Mit ihrem Debüt "Battle Metal" und zahlreichen, im wahrsten Sinne des Wortes bunten Live-Gigs in den letzten drei Jahren konnten sich die Finnen TURISAS eine gehörige Fan-Schar und echten Kultstatus in der Met trinkenden, Nordland-orientierten Gemeinde erspielen. Und anstatt hastig einen Nachfolger ihres erfolgreichen Debüts nachzuschieben, haben sie sich (auch sicher bedingt durch den schweren Unfall ihres Gitarristen Georg) genug Zeit gelassen, eine adäquate Scheibe fertig zu stellen, die einen großen Schritt nach vorne bedeutet und kein müdes Abziehbild des Vorgängers darstellt. Im Gegenteil: einige Fans dürften sogar leicht enttäuscht von der etwas korrigierten Marschrichtung des Sextetts sein, denn die trinkkompatiblen, "fröhlichen" Melodien sind spürbar in den Hintergrund gerückt, was "The Varangian Way" deutlich epischer, aber auch bombastischer durch die Boxen jagen lässt. Es sind zwar immer noch einige "tanzbare" Parts vorhanden (zum Bleistift das coole "In The Court Of Jarisleif"), aber alles klingt trotz der obligatorischen Folk-Einlagen ernster, weniger verspielt und monströser. Stand man bislang noch in direkter Konkurrenz zu den eindeutig lustig aufspielenden KORPIKLAANI, so hat man sich davon merklich entfernt. Ganz so ausladend wie die göttlichen MOONSORROW klingen TURISAS zwar nicht, trotzdem klingt das Album wie aus einem Guss. Das komplexe Konzept lässt "The Varangian Way" wie einen gut 40-minütigen, einzigen Song wirken, was die Scheibe am Stück genossen sogar noch um Einiges wertvoller macht und sogar progressive Einschübe offenbart, die man der Band vorher sicher nicht zugetraut hätte. Alles, was sich zwischen dem eingängigen Opener "To Holmgard And Beyond" und dem überlangen, vertrackten Rausschmeißer "Miklagard Overture" abspielt, hat nicht nur durchweg Hand und Fuß, Kettenhemd, Schwert und Helm mit Hörnern, sondern kann es in Sachen Epik, Bombast (vor Allem in Bezug auf die mächtigen Gänsehaut-Chöre), Dramatik und vor Allem Qualität sogar mit den stärksten Momenten der BLINDEN GARDINEN aufnehmen, obwohl es sich natürlich um ein anderes stilistisches Genre handelt. Ein neuer Stern am Wikinger-Himmel!
AT ALL COST starten auf ihrem Century Media-Debüt ohne langes Intro, stattdessen gehen sie direkt in die vollen. "Circle Of Demons", Titeltrack und Opener, startet furios, geht in einen clean gesungenen catchy Refrain über, um dann in einem schleppenden Part zu münden. Sehr gelungener Song und ein Einstand nach Maß. Das nachfolgende "Get Down For The Revolution" haut in die gleiche Kerbe, allerdings mit stärkerer Metal-Schlagseite und mehr Effekt auf dem cleanen Gesang, was an CHER erinnert. Im direkten Vergleich kann die aggressive Tonlage des Sängers mehr überzeugen, nicht nur bei diesem Track, sondern bei fast allen der elf Songs. Das Strickmuster ändert sich nämlich nicht wesentlich, was zwar zu einigen guten Songs führt ("Step One"), auf Dauer aber sehr austauschbar wirkt. Zum Füllen des iPods oder des guten alten Mixtapes machen sich AT ALL COST-Songs sehr gut, am Stück gehört stellt sich aber irgendwann das große Gähnen ein und die Skip-Taste wird der beste Freund des Hörers. Auch eine Definition für Durchschnitt, schätze ich.
