JOHN DIVA AND THE ROCKETS OF LOVE gehen mit ihrem dritten Album "The Big Easy" konsequent den angefangenen Weg weiter - mehr noch, sie legen eine gehörige Schippe Glitzerstaub obendrauf. Die 80er Jahre, der Sunset Strip mit seinem süßen Bubble Gum- und Tanga Slip-"Metal" sind die Ingredienzien des neuen Longplayers.
Sanftes Meeresrauschen mit DAVID LEE ROTH- bzw. BEACH BOYS- Untertönen eröffnet den Reigen stimmig, bevor der Titelsong im WARRANT Kirschkuchen-Design die Überschrift mit leuchtendem Rosa unterstreicht. Nein - Sorgen, Nachdenken und kritische Töne sucht man hier vergebens. Aber davon haben wir ja aktuell auch mehr als genug. Also irgendwie die richtige Platte passend zum akustischen Kurzurlaub.
Dass hier musikalisch kein Inspirations-, noch nie gehört, sowas von Innovativ-Feuerwerk abgebrannt wird, versteht sich von selbst. So kommen nach WARRANT, BON JOVI ("Runaway Train") und POISON ("Believe") das Gros an üblichen Verdächtigen zu Gehör. Aber die Gitarren beißen, die Chöre wippen und die Songs sind einfach gefällig, leicht konsumierbar und gut gemacht. Ja, ich würde sogar so weit gehen, dass "The Big Easy" das stimmigste, in sich geschlossenste und das eindeutigste Album von JOHN DIVA und seinen Raketen ist. So, und jetzt lehne ich mich zurück in meinen Sonnenstuhl, und ziehe ordentlich am Röhrchen meines Pina Colada-Drinks.
PS: Der üppig ausgestattete Digi-Pack, inklusive wertig gestaltetem Booklett und Poster, setzt hier Maßstäbe.
Wilhelmshaven hat auf ewig einen warmen Platz im Herzen, denn von dort – also genauer gesagt aus Sande – kamen die legendären FACT. Die haben zwar musikalisch nix mit b.o.s.c.h. zu tun, es sei aber dennoch erwähnt. Aber Papa erzählt nicht nur vom Krieg, er mag auch Rammstein. Und das wiederum hat verdammt viel mit den Industrial-Metallern von b.o.s.c.h. zu tun. Die immer wieder und auf jegliche Weise das Berliner Monster rezitieren und kopieren. Dabei fehlt den Niedersachsen allerdings die volle Fülle im Sound – aber die fehlt jedem, verglichen mit Till und seinem Feuerwerk-Kommando. Fünf Jahre nach „Fleischwolf“ kommen b.o.s.c.h. nun also mit ihrem vierten Studioalbum „Parasit“ aus dem Knick und verbinden Industrial Rock mit Elementen aus NDH, Metal, Punk und Hardcore – oder andersherum. Über allem stehen aber die Hauptstadt-Weltstars, so sehr die Band ihre Eigenständigkeit auch betonen will. Okay: Der Song „Chaos“ beginnt mit fettem Prong-Riff, der Sprechgesang klingt zu sehr nach „Ich will“, aber PRONGSTEIN wäre ja mal was Neues. Und klingt „Pathogen“ ein paar Sekunden sogar nach The Cure? Aber nur kurz, denn eine Textzeile wie „Ich in ein alter Mann, ich fass mich gern an!“ könnte eben auch vom Lindemann stammen. Und das folgende Keyboard plus Gitarrenriffs von „Laut“, naja, ihr wisst schon. Rammstein, Gesang und Text sowieso. Und nicht zu vergessen: Die „Willis“ verschaffen Joachim Witt mit dem sehr eigenen Cover dessen Hits „Der Goldene Reiter“ ein paar zusätzliche GEMA-Einnahmen. Macht Spaß, die b.o.s.c.h.-Version. Das in der Pandemie entstandene Album „Parasit“ kommt über das Label ZOUNDR und ist als CD im Bandshop und auf den bekannten Streaming-Kanälen verfügbar. Rammstein-Fans finden hier die wohl beste Ersatzdroge, abgesehen von echten Coverbands. So viel steht fest: Bleibt nur eine Frage: Stammt der Band-Name von Hieronymus oder dem Konzern ähnlichen Namens? Passen tät ja die zweite Möglichkeit. Schließlich ist b.o.s.c.h. ja Industrial – und live sicherlich ein noch größeres Vergnügen.
