Review: Raise The Curtain
JON OLIVA wollte endlich ein richtiges Soloalbum machen und musikalisch mal nicht nur seine bisherigen Hauptbands JON OLIVA's PAIN, SAVATAGE oder auch das TRANS SIBERIAN ORCHESTRA bedienen. Die Songideen für "Raise the Curtain" haben sich nach eigenem Bekunden in den letzten fünf Jahren angesammelt, außerdem hat er und jetzt wird es interessant alte Fragmente, Songansätze mit Kompositionen des verstorbenen Bruders Criss (Gitarrist und SAVATAGE-Mitgründer), die er auf alten Kassetten wieder gefunden hatte, hierauf mit verarbeitet.
Aber alle Altfans von SAVATAGE, die hier eventuell besondere Perlen in Richtung der Anfangstage dieser Formation erwarten haben, seien gleich vorgewarnt: die dargebotene Musik klingt doch vielfach etwas anders, da der Meister einige „seltsame“ Ideen hatte, die er schon immer umsetzen wollte, jetzt war endlich die Zeit reif dafür, ob es seine Fans auch sind?!
Das Material kommt eher etwas 70er Jahre lastig daher mit ganz vielen Progsprengseln, viele Breaks, es werden viele andere Stile, Rhythmen und Klänge verwendet, die in der bisherigen eher Metal/Rock dominierten Musikrichtung des Meisters nicht in dieser Art vorkamen. Da sollte man schon etwas aufgeschlossener sein, viel Geduld und Toleranz mitbringen, um sich auf diese spezielle musikalische Reise einzulassen. Aber es lohnt sich größtenteils schon, nach einigen Durchgängen kristallisieren sich einige klasse Songs heraus.
Auf „Raise the Curtain“ agiert Oliva dabei vielfach in alter Singer/Songwritermanier was sich in zahlreichen balladesken Sachen zeigt („The Truth“ oder das leicht angebluesde „Can't get away“ mit einem tollen Gitarrensolo klingt stark nach dem FOUR NON BLONDES-Hit „What's up“,), dann auch mal etwas folkig-relaxed mit Akkordeon und CLAPTON-Gitarren und ganz sanften Vocals zeigt – ungewöhnlich aber gut gemacht. Überhaupt die Instrumentierung: alles klingt sehr lebendig und betont erdig, kein Hochglanzsound aber sehr authentisch. Die Gitarre rockt nur scheinbar im Hintergrund, da etwas weniger riffend wie gewohnt und der rotzige Gesang wechselt häufig mit milden Timbre. Trotzdem schimmern immer wieder seine Wurzeln durch, so dass man Querverweise zu seinen bisherigen Bands zwar schon noch findet aber sehr dezent.
Der eher fröhliche, nach opulentem 70er Prog in bester KANSAS-Manier tönende Titelsong startet sehr ungewöhnlich mit vielen Breaks und Instrumentalparts, es wummern fette Hammondsounds eher dann ein typisch theatralisches Finale folgt. “Soul Chaser“ stammt sicher aus dem SAVATAGE-Fundus, straighte Nummer mit derben Vocals auf den Punkt gebracht bleibt sofort hängen. Dan gibt es Sachen wie “Ten Years“ eine eine funky angehauchte Nummer mit Bläsersetzen und Honky-Tonk-Klavier - cool. “Father Time“ mit schönen Refrain klingt ebenfalls nach 70ern und erinnert etwas an „Long Train Running“ von den DOOBIE BROTHERS. Oliva kann natürlich auch Balladen “I Know“ braucht etwas Anlauf aber dann greifen die Pianolinie und viele akustisch-chillige Gitarrenparts.“"Big Brother“ ist wohl das „härteste“ Stück auf „Raise The Curtain“, ein schneller Kracher mit dem typisch batzigen Vocals des Sängers und tollen Orgelparts, das hat dann wieder was von den Oliva’s Pain-Sachen. Das melodramtische „Armageddon“ kommt etwas pompig-bombastsich mit Musicalflair daher, TSO-Reminiszensen sind unüberhörbar.
Das gediegene, etwas psychedelische “Soldier“ wurde sehr passend mit Flöten veredelt, es fehlt aber etwas der Hammerrefrain. Auch das wirre “Stalker“ mit seinen schräg krummen (Sprech)Gesangsparts bildet zusammen mit dem etwas zu unausgegoren “The Witch“ die deutlich schwächsten Songs der Scheibe. Wären diese 2-3 Ausfälle nicht hätte man sogar von einem klasse Album sprechen können.
Insgesamt ist die Scheibe für viele Altfans sicher diskussionswürdig bzw. stellenweise ein Schlag ins Gesicht, da viele Sache eher experimentell und ungewohnt klingen. Oliva war dies sicherlich auch so bewußt, für den Mut aus dem gewohnten auszubrechen gebührt ihm zumindest Respekt. Wer etwas unvorbelasteter bzw. ohne Scheuklappen an die Sache ran und OLIVA vorher eventuell vorher nicht mochte wird hier trotz allem ein abwechslungsreiches Album vorfinden.
