Mitte 2005 ging ein Aufschrei durch die Fangemeinde von GLUECIFER, als nämlich die selbst ernannten Kings of Rock ihre Auflösung verkündeten. Jetzt, mehr als vier Jahre später, veröffentlichen die Norweger noch ein Album mit bislang nicht auf Alben veröffentlichten Tracks, sprich Songs von 7- und 10-Inch-Platten, Single-B-Seiten und Compilations. Das riecht erst mal etwas nach Resteverwertung, und man kann sich zu Recht fragen, ob das wirklich sein muss. Nach dem ersten Durchhören kann ich eindeutig sagen: Ja, es muss! Denn sämtliche der 17 – von Gitarrist und Bandleader Captain Poon handverlesenen – Songs stehen dem auf den Alben veröffentlichten Material in nichts nach, und es wäre eine Schande, wenn sie nur den Hardcore-Fans zugänglich wären, die wirklich alle Veröffentlichungen von GLUECIFER ihr Eigen nennen. Man höre sich nur Songs wie „Thunder And Lightning“, „Shitty City“ oder „Ape And Essence“ an. Da geht es so dreckig, rotzig und mit so viel Druck nach vorne, dass es eine wahre Freude für jedes Rock’n’Roller-Herz ist. Einer der Höhepunkte des Albums ist dabei direkt der Opener: „Desolate City” ist nämlich der letzte Track, den GLUECIFER zusammen aufgenommen haben und war bislang nur auf der Abschiedstour im Herbst 2005 zu hören. Ein weiteres Highlight – und gleichzeitig auch ein Kuriosum – stellt der letzte Song dar: „Snyltegjesten“ ist auf Norwegisch gesungen, und das klingt wirklich abgefahren. Als ich dieses Album zum ersten Mal durchgehört hatte, wurde mir bewusst, dass ich schon viel zu lange nicht mehr GLUECIFER gehört habe und wie genial die Jungs gerockt haben. Leider wurde mir aber auch wehmütig bewusst, dass das jetzt wohl wirklich das Letzte war, was man jemals von dieser Band hören wird.
MEADOW SAFRAN kommen aus Siegen und tönen von der ersten Sekunde an richtig frisch, frech und kraftvoll aus den Boxen. Musikalisch ist die Scheibe nicht einfach einzuordnen. "Postcore gemischt mit Alternative Rock" würde ich den Musikstil umschreiben. Letztlich das aber egal, denn was die Band in "Leaving The Black Square" zusammenspielt ist einfach große Klasse. Alle Songs befinden sich auf einem sehr hohen Niveau und sind von einer melancholisch kraftvollen Stimmung getragen, für die nicht zuletzt Sänger David Post verantwortlich ist. Das Repertoire von Post reicht dabei von melodischen Refrains bis zu Schreikrämpfen, die sich in die Musik sehr gut einfassen. Dass die Band aus Deutschland kommt, hätte ich nie vermutet. Respekt. Alle Songs haben definitiv internationales Niveau und werden auch noch nach einigen Durchläufen von mir gerne gehört. Die Platte ist kraftvoll und professionell abgemischt, wobei gerade die dominanten Gitarren druckvoll aus den Boxen shreddern. Meine Anspieltipps sind "The Medical Director", "Island", "History of Dreams" und "Throwing Back Stones", die nicht nur durch einen interessanten Songaufbau, sondern auch durch einfach guten Melodien bestechen. Für mich ist "Leaving The Black Square" eine der besten Scheiben, die ich dieses Jahr gehört habe. Bevor ich mich nun weiter mit Lob besudele und sogar leicht unglaubwürdig werde, sollte sich jeder, der mit der Musikrichtung prinzipiell etwas anfangen kann, der Scheibe einige Minuten sein Ohr leihen. Daumen hoch!
