Hinter EGOIST steckt mit Stanislaw Wolonciej nur ein einziger Mann, das Ganze ist also ein Soloprojekt. Erinnerungen an schlechte Black Metal-Projekte werden wach, die es im Dutzend billiger gibt. Aber EGOIST ist anders. Nicht nur, dass Stanislaw weitab vom Black Metal unterwegs ist, er umschifft auch alle Klippen, die sich in Soloprojekten so auftun. Den Drumcomputer hat der gelernte Drummer so programmiert, dass das Spiel lebendig und abwechslungsreich klingt, während Stanislaws Stimme viel Potential und Facettenreichtum offenbart – hier ist kein sozial inkompetenter Metal-Nerd am Start, sondern ein versierter Musiker, der sich in neun Songs austobt und sich dabei um Genres keine Sorgen macht. Progressiver Metal im positiven Sinne wird von der Ein-Mann-Combo geboten, basierend auf modernem technischem Metal Marke MESHUGGAH und STRAPPING YOUNG LAD (gerade im Riffing) und erweitert um Industrial. Dazu kommen immer wieder ruhige und auch jazzige Parts, die von Stanislaw nahtlos in den Gesamtsound eingebaut werden. So werden die 42 Minuten zu einer sehr interessanten, hochkomplexen Tour, bei der keine Langeweile aufkommt und der Hut vor dem Mann gezogen werden muss, sowohl was handwerkliches als auch kompositorisches Niveau angeht.
DOLLHOUSE haben solche illustren Gestalten wie HELLACOPTERS-Nicke und Michael Davis (MC5) als Fans und Unterstützer gewonnen. Woran das liegt? Das wird nach dem Genuss des neuen DOLLHOUSE-Werkes „Rock’n’Roll Revival“ nur halbwegs klar, denn was in den neun Songs geboten wird ist zwar passabler Rock’n’Roll mit Soul-Einfluss, aber wirklich vom Hocker reißt das nicht. Dazu sind die Songs am Ende zu harmlos und lassen den letzten Kick vermissen, das letzten Quentchen Genialität, die aus Nummer wie dem an und für sich gut rockenden „Oh My Love“ einen dieser echten Rock-Klassiker macht. Live sieht das Ganze wahrscheinlich anders aus, mit einer ordentlichen Anlage auf einer kleinen Bühne und in Rauch- und Schweißgeschwängerter Luft, aber im sauberen heimischen Wohnzimmer lassen DOLLHOUSE den letzten, entscheidenden Kick vermissen
FIRE IN THE ATTIC haben sich mit der VISIONS-Aktion bundesweit bekannt gemacht, nur um dann kurz darauf von Sänger Ole verlassen zu werden. Hinderte die Band aber nicht daran, weiterzumachen. Kurzerhand einen Keyboarder zum Sänger umfunktioniert (Thomas von KENAI) und ab in den Proberaum, um neue Songs zu schreiben. Herausgekommen ist eine gelungene Platte, auf der sich FIRE IN THE ATTIC mit einem guten Sänger zeigen, der sowohl in den experimentelleren Songs als auch dem gewohnten Screamo-Sound überzeugen kann. „Emergency Exit” ist dabei etwas zu soft ausgefallen und entpuppt sich als schwächster Song der Scheibe. Dem gegenüber stehen aber krachige Songs wie der Opener „Are We There Yet?“ (mega-eingängig) und das punkige-heftige „Heartbeats For Paychecks“ und natürlich die Handvoll Songs, die den Bandtypischen Screamo-Sound transportieren. In denen macht der neue Sänger eine gute Figur und braucht Vergleiche mit seinem Vorgänger nicht scheuen. Fans der Band können also beruhigt aufatmen, machen FIRE IN THE ATTIC doch auf dem Album alles richtig und halten die Balance zwischen vertrauten und neuen Tönen. Thomas überzeugt als Sänger, die Produktion ist gut, die Songs solide. Hätte schlimmer kommen können, so ist alles im grünen Bereich und FIRE IN THE ATTIC können beruhigt in die Zukunft schauen.
HATESPHERE haben auch wirklich alles neu gemacht, vom beinahe kompletten Line-Up (nur Pepe an der Gitarre ist noch vom 2007er Line-Up dabei) bis zum Plattenlabel. Napalm Records ist die neue Heimat der Dänen, die mit „To The Nines“ ihr erstes Album in neuer Besetzung eingespielt haben. Und wie nicht anders zu erwarten wollen sie es richtig machen und beginnen mit dem Titeltrack gleich mächtig heftig und mächtig arschtretend. Sie können es noch, ihre typischen Thrash-Riffs schreiben, viel Druck aufbauen und mit Joller am Mikro hat sich ein beinahe würdiger Bredahl-Nachfolger gefunden (mal ehrlich, komplett lässt sich so eine Rampensau nicht ersetzen). Aber wie es so oft ist, ist gewollt nicht gekonnt: viele Songs setzen zu sehr auf die HATESPHERE-Trademarks in Sachen Riffing und Geschwindigkeit, lassen aber den für die Dänen typischen Groove und den Mut zu außergewöhnlichen Songs wie „Drinking With The King Of The Dead“ vermissen. Schlecht ist dabei kein Song, aber zu berechnend ist die ganze Platte ausgefallen. Wer sich daran nicht stört und nur eine Ladung Thrash/ Death haben will, der ist mit „To The Nines“ bestens bedient. Wer aber auf das typischen HATESPHERE-Feeling hoffte, wird nur in Maßen zufrieden sein, dafür sind viele Songs zu generisch und auf Nummer Sicher gehend ausgefallen.
