Diese Düsseldorfer Combo hatte es unlängst sogar mal in die Nähe des Rezensenten in den hiesigen Odenwald verschlagen, leider konnte ich den Gig in einer Kneipe nicht wahrnehmen, aber EVERRAIN erhielten laut übereinstimmender Mundpropaganda echt gute Kritiken.
Wenn der Auftritt nur halb so stark war wie die aktuelle Scheibe „Head Under Water“ tja dann habe ich echt was verpaßt. Auch das klasse Artwork macht schon mal echt Lust die CD zu öffnen und in den Player zu hieven, und die Musik überzeugt von der ersten bis zu r letzen Minute Der Sound dieser vier Herren bewegt sich ganz grob im Alternative Bereich - mich erinnert vieles der kraftvollen, mal noisy dann wieder etwas punkiger (und stets sehr melodisch bei den Refrains) Attitüde an eine Art deutsche BILLY TALENT. Auch die prägnante Stimme von Daniel Köhler, die mit einer schönen Bandbreite aufwartet (egal ob mal urwüchsig wie der klasse Titelsong, „Pain In Pictures“ zeigt dann eher die melancholisch-einfühlsame Seite, bei dem wirklich vielseitgen „Universities“ (auch mit einer schöner Frauenzweitstimme)) vermengen sich beide Ausprägungen ziemlich perfekt. Von guten Hooklines verstehen EVERRAIN schon mal sehr viel („Use It“ ist so eine Ohrwurm-Hymne) aber auch von starkem Rock egal ob eher indiemäßig („Void“) oder nach vorne gehend „Beautiful Lightning“ man fühlt sich eher an Kollegen wie BAD RELIGION erinnert vielfach relativ kurz knackig auf den Punkt kommend. Die im Promoschrieb genannten FOO FIGHTERS als Hausnummer lasse ich mir da noch am ehesten gefallen aber in FLAMES ist völlig abwegig und auch eine Wiederbelebung des Grunge kann ich nicht feststellen.
Nee EVERRAIN beherrschen diese straighten Stil, der recht schnelle ins Ohr geht und stets diese leicht präsente Melancholie in den Hooklines, die Mucke kommt dabei nie zu hart aber auch nicht zu soft rüber. Einer meiner vielen Favoriten auf dieser bei zwölf Track leider nur knapp 39 Minuten langen Scheibe sind neben sehr riffigen „Christina“ (mit einem tollen Gitarrenlick) noch das schmissige „Hate me“.
Mich überzeugt die Pladde jedenfalls voll und ganz. Klar wird hier die Rockmusik nicht mit Innovativität überschüttet oder gar neu erfunden aber „Head Under Water“ ist ein verdammt gut gemachtes und unterhaltendes Werk geworden, das mit sehr viel Frische, Drive und einfach mitreißend daherkommt. Kraftvoll, einfach aber mit klasse Melodien – EVERRAIN haben definitiv sehr, sehr viel Talent sowie Potential um sich im absatzkräftigen Zwischenbereich von Rock zu Metal viele neue Fans zu sichern, bitte unbedingt so weitermachen!
LACUNA COIL haben sich vom Gothic-Tipp zu einer Größe des Alternative Rock Genres gewandelt. Die Auftritte beim Oz-Fest führten wohl letztendlich auch zu einer Ausrichtung am US-Geschmack und starken NU-Metal-Einflüssen – und dies wiederum dazu, dass man in Europa etwas ins Hintertreffen geriet. Um dies zu ändern kündigte die Band im Vorfeld zum sechsten Album „Dark Adrenaline” eine Rückbesinnung auf die Qualitäten ihrer ersten Alben an. Leider erfüllt „Dark Adrenaline” diese Anspruch nur zum Teil. LACUNA COIL liefern also doch die vom Vorgänger gewohnt melodisch, eingänigen Songs mit Hit- und Radiopotential, mit immer noch hohen Pop-Appeal, wechselnden männlichen (meist cleanen) und weiblichen Vocals, sowie treibenden Groove. Die glatte, fette Produktion setzt dann den endgültigen Kontrapunkt zum Thema Atmosphäre. Ungeachtet dessen sind Songs wie „Against You”, „Kill The Light” (beides LACUNA COIL Standards), „Give Me Something More" (Midtempo-Hit) und „End Of Time“ (Semi-Ballade) richtig gutes Futter für jene, denen die letzte Veröffentlichung „Shallow Life" (2009) ans Herz gewachsen ist. Das R.E.M.-Cover „Losing My Religion“ stört nicht, setzt aber auch keine Akzente – und wird wohl trotzdem ein oft gespielter Song werden. Ergo: die Intensität der ersten Alben erreichen LACUNA COIL auch mit „Dark Adrenaline“ nicht. Das Album wird im US-verseuchten Mainstream Markt sicher ziehen, die Zielgruppe zwischen EVANESCENCE und LINKIN PARK gut bedient; die guten Nummern ergänzen die „Klassiker“ Live sicher gut, schön zu hören ist das Alles allemal. Ich hätte mir aber bei der angekündigten Rückbesinnung auf die Ursprünge doch gern mehr Konsequenz gewünscht. So bleiben LACUNA COIL auf halben Wege stecken, liefern aber mit „Dark Adrenaline“ trotzdem eine gute Platte.