Bei der Masse der Veröffentlichungen wünscht man sich, dass sich eine neue Scheibe von den zahlreichen Veröffentlichungen auf dem Musikmarkt abhebt und einen eigenen Stil besitzt. Innovativ, mitreißend und ergreifend sollen die Songs sein und nicht zuletzt zum Abtanzen einladen. Bei so vielen Wünschen auf einmal muss man oft erkennen, dass es selten ein Album schafft, in solche Sphären zu gelangen. Selten heisst allerdings nicht niemals. Mit der am 30.10.2009 veröffentlichten Scheibe der DONKEYSHOTS aus München namens "Chasing Windmills" liegt mir ein solch weiter Wurf vor. Die Musik der fünfköpfigen Band bestehend aus Gitarre/Gesang, Saxophone, Posaune, Bass und Drums ist eine ganz wilde Mischung aus Gypsy Rock, Ska, Punk und eine kleine Prise Nu Metal. Wie sich das ganze anhört, ist schwer zu beschreiben. Klassische Liebhaber des Heavy Metalls werden sicherlich nicht bedient. Trotzdem hat die CD eine Menge Pfeffer im Arsch. Die Band versteht es, mitreißende Songs zu komponieren, die von ihren Melodien und Stilwechseln außerordentlich begeistern können. Gerade der Einsatz von Posaune und Saxophone gibt der Musik ihren ganz eigenen Stil, den man in dieser Kombination nur sehr selten zu hören bekommt. Die DONKEYSHOTS haben einen unverwechselbaren Sound und grenzen sich so von den massenhaften Neuerscheinungen wohltuend ab. Als Anspieltip will ich den Song "Son Of The Sun" herauspicken, der nach einem stimmungsvollen Bläserintro in eine Art treibende Speekpolka mündet, bei der die Band das Zusammenspiel der verschiedenen Instrumente zelibriert. Sollten die DONKEYSHOTS einmal in meine Nähe kommen, werde ich es mir nicht nehmen lassen, diese wahnsinnige und einzigartige Truppe aus der Nähe anzusehen. Volle Punktzahl.
THE VOID’S LAST STAND sind eine äußerst ambitionierte Progformation aus Aachen und legen mit „A Sun By Rising Set“ ein gerade zwei Longtracks enthaltenes Album vor, welches auf den ersten Hör ratlos zurück lässt. Ein zweiter Durchgang kostet dann durchaus Überwindung und ist auch nur standfesten Proggies mit Hang zum Dissonanten und Open Mind zu empfehlen. Der Sound ist dabei Prog-Untypisch erdig und rau (was ja kein Fehler sei muss), der Gesang und die Gesangslinien mehr als gewöhnungsbedürftig, die instrumentale Spielfreude lässt sich freien Lauf und die Produktion kommt eher etwas dünn. Der erste Song, das über 25-minütige „Mother Sun And The Other Son (Part I)“ verquert dann schon alles was es landläufig im Rockbereich gibt, plus Funk, plus ... was weis ich .... dabei blitzen immer wieder neue Ideen auf, aber auch Belanglosigkeiten werden in den Kontext munter eingebaut. Gar nicht langweilig – aber oft auch etwas des Guten zuviel. Der zweite Song „Under The Ardent Sun“ (kommt auf fast 20 Minuten) wurde in kürzerer Fassung ja bereits 2008 als Demo veröffentlicht und gibt sich auch alle Mühe wenig auszulassen. Allerdings kommt er nicht so überfrachtet wie der Vorgänger daher und hinterlässt daher einen durchdachteren Eindruck. Schwer verdaulich, kaum vergleichbar – die Grundessenzen des Prog haben THE VOID’S LAST STAND durchaus verinnerlicht. Aber ohne gesetzte Ruhephasen für Hirn und Ohr und vor allem ohne einen etwas ausgeglicheneren Gesang (man könnte ja auch mit zwei Stimmen arbeiten) kommt einen „A Sun By Rising Set“ doch etwas überambitioniert und anstrengend vor.
Seit ihrer Gründung vor zehn Jahren haben sich die Bonner Spielmänner in der Mittelalterszene gut vorgekämpft und werden mitunter in einem Atemzug mit SALTATIO MORTIS (ebenfalls bei Napalm Records unter Vertrag) und SCHANDMAUL genannt. Um einen abschließenden Umstand daher gleich vorwegzunehmen: an den beiden großen Bastionen IN EXTREMO und den inzwischen etwas vom Kurs abgewichenen SUBWAY TO SALLY können auch SCHELMISH nicht kratzen, weder in Sachen Power noch Songwriting-Qualitäten. Aber einen schlechten Job macht die Band, die übrigens ihre Rock- und Mittelaltershows jeweils in unterschiedlichen Line-Ups spielt, deshalb noch lange nicht. „Die Hässlichen Kinder“ zeigt sehr viele Facetten dieser Formation, wobei allerdings auch ab und an gründlich daneben gegriffen wird. Der an Falcos „Out Of The Dark“ mit einer Prise OOMPH erinnernde Opener „Bist Du Bereit“, das textlich fast schon ONKELZ-mäßige „Boulevard“, der pseudo-lustige Titelsong oder das furchtbare „Blähsucht“ (so was entsteht, wenn der Texter gerade mächtig Wut auf seine Ex schiebt…) sind wirklich verzichtbar und zeigen, dass die Band (noch) nicht ganz treffsicher agiert. Dem gegenüber stehen allerdings mit dem treibenden, modernen „Überladen“, dem ordentlich rockenden, irisch tönenden „Too Late“, dem netten, wenn auch banalen Dudelsacksolo „For The Clansmen“, dem düsteren „1212“, dem elektronischen „Goresh“ (sehr cool!), dem locker-flockigen „Strangers“ oder dem nach vorne peitschenden „Mosaik“ (Highlight!) auch viele gelungene Stücke, die das Album sehr abwechselungsreich gestalten und beide stilistischen Seiten dieser Band gut beleuchten. Genre-Fans dürften an „Die Hässlichen Kinder“ also ihre Freude haben, auch wenn das Album noch Luft nach oben lässt.