Die Trüffelschweinchen von No Remorse Records haben mal wieder ein Kleinod ausgegraben, welches bis dato nur den absoluten US Metal Spezialisten bekannt gewesen sein dürfte: DRAGONNE aus LA. Selbige veröffentlichten 1988 eine EP mit sechs Stücken. Diese erinnern an MÖTLEY CRÜE zu „Shout At The Devil“ Zeiten, LEATHER NUNN, PANTHER (Die EP wurde von Jeff Scott Soto produziert) und PANTERA zu „I Am The Night“ Zeiten. Es „posert“ also hier und da, ist in seiner Gesamtheit aber deutlich härter und düsterer als die meisten anderen LA Bands Ende der 80er. Außerdem geht’s hier nicht um das Flachlegen möglichst vieler Mädels, sondern um Drachen, Schwerter und Ritter. Ernsthafte Lyrik also. Qualitativ bieten die sechs EP Songs gutklassigen Stoff, der zwar nicht essentiell ist, aber dennoch jede ernsthafte US Metal Sammlung sinnvoll ergänzt. Darüber hinaus gibt des noch 4 Bonusnummern, welche vom Songwriting her das Niveau des Albums halten, beim Sound allerdings muss Abstriche machen. Dennoch hat Bart Gabriel das Beste herausgeholt und alles ist gut hörbar.
Als No Remorse Sänger Jerry Colman um Bonustracks für die EP baten, holte dieser gleich noch einen ganzen Schwung weiterer Songs aus der Schublade, welche in den 2 Jahren nach „On Dragon’s Wings“ in unterschiedlichen Sessions aufgenommen wurden. Diese kommen jetzt unter dem Namen „On My Back“ zum ersten Mal überhaupt auf den Markt. The „Lost Album“ sozusagen.
Selbiges hat zwar auch einen rauen Sound, lässt sich aber ebenso gut hören wie die EP. Da ist man teilweise echt schlimmeres gewöhnt. Was auffällt ist, dass DRAGONNE im Vergleich zur EP an Qualität gewonnen haben. Mit Songs wie „Runnning Wild“ oder „Dance Of Death“ legen DRAGONNE deutlich an Härte zu und lassen Erinnerungen an die frühen Alben von LÄÄZ ROCKIT oder MELIAH RAGE aufkommen. Während „Be With You Again“ und besonders das tolle „Dream Is Over” wunderbar fluffige Balladen sind, welche man dem Quartett im ersten Moment so gar nicht zugetraut hätte. Das sind die Momente wo man wieder weiß, warum man sich auch Bands aus den hinteren Reihen ins Regal stellt und auch nach Jahrzehnten immer noch nicht genug hat. Die Zielgruppe weiß glaube ich Bescheid.
Ach ja: beide Alben haben natürlich ein fettes Booklet mit allen Texten und diversen raren Fotos spendiert bekommen. Neben den auf 500 Stück limitierten CDs gibt es die Alben natürlich auch auf Vinyl (jeweils 2 verschiedene Farben) und als (wohl leider schon vergriffenes) auf 100 Einheiten limitiertes Boxset welches beide Alben als CD, LP (exklusive Farbe) und Tape beinhaltet.
