Die 90er galten lange als ein eher totes Jahrzehnt für Rock- und Popmusik, als eine von Grunge und Techno „versaute“ Musikgeneration. Das dem nicht so ist wird im Nachhinein immer mehr bewusst – und das nicht nur den Anhängern der beiden vorneweg genannten Genres. Als THE CRANBERRIES (aus Limerick, Irland) im Jahre 1993 ihr Debüt veröffentlichten rechneten sie wohl selber nicht mit dem großen Erfolg der da noch kommen sollte – vor allem mit dem 1994er Überhit „Zombie“. Die aus ihrem zweiten Album „No Need To Argue“ ausgekoppelte Single stürmte weltweit die Charts – und im Sog davon schossen die Verkaufszahlen des Albums in die Höhe. Dabei war ihr Debüt, das Vorgängerwerk „Everybody Else Is Doing It, So Why Can’t We?“ als Album eher stärker einzuschätzen – und so hat dieses Debüt den „test of time“ wahrlich besser überstanden als das Single-Hit-Album.
„Everybody Else Is Doing It, So Why Can’t We?“ war nämlich auf Grund der kompositorischen Klasse des Gesamtwerkes, den einfühlsam, melancholischen Songs und der schon damals unverkennbaren Falsettstimme von Sängerin Dolores O’Riordan (die leider dieses Jahr am 15. Januar verstarb) ein harmonische Ganzes von zeitloser Schönheit. Der träumerische Einstand mit „I Still Do“, das super-eingängige, meisterlich arrangierte „Dreams“ (an sich ein Hit), die gefühlvolle Indie-Pop-Ballade „Sunday“ oder die Single „Linger“ welche sich sukzessive ins Ohr bohrt. THE CRANBERRIES Anno 1993 waren ganz groß im ruhig-einfühlsamen Bereich zwischen Pop, Alternative/Grunge und anspruchsvolleren Indie-Tönen. Auch „How“ und das chillige „Not Sorry“ bieten feinste, abwechslungsreiche Musik.
Die Idee für die 25-Anniversary-Veröffentlichung stammt aus dem Jahr 2017, in welchem sich die Band noch zusammen mit Sängerin Dolores O’Riordan hinsetzte und das Projekt startete. Nach dem Tod ihrer Frontfrau arbeitet man weiter und präsentiert das Album nun als remasterte CD-Box. Neben dem überarbeitete Originalalbum mit seinen 12 Tracks gibt es auf der zweiten CD weitere 21 Stücke (78:26 Minuten Spielzeit) – darunter die noch als THE CRANBERRY SAW US veröffentlichte Debüt-EP, die B-Seiten der Singles sowie diverse Demos, MIxes, alternative Versionen und Outtakes. Alles in einer fett-wertigen Aufmachung. Die Limited Edition des Ganzen erweitert das Ganze dann noch auf 4 CDs (Livemitschnitt und Radio-Sessions).
Die einen gehen, die anderen kommen. Gerade habe sich Dew-Scented zurückgezogen, da melden sich FINAL BREATH nach 14 Jahren relativer Funkstille zurück. Wobei die Franken einen musikalisch breiteren Bogen schlagen, als die zu Grabe getragenen Niedersachsen. FINAL BREATH haben mit „Let Me Be Your Tank“ und “Mind Explosion” zwei versatile Death-Thrash-Alben veröffentlicht, ohne im Chaos zu enden. Und sie machen jetzt da weiter, wo sie aufgehört haben – obwohl es zumindest akustisch so scheint, als seien sie in einen Jungbrunnen gefallen. Dynamischer als die reformierten At The Gates, vielseitiger als die kommerzgeilen Testament und frischer als die Thrash-Rentner in spé, Slayer musizieren die Herren auf ihrer ersten Metalville-Veröffentlichung vieles in Grund und Boden. Und das liegt zwar auch an der unglaublichen geilen Produktion, aber noch viel mehr an den unzähligen Gänsehautmomenten, die es schaffen, vom unablässigen Nackenwackeln abzulenken. Wie geil ist bitte „Agonized, Zombiefied, Necrotized“, wie fett „...When Finally Mighty Kings Fall”? Krass fett! Dass der neue Shouter Patrick Gajda zudem zu FINAL BREATH passt wie dein Hoden in des Meisters Hand, lässt die Chose nur noch perfekter klingen. Klar, dass die gesellschaftskritischen Texte über die sieben Todsünden der Menschheit und das gelungene Cover des indonesischen Künstlers Megan Mushi (Hell yeah!) die guten Note auch nicht schmälern. Zehn Songs, kein Ausfall – da muss ein Tipp her! Bleibt zu hoffen, dass das nicht der letzte Atemzug war, dass die Kapelle endlich mal die Anerkennung erfährt, die sie verdient hat und nicht wieder für mehr als eine Dekade verschwindet. Zur Hoffnung Anlass gibt die Tatsache, dass die Band mit Fabian "Fabs" Schwarz (THE NEW BLACK, ex-PARADOX, ex-ABANDONED, Ex-STORMWITCH und so weiter) einen zusätzlichen, sturmerprobten Live-Gitarristen verpflichtet hat und die ersten Dates stehen. Los geht’s schon am 20. Oktober in der Stadthalle Lohr mit der Release-Party. Mehr Informationen gibt es hier: www.facebook.com/finalbreathofficial.