Gut gemachter Crust ist irgendwie rar geworden, da ist es immer wieder schön, ein solide dreckiges Album wie „Fake Dimension“ von SIMBIOSE in die Finger zu bekommen. 13 Songs ehrlichen Crustcore ohne viele Schnörkel hauen die Portugiesen raus, haben dazu unter amderen Joao von RATOS DE PORAO im Studio gehabt (Ulf Bloomberg, der auch schon M40 veredelt hat). Auch wenn der Opener noch mächtig gradlinig auf die Zwölf gibt, macht „Fake Dimension“ spaß, zumal sich Songs wie „Auto-Estima“ als fast schon tanzbar-groovig entpuppen, einem unwiderstehlich guten Riff sei Dank. Natürlich gibt es auch gnadenlos heftige Attacken Marke „Sem Moral“, die jedem WOLFBRIDGADE/ DRILLER KILLER/ DISFEAR-Fan das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen werden. „Fake Dimension“ ist eine Crust-Platte wie aus dem Lehrbuch und eines der besten Releases des Genres in der letzten Zeit.
Scott Kelly (NEUROSIS), Scott Wino Weinrich (THE OBSESSED, SAINT VITUS), Al Cisneros (OM, SLEEP) und Dale Crover (MELVINS) – das Line-Up von SHRINEBUILDER kann sich sehen lassen. Da sind die Erwartungen an das selbstbetitelte Debüt entsprechend hoch, aber mit dem Druck dürften die Herren locker fertig geworden sein. Fünf Songs haben sie für das erste SHRINEBUILDER-Kapitel aufgenommen, zumindest soll laut Promotext das Ganze keine einmalige Kollaboration sein, sondern ein langfristiges Projekt. Auf der Promo finden sich nur vier der fünf Songs, die es schon auf eine gute halbe Stunde Spielzeit bringen, in welcher schwerer, metallischer Rock geboten wird, was bei dem Background der Musiker wenig überraschend ist. Stellenweise haben die Songs einen leichten Jamsession-Touch, was sich in der Entstehungsgeschichte zeigt: in nur drei Tagen eingespielt und am Abend vor der Aufnahme das erste Mal zusammen geprobt. Das Ergebnis klingt dadurch frisch und trotzdem sehr gut aufeinander abgestimmt und ist mit einem erdigen, druckvollen Sound ausgestattet worden. Die Riffs sind sehr ruhig, immer wieder kommen doomige Seiten zum Vorschein, genauso wie sehr eingängige Melodien zu finden sind. Die Gleichung NEUROSIS + SAINT VITUS + MELVINS geht hier bestens auf. Die Songs haben den erwartet tonnenschweren Groove und pendeln zwischen fast schon simpel im Aufbau („The Architect“) bis zu detailliert („Blind For All To See“). Alle vier Beteiligten haben sich zudem am Mikro eingefunden, was viel Abwechslung in die Musik bringt, gerade Scott Kelly kann in „Blind For All To See“ aus einem guten einen sehr guten Song machen. Am Ende steht die Erkenntnis, dass SHRINEBUILDER das erwartet hochklassige Album geschrieben haben, das bei dem Line-Up zu erwarten war, ohne sich dabei zu sehr von ihren Wurzeln, ihren Bands zu entfernen. Wer mit den Bands was anfangen kann, wird mit dieser Platte glücklich werden.