Hinter dem Projekt MY SECRET ISLAND steckt der Musiker Mark van Merm, der zusammen mit seiner „Top-Secret Band“ bereits eine EP und zwei Singles aufgenommen hat. „Two Giants“ ist die zweite davon und erscheint ebenso wie der Vorgänger rein digital. Dabei handelt es sich um einen ziemlich merkwürdigen Song. Stampfende Drums, ein irgendwie rockig-lustiges Riff, darüber quäkiger Gesang, der stellenweise an einen Bollywood-Film-Soundtrack erinnert. Ein wirklicher Chorus ist nicht erkennbar. Irgendwie groovt es, irgendwie klingt es auch ein bisschen nach Kindergeburtstag. Vielleicht fehlt mir hier schlichtweg der Zugang, aber ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was ich mit dieser Musik anfangen soll. Wie gesagt: ein merkwürdiger Song.
Hinter PETRELS verbirgt sich ein einzelner Künstler, Oliver Barret (BLEEDING HEART NARRATIVE), der sich mit diesem Projekt seiner dunklen Seite zu widmen scheint. Denn was auf „Haeligewielle” zu hören ist, kann kaum positive Assoziationen beim Hörer wecken, dazu sind die zwischen Drone und Ambient zu findenden Klangwelten des Albums zu verstörend. Zwar hat Mr. Barret immer wieder subtile, unaufdringliche Passagen eingebaut, die sich in der Regel allerdings nur als Hinweis auf das kommende verstörende Klangwerk. Bis aus das gelungene „Concrete“ kommt die Chose erwartungsgemäß ohne Gesang aus, so dass sich der Hörer auf die elektronischen Effekte, Beats und Loops konzentrieren und so ganz in die Klang- und Gefühlswelt des Künstler eintauchen kann. Die gut 50 Minuten bleiben durchweg interessant, wenn auch manchmal zu minimalistisch; „Haeligewielle“ braucht sich so nicht hinter den guten Werken ähnlicher Künstler wie NADJA verstecken. Interessante Scheibe, keine Frage.
POVAROVO haben “Tchernovik” bereits vor vier Jahren in ihrer Heimat Russland veröffentlicht, Denovali kümmert sich jetzt darum, dass auch der Rest der Welt in den Genuss der Darkjazz-Platte kommt. Die wurde um einige Songs erweitert und kommt so auf mehr als 70 Minuten Musik. Schnell wird klar, dass Ähnlichkeiten zu DALE COOPER QUARTET AND THE DICTAPHONES oder BOHREN & DER CLUB OF GORE nicht von der Hand zu weisen sind, auch wenn die Russen sanfter zu Werke gehen. Schwermut ist das Gebot der Stunde; Schwermut, die „Tchernovik“ zum perfekten Soundtrack für die grauen Stunden vor der Morgendämmerung werden lässt, wenn die Kneipen die letzten Gestrandeten ausspucken und die Nachtarbeiter nach Hause gehen. POVAROVO schaffen durch die sparsame Instrumentierung (der Fokus liegt auf Piano und elektronischer Rhythmuserzeugung) in Verbindung mit dem zurückhaltenden Songwriting eine atmosphärisch dichte Platte, die klar im Jazz verwurzelt ist, das aber um Film Noir-Referenzen und ein wenig Neoklassik erweitert. Feinstes Kopfkino für die dunklen Stunden der eigenen Existenz.
“Bipolar” ist das Debütalbum der Karlsruher Kombo MOST WANTED MONSTER, mit dem sich die Jungs nach zwei EPs zu größerem aufmachen. Dass das klappen könnte, demonstrieren bereits die ersten Songs: fetter, internationaler Alternative/ Modern-Rocksound, der tendenziell ein wenig an LINKIN PARK erinnert, gepaart mit eingängigen Melodien- das hat Potential. Auch ein stimmungsvolles, getragenes Piano-Interlude findet sich, als Auftakt zum hübschen, ebenfalls mit Klavier beginnenden Midtempo-Song „Sins“. Bei „Fatality“ werden härtere Geschütze aufgefahren, „Sleppard“ rockt melodiös und verbreitet etwas 30 SECONDS TO MARS-Flair, das Instrumental „Like A Robot“ mit seiner titelbedingten Elektrodominanz dagegen hätte man sich besser gespart. Mit dem Titelsong „Bipolar“ findet sich schließlich auch noch eine experimentelle Halbballade als Albumausklang. Fazit: Gelungenes Erstlingswerk.
ALCEST waren mal im Black Metal unterwegs, haben sich aber spätestens mit „Écailles De Lune“ davon verabschiedet. Auch „Les Voyages De L'âme“ geht da keinen Schritt zurück und lässt nur selten einmal die Vergangenheit aufblitzen („Là Où Naissent Les Couleurs Nouvelles“), während im Großen und Ganzen ruhige, harmonische Klänge dominieren. Getragen durch verträumte Gitarrenarbeit und einem sanften Klargesagt, nimmt ALCEST mit auf eine ruhige, entspannte Traumreise zu Orten voller Harmonie. Klingt nach starkem Hippie-Einschlag, hat damit aber nichts am Hut, da es klar aus der Metal-Ecke kommt und dieser Hintergrund auf interessante Art und Weise interpretiert wird. Wer sich auf sanfte und gleichzeitig experimentelle Klänge einlassen kann, sollte sich diesen französischen Zauber mal zu Gemüte führen.
