"Live, New, Borrowed, Blue" heißt die neue Compilation der schwedischen Rockkapelle THE QUILL. Die Band hat die Pandemie genutzt und ein paar alte Schätze zusammengestellt. Darunter sind unveröffentlichte Tracks der Sessions zum letzten Album, zwei Livemitschnitte des Sweden Rock Festivals 2019 und Coversongs. Bereits bei der Veröffentlichung von „Earthrise“ berichtete die Band, das es sich als eine schwierige Aufgabe erwies, zu entscheiden, was auf das Album kommen sollte und was nicht.
Anfang der 90er gründet sich THE QUILL in Mönsterås, Schweden. Das selbstbetitelte Debut "The Quill" erscheint 1995 und "Live, New, Borrowed, Blue" ist der Nachfolger des letzten Studioalbums “Earthrise” von 2021. „Silver Haze“ von 1999 und „Voodoo Caravan“ (2002) sind wichtige Meilensteine der bewegten Bandhistorie. THE QUILL machen seit rund 30 Jahren ihr Ding, unabhängig davon, was in der Welt gerade passiert.
Sänger Magnus Ekwall (AYREON), Drummer Jolle Atlagic (HANOI ROCKS, FIREBIRD), Gitarrist Christian Carlsson (CIRKUS PRÜTZ) und Bassist Roger Nilsson (SPIRITUAL BEGGARS, FIREBIRD, ARCH ENEMY) spielen mit THE QUILL coolen absolut zeitlosen 70er Rock mit einer Prise Bluesrock und Desert/ Stoner Rock. Music for Stoners? Keine Sorge die Mucke lässt sich auch ohne bewusstseinserweiternde Substanzen gut hören. Der Hype der Stoner-Szene zu Beginn der 2000er ist lange vorbei, THE QUILL konnten aber eh nie den ganz großen Erfolg einheimsen. Stilistische Parallelen sind zu Bands wie den SPIRITUAL BEGGARS, SOUNDGARDEN, MONSTER MAGNET und auch LED ZEPPELIN und BLACK SABBATH zu ziehen.
Den Opener „Keep On Moving“ kennt man in einer anderen Version bereits; er wird auf dieser Compilation in einer 1.30 Minuten längeren Version rausgehauen. „Keep On Moving“ ist ein Adrenalin-geschwängertes Stück, mit energiegeladenem Riffing. Magnus Ekwalls markanter Stimmklang ähnelt der unvergessenen Stimme von Chris Cornell (SOUNDGARDEN, AUDIOSLAVE u.a.). Mit „S.O.S. (Too Bad)” folgt eine trocken groovende Hard Rocknummer und das schwer doomende „Children Of The Sun”, welches es nicht aufs vergangene Studioalbum geschafft hatte. Das reitende IRON MAIDEN Cover „Where Eagles Dare“ wurde bereits als Vorabsingle veröffentlicht und stammt ursprünglich von dem 2003er Maiden-Tribute-Album "Slave To The Power". Bei „Keep It Together” und dem hymnenhaften „Hole In My Head“ kann sich der Hörer davon überzeugen, dass THE QUILL ihr Material auch Live performen können, welches allen voran für Sänger Ekwall gilt. Der NOVEMBER-Song „Mount Everest” stammt vom Cover-Sampler “Power From The North - Sweden Rocks The World” (2000). “Burning Tree” ist eine Wüsten-Bluesnummer und “Frozen Over” ein Cover der amerikanischen Progressive Rock-Truppe CAPTAIN BEYONDS.
"Live, New, Borrowed, Blue" erscheint am 28.01.2022 via Metalville. Zusammenfassend haben wir es hier mit einer guten Zusammenstellung zu tun, einige Songs auf der Scheibe wurden allerdings schon einmal anderweitig veröffentlicht. Das Material besitzt gute Riffs mit einem fettem Gitarrensound, ordentlichen Grooves und hämmernde Basslinien. Die Basspräsenz ist hinter den Gitarren-Swells gut zu vernehmen und es ergibt sich ein feiner bluesiger Rock-/ Metalsound.