STEVE PERRY war für über 20 Jahre von der musikalischen Bildfläche verschwunden – auch wenn seine Songs mit JOURNEY zu den Dauerbrennern im AOR-Radio gehören und seine unverkennbare Stimme somit immer noch gegenwärtig ist. 20 Jahre in denen er gebeutelt von Krankheiten, Depressionen und menschlichen Verlusten wohl kaum Lust auf Musik hatte. Das hat sich nun, ich Alter von 69 Jahre geändert – und die Stimme von JOURNEY ist immer noch als die Stimme von JOURNEY zu erkennen. Auch wenn Perry gesanglich Volumen und Kraft eingebüßt hat, es alles in allem rauer, teilweise brüchiger klingt. Die Songs auf „Traces“ an sich geben sicherlich Perry’s Seelenlage wieder – und es ist STEVE PERRY hoch anzurechnen, dass er dies auf diese Weise verarbeitet. Aber leider genügt das Ergebnis aus meiner Sicht nicht den hohen Erwartungen, die man an ein Album mit JOURNEY-Background stellen darf. Denn die Songs sind kompositorisch wie auch melodisch nicht überzeugend. Die 10 Tracks sind überwiegend schmalzig geraten und lassen vom Tempo wie von der Melodieseite Ausreißer nach oben vermissen. „Traces“ besteht ausschließlich aus Balladen – wobei als die Besseren das mit Mitteteil der Scheibe platzierte Trio aus „No More Cryin“, „In The Rain“ und „Sun Shines Gray“ benannt werden kann. Ansonsten ist das Album trotz der nachvollziehbaren Beweggründe einfach ein ganzes Stück zu ruhig, fast kitschig geraten. „Traces“ ist wohl eher nur was für die Fans des STEVE PERRY und balladesker Töne.
Michael Sele ist zurück: mit „Flying With The Owl“ erscheint das neue – mittlerweile achte – Album des Masterminds von THE BEAUTY OF GEMINA. Dass das Werk ausgerechnet im Herbst das Licht der Welt erblickt, passt wie die Faust auf´s Auge, schließlich sind THE BEAUTY OF GEMINA nicht gerade für ihre überbordende Fröhlichkeit und Lebenslust bekannt. „Flying With The Owl“ ist allerdings selbst für Michael Sele-Verhältnisse ausgesprochen schwermütig, um nicht schon zu sagen depressiv geraten. All jenen, denen ohnehin schon der Herbst-Blues auf´s Gemüt schlägt, wird damit hier zur Vorsicht geraten (oder zumindest zum Bereithalten von Antidepressiva). Praktiziert wird absoluter musikalischer Minimalismus: auf das Nötigste beschränkt, nahezu durchweg komplett ruhig gehalten, gleichzeitig aber atmosphärisch sehr dicht, mitunter auf eine spröde Art fast schon elegisch. Große Melodien fehlen, was sicherlich durchaus Teil des Konzepts ist, einem durch die dadurch vermittelte Trostlosigkeit nach einer Weile aber irgendwie auf die Stimmung drückt. Einzig und allein „Tunnel Of Pain“ hebt sich vom Gesamtsound des restlichen Albums ab und kommt unerwartet flott daher, was dem Hörer eine wohltuende Pause von der auf Dauer doch ziemlich niederdrückenden Schwermut gibt. „Flying With The Owl“ gleich einem Gemälde: ein düsteres, trostloses Gemälde zwar, aber nichtsdestotrotz ein Gesamtkunstwerk, das aus den genannten Gründen jedoch nur in Maßen genossen werden kann.