Zum Teufel: TANZWUT feiern 25 Jahre! Die Geschichte ist ja bekannt: Die Berliner gingen irgendwie aus CORVUS CORAX hervor, kommen von der puren Mittelaltermarktmusik, seinerzeit war auch das letzte Einhorn von IN EXTREMO dabei. Wie eben jene entfernten sich auch TANZWUT von der r(h)einen Lehre, mischten Rock, Pop, Elektronik, Gothic, Industrial, Metal, NDH und noch mehr unter. Zu Silbernen Musikhochzeit motzen die Tanzwütigen zwölf alte Songs (siehe unten) nochmals auf, davon sind „Labyrinth“ und „Niemals ohne dich“ erstmals digital verfügbar (sagt das Info). Okay. Aber ein paar Extras hätte so einer Compilation schon gut getan – als Hochzeitsgeschnenk für die Fans sozusagen. Die Lieder kennen die Fans in den ursprünglichen Versionen natürlich, die neuen Versionen machen Spaß – und rocken. Auf eventuelle Ähnlichkeiten zu IN EXTREMO nicht nur wegen des Dudelsacks wie im großartigen „Meer“ muss niemand eingehen. So bleibt eine gelungene Mixtur elektrischer Gitarren mit ollen Flöten und Dudelsäcken, eingängig, klebrig und doch frisch. Einzige echte Enttäuschung: Die „Eiserne Hochzeit“ fehlt, obwohl „Der Wächter“ dich niemals vergisst, eisern und in Union dazustehen! PS: Die totalen Nerds greifen natürlich zur auf 666 Stück limitierten Fan-Box mit allerlei Extras. Die Songs sind alle Teufelszeug! Als da wären: „Labyrinth“, „Ihr wolltet Spaß“, „Meer, „Was soll der Teufel im Paradies“, „Der Wächter“, „Niemals ohne dich“, „Lügner“, „Der Arzt, „Im tiefen Gras“, „Vulkan“, „Dämmerung“, „Nein Nein“.
Lang ist es her seit dem letzten regulären Studioalbum von SORTILÈGE. Genau genommen 38 Jahre her, seit "Larmes De Heros" erschien. Auch ist trotz einer kurzfristigen "echten" Reunion aktuell nur noch Sänger Christian "Zouille" Augustin von der 80er-Besetzung mit an Bord. Mit welcher Erwartungshaltung also soll man als Altfan an "Apocalypto" herangehen, um nicht zwangsläufig enttäuscht zu werden? Ich habe dezidiert im Vorfeld noch einmal "Phoenix" von 2021 angehört, welche Neueinspielungen alter Klassiker enthielt (und "Apocalypso" als Bonus beiliegen wird) und mich so dem aktuellen Klangbild angenähert, welches härter und aggressiver als in den seligen 80ern tönt. Das mag anfangs irritieren, jedoch habe ich mich mit jedem Durchlauf mehr und mehr damit anfreunden können und muss konstatieren, dass "Apocalypso" ein ambitioniertes und vor allem durch und durch ehrliches und authentisches Album ist. Was viel mehr Wert und Substanz besitzt als ein halbgarer Dienst am Fan. Denn es zeigt, dass es SORTILÈGE 2.0 noch einmal wissen wollen und sich nicht nur auf alten Lorbeeren ausruhen. Auch wenn dies Mut zum Risiko bedeutet.
Das heißt jetzt nicht, dass man sich vollends von seinen Wurzeln gelöst hat, sondern, dass man einen Spagat nicht nur wagt, sondern diesen auch hinbekommt. Zouille selbst hat seine Kehlkopf-OP offensichtlich gut überstanden und tönt zwar passend zur Musik rauer als früher, aber nicht weniger kraftvoll. Darüber hinaus ist er immer noch unter tausenden anderen Sängern sofort herauszuhören. Seine Begleitmusiker sind technisch natürlich oberste Liga, und so brennt da nichts an, sondern man wird mit tollen Soli und präzisem Riffing verwöhnt.
