STRANGER VISION haben sich was vorgenommen und vertonen mit „Prelude To Madness“ Goethes „Faust“. Dass ist nicht gerade die ganz leichte Abendmuse und so gleicht man sich auch musikalisch an, denn der moderne und in keinster Weise kitschige Power Metal präsentiert sich komplex und abwechslungsreich. Durch die kraftvollen und partiell recht aggressiven Vocals von Sänger Ivan Adami erinnert man mitunter an SYMPHONY X und auch die Landsmänner von DGM scheinen ab und an durch. STRANGER VISION begehen aber nicht den Fehler und setzen das komplexe Sujet der literarischen Vorlage nicht zu verkopft um, sondern lassen es auch ganz ordentlich krachen. Ab und an lockern orchestrale Zwischenspiele das Album auf, über weite Strecken jedoch regieren ganz klar die Axt und harte Doublebass Attacken.
In Songs wie „Nothing Really Matters“ (hier gibt sich James LaBrie die Ehre) oder das abschließende „Fly“ offenbaren STRANGER VISION auch ein gutes Gespür für memorable Melodien, die sich schon nach kurzer Zeit aus den Riffwänden herausschälen und „Faust“ auch dann goutierbar machen, wenn man nicht mit Johanns ollem Schmöker auf den Knien dasitzt und eifrig mitliest. Wenn man sich allerdings tiefer einlassen möchte, dann bietet „Faust“ auch dafür genug Stoff und Möglichkeiten. Im Booklet befindet sich neben den Texten auch eine Art Leitfaden, welcher prinzipiell in die Thematik des Faust (also der innere Kampf zwischen Glaube und Versuchung, die Jagd nach der ultimativen Wahrheit und die Konfrontation mit den eigenen Urängsten; sprich das „Menschsein“ an sich) einführt und den inneren, konfliktbehafteten Weg des Protagonisten umreißt.
„Faust – Act I Prelude To Madness” ist wie der Name es schon vermuten lässt, nur der erste Teil. Ein weiterer soll alsbald folgen. STRANGER VISION beweisen, dass Heavy Metal auch abseits der gängigen Klischees wunderbar funktioniert und zu Recht auch Thema im Feuilleton großer Mainstreampublikationen geworden ist.
Nach über vier Jahrzehnten der Stille erscheint nun endlich neues Material von THIN LIZZY! Manch einer mag denken, dass der ‚Giftschrank‘ nur geöffnet wurde, um ein wenig Geld zu scheffeln. Doch mit “Acoustic Sessions“ erwartet uns ein wahres Juwel, das sich keiner entgehen lassen sollte, der auf gepflegten (akustischen) Rock steht. Es handelt sich hierbei um ein außergewöhnliches Projekt, das von Decca Records initiiert wurde und für das man mit Eric Bell (Gitarre) ein Gründungsmitglied der legendären Truppe gewinnen konnte.
Zunächst wurden die meisten Titel akustisch auf der Gitarre oder einem Klavier aufgenommen, und man entwickelte später daraus die Endfassungen, verriet uns Eric. Von Phil Lynott (Gesang und Gitarre) und Brian Downey (Schlagzeug) wurden im Folgenden die Originalparts verwendet, und Eric nahm sein Gitarrenspiel zum Teil neu auf. Der ein oder andere Track wurde so erst unplugged erschaffen.
Die Songs stammen allesamt aus der ersten Phase der Iren, bevor der Twin-Lead-Gitarrensound zu ihrem Markenzeichen wurde. Allerdings ist mit “Whiskey In The Jar“ ein absoluter Kracher mit am Start. Obwohl sich die Band zunächst von diesem Traditional distanzierte, da sie den Kultsong nur auf Drängen ihres damaligen Managers eingespielt hatte, verhalf es ihnen zum Durchbruch und adelte das Album “Vagabonds Of The Western World“, indem man es nachträglich (1991) hinzufügte. Selbstverständlich funktioniert diese Nummer ohne Stromgitarre vorzüglich.
Der Einstieg freilich mit “Mama Nature Said“ ist ein roher, fast schon intimer Moment, den Phil mit viel Leidenschaft, lediglich von Eric dezent begleitet, vorträgt. Demgegenüber wirkt “A Song For While I'm Away“ mit orchestraler Untermalung nahezu overdressed. Der sanfte, melodische Gesang hingegen fungiert buchstäblich als Weichzeichner. “Eire“, ursprünglich auf dem Debüt, ist eines der musikalischen Sahnestückchen auf dem Longplayer. Man kann hier schön die Bassspur von Mr. Lynott hören, und Eric hat auf die 12-saitige eine diskrete Slide-Gitarre oben drauf gepackt. Das Stück wurde dann noch mit einem unwiderstehlichen Akustiksolo veredelt, sodass es am Ende doppelt so lange ist wie im Original.
Beim “Slow Blues – E.B.“ (E.B. steht für Eric Bell; mit den Initialen G.M. findet man auch eine Version von Gary Moore auf der D2C-Edition als Bonus) wurde schlicht und ergreifend das Thema verfehlt, zum Glück möchte man sagen. Hier ist nämlich die volle Kapelle am Start, plus Clodagh Simonds am Piano. Brian Downey hat das Stück nicht nur mitgeschrieben, sondern auch durch sein Spiel mitgeprägt. Ein düsterer Blues, der mit feinen Jazzeinflüssen verwoben ist, entfaltet eine hypnotisierende Atmosphäre, was am Ende zu einem psychedelischen Flair führt – passend zum Albumcover von “Vagabonds Of The Western World“, wo es ursprünglich zu finden ist.
