Konzert:
Tiger Lou, High Quality Girls - Hamburg, Molotow
Konzert vom Der Schwede Rasmus Kellerman alias ARAKI alias TIGER LOU kann mit seinen grade mal 24 Jahren bereits einen beachtlichen musikalischen Lebenslauf aufweisen: Mit 11 gründete er seine erste Band, mit 14 brachte er ein Fanzine heraus und mit 19 unterzeichnete er mit seiner damaligen Band MUSIC BY EM seinen ersten Plattenvertrag - bei Sony. Nachdem sich die Band jedoch ein Jahr später wieder aufgelöst hatte, veröffentliche er diverse Aufnahmen abwechselnd unter den Namen ARAKI und TIGER LOU. Alle Songs stammen von ihm, nahezu alle Instrumente sind von ihm selbst eingespielt worden. Anfang 2004 erschien schließlich das erste volle Album von TIGER LOU "Is My Head Still On", das den aktuellen Stand der musikalischen Entwicklung des Vollblutmusikers markiert: Angefangen bei Metal und Hardcore in der Anfangsphase, über das schwermütig-düstere ARAKI-Album und die ersten TIGER LOU-Songs in Richtung Singer/Songwriter, ist TIGER LOU jetzt bei einem eigenständigen Sound angelangt, einer Art melancholischem Pop/Rock mit Singer/Songwriter-Elementen. Vergleichbar ist seine Musik am ehesten mit Bands wie RADIOHEAD und COLPLAY, wobei ihm jedoch weder das Selbstmitleid der ersteren noch der Kitsch der letzteren anhaftet. Seine Songs zeichnen sich vielmehr dadurch aus, dass sie kurz, schlicht und direkt sind und trotz aller Melancholie eine positive und lebensbejahende Energie ausstrahlen. Auf das Album folgte eine Tour mit einer dafür zusammengestellten Band, die ihn in der ersten Jahreshälfte bereits nach Deutschland führte, worauf jetzt noch eine kleine Anschluss-Tour folgt, bei der er am 1.11. auch im Hamburger Molotow Halt machte.
Dass TIGER LOU in Deutschland noch keine große Nummer ist, sah man direkt beim Betreten des Konzertraums, denn vom linken Bühnenrand bis zum Mischpult war eine Trennwand aufgestellt worden, wohl, um das Konzert bei der erwartungsgemäß niedrigen Besucherzahl etwas kuscheliger zu gestalten. Dass der Schwede aber bereits über eine kleine Anhängerschar verfügt, zeigte, dass der vorhandene Platz restlos ausgefüllt war. Aber: erst die Arbeit, dann das Vergnügen! Wenden wir uns also zunächst der Vorband, den HIGH QUALITY GIRLS, zu...
Man stelle sich folgendes vor: Zwei Typen auf der Bühne, versehen mit Damenstrumpf-ähnlichen Masken, die über elektronischen Billig-Beats aus dem Discman (!) simple Keyboard-Melodien dudeln, auf einer verstimmten Gitarre rumschraddeln und dazu größtenteils deutsche Texte intonieren, die irgendwo zwischen Schlager und linkem Polit-Punk liegen, was einen Gesamtsound ergab, der nur als eine Mischung aus Easy Listening und NDW zu beschreiben ist. Man war sich nicht so ganz sicher, ob das jetzt Kunst, Satire oder ganz einfach nur lustig sein sollte, aber klar war vor allem eines: es war nahezu unerträglich. Was man den HIGH QUALITY GIRLS zugestehen muss, ist, dass sie ganz genau zu wissen scheinen, dass sie grottenschlecht sind, denn sie haben sich nicht einmal ansatzweise bemüht, irgendetwas zu beschönigen. Und man hätte dem ganzen auch durchaus eine komische Note abgewinnen können - aber die zwei waren einfach nicht lustig. Ansagen wie "Ihr tanzt gar nicht. Aber das ist total gerecht, denn wir tanzen ja auch nicht." lassen einen nur müde gähnen. Und auch wenn der Keyboarder mal wieder den falschen Beat auf dem Discman gestartet hat und den richtigen nicht findet, ist das nur bedingt amüsant. Auch die zwei ebenfalls maskierten Backgroundsängerinnen, die bei ein paar Stücken mitträllerten, konnten nichts mehr herausreißen. Einziger Pluspunkt geht an das THERAPY?-Cover "Diane", denn diesen düsteren Song locker-flockig-fröhlich zu spielen, war schon wieder sehr originell und gekonnt. Nach ungefähr einer halben Stunde verabschiedete sich das Duo dann aber zum Glück. Gefühlte Spielzeit: ca. 60 Minuten...
