Die Welt wird kleiner und so rücken seit einigen Jahren immer mehr Bands in den Fokus, die eben nicht aus Mittel- und Nordeuropa oder den USA kommen. Gerade BLOODYWOOD aus Indien haben einen Raketenstart hingelegt. Während andere indische Bands wie AGAINST EVIL oder MUSTANG eher traditioneller unterwegs, sind BLOODYWOOD hochmodern. Man verbindet ultraheavy Breakdown Riffing mit tonnenschweren Grooves und meist aggressiven Shouting in ihrer Muttersprache. Zur Auflockerung in der ansonsten undurchdringlichen Gitarrenwand, gibt immer wieder folkloristische Einsprengsel und Breaks. Kitschig im Sinne von süßlichen Bollywood Melodien ist hier nichts, dennoch ist das Material extrem tanzbar und funktiert auf einem entsprechenden Festival sicher prächtig. Die Verzahnung von indischem Folk und dicke Eier Metal funktiert insbesonder beim abwechslungsreichen „Dhadak“ prächtig und das sind die Momente, in denen mir BLOODYWOOD am besten gefallen. Wenn sie sich zu sehr auf reine Heaviness verlassen, dann wird es mir schnell auch mal zu eintönig. Die Kollaberation mit BABYMETAL „Bekhauf“ dürfte jeden aufrechten Traditionsmetaller sofort ins Koma befördern, macht als durchgeknallte Fusion aus Dancebeats, NU Metal Gitarren und den sehr unterschiedlichen Stimmen aber durchaus Laune. Ich kann zwar dem einen oder anderen Song etwas abgewinnen, auf Dauer ist mir das Breakdown Dauerfeuer way too much und die Effekthascherei zu over the Top. Allerdings kann ich verstehen, woher der Hype und die aktuelle Erfolgswelle kommt, denn BLOODYWOOD verstehen es sehr gut ihre kleinen traditionellen Einsprengsel mit ultramodernen Groove Metal zu verbinden. Ich würde mich nicht wundern, wenn das demnächst auch hier größere Hallen fühlen wird.
STORM ORCHESTRA aus Paris dürfen für sich in Anspruch nehmen einem durchaus ungewöhnlichen Sound zu frönen. Vermengen sich hier doch Art- und Schrammelrock mit eingängigen Pop-Rock und gar Hardcore. Und auch dank des letztjährigen Hits „Drummer“ (der auf den Streaming-Kanälen groß abgefeiert wurde) dürften zahlreiche Fans den zweiten Longplayer des Trios entgegenfiebern.
Und „Get Better“ liefert ab. Die 12 Songs sind eine Achterbahnfahrt unterschiedlicher Stile, welche aber immer ein Ganzes ergeben. Aus dem ersten Durchlauf sticht neben „Drummer“ vor allem die melodisch-emotionale Ballade „Désolé“ hervor. Aufgenommen zusammen mit der kanadischen Sängerin JJ Wilde hat man hier einen respektablen Hit veröffentlicht, dem es sicher nicht an Airplay mangeln wird. Als Single eine richtig gute Wahl. Die zweite Kollaboration „Crush The Mirrors“ geht dann genau in die entgegengesetzte Richtung. Zusammen mit Bertrand Poncet (Sänger der französischen Hardcore-Crossover-Band CHUNK! NO, CAPTAIN CHUNK!) liefert man einem mit rauem Gesang und düster-harten Instrumentierung versehenen Rockkracher ab. Auch die anderen Songs fallen da nicht ab, da sie allesamt mit Power und eingängigem Einfallsreichtum aufwarten – der Opener „Bright Soul“ darf man da mal nennen. Und so machen Maxime Goudard (Gesang, Gitarre), Adrien Richard (Bass) und Loïc Fouquet (Schlagzeug) alles richtig. Mit „Get Better“ sollte es STORM ORCHESTRA locker gelingen ihren internationalen Bekanntheitsgrad weiter zu steigern. Chapeau!