ION DISSONANCE gehören zu den Bands, die Kollege Memme live zu recht als langweilig empfindet: die Kanadier gehen auf "Minus The Herd" dermaßen vertrackt vor, dass sich bei einem Gig beim besten Willen niemand von der Musik treiben lassen kann. Auf Platte, am Besten frei von äußeren Einflüssen, offenbart sich die andere Seite des technisch sehr anspruchsvollen Materials - in jedem Song entdeckt der Hörer immer neue abgefahrene Riffs, vertrackte Rhytmen (besonders beim Drumming), während die Stimme von Sänger Kevin verzweifelte Qualen heraufbeschwört. Übermäßig schnell wird dabei nicht vorgegangen, das ist aber auch nicht nötig, schon im Mid Tempo entfaltet sich die immense Durchschlagskraft ("Void Of Conscience") - ION DISSONANCE haben es nicht nötig, Geschwindigkeitsrekorde aufzustellen, sie überzeugen mit hochkomplexen Spiel. Beileibe kein Album, dass man einfach mal so nebenbei hören kann, aber wer ein Faible für diese Spielart hat, wird mit "Minus The Herd" einige Zeit lang sehr glücklich werden. Live wird das wahrscheinlich anders aussehen, aber auch hier sind wir offen für Überraschungen.
Zum 20-jährigen Jubiläum kommt der Tribute-Sampler ein klein bisschen zu spät, denn das hat bereits 2006 stattgefunden. Aber natürlich ist es nie zu spät, dieser Legende des New York Hardcore zu huldigen. Und das tun auf dieser Scheibe jede Menge große Namen des extremen Metal und Hardcore: Unter anderem sind hier MADBALL mit "Give Respect" vertreten, RISE AGAINST mit "Built To Last", PENNYWISE mit "My Life", SEPULTURA mit "Scratch The Surface", WALLS OF JERICHO mit "Us Vs. Them", UNEARTH mit einer Kombination aus "Clobbering Time” und "What´s Going On”, die BOUNCING SOULS mit "Good Lookin Out” und NAPALM DEATH mit "Who Set The Rules”. An der Qualität der Beiträge ist bei solchen Bands natürlich nicht zu rütteln, brutal wird ein Song nach dem anderen nach vorne geknüppelt, was das Zeug hält. Einziger Minuspunkt ist die mangelnde Vielfalt, denn sämtliche Covers sind sehr nah am jeweiligen Original. Wirklich spannend wäre es gewesen, einige genrefremde Bands zu verpflichten. Wie würde ein SOIA-Song wohl klingen, würden ihn bespielsweise PRIMUS, Mike Patton, CYPRESS HILL oder ASIAN DUB FOUNDATION interpretieren? Das wäre wirklich spannend gewesen und hätte ein paar schöne Kontraste in die Compilation gebracht. So ist zwar ein schönes Tribute-Album entstanden, aber an echten Höhepunkten mangelt es.
Our Impact Will Be Felt: A Tribute To Sick Of It All
BECOMING THE ARCHETYPE sind bislang unter meinem Radar geflogen, lösten bei meinem Redaktionsnamensvetter mit ihrem Debüt Begeisterungsstürme aus. "The Physics Of Fire", die neue Langrille der christlichen Band, rotiert jetzt seit einigen Wochen in meinem Player - und kann mich überhaupt nicht beeindrucken, was die Frage aufkommen lässt, ob Kollege Knackstedt und ich einen so unterschiedlichen Geschmack haben oder ob BECOMING THE ARCHETYPE ihr Pulver schon verschossen haben. Die Produktion von Andreas Magnusson (BLACK DAHLIA MURDER, SCARLET) ist etwas zu leise ausgefallen, aber dafür sehr klar, was besonders den Gitarren zugute kommt. Die werden auch vom Neuzugang Alexis bedient, der mit einigen gelungenen Passagen auf sich aufmerksam machen kann ("Fire Made Flesh") und auch in den knüppelharten Abschnitten eine anständige Figur macht. Überhaupt sind die elf Songs sehr heftig ausgefallen, irgendwelche Core-Anleihen finden sich kaum, dafür regiert die meiste Zeit die Death Metal-Keule. Der klare Gesang wirkt dabei oftmals sehr störend, ebenso die unvermittelt auftretenden ruhigen Einschübe. Das größte Problem, dass ich mit "The Physics Of Fire" habe, ist die fehlende Eingängigkeit. Kein Song hat bei mir ein Aha-Erlebnis ausgelöst, keiner hat mich berührt. An den spielerischen Qualitäten des Quartetts liegt es nicht, wir sind einfach nicht auf einer Wellenlänge. Das werden Fans der Truppe naturgemäß anders sehen, aber auch ihnen rate ich zu einem Antesten der Scheibe, bevor das Geld über den Tresen wandert.