Im Opener ihres neuen und zweiten Albums lassen es DEAF HAVANA aus dem englischen Norfolk ruhig angehen. „The Past Six Years“ ist ein zurückhaltender, nachdenklicher Folksong, klingt wirklich ziemlich schön und macht auf das Kommende neugierig. Beim nachfolgenden „Youth In Retrospect“ werden dann die Stromgitarren eingestöpselt, und es darf auch mal ein bisschen krachen, harmonisch und melancholisch bleibt es aber auch hier. Im Laufe des Albums fühlt man sich dann immer wieder an End-90er Nu Rock erinnert, denn auch bei DEAF HAVANA gibt es nahezu durchgehend diese typischen Wechsel zwischen ruhiger Strophe und rockigem Chorus. Die Produktion schielt dabei eindeutig auf den Pop-Markt. Auch wenn die Gitarren im Hintergrund ordentlich braten, ist der Gesamtsound sehr clean und steht der Gesang immer eindeutig und von jedem Dreck befreit im Vordergrund. Auch die Songs bewegen sich öfter mal in poppigen Bahnen. In einem Song wie „Little White Lies“ kann man gar etwas SNOW PATROL heraushören, in „I'm A Bore, Mostly...“ wiederum COLDPLAY in ihren bombastischen Momenten. Selbst ein Song mit einem Titel wie „Filthy Rotten Scoundrel“ versinkt im Refrain trotz ordentlich rockender Strophe in allzu viel Wohlklang. Und so wie Sänger/Gitarrist James Veck-Gilodi durchgehend leidet, könnte er auch in jeder Emo-Band anfangen. Tja, was soll man sagen. Die Songs selbst sind gut gemacht und tadellos gespielt, aber der süßliche Anstrich verleidet einem die Musik dann doch schnell wieder. Kann ich mir gut im Radio vorstellen, aber nicht in meinem CD-Player.
NUCLEUS TORN haben sich für „Golden Age“ mit Anna Murphy (ELUVEITIE) als festes Bandmitglied verstärkt. Die kann in den sechs neuen Songs aber nicht gegen die von den bisherigen NUCLEUS TORN-Werken bekannte Maria D’Alessandro nicht durchsetzen, das wird schnell deutlich. Denn wo Maria Akzente setzen kann und mit einer vollen, starken Stimme punktet, klingt Anna zu leise, fast schon verschüchtert, und oftmals zu piepsig. Interessant bleibt „Golden Age“ auch abseits der neu entstanden Sängerinnenrivalität, da sich Bandkopf Fredy aus noch mehr Stilen bediente und dem Album mit einer Mischung aus Folk, Jazz, progressiven Rock im Stile der 70 und ein wenig Metal eine heterogenere Zusammensetzung verschafft, wobei er es schafft, daraus eine eben interessante Einheit zu formen. Die ist mal Folk-lastiger, mal knackig metallisch und mal verspielt, den weiblichen Gesang in den Vordergrund stellen. „Golden Age“ ist ein würdiger Nachfolger der starken Trilogie, die NUCLEUS TORN bis dato veröffentlicht haben. Die Band hat es sich nicht einfach gemacht, sondern neue Elemente in ihren Sound eingebaut, wodurch „Golden Age“ facettenreicher geworden ist, ohne den Fokus und vor allem ohne die Identität zu verlieren. Well done!
Okay, ja, ich gebe es zu: Ich bin ein bisschen spät dran mit dieser Besprechung. Erschienen ist der dritte Longplayer der fünfköpfigen TEN SECOND EPIC nämlich schon Ende Oktober. Ist halt liegengeblieben, wie das manchmal so ist, und das ist ehrlich gesagt auch nicht weiter tragisch. Denn was die Kanadier auf „Better Off“ abliefern, ist dermaßen seichter und kraftloser Pop-Punk, dass es einem echt die Schuhe auszieht. Wobei das „Punk“ hier eigentlich fehl am Platz ist, „Alternative Pop-Rock" trifft es irgendwie besser. Dabei fängt das Album gar nicht mal so schlecht an: Der Opener „Young Classics“ startet mit einem fetten Riff, der Chorus drückt ordentlich und Sänger Andrew Usenik darf stimmlich mal richtig aus sich herausgehen. Auf den folgenden neun Songs drückt aber gar nichts mehr, stattdessen seiert ein einziger radiotauglicher, klebrig-süßlicher Einheitsbrei vor sich hin, der sogar an jeder College-Rock-Party durchfallen würde. Das ist so langweilig wie belanglos und dabei auch noch so auf Friede-Freude-Eierkuchen-Wohlklang produziert, dass es schon fast wieder aggressiv macht. Eine Album, das die Welt nicht braucht.