Phil Mogg gehört ohne Zweifel zu den ganz Großen. Dass sich der Künstler nochmal aufmacht, ein Solo-Album zu veröffentlichen, überrascht. Hatte er doch 2022 einen Herzinfarkt; und durch mehrere Schicksalsschläge in der Bandbesetzung wurde auch das Ende der UK-Hard Rock-Institution UFO bekannt gegeben, deren einziger Sänger, seit der Gründung, Phil war.
Doch Phil Mogg fühlt sich für's Altenteil noch zu fit und so formte er mit Tony Newton das Projekt MOGGS MOTEL. Für das Album durchforstete Mogg sein Archiv nach unveröffentlichten Songfragmenten, und auch Bassist/Produzent Tony Newton sowie Gitarrist Neil Carter öffneten ihren Ideenschrank und kreierten so diesen Longplayer.
Der Opener "Apple Pie" ist groovender Hard Rock der alten Schule. Neil Carter spielt eine treibende Gitarren-Melodie, und Phil gibt den leicht düsteren, immer intensiver performenden Frontman. Ohne Frage könnte die Nummer auch auf einem UFO-Werk kreisen. Phils Stimme besitzt nach wie vor ihre Schärfe, bei "Sunny Side Of Heaven" wird sie von einer souligen, leidenschaftlichen Damenstimme begleitet, die hier den Song einfärbt und aus der ansonsten typischen Rocknummer etwas flirrendes, irgendwie verschwitztes macht. MOGGS MOTEL ist kein UFO-Album, aber mit UFO-Verweisen und Andockpunkten. Der Longplayer strahlt trotz seiner ganzen Dynamik eine gewisse Nachdenklichkeit und Dunkelheit aus, die ihm aber gut zu Gesicht steht und bindet. Das bluesig und verstrahlt daher schwebende "Face Of An Angel" ist ein Geschenk, und bei dem dramatisch schönen "I Thought I Knew You" darf man wirklich dankbar sein, dass der britische Haudegen sich noch zu lebendig fürs Aufhören fühlt. Lob gebürt auch Produzent Tony Newton, dem hier das Kunststück gelingt, vertraut und doch frisch zu klingen und der darüber hinaus immer mal wieder Überraschungsmomente kreiert, die das Werk spannend und wiedererkennbar halten.
MOGGS MOTEL ist ein gelungenes, irgendwie klassisches und doch zeitgemäßes Hard Rock-Album. Mit den Altvorderen ist eben noch zu rechnen, das Werk gehört, bis jetzt, neben der letzten und leider finalen MAGNUM, der aktuellen BLACK COUNTRY COMMUNION sowie der neuen DEEP PURPLE zu den relevanten Hard Rock-Veröffentlichungen dieses Jahres.
David DeFeis bleibt umtriebig. Nach seinem Album "The Passion Of Dionysus" 2023, veröffentlicht er heuer (23.08.2024) seine beiden ersten Alben erneut. Erneut heißt in diesem Fall auch, zum wiederholten Male, gab es doch 2018 bereits ein Re-Release.
David DeFeis hat die Alben, basierend auf den originalen Mehrspurbändern, vom ersten bis zum letzten Ton neu abgemischt. Zusätzlich gibt es bei beiden Langeisen Demo-Versionen und tatsächlich auch noch nie veröffentlichte Tracks. Beide Longplayer werden als CD und in Vinyl erhältlich sein. Die CDs kommen als schöne Digi-Version, inklusive eines reich bebilderten Bookletts mit allen Texten, daher. Die Platte gibt es im feinen, schwarzen Doppel-Vinyl im Gatefold-Artwork.