INEVITABLE END sind der Beweis, dass aus Schweden nicht nur zahnloser Melodic Death Metal kommt. Ok, wussten wir im Grunde schon länger, aber einen solchen brutalen Bastard gibt es auch der Heimat von NASUM, DISMEMBER und ABBA nicht alle Tage. Ganz im Stil der verblichenen DEFACED CREATION wird sich amerikanisch durch die Songs geprügelt, wobei INEVITABLE END eine stärkere Grind-Kante haben und etwas technischer zur Sache gehen. Der gerade Weg ist nicht unbedingt ihrer, lieber bauen die Schweden Kurven, Kanten und Irrwege ein, dass dem Frickelfan warm um’s Herz wird, auch wenn die dominierenden Blastparts eigentlich durchweg zu hören sind. Das mag für andere Bands wie ORIGN auch gelten, aber INEVITABLE END verstehen, ihre hohen technischen Ansprüche in jederzeit griffige Songs zu verpacken, was „The Severed Inception“ so gut macht. Dass Produktion und Fähigkeiten der Musik erstklassig sind, muss da nicht weiter erwähnt werden. Selbst an der Spielzeit von gerade mal 34 Minuten gibt es nichts auszusetzen, viel länger lässt sich dieses (geile) akustische Inferno nicht am Stück ertragen. Wer auf abgefahrenen brutalen Death Metal steht, muss hier einfach zuschlagen – und wird Relapse Records zum Gespür für außergewöhnliche Bands beglückwünschen.
BRIDGE TO SOLACE haben sich ab dem Sommer 2007 ein Jahr Auszeit gegönnt und in der Zeit auch ihr Line-Up etwas verändert. Mit neuer Energie ging es dann ans Schreiben von „House Of The Dying Sun“ – und die Ungarn haben es geschafft, diese Energie in die Songs zu bringen. „Degeneration“ leitet das Album mächtig wütend, mächtig bratend ein und gibt die Marchrichtung vor: metallischer Hardcore, in dem Melodien und Brutalität gekonnt verknüpft werden. Was so vielen anderen Bands nicht gelingt, haben BRIDGE TO SOLACE geschafft: ein Album zu schreiben, dass bei aller Brutalität vor melodisch-eingängigen Passagen nur so strotzt („Moondeath“), wenn die Klasse von UNEARTH noch nicht erreicht wird. Auf cleane Vocals haben BRIDGE TO SOLACE dankenswerterweise verzichtet, wodurch die neun Songs durchweg giftig-aggressiv bleiben und die gute halbe Stunde auf hohem Aggressivitätslevel vergeht. „House Of The Dying Sun“ ist eine verdammt gute Metacoreplatte geworden, mit der sich BRIDGE TO SOLACE eindrucksvoll zurückmeldet Gratulation dazu nach Ungarn!
Mit dem vor etwa einem Jahr veröffentlichten, coolen Scheibchen „Cover Up“ wollten MINISTRY den Fans ein letztes Geschenk machen und ihre musikalischen Wurzeln offenbaren, doch wird nun noch eine Veröffentlichung nachgeschoben, nämlich ein drittes offizielles Live-Album (die 1995er Dreingabe „Just Another Fix“ war lediglich eine Bonus-CD). Nach „In Case You Didn´t Feel Like Showing Up“ (1990) und “Sphinxtour” (2002) erscheint nun “Adios Puta Madres-Live”, das die letzten drei Alben der Band abdeckt. Das ist auch der einzige echte Kritikpunkt, den sich das Werk an die Backe heften muss. Die drei Studiowerke werden jeweils nacheinander abgehakt, zwar nicht chronologisch, aber mit je vier bis fünf zusammenhängenden Stücken, wobei sie jedoch live auch in diesen Reihenfolgen gespielt wurden. Kann man gut finden, muss man aber nicht. Da die alten Klassiker bereits auf den vorherigen Live-Dokumenten zu finden sind, kann man MINISTRY also in Sachen Playlist rein objektiv keinen großen Vorwurf machen. Großer Pluspunkt von „Adios Puta Madres“: es klingt live! Die Songs dröhnen oftmals roher, ungezügelter und einen Tick organischer aus den Boxen als die Studiofassungen, was einmal mehr zeigt, dass sich Al Jourgensen auf der Bühne nie hinter seinen grandiosen, auf Konserve perfekten Soundwänden verstecken musste. Und Stücke wie „Rio Grande Blood“, „The Last Sucker“ oder „No W“ hinterlassen sowieso nur Staub und Schatten, wobei mir persönlich das obergeile „Fear Is Big Business“ fehlt, aber egal. Das auf der finalen „C U LaTouR 2008“ mitgeschnittene Werk überzeugt fast durchweg (das Publikum hätte ruhig noch etwas präsenter sein dürfen, ist aber ok) und stellt den letzten Höhepunkt einer der genialsten Bands aller Zeiten dar, den man als Fan einfach gehört haben muss! Neulinge in Sachen MINISTRY steigen aber doch besser mit „The Mind Is A Terrible Thing To Taste“, „Psalm 69“, „Filthpig“ oder „Rio Grande Blood“ ein.