Wikipedia schreibt, ein Ornament ist ein „sich meist wiederholendes, oft abstraktes oder abstrahiertes Muster, Schmuckelement oder -motiv mit für sich genommen symbolischer Funktion. Ornamente finden sich auf Stoffen, Bauwerken, Tapeten. Ornamente sind oft Bestandteil oder Motive in der dekorativen Kunst, beispielsweise im Kunsthandwerk“. Oder in der Musik, denn die Spanier ORNAMENTOS DEL MIEDO nennen sich „Ornamente der Furcht“. Wenngleich der Band-Name den des Spanischen recht unkundigen Germanen irgendwie an die spanischen Mega-Seller Héroes del Silencio erinnert, so ist die Musik der Bands meilenweit voneinander entfernt, auch wenn Heimatstädte Burgos und Saragossa nur 300 Kilometer trennen. Das doomende Projekt ORNAMENTOS DEL MIEDO – das ist lediglich Angel Chicote – kämpft leidenschaftlich gegen die Windmühlen der guten Laune. Seine Waffe ist Atmospheric Funeral Doom Metal und zum Handwerkszeug gehören nicht gerade im Hintergrund schwelgende Keyboards. Und eine höchst unzufriedene Stimme, die die Worte nur so dahingrunzt und rotzt. Kurz und bündig drückt Angel das aus, was er sagen muss. Und das richtet sich gegen eine kranke Gesellschaft – es stinkt überall. Mit „ODM“ verbreitet Chicote die schier unerträgliche Langsamkeit des Seins, die wenigen Hoffnungsschimmer bringen singende Gitarren, die Chicote aber mit seinem depressiven Gesang wieder zunichte macht. Den Titel „Leer wie ein toter Baumstamm“ trägt das sechse Album des 2017 gestarteten Solo-Projekts vollkommen zurecht. Denn – so als Metapher: Wenn was in den toten Bäumen im Harz krabbelt, dann sind das die Fichten-Borkenkäfer. Nun meinen studierte Biologen anderseits, dass es ein Leben nach dem Baumsterben gibt. Auch deswegen werden Bands und Projekte wie ORNAMENTOS DEL MIEDO weitermachen, denn sie haben tatsächlich etwas zu sagen. Leider kann der Sound nicht ganz mit der beeindruckenden Atmosphäre mithalten, manchmal klingt es doch etwas dünn und blechern. Aber selbst das kann der fast orgiastischen Steigerung der Spannung wie in „Nunca“ nichts anhaben. Ein quälendes Album ohne Geschwindigkeit, die bis auf den Nullpunkt abbremst, um dann mit Steigerung und sich immer wieder wiederholenden Gitarrentönen Schmerzen von Schönheit und Traurigkeit zu verursachen – wie im großartigen „Emociones Coaguladas“. Quälend – für Chicote sicherlich ein absolutes Qualitätsmerkmal.
„Shape of Grief“ ist die dritte Scheibe der Italiener, die sich 2016 so mir nichts, dir nichts aus Astral Domine entwickelt haben – 2016 kam der VEIL OF CONSPIRACY-Erstling „Me, Us and Them“. Das soll noch Progressive Metal gewesen sein. Beim aktuellen Werk handelt es sich aber um Doom. Doom mit vielen Death-Elementen, wie der gegrunzten Stimme von neuen tollen Sänger Nicola Belotti, der sein Debüt feiert. Aber keine Angst: Es wird nicht nur gegrunzt. Und noch besser: Er kann auch clean singen – ohne, dass es eirig oder windschief klingt. Und auch der gelegentliche Frauengesang passt sich unpeinlich und niemals aufgesetzt in die spannenden Songs ein. Und dass Belotti beides kann, kommt der Veröffentlichung enorm entgegen – sie mutiert zu einer Achterbahn der Gefühle. Der Song „Burden“ zum Beispiel bietet wunderschöne Momente in einer wirklich trost- und hoffnungslosen Atmosphäre. Manchmal lassen die Römer gotische Elemente und Riffs von Paradise Lost denken („Disant Waves“), zumal sie sich auch die Zeit nehmen, mit gezogenen Soli mal vom Elend der Welt abzulenken. Und so wabert „Shape of Grief“ hin und her zwischen zerbrechlichen Melodien – nachdenklich und melancholisch – bis hin zu totaler Depression, schierer Verzweiflung und tiefer Trauer – wie "Empty Shores". Allein die gelungene stimmliche Abwechslung lässt “Shape of Grief“ nie langweilig werden. Aber die tollen, interessanten Songstrukturen machen das Album zu einem wirklich guten. Das sich nicht nur 100-Prozent-Doomer zu Gemüte führen können. Funfact: Gemixt und gemastert hat ein gewisser Øystein G. Brun im Crosound Studio. Um es abschließend mal im Duktus lukullischer Freuden auszudrücken: Es muss nicht immer Dosenbier sein, in mancher Stimmungslage passt ein italienischer Rotwein einfach besser.