VIRGIN STEELE waren zu Beginn ihrer Karriere eine im Vergleich zu heute eher klassische Metal Band. Hervorstechend und prägend war aber schon hier David DeFeis Gesangstil und sein zuweilen markantes Keybord-Spiel. Parallelen zu frühen MANOWAR und späten, sprich theatralischen SAVATAGE sind sicher nicht ganz fehlplatziert. Die pompöse und geschwungene, um nicht zu sagen schwülstige Gangart späterer Werke war hier schon klar erkennbar, aber weit weniger ausgeprägt. Dies lag sicher auch an Bandgründer, Gitarrist und Mitkomponist Jack Starr, der nach den zwei Alben die Band verließ, auch unter Groll darüber, wo David DeFeis die Band hinführen wollte. In der Nachbetrachtung muss man einräumen, dass der New Yorker Sänger und Künstler VIRGIN STEELE zu einer unverkennbaren und herausragenden Band formte und der Metal-Welt großartige Alben präsentierte. Aber richtig ist sicher auch, dass DeFeis den Bogen zuweilen überspannt und allen voran Ratschlägen und Einwänden gegenüber resistent zu sein scheint. Gerade bei seinen jüngsten Longplayern polarisierte er doch die Hörerschaft, auch als Produzent, sehr in pro und contra. Dieser Umstand haftet diesen beiden Werken aber mitnichten an. Das sind wunderbar zwischen typischem 80er Metal und bombastischem Hard Rock pendelnden Alben voller Inbrunst und, zur damaligen Zeit, frischer Ideen, auch im Klang.
Ich hatte am Sound der Erstlingswerke tatsächlich wenig bis nichts auszusetzen. Die neu bearbeiteten Alben klingen zum Teil tatsächlich etwas anders als gewohnt, z.B. ist das Keybord beim Einstieg zu "Don't Say Goodbye (Tonight)" einer Gitarre gewichen. Der Bass ist etwas präsenter, generell wirken die Tieftöne wuchtiger, das Schlagzeug etwas integrierter. Aber die Essenz der Alben bleibt doch im Kern erhalten. Böse Zungen behaupten, da war schlimmeres zu befürchten.
"Virgin Steele I - The Anniversary Edition" und "Guardians Of The Flame - The Anniversary Edition" sind für Fans sowieso und für Hörer, die noch nicht im Besitz der Longplayer sind, interessant. Auch denke ich, dass gerade Plattensammler hier ein wertiges Angebot erhalten - bietet sich doch die Möglichkeit, die beiden Werke, neu als Doppelalbum, mit einigen Bonus-Songs (zweite Vinylscheibe), in den Schrank zu stellen.
Virgin Steele I & Guardians Of The Flame (Re-Release)
TURIN – das sind fünf ziemlich talentierte Musiker aus dem Vereinigten Königreich, die sehr gerne hochwertigen BlackenedDeathcore fabrizieren. Das brachte dem Quintett auch schon Auftritte auf allerlei renommierten Festivals und im Vorprogramm von Größen wie WithinDestruction oder Decapitated ein. Der Name spielt nicht etwa auf eine gewisse gleichnamige Stadt im Piemont mit stilvoller Architektur und hervorragender norditalienischer Küche an, sondern ist ein Akronym für "The Unforgiving Reality In Nothing". Das neue Album, das am 12. Juli über MRNK erschien, trägt diese Worte als Titel und bildet musikalisch die Kernthemen der Band ab, die sie auch zu dem vielsagenden Namen verleitet haben. Es möchte der schonungslos und gnadenlos harten Realität ein musikalisches Gesicht geben und den persönlichen Verlusten und dem Kampf mit den eigenen Traumata Ausdruck verleihen. Und welche Musik wäre hierzu besser geeignet als brachialer Extrem-Metal, namentlich minutiös ausproduzierter Deathcore mit einschlägigen Black-Metal-Elementen, garniert mit einer guten Portion düsterer Melodeath-Walze und einem Schuss Death-Metal? Ein Fest für Liebhaber der extremsten Auswüchse unseres geliebten Genres, das deliziöser nicht sein könnte – konkrete Genuss-Tipps gibt es hierzu am Ende des Reviews.