Raise The Curtain
Band:
Genre:
Nicht angegeben
Tracks:
12
Länge:
57:5 ()
Label:
Vertrieb:
Konzert:
Everlast, Dan Patlansky - Hamburg, Fabrik
Konzert vom Satte 15 Jahre ist es her, als EVERLAST mit „Whitey Ford Sings The Blues“ den Schritt vom HipHop zum radiotauglicheren Pop-Rock wagte; den Groove behielt er jedoch immer bei, Gesellschaftskritik wurde fortan massenkompatibler verbreitet und mit oben genannter Scheiben sowie den zwei Nachfolgern „Eat At Whiteys“ (2000) und „White Trash Beautiful“ (2004) erzielte er vor allem in Europa mehr als nur Achtungserfolge. Nun hat er auch an diese Musik ein dickes Barbiermesser angelegt und die gesamte Band gestrichen, um mit „“The Life Acoustic“ in diesem Jahr ein – wer hätte es bei dem Titel gedacht? - Akustik-Album vorzulegen. Die dazugehörige Tour führte ihn Ende Oktober auch in die zu etwas mehr als zwei Drittel gefüllte Hamburger Fabrik.
Den Anfang macht aber um Punkt 20 Uhr Dan Patlanksy aus Südafrika. Ja, könnte ein hübscher Surfer sein, etwas Hipster in skinny Jeans und passendem Denim-Hemd, mit Woll-Beanie auf dem Kopf und gepflegtem 10-Tage-Bart. Aber was von der Rampe in die bis dato mäßig gefüllten Reihen strömt, ist richtig tiefer, kraftvoller Blues wie er nicht amtlicher von einem US-Südstaatler abgeliefert werden könnte. Nicht zuletzt durch den geschickten Einsatz von Effekten beim Opener „Miss Oowee“ kommt die Musik irgendwie modern und doch sehr traditionell und bodenständig daher. Nahezu virtuos bearbeitet Patlansky mit dem Bottleneck abwechselnd seine zwei Gitarren und umgarnt mit seiner kratzig-rauchigen, druckvollen Stimme die Ohren des Publikums. Leider ist nach etwas mehr als 20 Minuten bereits wieder Schluss.
Was folgt ist eine Umbaupause, die den Namen eigentlich gar nicht verdient, denn im Grunde bleibt der spartanische Bühnenaufbau mit Mikroständer und Tisch vorm totenkopfverzierten Backdrop erhalten, der Synthie war auch bereits aufgebaut, nur Patlanskys Effektboard wird entfernt, sein Hocker ebenfalls und das Mikrostativ auf Standhöhe umgestellt, zudem werden das Sample-Notebook und ein Ventilator aufgebaut – da aber der Rechner offenbar Probleme macht, nimmt diese eigentliche Fünf-Minuten-Aktion satte 45 Minuten in Anspruch. Immerhin Zeit, dass sich die Fabrik noch etwas füllt.
Um kurz nach 21 Uhr startet dann Mr. Whitey Ford, unterstützt von Bryan Velasco am Keyboard mit „Broken“. Velasco verleiht EVERLASTs Songs hier eine funkige, dort eine soulige und immer wieder eine sehr bluesige Note, dazu liefert er an ausgewählten Stellen einen sehr variablen Backgroundgesang – was bei dem singfreudigen Publikum aber eigentlich überflüssig wäre. Ob den kraftvollen „NaNaNa“-Chor bei „Black Jesus“, den sanften Refrain von „Long Time“ oder den Offbeat-“Jump Jump“-Part in der humorig-ironischen 'layed back' Version des HOUSE OF PAIN-Klassikers „Jump Around“ - Gesang und Klatsch-Taktgefühl der Hamburger überzeugen Everlast und Bryan Velasco ein ums andere Mal und lassen die wohl etwas verkorkste Münster-Show vom Vorabend fast in Vergessenheit geraten – würden die beiden nicht stetig darauf herumreiten.
EVERLAST macht allerdings auch gleich zu Anfang klare Ansagen, staucht einen sehr aufdringlichen Fotografen zusammen („This is my workingstation tonight!“), weist das Publikum auf den Lautstärkepegel ihrer Unterhaltungen hin, der ihn bei einer Akustik-Show natürlich auf der Bühne stört – sei zwar noch nicht eingetreten, aber gestern .. in Münster … - und verweist auf das Rauchverbot mit Hinblick auch auf seine Stimme. In Kombination mit der Sonnenbrille, die Herr Schrody die ersten drei Songs trägt, wirkt er mit seinem Auftreten zunächst fast schon arrogant, zumindest sehr distanziert, zeigt aber zumindest so viel Einsatz, dass bereits nach dem zweiten Song eine Saite seiner Gitarre durch ist. Spätestens nach einer halben Stunde – und einem super Publikums-Chor beim vorangegangenen „Love for real“ - bricht das Eis gänzlich und alle wippen beschwingt zu „Gone for good“ vom 2011er „Songs of the ungrateful Living“ mit. Die Setlist zieht sich quer durch EVERLASTs Schaffenszeit, bietet mit oben erwähntem „Jump Around“ und dem Johnny Cash – Cover „Folsom Prison Blues“ einige überraschende Schmankerl und zeigt, dass vielen seiner Lieder, zum Beispiel dem melancholisch-rebellischen „Stone in my hand“, das Akustik-Gewand nicht nur sehr gut steht, sondern ihnen noch mehr Tiefe verleihen kann. EVERLAST zeigt sich immer zugänglicher, freut sich, genau wie Velasco, wiederholt sehr über die aktiven Besucher und bietet gesanglich wie spielerisch ein bewegendes Konzert. Am Ende schüttelt er vielfach seine erschöpfte linke Hand aus und gute 105 Minuten Spielzeit werden nach einer enthusiastischen Applaus-Pause seitens des Publikums vorm Zugabenblock mit einer, erneut gesanglich stark von den Besuchern unterstützen, wunderschönen Version von „Hey Now“ beendet. Bleibt nur die Frage, in wie fern es am nächsten Tag in Berlin wieder hieß: „...also gestern, in Hamburg … .“
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