Wenn Meshuggah einen Mathe-Leistungskurs geben, dann sind IMPERIAL TRIUMPHANT die Professoren im Studium der Raketenwissenschaft. Mit Musik hat das Schaffen der Amis nur noch an der Basis etwas zu tun. Denn das Trio kippt alles Mögliche in eine riesige Petrischale, holt den Quirl heraus, den es vorher mit den Regeln der Navier-Stoke-Gleichung programmiert hat. Rein kamen, stumpf aufgezählt: (Death)-Metal, Rock, Math-Core und Jazz, Bläser, Percussions, immer wieder solistischer Bass, noisy Fast-Lärm, Gegrunze, Gewimmer, erzählerische Ziwschenspiele und Effekte und noch viel mehr. Raus kommt eine nahezu unhörbare, kakophonische Melange extremer „Musik“. An der Genießbarkeit des Albums ändern auch Gäste wie Dave Lombardo oder Yoshiko Ohara absolut nichts. Denn immer, wenn der ungebildete Hörer, denkt: „Oh, ein Song“, dann kommt wieder ein überraschendes Element aus dem Topf des Versuchslabors herausgepurzelt. Doch das Album endet nicht wie ein Experiment mit einem amtlichen Feuerwerk im Chemie-Labor oder mit dem Start einer Rakete in den Weltraum, sondern mit viehischen Kopfschmerzen oder gar imaginärem Ohrenkrebs. Deswegen klebt der Warnhinweis wie auf einer Schachtel Zigaretten nicht umsonst: „IMPERIAL TRIUMPHANT can impair your mental health and cause cardiovascular disease and epileptic seizure. Use new ,Goldstar‘ responsibly at own risk‘. Oder gar nicht. PS: Der Sound ist escht richtisch geil, längst nicht so künstlich wie es die musikalische Ausrichtung des Trios vermute ließe. Hochgebildete Musik-Nerds könnten mit diesem goldenen Star glücklich werden, genauso wie mit eben Meshuggah, Converge, The Dillinger Escape Plan oder Primus. „Normale“ Menschen müssen danach zum Arzt.
Aus der österreichischen Steiermark will die 2007 gestartete Formation VINEGAR HILL mit dem fünften Album ins Mark der Melodic-Death-Metal-Fans treffen. „Darkness Echoes“ zielt dabei eher auf die jüngere Zielgruppe, denn die Band versucht sich knallhart an einer moderneren Ausrichtung des ehemals Göteborg-Death-Metal genannten Genres. Sie machen das durchaus besser als die an den eigenen Frühwerk-Standards gescheiterten In Flames – und es gibt eben auch ganz wenig zu kritisieren. Die Songs wie der titelgebende Opener sind ultra-fett (aber eben auch sehr modern) produziert. Die Titel haben tolle Soli und ganz geile Melodien an den richtigen Stellen und sogar charmante Chöre wie in „Traitor’s Call“. Mit „The Scapegoat“ ist den Jungs sogar ein kleiner Hit gelungen. An manchen Stellen ist das Album mal richtig hart, dort auch mal ein bisschen cheesy. Die Stimme vom neuen Sänger Thomas Kaluza überzeugt klar, grunzy und aggro gleichermaßen. Die Songs sind ebenfalls okay. VINEGAR HILL ist die jahrelange Erfahrung anzumerken, es sitzt eben alles an der richtigen Stelle. Vielleicht zu richtig? Denn vieles an der Scheibe wirkt wie aus dem Handbuch für melodischen Death Metal zusammengebaut, so 08/15 für einen Wackengänger, dem Death Metal eigentlich zu hart ist, der aber mal so richtig heavy-deathy wirken will. „Darkness Echoes“ ist ein wirklich sehr professionelles Album, dem aber das Herzblut zu scheinen fehlt. Jedenfalls findet es der Rezensent nicht. Es wirkt zu aufgesetzt, zu sehr auf Nummer sicher. Moderne Melodic-Death-Fans werden vermutlich zu einem anderen Urteil kommen, aber Genre-Gelegenheitshörer greifen lieber zu Dark-Age-Klassikern, zur aktuellen Soul Demise "Against The Abyss" oder zu den historischen Blaupausen wie „Whoracle“. Und wer mal echte Härte probieren will, probiert sich an „The Red in the Sky Is Ours“.