2015 debütierten THE WAKE WOODS mit „Get Outta My Way” recht erfolgreich und ergatterten Slots im Vorprogramm von DEEP PURPLE und STATUS QUO. Mit ihrem erdig-garagigen Sound und der Affinität zu Bands der End-60er und 70er punktete die Band auch Live. Das Nachfolgewerk „Blow Up Your Radio“ setzte den Weg der Mixtur aus Heavy Blues über Psychedelic/Stoner bis Alternative fort. Das neue Werk „Treselectrica“ bietet auf dieser Grundlage recht gekonnt Gegensätze zwischen Tempo und ruhigen Parts. THE WAKE WOODS liefern ein in den langen und oft ereignislosen Tagen der Pandemie geschriebenes Werk; in dass sie hörbar viel Leidenschaft, Herz und Kopf reingesteckt haben.
Mit „Take The Money And Run” macht ein flotter Rock’n’Roll der tief im Sound der Sixties wurzelt den Anfang, beim folgenden „Electric Boogie“ ist der Titel synonym für das Gebotene (70er Boogie par excellence) – zwei starke Opener eines guten Albums. Im weiteren Verlauf wechseln sich dann mal mehr, mal weniger zwingenden Kompositionen mit immer wieder zu entdeckenden Reminiszenzen an den Sound der Altvorderen ab. So hat zum Beispiel „Magic Smashrooms” einiges von THE DOORS im Phetto. Die Ballade „All Of My Life“ darf man als weiteres Highlight vermerken.
Mit „Treselectrica“ haben die Brüder Ingo und Helge Siara sowie Schlagzeuger Sebastian Kuhlmey ein Album abgeliefert, welches sich zwar durchaus zwischen Stühle setzt, dabei aber Momente und Aha-Erlebnisse bietet. Weder Retro noch Modern – doch gut.
ANATHEMA, MY DYING BRIDE und PARADISE LOST sind Einflüsse der australischen Band GRAVE FOR GODS, die heute ihr Debüt „The Oldest Gods“ veröffentlichen.
Nur vier Tracks kommen genretypisch auf 40 Minuten Spielzeit; die Jungs von Down Under spielen Old School Death Doom. Aber auch der Geruch von 90er Jahre - Gothic Metal liegt in der Luft. „The Oldest Gods“ ist düster, ausdrucksstark und von Schwermut geprägt.
Der Opener „Fire Top Mountain“ startet abgrundtief growlend und mit einer gewissen Garstigkeit, die nach dreieinhalb Minuten stark abnimmt und gegen Ende noch einmal auflodert. Der Track besitzt eine gute Gitarrenmelodie, sie fungiert als strukturgebendes Glied. Bei „Embalmed Embrace” verhält es sich ganz ähnlich, Spoken-Word-Passagen und Growls wechseln sich ab und zwischendurch agiert das Trio arg schleppend. Schleichfahrt-Doom! Es folgt der Titeltrack „The Oldest Gods“ und der Sänger scheint alte düstere Geschichten zu erzählen. Markerschütternd tiefes Riffing und die angenehm pathetische Gitarrenmelodie können begeistern. Das Album schließt mit „Wake“. Immer wieder nehmen GRAVE FOR GODS in ihren Songs interessanter Weise das Tempo komplett raus. Und so endet die Scheibe auch: Mit einem langsamen Bradykardie-Schlagzeugspiel. Welches wie der vom Tod geküsste langsam pochende Herzschlag schlussendlich ablebt und verstummt.
“The Oldest Gods” erscheint über das französische Label „Sleeping Church Records“ und wurde von Brad Boatright bei Audiosiege in Portland gemastert. Der Sound kommt passender Weise schnörkellos erdig daher. GRAVE FOR GODS schaffen es, Stimmung aufzubauen, aber das Album hat auch seine Längen und es fehlt phasenweise der Bums. Ich werde aber aufmerksam achtgeben, was auf das Debüt folgen wird.
Schon wieder neues Material von HARPYIE? Ja, die Herren sind fleißig! Erst im vergangenen Jahr erschien mit „Minnewar“ ein Coveralbum, dass sich einmal munter durch das Mittelalter-Genre wilderte und sich vor zahlreichen Kollegen verneigte. Jetzt erscheint mit „Blutbann“ das nächste „normale“ Studioalbum.