Die Jungs präsentieren uns jedenfalls mit der neuen Scheibe ein schmackhaftes und hochinteressantes Menü. Da wäre beispielsweise die sehr interessante Arbeit mit dezenten Kontrasten gleich zu Beginn des Albums: Hier hören wir auf „Envy“ epische, massive Gitarrenriffs auf schnellen, schmackhaften Doublebass-Parts, elegant im Wechsel mit gnadenlosen Blastbeat-Gewittern. Das folgende „Abyssal“ bildet durch sein schnelles Riffing einen herrlichen Kontrast, ohne dass die beiden Songs ihre Stimmigkeit nebeneinander verlieren würden. In einem durchaus kreativen Solo erleben wir die Fortsetzung dieses Ansatzes ein weiteres Mal: Entgegen der Erwartung entbehrt das eigentliche Gitarrensolo technischer Spielereien, der Kollege an den Drums hingegen fährt virtuose Geschwindigkeiten und Raffinesse auf. Stilsicher performen die Jungs die genretypische Kombi aus Streichorchester, sphärischen Synthesizern und brachialen Gitarren, wobei die Highlights klar „Apostat“, „Loss“ und „Hopeless Solutions“ sind. Einen technischen Höhepunkt des Albums stellt unweigerlich der Titeltrack dar, der als wahnwitziges Doublebass-Massaker daherkommt und selbst für sein Genre bemerkenswert anspruchsvoll und beeindruckend ist. Hier fahren die Jungs auch einige der seltenen verhältnismäßig klaren Gesänge auf. Die Vermischung mit groovigen Elementen des Melodeath kommt am besten im treibenden Halftime-Epos „Reflections“ hervor. Im letzten Track „Our Reality In Nothing“ zeigen die fünf Herren auf beeindruckende Weise und anhand einer herrlich komplexen Riff-Salve, dass sie auch progressive Einflüsse geschickt aufgreifen und in ihren Stil elegant integrieren können. Der Titel deutet zudem eine Konzepthaftigkeit der Komposition an, das Album wirkt insgesamt also sehr durchdacht.Thematisch und lyrisch greift „The Unforgiving Reality In Nothing“ erwartbar tief in die Klischeekiste des BlackenedDeathcore, doch musikalisch bedienen sich TURIN einer gut gewählten Palette an Genres, ohne dabei Gefahr zu laufen, größere Irritationen zu verursachen.
Was hingegen überrascht, ist die ungewöhnlich geringe Resonanz, die die Band bisher erfahren hat. Die eingangs erwähnten Karrierehighlights des Quintetts können sich natürlich sehen lassen, aber bei einer derart hochwertigen Produktion mit solch ausgereiftem Songwriting und musikalischer Virtuosität (insbesondere am Drumkit!) verwundert doch die geringe Bekanntheit dieser Band, die sich nun schon im zehnten Jahr ihrer Bandgeschichte befindet. Klar, das Genre ist auf seine Weise speziell und eher etwas für Kenner und Leute mit deutlich von jedem Mainstream abweichendem Musikgeschmack, aber es bleibt den Jungs zu wünschen, dass sie auf der Welle der derzeitigen Popularität des Extrem-Metal mitreiten können.
Mir liegt „The Unforgiving Reality In Nothing“ auch als Vinyl vor. Puristen und Genießer kommen also auch haptisch voll auf ihre Kosten. Wer stilsichere Abende mit Plattenspieler und massiven Ledersesseln sucht und dabei den musikalischen Ausflug in die extremsten Gefilde des Metal wagen möchte, dem sei das Auflegen der Platte als hochwertiges und stimmiges Gesamtkonzept dringend angeraten. Dazu empfehle ich einen tiefdunklen und extrem schweren Rotwein mit herben Tanninen, schwungvollem Auftakt und stimmigem Körper, der geballten Geschmackswucht schwärzester Beeren und dunkler Kakaobohne, vielleicht einem Hauch angenehmer Säure und unbedingtem Willen, sich schonungslos und mit kurzem, aber bemerkenswertem Abgang die gustatorische Wendeltreppe den Gaumen hinabzuprügeln. Vorschlag: ein 2014er Amarone della Valpolicella Classico, dazu ein paar Stücke piemonteserCastelmagno und ein feines Bouquet dunkler Früchte.