Der flotte Opener "Poseidon" steht ganz in der Tradition von "D’Ailleurs" und wird in Zukunft bestimmt das eine oder andere Konzert eröffnen. "Attila" ist dann das erste Stück, welches für die moderne Seite von SORTILÈGE steht: rhythmisch, stampfend und fies mahlend wird der Hunnenfürst besungen. Das nun folgende "Derrière Les Portes De Babylone" ist auch eher modern und versteht es geschickt, einen epischen/orchestralen Chorus mit arabischen Motiven zu verbinden. Das flotte "Le Sacre Su Sorcier" ist purer klassischer Heavy Metal, welcher jeden Fan der ersten Alben begeistern sollte. Selbst die "Ohohoh-Chöre" wirken nicht aufgesetzt. Bei "La Parade Des Centaures" wagen sich SORTILÈGE sehr weit auf fremdes Territorium: sehr moderne Gitarrenarbeit trifft auf vereinzelte Deathgrunts und einen kommerziellen Refrain. Das anschließende, galoppierende "Walkyrie" ist dann wieder deutlich oldschooliger und hätte auch von "Larmes De Heros" sein können - 2023 eben mit etwas mehr Pfeffer und Dampf auf den Gitarren. Mit "Encoure Un Jou" haben SORTILÈGE eine Halbballade geschaffen, bei der Zouille eine andere Seite zeigen kann und beweisen, dass auch seine gefühlvolle Stimme über die Jahre nicht abhandengekommen ist. Sehr emotional und absolut kitschfrei. "Trahison" ist wieder purer Stahl und wie gemacht für Liveshows. Das ebenso flotte "Vampire" schlägt in eine ähnliche Kerbe und führt das Erbe von Songs wie "Bourreau" oder "Cyclope De L'Étang" 2023 weiter. Das abschließende fast achtminütige Titelstück beschließt das Album würdig. Düster, episch und elegisch entfaltet sich die Apokalypse, bis sie in einem bombastischen Finale kulminiert.
"Apocalypso" ist ein mutiges, ehrliches und relevantes Album, welches sicherlich Kritik wird einstecken müssen. Ich persönlich halte es für ein sehr gutes Album einer Band, die immer noch etwas zu sagen hat und nicht nur Altes wiederkäuen möchte.
Leider wurde die für Mai angesetzte Tour ersatzlos gestrichen. Ich hoffe dennoch, dass man Frankreichs legendärste echte Heavy Metal-Band bald wieder auf der Bühne wird erleben dürfen.
Was ist denn auf dieser Welt los? Es gibt Dinge die kann man nicht verstehen. Dazu gehört, dass das neue Album von WICHITA FALLS durch die Band in Eigenregie veröffentlicht werden muss. Da sind die Labels aber mal schön im Tiefschlaf... denn die Norddeutschen wuchten mit ihrem zweiten Longplayer "When Hell Comes To Town" einen Brocken von internationaler Klasse ans Licht der Metalwelt. Für den richtigen Sound konnten WICHITA FALLS mit Bob Katsionis (ex-FIREWIND, WARRIOR PATH, STRAY GODS) einen bekannten Namen in der europäischen Hartwurst-Szene verpflichten. Und er hat einen tollen Job gemacht. Extrem wuchtig und trotzdem transparent drückt das Album durch die Speaker.
"Natural Disaster" eröffnet den Reigen und geht nach einem coolen Synthiepart in hammerhartes Stakkatoriffing über. Gitarrist Matze Büsing macht dem Hörer hier schon klar, dass er zu den besten Riffmaschinen des Landes zählt. Über die gesamte Spielzeit wird hier eine geniale Akkordfolge nach der anderen auf den Hörer abgeschossen. Alle zugeschnitten auf die starken Vocals von Wolfram Burda. Der Sänger ist eine echte Seltenheit in diesen Zeiten, weder Fünf-Oktaven-Trällerhennes noch Extrem-Metal-Brüllaffe, bietet er mit seinem rauen Organ genau die richtige Mischung aus Power und Melodie. Dazu kommt noch das variable und kraftvolle Drumming von Uwe Reese und fertig ist die Metal-Laube. Stilistisch kann das Gesamtpaket vielleicht irgendwo in der Nähe von ICED EARTH, NEVERMORE oder auch BRAINSTORM verortet werden, ist aber absolut eigenständig - insbesondere aufgrund der Ohrwurmrefrains. Songs wie "The Quest" oder das flotte "Total Eclipse Of The World" (geiles Intro auch!) verschwinden so schnell nicht mehr aus den Gehirnwindungen. Und selbst gegen Ende des Albums geht WICHITA FALLS nicht die Luft aus. Das thrashige "Meet Your Master", der energische Quasi-Titelsong "Legions" und das erneut mit einem Monster-Refrain gesegnete "Until The Storm Is Over" beschließen die Scheibe, ohne auch nur einen Moment das Level herunterzufahren.