Dieser Haufen aus Brooklyn serviert uns reichlich derbe Kost, die dem Hörer auch nach mehreren Durchläufen schwer im Magen liegt. Insgesamt ein gutes Dutzend Musiker wird auf der „Myspace“-Seite von A STORM OF LIGHT aufgeführt, von denen die meisten auch an „Forgive Us Our Trespasses“ mitgearbeitet haben. Und mit Vielschichtigkeit und Atmosphäre wird nicht wirklich gegeizt: der monumentale Klangbastard, den diese Truppe loslässt, erinnert mal mehr, mal weniger an apokalyptische Soundvisionäre wie NEUROSIS, epischere Geschichten von Devin Townsend, aber auch an die zerstörerischen Wutklumpen RED HARVEST. Inhaltlich geht es auf dem Album um die durch Industrie und menschliche Arroganz hervorgerufene Zerstörung der Erde, angelehnt an Alan Weismans „The World Without Us“ (2007 erschienenes Buch des 1947 geborenen, amerikanischen Autors und Journalisten). Nichts auf dem Album klingt in irgend einer Weise fröhlich oder aufbauend; das fast schon doomige Inferno erdrückt einen förmlich, was auch den größten Kritikpunkt an „Forgive Us Our Trespasses“ darstellt. Viele Passagen wirken fast schon (zu) lahm und dümpeln zwar intensiv, aber auch wenig mitreißend durch die Gehörgänge. Besonders der sehr monotone Gesang von Bandkopf Josh Graham wirkt mitunter geradezu einschläfernd. Mir ist bewusst, was die Band mit ihrem langsam walzenden Stil bezwecken will, und er passt auch sehr gut zur Message dieses Albums, doch strengt er auf Dauer sehr an – was wohl auch so gewollt ist. Als Anspieltipp empfehle ich das mächtige, hymnische „Tempest“, das einen ganz guten Überblick über diese sehr originelle Scheibe gibt, die zudem mit einem tollen, mit endzeitlichen Computergrafiken versehenen Booklet daherkommt, das aber leider keine Texte offenbart. Insgesamt trotz der Kritik sehr gelungen, aber garantiert nicht Jedermanns Sache!
BLEED FROM WITHIN erinnern optisch an BRING ME THE HORIZON (vielleicht plus ein Jahr), musikalisch haben sie sich bei THE BLACK DAHLIA MURDER bedient. Keine so schlechten Referenzen, zumal „Humanity“ fett produziert ist und die Herren handwerklich durchaus fit sind, gerade der Sänger kommt immer wieder an selige „Unhallowed“-Zeiten ran. Aber das kann auf Dauer nicht die eine große Schwäche der Schotten kaschieren: sie können keine guten Songs schreiben. Breakdowns, rasante Gitarren und ein keifender Sänger reichen nicht aus, um die Truppe aus dem Mittelmaß zu heben, denn kein einziger Song bleibt wirklich beim Hörer hängen. Und genau das unterscheidet die Vorbilder von Plagiaten, wie BLEED FROM WITHIN mal wieder beweisen.
STRIKE ANYWHERE sind bei Bridge9 gelandet, um den bei Fat Mikes Label veröffentlichtem „Dead FM“ einen Nachfolger zu geben. „Iron Front“ bietet typische STRIKE ANYWHERE-Front: schnell, melodisch, mit catchy Refrains und Phrasen, die sich wunderbar schnell ins Ohr fräsen. Dazu Texte, die immer noch im links-anarchistischen Spektrum zu finden sind und dabei zu keiner Zeit aufgesetzt oder peinlich wirken. Scheinbar haben sich die Richmonder auf ihre Hardcore-Wurzeln besonnen, „Iron Front“ ist roher als der Vorgänger und geht dadurch mehr in Richtung „Exit English“ - „Blackbirds Roar“ wird richtig eingängig und dürfte mit Glück ein Tanzflächenfeger werden, wie ihn RISE AGAINST nicht besser hinbekommen könnten. Die Band schafft den Spagat zwischen Punk und Charts, zwischen ehrlicher Politik und einfach mitreißenden Songs, die auch dem unpolitischen Rock-Fan gefallen werden. Dazu trägt das immer voraus sprintende Schlagzeug (das eine Spur zu laut abgemischt wurde und dadurch den Gitarren manchmal die Luft zum Atmen nimmt), die melodischen Songs und der charakteristische Gesang von Thomas, der sich Wut und Empörung von der Seele schreit. Gibt ja auch genug Themen, die einen intelligenten Menschen ankotzen können, von zügellosem Kapitalimus bis US-Aggression reicht das Spektrum locker – und könnte mehr als eine Platte füllen. „Iron Front“ ist da schon mal ein Anfang und schreit auf durchweg hohem Niveau den Frust über den Zustand der Welt hinaus, eingefangen in schnellen und düsteren Songs, die jedem RISE AGAINST- und ANTI-FLG-Fan gefallen werden. Also auf in die Plattenläden, kauft die Vinyl und setzt eine Zeichen! STRIKE ANYWHERE machen genau das und damit deutlich: sie sind wieder da – und das besser als zuvor!