AXEL RUDI PELLs Studioalbum Nummer 22 donnert mit "Forever Strong" gewaltig und energisch los. Das darauffolgende "Guardian Angel" klingt vertraut und typisch, positioniert sich wie gewohnt im klassischen Hard Rock. Auf Sendeplatz 3 überrascht dann der Wattenscheider. "Immigrant Song" von LED ZEPPELIN wird präsentiert und das durchaus recht selbstbewusst. AXEL RUDI PELL und seine Mannen lassen den Song aus den 70ern, direkter und erdgebundener klingen und Johnny Gioeli legt sein ganzes Können rein, auch um einer Legende wie Robert Plant gerecht zu werden - das gelingt ihm bravourös. Axels Solo nimmt gekonnt das Tempo aus der Nummer und macht uns kurzerhand aus Page den Ruhrpott Blackmore - interessante Interpretation. Den orientalischen Move von LED ZEPPELIN greift der Longtrack "Ankhaia" erneut auf und bildet so auch eine stimmige Verbindung zum Artwork. AXEL RUDI PELL hat heuer für seine Verhältnisse doch einiges überraschendes in "Risen Symbol" eingebaut. Aber natürlich bei weitem nicht so viel, dass sich ein alteingesessener A.R.P. Fan überfordert fühlt. Genug vertraut Klingendes bindet das Album; zum Beispiel die gefällige Ballade "Crying In Pain" erinnert gar an Axels STEELER-Nummer "Falling Angel".
AXEL RUDI PELL und seine handwerklich versierte Band bieten ein bisschen was neues, sogar etwas mutiges und aureichend wohlbekanntes, in ihren neuen Longplayer an. Das gefällt und unterhält. Sicher wird davon auch einiges auf der anstehenden Herbst-Tour auf die Bühne kommen. Wir sind gespannt und freuen uns darauf!
TAKE OFFENSE – das sind fünf Herren aus Kalifornien, die mit mittlerweile 19 Jahren Band-Erfahrung die Musikwelt verlässlich mit lautem, innovativem und dennoch traditionsbewusstem Metal versorgen. Die Expertise hört man dem Quintett durchaus an – die Jungs sind hörbar allesamt Vollblut-Musiker, die ihre Instrumente wirklich beherrschen. Auch mehrere Tourneen haben sie bereits hinter sich. Nun liegt ihr viertes Studioalbum "T.O.tality" über MNRK Records vor, auf welchem die Band in gewohnter Manier eine interessante Mischung aus Speed Metal, Heavy Metal und Hardcore verspricht. Dieses Versprechen halten sie ziemlich überzeugend ein, die Kombination ist allerdings etwas eigentümlich und sicherlich nicht jedermanns Geschmack, vor allem wohl für die nachwachsende Metal-Generation, aber die Vermischung vontraditionellem Westcoast-Metal Elementendes Eastcoast-Hardcore ist spannend und ansprechend, das muss hervorgehoben werden.