Die schwedische Melodic Death Metal-Institution DARK TRANQUILLITY dürfte mittlerweile genauso umstritten sein wie die Landmänner und Szenemitbegründer IN FLAMES. Beide Bands genießen ähnlich großen Zuspruch, füllen inzwischen größere Hallen, verkaufen ordentlich und bedienen den - Achtung, Unwort! - metallischen Mainstream. Im Widerspruch dazu steht, dass der gemeine Metaller populäre Bands auf einmal nicht mehr mag, nur weil sie bekannt sind; das ist ein ebenso beklopptes wie nachweisbares Phänomen. Der große Unterschied zwischen diesen beiden Bands besteht aber im Wesentlichen darin, dass DARK TRANQUILLITY, als sie drohten, sich in der Pop-Schiene festzufahren, noch schnell einlenkten und spätestens mit dem geilen "Character" wieder zurück zu ihren Wurzeln gingen, was den Kollegen bisher leider nicht gelang. Die Basis für "Fiction" ist also wieder Death Metal schwedischer Prägung, der natürlich nicht frei von vielen melodischen, bombastischen und elektronischen Elementen ist, aber Mikael Stanne und Co. haben es hier geschafft, alle ihre Eigenschaften zu einer geilen Mischung zurechtzubiegen, bei der schlicht das Songwriting im Vordergrund steht. Es ist mir scheißegal, ob man Elektronik, Keyboard, etc. in diese Musik einbauen "darf" oder nicht; "Fiction" klingt von vorne bis hinten ausgereift, heavy, aggressiv, intelligent, verleugnet aber nicht seine Herkunft und biedert sich zu keiner Sekunde an. Alle Songs sind (mitunter sogar recht progressive) Genre-Hymnen, die spätestens nach drei, vier Durchläufen einfach ins Blut gehen, sei es der aggressive Opener "Nothing To No One", das vertrackte "Blind At Heart", das fast schon blackmetallische "Inside The Particle Storm", das majestätische "Empty Me", das von THEATRE OF TRAGEDY-Elfe Nell Sigland unterstütze "The Mundane And The Magic" oder die beiden fantastischen "Terminus (Where Death Is Most Alive)" und "Misery´s Crown". Auf dem Album findet sich keine Schwachstelle, und es zeigt, was passiert, wenn eine schon immer herausragende Band so weit gereift ist, dass sie es "wagt", Genre-Grenzen zu ignorieren und ihren eigenen Stil zu etablieren. Ein Statement und Meisterwerk!
DESPISED ICON wurden mit ihrem letzten Album zu Unrecht in die Metalcore-Ecke gesteckt, was angesichts der Death Metal-Ausrichtung der Scheibe unverständlich war. "The Ills Of Modern Man" hat in Sachen Brutalität noch eine Schippe draufgelegt, was sich besonders beim Gesang zeigt, der desöfteren in tiefste Grind-Regionen vorstößt. Seine Mitstreiter wollen dem in nichts nachstehen und lassen es härtetechnisch ordentlich krachen - bei "Furtive Monologue" haben sie sich hörbar von brutalen US-Combos wie DEEDS OF FLESH oder DEVOURMENT beeinflussen lassen. Dazu kommen viele Breaks, die in teilweise aberwitzige Tempowechsel münden, und brutale langsame Abschnitte, die über den Hörer hinwegwalzen wie eine guter alter englischer Panzer ("A Fractured Hand"). Aber auch Attacken, die CEPHALIC CARNAGE würdig sind, können DESPISED ICON reiten und damit für offene Münder sorgen. Man sieht (oder besser: hört), dass die Band sich im Death Metal-Sektor umgehört hat und viele verschiedene Einflüsse zu einem gelungenen Werk zusammengebraut hat. Alles in Allem eine heftigst brutale Platte, die in Death Metal-Kreisen gut ankommen wird und mit der sich DESPISED ICON hoffentlich vom Metalcore-Image befreien können. Zu gönnen wäre es ihnen und mit dieser gut produzierten Scheibe, von deren Songs kein einziger ein Ausfall ist, wäre es auch verdient, wenn die Kanadier ihren Bekanntheitsgrad steigern könnten.