„I Love Rock N Roll“ kann ein Jeder aus dem FF mitgrölen. Es ist vor allem dieser Hit der die Rockröhre JOAN JETT Anfang der 80er bekannt gemacht hat. Die Geschichte der JOAN JETT wird jetzt in einer Dokumentation von Kevin Kerslake erzählt, welche bereits auf dem Sundance Film Festival lief – angefangen als Punksängerin und mit der All-Female Band THE RUNAWAYS (mit Sandy West, Jackie Fox, Cherie Currie und Lita Ford), über die Erfolge Anfang der 80er, ihre Rolle als weiblichere Vorbild im Musik-Biz bis zur Aufnahme in die „Rock’nRoll Hall Of Fame“ im Jahre 2015.
Dabei gibt es neben den bekannte Hits wie „Do You Wanna Touch Me (Oh Yeah)“, „I Hate Myself For Loving You” und „Crimson and Clover“ sowie „I Love Rock N Roll“ in einer Version mit Steve Jones und Paul Cook auch einige Tracks der RUNAWAYS zur hören („Cherrry Bomb“ zum Beispiel). Dazu kommen noch ein paar Schmanckerl wie der als Opener fungierender neuen JOAN JETT AND THE BLACKHEARTS-Song „Fresh Start“, „Rebel Girl“ von BIKINI KILL und „Androgynous“ als Kooperation zwischen Joan Jett, Miley Cyrus und Laura Jane Grace. Die dargebotene Mixtur zeigt die Facetten der Künstlerin von ihren recht rauen Anfangstage bis zum Rock der Neuzeit in einer ansprechenden, nachvollziehbaren Form. Der Soundtrack zum JOAN JETT-Film „Bad Reputation“ ist somit eine kurzweilige schöne Sache.
1. Fresh start ("Bad Reputation")
2. Bad reputation ("Bad Reputation") - Jett, Joan
3. Rebel rebel ("Bad Reputation")
4. Cherry bomb ("Bad Reputation") - Runaways, The
5. Wasted ("Bad Reputation") - Runaways, The
6. Love is pain ("Bad Reputation")
7. Do you wanna touch me (Oh yeah) ("Bad Reputation")
8. I love rock n roll ("Bad Reputation") - Jett, Joan / Jones, Steve / Cook, Paul
9. Victim of circumstance ("Bad Reputation")
10. I hate myself for loving you ("Bad Reputation")
11. Crimson and clover ("Bad Reputation")
12. Rebel girl ("Bad Reputation") - Bikini Kill
13. I wanna be your dog ("Bad Reputation")
14. Fetish ("Bad Reputation")
15. Change the world ("Bad Reputation")
16. Feminazi ("Bad Reputation") – Fea
17. Androgynous ("Bad Reputation") - Jett, Joan / Cyrus, Miley / Grace, Laura Jane
Nach dem sehr gelungenen Ausblick "Zwischen Emscher & Lippe" liegt mit der Doppel-CD "Bier Ernst" nun das inzwischen siebte Langspielwerk der trinkfreudigen Truppe um SODOM-Kopf ONKEL TOM Angelripper vor. Und man kann wie immer festhalten, dass das Album niemanden bekehren wird, der Toms Zweitband bereits seit ihrer Gründung im Jahr 1995 nichts abgewinnen kann. Zwar haben die ernsteren Untertöne (besonders auf der zweiten CD) etwas zugenommen, aber primär geht es nach wie vor um den guten Freund Alkohol, dem mit Stücken wie "Flasche Zu Flasche" (sehr gute Nummer!), "Wir Trinken Wenig" (im Original von Mike Krüger), "Durst Ist Schlimmer Als Heimweh", "Jacky Cola", "Trunkenbold" (im Original von TORFROCK) oder "Bier Bier Bier" gefrönt wird. Auf besagter zweiten Scheibe finden sich etwa mit "Ich Finde Nur Metal Geil" (cool!), "Ich Muss Hier Raus", dem oben erwähnten "Zwischen Emscher & Lippe", "Auf Dünnem Eis" oder "Das Blaue Buch Des Lebens" einige Songs, die nicht von flüssigem Brot handeln, stellenweise düstere Inhalte offenbaren und mich in Sachen Songwriting sogar bisweilen dezent an die BÖHSEn ONKELZ erinnern. Lediglich die beiden gruseligen Nummern "Von Arschlöchern Für Arschlöcher" und das abschließende "Polizisten" hätte sich das Quintett klemmen können, ansonsten ist "Bier Ernst" von vorne bis hinten eine sehr unterhaltsame Angelegenheit geworden, die einmal mehr zwar nicht als Meisterwerk durchgeht, jedoch eine äußerst spielfreudige Band auf qualitativ hohem Niveau präsentiert, deren Gesamtkonzept man eben mögen muss. Weitere Argumente für diesen Doppeldecker sind die fette Produktion sowie das sehr ansehnlich aufgemachte Digipak mit dickem Booklet. In dieser Form darf ONKEL TOM also gerne noch ein paar Jährchen weitermachen!