Die Scheibe startet mit dem vorab bereits veröffentlichten „GreetingsFrom Below“, das ziemlich deutlich die Richtung des Albums vorgibt: Die Zombie-Apokalypse ist in vollem Gange, und ihr Soundtrack besteht vor allem aus schnellerem Metal für Traditionalisten der älteren Generation mit virtuosen Gitarrensoli, beeindruckenden, aber wenig eingängigen Riffs und Hardcore-Vocals, die stark an Urgesteine der New Yorker Szene wie Sick OfIt All erinnern. Das schnelle „S.W.O.“ zieht dann im Tempo nochmal an, bietet aber im Kern dasselbe Programm. Das Album nimmt nun an Schwung auf und greift in den folgenden Songs auch groovige Elemente auf, beispielsweise bei „I’mDamned, So Be It“. Immer wieder erinnern die Jungs auch stark an den Pantera-Klassiker „Fucking Hostile“, was bei der Vermischung von Speed Metal und Hardcore vielleicht auch irgendwie erwartbar ist. Da passen dann auch kurze Hardcore-Nummern wie „Uncivilized Animals“ gut rein.Dass die Jungs gut für Überraschungen sind, zeigen sie auf „Deep Inside“, das mit einer Spieldauer von 4:10 auch mit Abstand der längste Song des Albums ist: Hier sind sie sich nicht zu schade, den Song als schleppende Chug-Walze aufzubauen, nur um plötzlich zu Ultra-Speed-Metal zu wechseln. Und auch die nächste Überraschung folgt direkt: „No Man’s Land“ fährt den Drive des Albums komplett herunter; es ist für zwei Minuten irgendwie spooky, aus dem Off kommen leicht verstimmte Gitarren, Stimmen wispern. Da ist sogar fast ein leichter Prog-Vibe da – man fragt sich nur: warum? Die restlichen Songs heben sich dann kaum ab – bemerkenswert ist allerdings die Maiden-Hommage „Beyond Flesh and Bone“, die vor allem durch sehr starke Gesangsperformances besticht. Wenn der Sänger solche Stärken hat, warum zeigt er sie eigentlich nicht öfter? Mit „The Prayer“ verabschieden sich die Jungs, und zum Ende gibt es nochmal komplexe Speed-Metal-Riffs auf die Ohren, bevor sich das Album sehr langsam via Fade-Out und im Halftime verabschiedet. Das ist eine durchaus gelungene Abrundung!
Insgesamt ist „T.O.tality“ ein starkes Brett, das allerdings den ein oder anderen Hit vermissen lässt. Nur wenig lädt zum Mitgröhlen ein, wenngleich die Dichte an Gang-Vocals durchaus als hoch einzustufen ist. Seine Stärken liegen klar in der musikalischen Virtuosität, denn die kann sich wirklich hören lassen. Besonders die Gitarrenarbeit ist brillant, die Produktion sehr hochwertig. Das Album ist ein schön rundes Gesamtwerk, das das stilistische Experiment der Jungs ziemlich solide umsetzt, vermutlich aber eher, wie eingangs bereits angedeutet, ein traditionell angehauchtes Publikum ansprechen möchte. Das ist vollkommen in Ordnung, in meine Playlists hat es jedoch keiner der Songs geschafft.
Die deutsche Metalinstitution RAGE ist nun auch schon stolze 40 Jahre im Geschäft. Zu diesem Jubiläum haben sich die Herren aus Herne etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Das neue Werk zu diesem Anlaß besteht aus zwei unterschiedlichen Teilen. “Afterlife“ und “Lifelines“ vereinen sich zu “Afterlifelines“ und ergeben ein echtes Doppelalbum (über 85 Min.) mit düsterem Konzept.
Der erste Teil (“Lifelines“) ist eher eine klassische RAGE-Scheibe und kann quasi als Fortsetzung des eingeschlagenen Weges, der eigentlich auf “Wings Of Rage“ begann, gesehen werden. Thematisch knüpft man aber mit dem aktuellen Longplayer an den Vorgänger “Resurrection Day“ an. Dort wurde die Menschheitsgeschichte skizziert, “Afterlifelines“ zeigt mit erhobenem Zeigefinger eine Gegenwart und dystopische Zukunft auf, in der alle Systeme kollabieren, wenn sich nicht grundlegende Dinge auf der Welt ändern. Musikalisch werden nahezu alle Register gezogen, die diese Combo groß gemacht hat. Nach einem epischen Intro konfrontiert uns “End Of Illusions“ brutal mit der Realität und beraubt uns schlagartig jeder trügerischen Hoffnung. Nachdem Peavy und seine Mannen auf “Under The Black Crown“ mit der Minderheit ins Gericht zieht, die den größten Teil des Geldes verwalten, verbinden sie Zukunft und Vergangenheit, sowie das Leben mit dem Tod über das Internet in “Afterlife“. “Mortal“ ist dann wieder so ein fabelhaft doomiger Track, wie man ihn immer wieder bei Rage findet und liebt. Alles in allem ist der erste Teil eine überaus abwechslungsreiche Darbietung, die neben fetten Riffs mit reichlich schicker Melodie um die Ecke kommt.