Der Rausschmeißer “Remembering Pt 2“ ist der Titel mit dem meisten Drive. Die Dynamik, die allein Brian am Schlagzeug erzeugt, treibt den Rest des Triumvirates im wahrsten Sinne des Wortes im Galopp durch das Lied.
“Acoustic Sessions“ ist ein wunderbares Stück Musik, das uns an der Hand nimmt und zurück in eine Zeit führt, als alles noch eine Spur langsamer und gemächlicher war. Es geleitet uns zu den Anfängen einer wahrlich großen Rockband, die auch jenseits von gewaltigen Gitarrengewittern und epischen Hymnen mit unfaßbar viel Gefühl und leisen Tönen großes Liedgut erschaffen hat. Über all dem schwebt die unverwechselbare Stimme des viel zu früh verstorbenen Phil Lynott (R.I.P.), die genauso facettenreich ist, wie sein Heimatland, das er so sehr geliebt hat.
„Birna" („Bärin"), heißt das neue Album von WARDRUNA. Nun ist man von den Norwegern ja gewohnt, dass sie keine radiotaugliche seichte Kost liefern, und passend zu dieser Linie ist „Birna" ein Konzeptalbum geworden, dass thematisch dem Lebens- bzw. Jahreslauf einer Bärin folgt, von Phasen reger Aktivität bis zum Winterschlaf. Der Opener „Hertan" beginnt denn auch ganz organisch mit - der Titel verrät es schon - einem Herzschlag als Rhythmus. Ebenso naturnah wie arachaisch klingt das, was da aus den Boxen schallt, und es verwundert nicht, dass Einar Selvik mitverantwortlich war für die Soundtracks von „Vikings" und „Assassins Creed: Valhalla". „Birna" fühlt sich nahezu auf ganzer Länge weniger wie ein Studioalbum im klassischen Sinne als vielmehr wie ein Soundtrack an, der mühelos Bilder vor dem inneren Auge heraufbeschwört: man fühlt sich sofort in den hohen Norden versetzt, sieht nebelverhangene Fjorde und schroffe Berge und erwartet ein Drachenboot hinter der nächsten Ecke. Klassische Ohrwürmer sucht man hier vergebens, es sind vielmehr Klanggemälde, die einen in vergangene Zeiten und an entlegene Orte entführen, die WARDRUNA einem da kredenzen. Dazu tragen die archaische Instrumentierung und die immer wieder zum Einsatz kommenden Naturgeräusche ebenso bei wie die Verwendung altnordischer Texte. „Dvaledraumar" ist ein 15-minütiges Epos, das sich schon fast meditativ ruhig präsentiert, hier passiert fast nichts, um den Eindruck eisiger Ruhe zu vermitteln – sogar der Klang sogenannten „singenden Eises“, eingefangen von der schwedischen Künsterlin Jonna Jinton, kommt hier zum Einsatz. „Skuggehesten", das „Schattenpferd", dagegen kommt ausgesprochen düster und regelrecht bedrohlich daher, getragen vom Rhythmus des namensgebenden galoppierenden Pferdes.
WARDRUNA gelingt es mit „Birna" einmal mehr, eine ganz eigene, unheimlich dichte Atmosphäre zu schaffen, die einen sofort in ihren Bann zieht. Es ist kein Album zum nebenbei berieseln lassen, aber wer bereit ist, sich auf die Musik der Norweger einzulassen, der wird aus dem Alltag herausgerissen und unternimmt eine faszinierende Reise durch Zeit und Raum- „Birna" ist Kopfkino, dass einen in eine ganz andere Welt transportiert.
Finnen? Spinnen? Naja, Auf jeden Fall macht die viele Dunkelheit nicht nur blass, sondern auch mies gelaunt, auch wenn irgendwelche Untersuchungen ständig davon schwadronieren, dass die Skandinavier zu den zufriedensten Menschen der Welt zählen. Diese CD ("Die Dekadenz des Geistes und der Welt") beweist glasklar und vor allem empirisch absolut unbelegbar: Stimmt nicht!?! Sonst würde die Songs ja nicht heißen wie „Allein zu Hause im Chaos“ („Yksin Kotona Sekaisin“), „Karma mit Rachegelüsten“ („Karma Kosta“) oder „Graues Licht (Harmaa Valo“). Und vor allem gehen KOURISTUS ("Kostenlos"???) musikalisch alles andere als frohen Mutes zu Werke. Und es geht auch keineswegs um finnische Skilangläufer wie , denn das ist der „schlimmste Feind“ („Pahin Vihollinen“). Es gibt 15 Songs auffe Omme, außer „Kuolevainen Rääkyy“ („Tödliche Überreste“) keiner länger als 1:50 Minuten – das unterstreicht die Richtung der Finnen: Grindcore (aber kein Fun-Porn), Hardcore (aber nix Hatebreed) und Punk (jedoch kein Slime). Alles zusammen lässt vor allem an Discharge in einer kaputteren Version denken. Heiser-hektisches Geschrei trifft schrammelig-schnelle Gitarren, dazu trocken-sparsames Drumming – all das ergibt eine schlecht gelaunte, aggressive Muschpoke, die trotz aller Negativität irgendwie gute Laune macht. Paradox, oder? Wer diese CD haben will, sollte sich beeilen, denn es gibt nur 300 Stück der seit 2013 Krawall machenden Bande aus Tampere. Informationen im Netz gibt’s reichlich: kouristus.bandcamp.com, https://visceralcircuitryrecs.bandcamp.com, https://nihilistic-webzine-distro.fr, https://nihilistic-webzine-distro.fr/Webshop.