Der Herbst zieht ins Land und passend dazu erscheint mit „Ultraviolet“ das neue Album von POETS OF THE FALL, die Zeit ihrer bisherigen Bandgeschichte bestens dazu geeignet waren, einem diese zu leichter Wehmut verführende Jahreszeit zu versüßen. Um es gleich vorwegzunehmen: „Ultraviolet“ ist kein zweites „Carnival Of Rust“. Ein derart großartiger Wurf ist vermutlich nahezu unmöglich zu wiederholen und legt die Messlatte entsprechend zwangsläufig sehr hoch. Gleichzeitig muss aber auch gesagt werden, dass dies zu beklagen eindeutig Jammern auf sehr hohem Niveau darstellt, denn die POETS haben ein derartiges Händchen für Melodien und einen schönen Gesamtklang, dass es ihnen wahrscheinlich selbst dann nicht gelingen würde, einen schlechten Song zu schreiben, wenn man versuchen würde, sie mit vorgehaltener Waffe dazu zu zwingen. Wie also klingt „Ultraviolet“? Die rockigen E-Gitarren sind deutlich in den Hintergrund getreten und zum Teil ganz verschwunden, die Band kommt jetzt insgesamt ruhiger und poppiger daher. Nichtsdestotrotz ist die musikalische Handschrift der POETS intakt geblieben und vom ersten Ton des eingängigen Openers und Ohrschmeichlers „Dancing On Broken Glass“ unverkennbar: schöne, Band-typische Melodien und ein einzigartig warmer Gesamtklang, für den exemplarisch auch „Fool´s Paradise“ genannt werden soll. Ein wenig überraschender, dabei aber nicht weniger gelungen, präsentiert sich die erste Single „False Kings“, die sowohl vom Musikalischen als auch vom zugehörigen Video her ein gewisses James Bond-Flair verbreitet. „Standstill“ und „A Perfect World“ kommen ruhig daher, das schwelgerische „The Sweet Escape“ und „Angel“ kokettieren mit 80er-Pop-Arrangements, wobei es bei letzterem etwas weniger auch getan hätte – da hätte man ruhig mal wieder die Alternative-Gitarren rausholen können, zumal nahezu die gesamte zweite Hälfte des Albums tendenziell sehr ruhige Töne anschlägt. Man mag die rockige Seite der Band zurecht vermissen, ihre musikalische Qualität jedoch wirkt auch ohne prominente E-Gitarren. „Ultraviolet“ ist kein großes musikalisches Feuerwerk einzelner Songs, sondern als Gesamtwerk Balsam für die Seele – das CD-gewordene Äquivalent zu einer warmen, weichen Decke, in die man sich an grauen Tagen einhüllt und zu einer heißen Tasse Tee, die einen die Kälte vergessen lässt.
Auf den ersten Blick hat sich bei den Berlinern ROTOR nicht viel geändert. Sie spielen immer noch instrumentalen Stoner-Rock mit progressiven Einflüssen, die Songs tragen weiterhin deutsche Titel, und ihre Alben nummerieren sie wie eh und je durch – das neue nennt sich dementsprechend schlicht und ergreifend „Sechs“. Ihre Stücke sind lediglich etwas länger geworden und bewegen sich zwischen knapp sechs und neuneinhalb Minuten.