Der Name ist Programm, denn die Blutthematik zieht sich (Achtung, Kalauer!) wie ein roter Faden durch die gesamte Platte, mal im übertragenen, mal im wörtlichen Sinne. Schon der Titel des mit einer Mischung aus düsteren Elektroklängen, fetten Gitarren und Sprechgesang beginnenden Openers bezeichnet eine ausgesprochen blutige Hinrichtungsmethode der Wikinger, auch wenn er hier im übertragenen Sinne für die Aufopferungsbereitschaft des lyrischen Ichs für seine Liebste verwendet wird. Trotzdem ist die allgemeine Marschrichtung damit klar. „Liebe Auf den Ersten Biss“ spielt im melancholischen Gewand mit der Vampirthematik, kommt aber gesanglich im Refrain leider etwas dünn daher. „Die Geister, Die Ich Rief“ klingt heavy und metallisch aus den Boxen. Das eindeutige Highlight aber des Albums ist „Nachtfalter“, das mit gleich zwei Überraschungen aufwartet. Nicht nur, dass HARPYIE hier niemand Geringeren als ASP für einen Gastauftritt verpflichten konnten, auch die musikalische Ausrichtung überrascht: „Nachtfalter“ hat mit Mittelalter eigentlich überhaupt nichts mehr zu tun, sondern ist eine feine Gothic-Hymne, deren Intro, Arrangement und Songstruktur ausgeprägte Erinnerungen an klassischen Finnenrock der Marke HIM wachrufen. Die Kombination aus melodiösem Keyboard und vorwärtstreibender Gitarre hat Ohrwurmgarantie und auch die Stimmen von HARPYIEs Aello und ASP harmonieren hier hervorragend. Der Mittelalter-Rocker „Verräterisches Herz“ verneigt sich thematisch vor Edgar Allan Poes gleichnamiger Kurzgeschichte, das abschließende „Ich Glaub Dir Nicht“ präsentiert sich etwas ruhiger und lässt die Platte balladesk ausklingen. Insgesamt präsentiert sich das Album druckvoll und düster, mal wuchtiger, mal etwas ruhiger. Der Sprechgesang hat zugenommen (ob einem das nun gefällt oder nicht, ist zwangsläufig Geschmackssache) und in den cleanen Gesangsparts wäre manchmal etwas mehr Volumen wünschenswert, aber alles in allem liefern HARPYIE mit „Blutbann“ ein rundes Werk ab.
Die Moldawier von INFECTED RAIN präsentieren uns früh im neuen Jahr ihren bereits fünften Longplayer. MIt ihrem Modern Metal haben sie bislang keinem weh getan, aber auch keine nachhaltige Begeisterung ausgelöst. Wie bei allen “female fronted” Bands werden auch INFECTED RAIN gerne in einen Topf geworfen, mit allem was eine Sängerin hat. So müssen sich die Osteuropäer gerne Vergleiche mit JINJER anhören. Das wäre nicht die schlechteste Referenz, aber außer eben den Frontfrauen, die im Wechsel screamen und klar singen, gibt es kaum Gemeinsamkeiten. Wo JINJER brillante, aber eher verkopfte Musiker-Musik servieren, konzentrieren sich INFECTED RAIN auf Songwriting und Arrangements.
Das Album beginnt mit “Postmorten Pt. 1”, einem schönen, atmosphärischen Synthwave-Intro, das in ziemlich deathmetallische Gefilde mündet und Sängerin Lena Scissorhands (meine Güte….) einem die ersten wirklich angepissten Screams in die Ohren schmettert. Schnell kommt der Wechsel in den tollen Klargesang und die schwebenden Keyboard-Klänge verlassen den Hörer während des Songs nicht. Ab da nimmt die Scheibe allerdings erst richtig Fahrt auf. Mit dem zweiten Song “Fighter” haut man mal richtig aggro einen raus. Es sind Einflüsse von New Metal, Thrash und Industrial zu vernehmen und schon wieder großartige atmosphärisch-ruhige Passagen. Mit diesen unterschiedlichen Stilelementen könnte man sich wunderbar verzetteln, INFECTED RAIN gießen daraus jedoch einen homogenen Brocken modernen Stahls. Und es geht noch besser. Der Song “Longing”, zu dem die Band auch ein Video veröffentlicht hat, treibt den musikalischen Wechsel zwischen Himmel und Hölle auf die Spitze. Barbarische Riffs, entmenschtes Screamen und mittendrin wieder wunderbar melodische Passagen mit massiven Synthieklängen. Grandios.
Bei “The Realm Of Chaos” wird Lena gesanglich oder besser geschreilich von Heidi Shepherd (BUTCHER BABIES) unterstützt. Der Track ist ein bösartiges Geschoss und vielleicht der härteste des Albums. “Everlasting Lethargy” punktet dagegen mit mal wieder einem wunderschönen synthie-getragenen Mittelteil und leitet in einen fast powermetallischen Clean-Part über. Genial!