Das Sahnestück ist für mich aber definitiv Teil zwei: “Lifelines“! Dort wurden alle Songs mit Unterstützung des Keyboarders Marco Grassoff rundum stimmig orchestriert. Die Truppe experimentierte in der Vergangenheit schon einmal mit klassischen Elementen und es entstand ein Projekt mit dem Namen “Lingua Mortis Orchestra“. Damit konnte ich mich allerdings nie ganz anfreunden, die Art und Weise wie dies demgegenüber heuer umgesetzt wurde, haut mich schlichtweg aus den Socken. Es ist im Prinzip von hart bis zart alles dabei. Da findet man beim Thrasher “Cold Desire“ das eher dezente Streichquartett mit Klavierbegleitung, während bei “One World“ das komplette Ensemble zum Einsatz kommt. An dieser Stelle komme ich auch nicht umhin, das emotionale Gitarrenspiel vom einzig verbliebenen Axtman Jean Borman zu erwähnen. Sein Spiel fügt sich mit viel Pathos mühelos in dieses opulente Soundgewitter. Wie bereits im ersten Teil punktet das Trio mit unfaßbar viel Kreativität und Vielfalt, so daß es mir schwer fällt, echte Highlights herauszuheben....obwohl ein, zwei gäbe es schon. Mit “Dying To Live“ servieren uns RAGE eine kraftvolle Ballade, eingerahmt von zwei Violinen mit Klavier und “Interlude“ ist ein Instrumentalstück das Themen aus der Vergangenheit zitiert. Im Folgenden werden Klassiker wie “From The Cradle To The Grave“, “Turn The Page“, “End Of All Days“, “Sent By The Devil“, “Higher Than The Sky“ und “Don't Fear The Winter“ klassisch kombiniert.
Der Brückenschlag zur Vergangenheit wird im Übrigen auch durch das Cover-Artwork von Karim König visualisiert, dem es gelungen ist, das apokalyptische Szenario mit früheren RAGE-Covermotiven zu verknüpfen.
Vor der Wiederentdeckung des Vinyls waren Studio-Doppelalben stets etwas Außergewöhnliches und wurden aufgelegt, wenn die Künstler so viel zu sagen hatten, daß eben eine LP (mit einer Laufzeit von ca. 45 Minuten) nicht gereicht hat. Ich würde jetzt nicht ganz so weit gehen und “Afterlifelines“ auf eine Stufe mit “The Wall“ von PINK FLOYD, “Quadrophenia“ von THE WHO, das “Weiße Album“ der BEATLES oder “Physical Graffiti“ von LED ZEPPELIN zu stellen, etwas Besonderes ist es aber allemal.
Das Hannover Label SPV und die Hannover Band FARGO bleiben Verbündete. So wurden das Comeback und der Nachfolger unter der SPV-Flagge veröffentlicht, und 2024 gibt es nun auch den kompletten Backkatalog der in den frühen 70ern gegründeten und seit 2016 wieder aktiven Band. Mit "The Early Years (1979 - 1982)" kommt es als praktisches Boxset - 4 Alben in einem Schuber inklusive eines informativen Booklets - auf den Markt. Ich gebe gerne zu, dass ich Fan dieser konzentrierten Zusammenfassung einer Band bin. Wir kennen das Prinzip von "Original Album Series" oder den "5 Album Sets", einfach aufgemachte CDs im Original Albumcover, verdichtet in einer platzsparenden Box, einzeln entnehmbar.
