiht. In solchen Momenten kommt auch der Sänger weg vom kranken Geschrei und setzt auf DEPECHE MODE-artigen Gesang – nur um dann im nächsten Moment wie ein Irrer zu schreien. Alles andere wäre den drei Musikern sicherlich zu langweilig, zu vorhersehbar. Das ist „Board Up The House“ mitnichten, aber unter all dem Chaos verbirgt sich Struktur, die die elf Songs in der Tat hörbar macht, etwas Ausdauer und Aufgeschlossenheit vorausgesetzt. Belohnt wird der tapfere Hörer mit dem mehr als zehn Minuten dauernden „Relief“, das postcorig die Platte beschließt und großes Kopfkino bietet. Wer mit dem Relapse-Katalog schlafen geht, wird auch GENGHIS TRON nicht verschmähen. Wer auf leicht zugängliche Drei-Minuten-Songs aus ist, sollte die Finger von dieser Scheibe lassen. Das Gehirn wird sich bedanken.