Veränderungen zeigen sich aber im Detail: So ist „Sechs“ wohl das vielfältigste, sprich gleichzeitig härteste und melodischste, Werk der mit dem letzten Album (klar: „Fünf“) auf ein Quartett angewachsenen Band. Das zeigt sich schon im Opener „Falscher Dampfer“: Das beginnt vertrackt, groovt dabei aber fast schon funky und ziemlich fröhlich, was nach knapp zwei Minuten zum ersten Mal durch ein heftiges Riff durchbrochen wird. Etwa auf der Hälfte folgt dann ein Ohrwurm-Lick, und am Ende steht ein akustischer, beinahe lyrischer Ausklang. Das folgende „Allmacht“ ist ähnlich komplex aufgebaut, enthält in der Mitte aber auch noch einen epischen Zwischenpart, aus dem heraus sich eine zurückgenommener Jam-Passage entwickelt, die gegen Ende wieder Fahrt aufnimmt. „Abfahrt!“ dagegen macht zumindest am Anfang seinem Namen alle Ehre und startet treibend, wechselt dann aber in einen schleppenden Doom-Part, dem ein psychedelischer Mitteilteil und ganz am Ende ein schweres BLACK SABBATH-Gedächtnis-Riff folgen. Beim abschließenden „Druckverband“ nehmen sich ROTOR dann viel (bzw. noch mehr) Zeit: Zu Beginn passiert nicht viel, es verbreitet sich eine beinahe meditative Stimmung, und dann wird das Stück langsam, aber stetig aufgebaut, bis zu einem tosenden Finale.
Mit „Sechs“ liefern ROTOR ihr vielleicht komplexestes, gleichzeitig aber auch zugänglichstes Album ab. Ungewöhnliche Rhythmen und treibende Parts werden mit schwerem Riffing und ruhigen, schwebenden, Passagen verbunden, die fast schon zerbrechlich wirken, aber immer die Spannung halten. Und auch ohne Gesang gelingt es ihnen, immer wieder Melodien entstehen zu lassen, die sich im Ohr festsetzen.
Wer nur den Albumtitel liest, denkt unweigerlich an eine dieser "alternativen", pseudointellektuellen Gutmenschen-Hornbrillen-Bands, die ihre Schleimspuren in der nicht vorlesungsfreien Zeit über die Uni-Partys der Republik ziehen und allerhöchstens noch bei postrebellischen Bologna- und Pisa-Opfern einen bleibenden Eindruck in Form kultureller Credit Points hinterlassen. Doch darüber können MONOPHONIST aus Köln nur müde lächeln, denn das jazzig rockende Quartett sitzt nicht zwischen allen Stühlen, sondern liegt in musikalischer Hinsicht quasi unter dem Sofa. Den traditionellen Metallern dürften die Herren Sauerborn, Hartwig, Hölscher und Hoffmann mit ihren Saxophon-Einsätzen, Kontra- und Synthiebass-Orgien zu weit von der Basis entfernt sein, den traditionellen Jazzern jenseits des 70sten Lebensjahres (darunter gibt es keine!) jedoch zu brachial aufspielend und wenig standardfreundlich. Stellt Euch in etwa den musikalischen Anspruch von CYNIC oder FORCES AT WORK vor, gepaart mit der lyrischen Schrägheit von HONIGDIEB oder wahlweise OMA HANS, und Ihr habt ungefähr den Bruchteil eines Schimmers, was hier wirklich abgeht: "Glücklich ist das Kind - über das Eis in der Hand - wohnend in der Familienhölle - für 602000 Euro" (aus "Der Preis Der Freiheit") oder "In einer Zeit, in der mir das Bier nicht mehr schmeckt - lasse ich um mich schießen in meinem Gartenhaus - die Flak Richtung Schädeldecke, Fadenkreuz auf Objekt - sprengt die Schraubzwinge um meine Lunge" (aus "Des Trebers Abschied"), und das sind nur zwei Strophen, die aus dem sehr originell und ansehnlich aufgemachten Digipak-Booklet direkt ins Auge hüpfen. Mit "Der Grenzstein Ist Kein Schöner Anblick" haben die Jungs sogar eine waschechte Mitsing-Hymne kreiert, die man auch als initialen Anspieltipp empfehlen kann, in die schräge Welt von MONOPHONIST einzutauchen. "Über Die Freiheit Der Praktischen Unvernunft" ist ein äußerst originelles Stück Musik von einem Haufen Verrückter, das man eben auch nur Verrückten empfehlen kann. Diese dürfen sich hier gerne einen "Tipp" notieren, aber die große weite Welt ist wahrscheinlich noch nicht bereit für diesen saucoolen Irrsinn!