Eine echt gelungene Überraschung, die uns die polnischen Jungs hier bieten: NEURONIA zeigen sehr ansprechend, dass unser Nachbarland auch in Sachen traditionellerer Klänge nicht auf die Instrumente gefallen ist und dass man doch noch mehr in der Hinterhand hat als VADER, BEHEMOTH und Co. Das Quintett schiebt hier nach zwei Alben eine EP nach, deren vier Stücke durchweg eingängig, dabei aber angenehm unvorsehbar daherkommen. Stilistisch erinnert mich der Haufen ein wenig an ältere DISILLUSION zu „Back To Times Of Splendor“-Zeiten, speziell was den Gesang von Maciej „Tektur“ Nawrot sowie die leicht progressive Ausrichtung des Songmaterials betrifft, auch wenn NEURONIA beileibe nicht so experimentell und ausladend agieren wie ihre deutschen Kollegen, sondern eher in Richtung Thrash mit einem Schuss Melodietod schielen. Auch meine ich, auf „Insanity Relapse“ einen Schuss ANACRUSIS herauszuhören, worüber man aber sicher geteilter Meinung sein kann. Diese Band passt demnach so richtig in keine Schublade, sitzt aber nicht zwischen den Stühlen, sondern hat einfach eine eigene Note, die Songs wie „Alone In The Dark“, „Kick The Fuckers Out“ oder das von H. P. Lovecraft inspirierte „Moon Over Providence“ zu sehr hörenswerten, knackigen Häppchen macht, die gekonnt zwischen Geradlinigkeit und Anspruch pendeln. Gut!
Die Eidgenossen von EMERALD stellen mit „Unleashed“ ihr nunmehr fünftes Album vor. Haftete den frühen durchaus nicht schlechten und vor allem recht sympathischen Alben immer ein leicht provinzieller Nimbus an, so ist das seit dem letzten Werk „Re-Forged“ und dem dort stattgefundenen Sängerwechsel Geschichte. EMERALD 2012 sind ein Power Metal Bollwerk von internationalem Format. Diesen Qualitätssprung aber nur auf den Sängerwechsel zurückzuführen wird dem Ganzen jedoch nicht gerecht. Auch und gerade auf instrumentaler und kompositorischer Seite haben EMERALD in den letzten Jahren einen riesen Schritt vollführt. So geizt „Unleashed“ nicht mit Highlights und erfreut den Power Metal Gourmet mit Hymnen vom Fass. EMERALD sind mittlerweile mehr US Metal als viele US Metal Acts selber. Besonders deutlich wird das bei dem von George Call (ASKA, Ex-OMEN) miteingesungenen „Eye Of The Serpent“, für das eine Band wie STEEL PROPHET heutzutage wohl töten würde. Auch das mit einem Hammerrefrain ausgestattete „Harleking“, welches gegen Ende sogar noch mit einem wunderschönen und erhabenen Kanon überrascht, ist ein richtiger soon-to-be Classic. EMERALD wuchten mit „Unleashed“ ein richtiges Pfund in die Läden, welches dort auch sofort abgegriffen werden sollte.
Acht Jahre nach dem Debüt „Kings Of Pain“ kommen THE ORDEAL endlich mit dem Nachfolger aus dem Kreuz. „Descent From Hell“ beeindruckt mit erwachsenem, technisch hochwertigem und klischeebefreitem Heavy Metal. Ohrwürmer wie z.B. „Black Rain“ schreibt man nicht im Vorrübergehen. Von daher scheint sich die lange Absenz durchaus gelohnnt zu haben. Aber auch die ruhigeren Töne haben THE ORDEAL drauf, wie sie in der wunderschönen Ballade „Dragontears“ beweisen. Obwohl THE ORDEAL recht eigenständig zu Werke gehen, erinnern sie mich in manchen Momenten an die Österreicher von STYGMA IV, welche eine ähnliche Stimmung zu kreieren im Stande waren. THE ORDEAL sind gestandene Musiker, welche es verstehen ihre Stücke einerseits straff zu arrangieren und trotzdem Platz für das eine oder andere technische Schmankerl finden. Da der Mix in den Händen von Starproduzent Michael Wagener lag, kommt „Descent From Hell“ sehr transparent und doch kraftvoll aus der heimischen Anlage. Was soll ich sagen? THE ORDEAL können sich alle auf den Einkaufszettel notieren, welche ihren Metal traditionell und doch klischeefrei und anspruchsvoll mögen, denn THE ORDEAL haben durchaus noch ein paar Haken und Ösen eingebaut, welche die Langzeitwirkung von „Descent From Hell“ noch erhöhen. Wollen wir hoffen, dass Album Nummero Drei nicht erst 2020 erscheinen wird.