Und dann kam der kleine Schwede auf die Bühne und zog das Publikum von Anfang an in seinen Bann. Ohne Umschweife legten er und seine Band direkt mit "The War Between Us" los, dass sich erstaunlicherweise hervorragend als Opener eignet, was wohl auch daraus resultiert, dass der Live-Sound von TIGER LOUR aufgrund von zwei Gitarren und nur gelegentlichem und sparsamem Keyboard-Einsatz rockiger und härter ist als auf CD. Schnell folgten "Sell Out" und "Oh Horatio", womit schon mal einige der besten und publikumswirksamsten Tracks des Albums gespielt waren. Aber das was das Prinzip des Programms: Nichts wurde künstlich hinausgezögert und niemand musste ewig warten, bis endlich das Lieblingsstück gespielt wurde. Auch ein paar Stücke vom nächsten Album, das Anfang 2005 erscheinen soll, wurden eingestreut - allesamt tolle Songs, die auf eine großartige Platte hoffen lassen.
Die Musiker passten dabei äußerst gut zum Gesamtsound von TIGER LOU: das Spiel schnörkellos und direkt, der Sound warm, das Agieren auf der Bühne sparsam, aber leidenschaftlich. Am meisten faszinierte aber Rasmus Kellerman selbst: Ein schmächtiger Blondschopf, der oft schüchtern wirkte und weder bei Ansagen noch beim Singen ins Publikum schaute, in seiner Musik aber völlig aufging und durch seine Bescheidenheit umso sympathischer wirkte. Der frenetische Applaus des Publikums zwischen den Stücken entrang ihm aber immer wieder sein ansteckendes jungenhaftes Lachen, das zeigte, dass es für ihn noch keinesfalls selbstverständlich ist, bejubelt zu werden. Beeindruckend war auch sein Gesang: sehr klar und kräftig, ohne jede unnötige Verzierung und nie selbstmitleidig jammernd. Wunderbar auch seine lakonischen Ansagen, wie z. B.: "I´d like to play this song... so I play it." Die meisten anderen Bandleader hätten hier wohl die Möglichkeit genutzt, das Publikum mit einer weitschweifigen Geschichte zu langweilen, warum ihnen der Song so wichtig ist, aber bei TIGER LOU stand immer ausschließlich die Musik im Vordergrund.
Nach etwa 40 Minuten war jedoch schon wieder Schluss. Die Band hat in dieser Besetzung eben noch nicht viel Material zur Verfügung, die Stücke sind kurz und es wurden auch keine unnötigen Passagen eingebaut, um die Spielzeit künstlich zu verlängern. Aber natürlich wurden noch Zugaben gespielt, und zur ersten kam TIGER LOU zunächst alleine mit seiner Gitarre auf die Bühne und spielte ein paar ältere Stücke. Während dieser Songs breitete sich eine geradezu andächtige Stille über das Publikum, nicht einmal einer der Fotografen traute sich, diese intensive Stimmung durch ein Blitzlicht zu stören. Selbst der schnarrende Teppich der Snare Drum nervte nicht, sondern wirkte wie eine weitere Nuance der Gesamtatmosphäre. Zum letzten Stück, "Nova Lee" von der "Trouble And Desire"-EP, kam dann noch einmal die komplette Band dazu. Danach sollte eigentlich endgültig Schluss sein, doch gnadenlos holte das enthusiastische Publikum den Ausnahmemusiker wieder auf die Bühne zurück. Zwei weitere Solo-Stücke und eines zusammen mit der Band beendeten diesen wunderbaren Abend.
Ein kleiner Star ist TIGER LOU bereits. Wenn er aber weiterhin so großartige Platten macht und so fantastische Konzerte wie das in Hamburg spielt, muss er ganz einfach ein großer werden. Das wäre ihm auch absolut zu gönnen - verdient hat er es allemal - andererseits aber auch sehr schade, denn auf der nächsten Tour würde ich ihn gerne wieder in einer ähnlich intimen Atmosphäre erleben, wie es eben nur in einem kleinen Club wie dem Molotow möglich ist.
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