Mit “Nine, Ten” haben INFECTED RAIN auch einen komplett elektronischen Song am Start. Hier gibt es wieder eine tolle Gesangsleistung zu hören. Ein schöner Farbtupfer gegen Ende des Albums, das mit dem Track “Postmortem Pt. 2” die Klammer schließt und einen ziemlich geflashten Rezensenten hinterlässt. In dieser Form brauchen sich INFECTED RAIN ob ihrer leicht ungewöhnlichen Herkunft auf keinen Fall hinter der Bands aus den USA oder Westeuropa zu verstecken. Auch ohne Exotenbonus haben wir hier schon einen ernsten Kandidaten für die Modern Metal Top 10 des Jahres 2022.
„Where There Is Decay, Live Would Thrive“ wurde selbst produziert; Bandleader Marco Graffio spielt mehrere Instrumente und singt. Unterstützt wird der Rosenheimer von Nadine Weinmann und Santos Huesso (Vocals), Max Weidner (Synthesizer) und den Gastmusikern Roland Kraus und Florian Rottmayr. Als Ein-Mann Soloprojekt besteht GRAFFIO bereits seit 2014 und neben den klassischen Metal-Instrumenten greift man auch schon mal gerne zur Mandoline und zum Cello.
Stilistisch wird eine Art Experimental Metal mit Black Metal Elementen gespielt. Die Musik agiert dabei aber weit weg von den nordischen Szenegrößen und stimmlich wird nur teilweise aggressives Screaming eingesetzt. Mitunter sind Einflüsse von Bands wie ROTTING CHRIST oder KATATONIA zu vernehmen. Dem Hörer werden Texte in verschiedenen Sprachen dargeboten, und auch der Gesangsstil variiert ständig: eine musikalische Wundertüte!
Nach einem kurzen Intro legen GRAFFIO mit „Choreographie“ los und die unterschiedlichen Gesangsarten werden sofort präsentiert: einige kehlige Growls, ein paar Screams und Klargesang. Die Produktion kommt undergroundmäßig daher. Mit „Glemt“ folgt der beste Song der Platte und GRAFFIO verteilen ordentlich Arschtritte. Der Sound wirkt hier druckvoller und der Track geht gut nach vorne. „Ogni Nemico“ startet mit einem Orgel-Intro (Huch kommt denn gleich der Undertaker rein?) und es ertönt Marschtrommel und italiensicher Klargesang (zum Teil in Spoken-Word-Form). Ich muss zwischenzeitig an LACRIMOSA denken. Das Stück ist beinahe neun Minuten lang und besitzt eine Doom-Schlagseite. „Nord Og Syd Af Bjergene“ ist ein Seemannslied-affines Instrumentalstück und „Sonne Untertan“ wirkt wie ein etwas schräger Folksong, mit einem orientalisch anmutendem Gitarrenspiel. Auf der einen Seite schätze ich die variationsreiche Herangehensweise der Band, auf der anderen Seite vermisse ich einen roten Faden. „Where There Is Decay, Live Would Thrive“ entwickelt sich zum bunten Potpourri. „This Apex, This Suffering“ punktet mit inbrünstig vorgetragenem mehrstimmigem Gesang und guter Gitarrenmelodie. Der chorartige Gesang im späteren Verlauf des Tracks erscheint allerdings etwas fehlplatziert. Es folgt die Ballade „Wading In Deeper“ mit Frauengesangsunterstützung, bei „My Cells“ wird’s wieder flotter. „Victoria Mihi Est“ ist ein weiteres Instrumental und beim energiegeladenen „Clamoris Eos“ gibt’s noch einmal ein gutes Gitarrenbrett, kräftige Drums und beschwörende Rufe.
Resümierend gibt es auf der Scheibe viel zu entdecken, „Where There Is Decay, Live Would Thrive” ist abwechslungs- und facettenreich und besitzt schöne Gitarrenmelodien. Hier und da kann es mich stimmlich nicht begeistern und für meinen persönlichen Geschmack könnte der Black Metal-Anteil ausgebaut und vermehrt auf bratzig-krächzendes Screaming gesetzt werden. GRAFFIO beweisen aber, und das ist zu betonen, Kreativität und sind „nicht von der Stange“.