NORMA JEAN-Sänger Josh geht auch mit seiner Zweitband THE CHARIOT anstrengende Wege. "The Fiancée" ist knallharter Mathcore, die sich als perfekte Rausschmeißermusik in Clubs entpuppen wird. Ob seinen Mitstreitern die musikalische Ausrichtung zu fordernd war, ist nicht bekannt, Fakt ist nur, dass THE CHARIOT einen fast kompletten Line-Up-Wechsel zu verzeichnen haben, einzig Josh ist vom letzten übrig geblieben. Mit der neuen Truppe wurde das Werk live eingespielt und klingt dadurch sehr roh und bodenständig. Eine Wohltat im Vergleich zu den ganzen überproduzierten und glattgebügelten Scheiben, die sonst über einen hereinbrechen. Bei "The Fiancée" bricht indes die Musik voll über den Hörer hinein, wer auf DILLINGER ESCAPE PLAN steht ist hier richtig, alle anderen werden die neun kranken Tracks nicht lange aushalten. Die weibliche Unterstützung bei "Then Came To Kill" ändert daran nichts, massenkompatibler wird der Track dadurch kein bißchen. Wer auf die Idee mit den Songtiteln kam hat auf jeden Fall einen Orden verdient für die kleine Geschichte, die mit ihnen erzählt wird. THE CHARIOT haben mit diesem Album bewiesen, dass sie zu den abgefahrensten Bands im Mathcore-Bereich zählen (was durchaus als Kompliment zu sehen ist) und sich vom Line-Up-Wechsel unbeeindruckt gezeigt.
HASTE THE DAY haben mit "When Everything Falls" zuletzt ein starkes Album veröffentlicht, an dessen Erfolg der erste Longplayer mit Neu-Shouter Stephen Keech anschließen soll. Was der Mann auf "Pressure The Hinges" ins Mikro brüllt, jammert, weint, haucht und schreit (ein Screamo eben) ist dann auch allerfeinster Stoff, der wie Arsch auf Eimer zum HASTE THE DAY-Sound passt. Der ist eine Symbiose von Metal, Hardcore und sogar poppigen Einflüssen ("Stitches"), also was heute gemeinhin unter Metalcore laufen kann. ATREYU haben vorgemacht, dass diese Mischung aus hart und zart erfolgreich sein kann und bei genau dieser Zielgruppe werden HASTE THE DAY bestens ankommen. Die Songs sind songschreiberisch erstklassig, kommen auf den Punkt und sind unglaublich eingängig, allen voran das kongeniale "The Oracle" (ein potentieller Tanzflächenfeger). Sonderlich neu ist das alles nicht, was die christlich angehauchten Amerikaner hier bieten, aber das will die Fanschar auch gar nicht. HASTE THE DAY haben einen Haufen guter Songs geschrieben, ihren neuen Sänger gut in Szene gesetzt und mit mehr als einer Stunde auch eine beachtliche Spielzeit zusammengebracht. Das waren offenkundig ihre Ziele - die haben sie erreicht und so ganz nebenbei auch ihre Fans glücklich gemacht. Kann man mehr wollen?
Huh? Ist das dieselbe Band, die auf ihrem Debüt "A Chorus Of Obliteration" noch in der Metalcore/Melodic Death Metal-Ecke herumwuselte?! Sollten die Jungs gemerkt haben, dass aus dieser Richtung gerade nix Neues mehr kommt und dass sie mit stilistischen Abziehbildchen viel zu großer Originale keinen Blumenpott mehr gewinnen können?! Egal, jedenfalls klingt die Band auf "Temptation Come My Way" deutlich gereifter und gänzlich anders als auf dem Debüt. Der Gesang ist die gesamte Zeit über normal und "clean", die Musik bewegt sich irgendwo zwischen groovigem Metal und bluesigem Rock - mit einem Schuss später METALLICA (ab dem "Black Album"), was zu großen Teilen an David Bunton´s Gesang liegt, der stark an James Hetfield erinnert. Dieser musikalische Wandel mag pure Anbiederung an den Markt und das totale Kalkül sein, aber am Ende steht den Jungs aus Tennessee dieses neue Gesicht sehr gut, denn Songs wie das flotte, hymnische "We Die Young", der Stampfer "Fanatics And Whores", der dynamische Rocker "Spitting In The World" oder das relaxte "Carry On My Wayward Son" sind echt gelungen und dürften THE SHOWDOWN einige neue Fans bescheren. Wer erwähnte jüngere METALLICA, aber auch trashigere, klanglich ähnlich gelagerte Vertreter wie PERZONAL WAR oder TRIVIUM schätzt, sollte mit "Temptation Come My Way" keinerlei Probleme haben!