"When Hell Comes To Town" ist ein Album auf internationalem Niveau. Die Produktion, das starke, originelle Artwork, die Musik sowieso. Wenn schon die Plattenfirmen dieser Welt nicht auf der Höhe des Geschehens sind, dann solltet ihr das sein und eine Band unterstützen, die in Eigenregie so ein geiles Geschoss abgeliefert hat. Digitalen Download gibt es bereits, ab März folgt die CD und im April sogar eine kleine Vinylauflage. Wer also auf kraftvollen Metal zwischen Melodie und Härte steht, sollte - nein muss - die Scheibe ohne schuldhaftes Zögern verhaften!
Bei THE COLD STARES neuem Album steht neben dem Bandnamen und Titel des Longplayers auch der Zusatz "Made in Nashville Tn". Nashville ist die Hauptstadt des Bundesstaats Tennessee (Tn), und neben Whiskey ist es das Zentrum der kommerziellen Country-Musik, in den USA, und bekannt für sein üppiges Nachtleben und seinen unzähligen Honky-Tonk Bars. So stellt sich der Hörer auf Bluegrass, Country, Folk und generell American Roots Music ein. Aber - und das ist dann doch unerwartet und erfreulich - das Trio bietet auf "Voices" doch weit mehr Southern bzw. Hard und kernigen Blues Rock.
"Nothing But The Blues" ist bärbeißiger, bluesiger Hard Rock, der sich zwischen Paul Rogers BAD COMPANY und frühen BLACK STONE CHERRY plaziert. Der Sound ist roh und direkt, der Gesang von Chris Trapp ist leidenschaftlich und irgendwie angepisst, das Solo heavy und mitreißend. Das gemächliche "Come For Me" mahnt an frühe ZZ Top, bis auf den immer mit Emotion gefüllten Gesang. Coolness bietet das Power-Trio nur in der instrumtalen Auskleidung der Songs an. Das sanfte "Joy" ist entgegen dem Titel, musikalisch doch eher verregnet und melancholisch. Das Kollektiv bleibt bei allen Nummern gradlinig und kommt umweglos auf den Punkt. Das verleiht dem Album eine stämmige Kompaktheit, die es offen und unverbaut wirken lässt. "Got No Right" klingt nach CREAM, "Waiting For The Rain Again" ist Southern Rock mit einer Prise WISBONE ASH gewürzt, und "Sorry I Was Late" ist ein psychedelisches Kleinod, das mit seiner zarten Atmosphäre und tiefen Traurigkeit berührt und zu den Highlights des Albums gezählt werden muss. Die starke, auf ihre Essenz reduzierte Bluegrass-Nummer "Throw That Stone" wird dann der "Nashville Verheißung" gerecht, bleibt aber doch eigentlich der einzige Track, der das vollumfänglich leistet.
THE COLD STARES haben mit "Voices" ein ganz starkes Rock-Album anzubieten, das viel Blues, Heavyness und Urspünglichkeit in sich trägt, aber wesentlich von seiner ergreifenden Leidenschaft und Direktheit lebt.
Es ist ja einfach: Neue Deutsche Härte klingt öde, da passiert nix mehr, alle rühren ständig im gleichen Sud, eifern eh nur RAMMSTEIN nach, überhaupt ist NDH doof und die Fans sind noch schlimmer als Kegelklubs auf Wacken. Und dann ist da noch der latente Konservatismus-Vorwurf. Nun können weder MAERZFELD die wenigsten anderen Bands was für den Rechtsruck in der Gesellschaft oder die zu vielen erhobenen Zeigefinger. Fakt ist: „Alles anders“ ist richtig gut und professionell aufgenommen und eingespielt – fetter Sound und gute Songs für die reichlich vorhandene Zielgruppe.