Was ich an Studioprojekten nicht mag ist die Tatsache, dass es...nunja...Studioprojekte sind. Mir ist noch kein Projekt untergekommen, welches es schafft dem Hörer Bandfeeling zu suggerieren. Leider bilden auch TOMORROW'S OUTLOOK da keine Ausnahme. Dass von Graham Bonnet (u.A. RAINBOW, IMPELLITTERI, ALCATRAZZ) über Michael Kiske (u.A. HELLOWEEN, UNISONIC) bis hin zu Norman „Ski“ Kiersnowski (FAITH FACTOR und DEADLY BLESSING) diverse (trotz aller Kritik allesamt hochklassige) Sänger vertreten sind, lässt das Ganze noch zerfahrener wirken. Ski übernimmt dabei den Großteil der Vocalarbeit und präsentiert sich etwas gemäßigter als zu glorreichen DEADLY BLESSING-Tagen, wenngleich er immer noch in höchsten Tönen zu jubilieren weiß, nur halt nicht mehr die ganze Zeit. Musikalisch schwanken TOMORROW'S OUTLOOK zwischen Euro Happy Metal, wie im Opener „Gate To Freedom“ und stampfendem, melancholischem US Metal (das heimliche Highlight „March Of The Demons“). Auch die Halbballade „White Lightning“ kann was. Das LIZZY BORDEN-Cover „Red Rum“ wird recht kompetent umgesetzt, auch wenn es das Original (natürlich) nicht erreicht. Aber Graham Bonnett gibt dem Song einen interessanten neuen Touch. „34613“ bietet solide gespielte Metalkost, welche zwischen beliebig und richtig geil schwankt und durch die vielen Köche eine gewisse stilistische Unsicherheit offenbart. Sollte das nächste Album mit einer festen Besetzung und einem klaren Focus entstehen, so bin ich sicher, dass das recht geil werden wird.
Auch im eher beschaulichen Luxemburg lärmt es beachtlich. Die Thrasher SCARLET ANGER offerieren uns einen wohlschmeckenden Mix aus teutonischer Lehre mit Bay Area Einflüssen. Oder anders gesagt: neuere KREATOR treffen auf ebenso aktuelle EXODUS. Dabei ziehen sich die Newcomer recht beachtlich aus der Affäre. Fett produziert, geht es meist im schmucken ICE-Tempo munter nach vorne los. Geschickt eingebaute Tempiwechsel oder unvermutete Melodiebögen sorgen für die nötige Abwechslung im größtenteils recht brachial daherkommenden Material. Abrissbirnen wie „Prince Of The Night“ oder der Rausschmeißer „My Empire Coming Down“ sollten das Genick eines jeden Thrashers in Bewegung versetzen. Und um noch das Phrasenschwein zu bemühen: Auch SCARLET ANGER definieren den Thrash Metal nicht neu, bieten aber einen recht originellen Mix und schielen nicht auf Teufel komm 'raus in die guten alten 80er, sondern sind mit allen Beinen im Jahr 2012 angekommen.
I, OMEGA gehen auf ihrer „The Ravenous”-EP sehr progessiv-vertrackt und gleichzeitig modern vor, was sie schnell in Vergleiche mit PROTEST THE HERO bringt, zumal bei beiden Bands ein Sänger mit Cleangesang Akzente setzt. Die Kalifonier verlassen sich in den fünf Songs aber nicht nur auf das Können ihres Sängers, ein genaues Hinhören lohnt sich, um kleine Versatzstücke wie den Jazz-Part in der Gitarrenarbeit zu finden („Martyrs“) oder die Göteborg-Einflüsse. Beim Songwriting ist ähnlich Aufmerksamkeit gefragt, denn was beim ersten Hören nach chaotischem, belanglosem Metalcore klingt, wird von Mal zu Mal klarer und tatsächlich strukturierter, ähnlich wie eben bei PROTEST THE HERO (und anders als bei IWRESTLEDABEARONCE). Es reift die Erkenntnis, dass hier verdammt fähige Musiker am Werk sind, die ihre überbordende Kreativität soweit zügeln konnten, dass hör- und stellenweise sogar tanzbare Songs dabei herauskommen. „The Ravenous“ wird so zu einer hochinteressanten EP, mit der I, OMEGA einen sehr guten Eindruck hinterlassen und Lust auf ihr zweites Album machen.
ALL HAIL THE YETI wären auf ihrem Labeldebüt gerne eine Band, die den Erfolg von RED FANG und DOWN hätten. Fette Gitarren treffen auf schleppendes Tempo und stützen Songs, die sich wild bei allen Spielarten des Metals bedienen und dann noch etwas Southern Rock und bluesige Anleihen („Ruby Bridge“) draufpacken. Das kann funktionieren, ein Haufen New Orleans-Bands macht das ja schon seit langem vor, ebenso viele Bands der zweiten Generation. Aber im Falle von ALL HAIL THE YETI kommt trotz guter Produktion und eines Sänger in Gestalt von Connor Garrity, der eine kraftvolle und variable Stimme hat und die geschickt einzusetzen versteht. Leider hapert es beim Songwriting, das über weite Strecken nicht mehr als den ewig gleichen Grundbeat und sich frappierend ähnelnde Riffs zustande gebracht hat – Samples wie nach „The Weak And The Wounded“ oder die Naturgeräuscheaufnahmen, die den Albumabschluss „Judas Cradle“ unnötig in die Länge ziehen sind da auch nicht mehr als eine nette Idee, da sie oft fehl am Platz wirken. „All Hail The Yeti“ ist eine gefällig rockende Platte, deren Songs für sich genommen ganz nett sind und zum Kopfnicken einladen, aber am Stück gehört schnell zu langweilen beginnen. Es wird für die schwer tätowierte Band darauf ankommen, wie sie sich Live schlagen und was sie aus ihrem Zweitwerk machen, mit „All Hail The Yeti“ ist ihnen ein höchstens solider Einstand gelungen.