FARGO bieten gefälligen Rock bzw. Hard Rock, dem wenig bis keine 70er Jahre-Verstrahltheit oder politisches Sendungsbewusstsein innewohnt. Peter Knorn, Bandgründer, und der bis heute als Sänger und Hauptsongwriter aktive Peter Ladwig bilden den festen Kern der Band. Diese konnte unter anderem als Vorgruppe von AC/DC und MOTHER's FINEST auf sich aufmerksam machen. Zu Beginn ihres Wirkens wohnte der Band eine gewisse Lässigkeit inne, die gerade von Peters chilligem Gesangsstil bestätigt wurde. Dies wurde mit dem doch recht hardrockigen, zuweilen sehr amerikanischen, vom Southern Rock beeinflussten "Front Page Lover" modifiziert, aber noch mehr mit dem simpel mit "F" betitelten Schlusswerk. Hier ist bereits Tommy Newton an der zweite Gitarre am Werk - eben der Tommy Newton, der, neben Peter Knorn, zu den Hauptprotagonisten von VICTORY gehörte. Und auch Peters Gesang bekommt einen wesentlich drängenderen Ausdruck. "F" lässt schon ein Stück weit die Entwicklung hin zur groovenden Hard Rock Band, die VICTORY dann ja war, erkennen.
Gerade die zwei letzten Alben haben viel 80er Jahre Hard Rock inside, der sich mit der internationalen Konkurrenz messen kann.
Nach ACE FREHLEYs Aussage "Ich möchte mit dem Spaceman Image nicht bis ans Ende meiner Tage hausieren gehen", würde es auch helfen, keine UFOs auf das Artwork abzubilden. Aber egal, ob Spaceman oder nicht, ACE FREHLEY ist eine Hard Rock-Legende - ob im Space oder auf Mutter Erde. "10.000 Volts" heißt sein neues Album, und es ist sein 10. Longplayer inkl. seines hochgelobten KISS Solo Debüts. Im April wird Ace 73 Jahre alt, und man wundert sich zusehends, wie es unsere gealterten Rockstars schaffen, gerade mit zunehmendem Alter an Kreativität und Motivation noch mal richtig zuzulegen.
So ist auch "10.000 Volts" ein überraschend gehaltvolles Album geworden. Ace hat uns 11 Nummern eingepackt, die zwischen Hard Rock (Titelsong), Sleaze Rock ("Walking' On The Moon", "Blinded"), fast schon metallischer Härte ("Fightin' For Life") und bluesigem, sanften Rock ("Life Of a Stranger") pendeln. Das unterhält, und es macht große Freude, diesen Künstler so breit aufgestellt und inspiriert zu hören. Gesanglich war ACE, sagen wir mal, noch nie der Hochkaräter, aber als solide darf man seine Künste bei diesem Album durchaus bewerten. Wobei es mehr sein Ausdruck ist, der gefällt. Der New Yorker Musiker ist schon eine coole Socke, und ebenso sind auch seine Vokals lässig und relaxed. Bei dem melancholischen "Life Of A Stranger" wächst, unterstützt vom Chor, der Gute über sich hinaus und bietet in dem stimmungsvollen Song richtig packende Melodien mit seinen Stimmbändern. Sein Spiel ist schnodderig und lebhaft, die kurzweilige, atmosphärische Instrumental-Nummer "Stratoshere" unterstreicht seine Klasse und überrascht mit Drama und Ernsthaftigkeit.
"10.000 Volts" ist ein großartiges, immens inhaltsreiches Album geworden, und es gehört ohne Zweifel zum Besten seiner über 50-jährigen Karriere.