Der Opener und Titeltrack beginnt rammsteinig mit den typischen Stakkato-Riffs und ebensolchen Vocals von Helfried (JAAAA!) Weißenweber. Ja, das ist der Heli, der mit einigen MAERZFELD-Mitgliedern im fetten Stahlzeit-Nightliner durch die Republik fährt und gekonnt eben jene große Blaupause covert – und vielleicht damit einer der besten Coverbands der Berliner stellt. Aber schon in der zweiten Hälfte des Songs und an dessen gefälligen Refrain ist eine Verpoppisierung des Sounds zu spüren. „Wach auf“ hingegen schielt wieder in Richtung Rammstein, wenngleich die Sätze des Kulmbacher Kneipenwirts nicht so verquer daherkommen wie die des Berliner Eulenspiegels. Insgesamt sind die zum Teil gesellschaftskritischen Texte weitestgehend unpeinlich. Ein paar sexistische Pseudo-Provokationen wie in „Bakkushan“ funzen nicht. Hier sei Kritikern Resilienz enmpfohlen.
2004 gestartet, schwankten die Musiker stets zwischen Stahlzeit und MAERZFELD, 2009 „gründeten“ die Franken ihre eigene Band quasi neu. Mit „Alles anders“ kommt das fünfte volle Album der Band, die ihren Namen als Metapher für das Leben deutet. Apropos: Name! Sie leiten ihn von den Merowingern ab, die dort ihr Heer versammelten und von einem Feld, dass alljährlich im März bestellt wird und sehen ihn laut Wikipedia als Protest gegen das Dritte Reich. Vielleicht wichtig zu bemerken auch in diesen Zeiten, nicht nur in der Weimarer Republik.
Zurück zur Musik: Das kommerzielle „Von 100 auf 0“ hätte wohl auch beim Songwettbewerb Chancen, ebenso wie das sehr cheesige „Plötzlich tut es weh“. Überhaupt kommen MAERZFELD in den sanfteren Parts rüber wie ein Bastard aus dem Grafen, Rammstein und vielen deutschen Jammer-Pop-Musikern, die gerade so in sind – und unhörbar. Die „Hübschler:in“, ein Song über ein Freudenmädchen, ist der vielleicht härteste und eine Neuaufnahme des 2012er-Stücks. Und zeigt am besten die Wandlung: Die sind gefälliger geworden, die Jungs. „… Eine Mischung auf Depression, Hoffnung, Mut, Verzweiflung, Freude und Mut…“ verspricht das Info – von allem etwas also. So verhält es sich auch mit der Musik. MAERZFELD haben eine deutlich breitere Spannweite bekommen – genau wie Helis Stimme, die viel mehr kann als nur Till nacheifern. Und das Ergebnis beim Hörer könnte somit das gleiche sein wie die Versprechungen des Infos. Fazit: Das Album ist super-professionell, abwechslungsreich, hat furchtbar kommerzielle, schlimme Momente, aber auch echt gute und taugt dank eingängiger Songs und klebriger Melodien als Unterhaltung nicht nur für die Zielgruppe richtig gut. Vielleicht darf es sogar ein bisschen mehr sein?
Im Oktober 2019 rezensierte ich die Debüt-EP der Frankfurter Band EMPERORS LAIR. Und wie ich seinerzeit angekündigt hatte, blieb ich in Kontakt zu dem Trio. Heuer veröffentlicht das zum Quartett gewachsene Kollektiv ihr erstes vollwertiges Album. "Dare Mighty Things" ist der Titel, und visuell punktet das Werk mit einem starken und stylischen Artwork. Neu ist auch, dass diesmal Gesang geboten wird, den der neue Mann Sebastian zu seiner Funktion am Synthesizer beisteuert.
Musikalisch bleiben die Hessen bei ihrem psychedelischen, zähfließenden Stoner Rock. Das starke "House Of The Righteous" eröffnet den Longplayer wuchtig und sphärisch. Der Gesang von Sebastian ist klar, der Hall auf der Stimme lässt sie, zuweilen flüchtig und transparent, wie Nebel über der Nummer schweben. Fuzz-Gitarren und ein basslastiger Sound bilden dazu einen deutlichen und massiven Kontrast. EMPERORS LAIR nehmen sich viel Zeit, um ihre Nummern zu erzählen. Sieben Songs mit einer Laufzeit von fast einer Stunde sprechen hier eine deutliche Sprache. Der Band gelingt es, Spannung zu kreieren, diese auch zu halten und somit durchaus unterhaltsam und abwechslungsreich die Dauer der Songs zu gestalten ("Gravity"). Hier muss noch das flehende und stoische "Kronos" Erwähnung finden. Wobei sich auch Wiederholungen im Aufbau der Tracks nicht immer vermeiden lassen und gewisse Längen und Gleichförmigkeiten ("The Mind's Eye") nicht ganz ausbleiben. Das gechillte, rein instrumentale und atmosphärische "Deimos" und das leicht orientalische, beschwörende und kompakte "The Elephant" punkten gegen Ende nochmal.
EMPERORS LAIR haben einen beachtlichen Schritt gemacht. Artwork, Sound, Songs - alles ist qualitativ gewachsen. Schade, dass die Band kein Vinyl im Angebot hat. Das Artwork schreit geradezu nach einem größeren Format. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Zählen wir die Debüt-EP mit, so veröffentlichen DEWOLFF mit "Love, Death & In Between" ihr zehntes Album. Und ich prognostiziere, dass spätestens ab jetzt die drei Niederländer ein weitaus größeres Publikum erreichen werden. Es ist einfach nur großartig, wie authentisch, liebevoll und detailliert das Trio seine Melange aus Soul, Blues und psychedelischem Rock präsentiert. Und nicht nur die Präsentation, sondern auch der Inhalt, sprich das Songwriting, das Handwerkliche und zu guter Letzt der unfassbar transparente Sound tragen zu dem beeindruckenden Ergebnis bei. Wenn ich etwas kritisieren müsste, so würde ich das Überangebot, d.h. den fast schon inflationären Gebrauch von Inspiration bemängeln. Denn mit 12 Songs und einer Spielzeit von weit über einer Stunde ist es fast zu viel des Guten. Im speziellen ist die 16:30 Minuten lange "Rosita" etwas üppig geworden. Aber das ist jammern auf hohem Niveau.
"Night Train" beginnt JAMES BROWN-würdig; wie ein langsam laufender Schweißtropfen auf erhitzter Haut, rollt sich die Nummer ihren warmen, souligen Weg hinunter in die Beckengegend. Das Gitarrensolo im Songfinale, das zusätzlich mit Bläsern und Gospelchor zum "Höhepunkt" kommt, schließt die perfekt erzählte Nummer stimmig ab. Um hier für Klarheit zu sorgen, mit Hard- oder Stoner-Rock haben die Musiker nichts im Sinn - also nicht vom Artwork verführen lassen. Blues und Soul sind die vorherrschenden Ingredienzen. "Will o'the Wisp" ist stimmungsvoll dargebotener Blues, reduziert und atmosphärisch. Es ist schwer zu glauben, dass sich die doch relativ jungen Künstler diese in den 60er, Anfang der 70er "spielende" Nummer allein erdacht haben. Wem das Genre und die musikalische Zeit zusagen, der kann, nein, der muss dieses Album erwerben. Es verdient nahezu jeder Song, vorgestellt zu werden. Kommen wir noch zum chronologisch gesehen letzten Track des Albums. "Queen of Space & Time" vereint THE DOORS mit CREAM und dazu eine sanfte JETHRO TULL-Flöte. Hört sich komisch an? Ist aber so und dazu richtig gut.
DEWOLFF kommen im Februar d.J. auf Tour. Dazu dieses Album und die gebotene Qualität werden die Band auf die nächste Erfolgsstufe hieven - und das völlig zu Recht!