Im Pressetext heißt es "melancholisch schwere Musik für Misanthropen" - das scheint mir nicht die ganze Wahrheit zu sein. LORD DYING aus Portland, USA, veröffentlichen mit "Clandestine Transcendence" ihren vierten Longplayer, und ganz so festgelegt und eindeutig wissen die Vier noch nicht, wo die Reise denn hingehen soll.
Die musikalische Gemengelage ist passend zum Heute divers. Der Opener ist ein aggressiver, durchaus attraktiver, hassdurchfluteter Wonneproppen, der Black- bzw. Death Metal-DNA besitzt und mit einem verspielten Folk-Anteil gewürzt ist. Diese ansprechende, detaillierte und eigenständige Darbietung wird aber umgehend mit dem eindimensionalen "I Am Nothing I Am Everything" in purer Raserei ertränkt. LORD DYING punktet, wenn sich das Kollektiv etwas mehr Raum zur Differenzierung lässt und weniger Gas gibt. "Unto Becoming" ist z.B. eine solche Nummer, die Gothic Rock mit Metal stimmig vereint und dabei überraschend viel Dramatik und Melodie in die Gesangslinie packt. "Final Push Into The Sun" geht musikalisch zwei recht unterschiedliche Wege in einem Song. Ich habe das Gefühl, hier wird versucht Öl und Wasser zu vereinen. Das funktioniert nur bedingt.
So besitzt "Clandestine Transcendence" in jedem Fall eine gehörige Portion Überraschung und Unberechenbarkeit. Wenn LORD DYING die Richtung hält, gelingt einiges. Das starke "Dancing On The Emptiness" benötigt nicht die ganzen 8 Minuten, um seine volle Pracht zu entfalten. Weniger kann zuweilen mehr sein. Interessante Band mit Potenzial.
Viele MAGNUM-Fans fremdelten mit dem dunklen Artwork zu "The Monster Roars". Umso größer dürfte heuer die Freude sein, denn Stamm-Illustrator Rodney Matthews schmückt mit dem Artwork zu "Here Comes The Rain" wieder mal fantasievoll, verspielt, erzählerisch und unverkennbar das neuste Werk der Epik-Rocker. Und allein dafür braucht es immer wieder ein neues Album der in Würde gealterten Band. Dass zum wertvollen Artwork aber auch der musikalische Inhalt nicht abfällt, ist mittlerweile bekannt, und so erwartet der geneigte MAGNUM-Käufer nicht weniger als ein starkes, unterhaltsames und, wenn es gut läuft, gar ein überragendes, der Konkurrenz die Nase zeigendes Werk. Diese Haltung zeigt, welch großartige Künstler wir hier haben und wie stark sich auch die Band um Tony Clarkin & Bob Catley immer wieder neu erfindet und aufstellt.
"Run Into The Shadows" schweift noch etwas aus, ehe der relaxed erzählte Titelsong Vertrautheit und Vorfreude auf das Kommende schürt. MAGNUM gelingt es, Melodien zu kreieren, die gleich Booten auf einer Woge treffsicher ohne Anstrengung nach vorne in ihr Ziel treiben. "After The Silence" punktet mit etwas mehr Muskelkraft; die Kombi aus symphonischem Brokat und athletisch anmutendem Rock ist mitreißend. Wie schon einmal erwähnt, MAGNUM muss nicht, das Kollektiv will und allen voran Tony Clarkin kann noch immer großartige, ausladende und dennoch packende Songs schreiben. Diese drucklose Freude am Musizieren, am Kreieren ist wie Zeit, die der Teig eben braucht, um aufzugehen.
"Here Comes The Rain" ist wie sein Artwork bunt und verspielt (man höre nur mal das Saxophon- vs. Gitarre-Duell bei "The Seventh Darkness"), aber auch groß, episch und hintergründig wie der Mond, der hier das Bildzentrum, die Komposition stärkt und fokussiert. Viel besser kann man das Jahr musikalisch kaum beginnen.