Konzert:
Tuska Open Air 2005 - Samstag, Helsinki
Konzert vom DEATHCHAIN sind uns von Szenekenner Nalle Österman (Drummer von u.a. CHAOSBREED) wärmstens ans Herz gelegt worden, da die Jungs aus dem Umland der Hauptstadt die neue Hoffnung in Sachen melodischer Death Metal seien - allerdings fingen das Programm auf der Hauptbühne heute noch vor unserem Frühstück an...
Macht nix. Denn Pasi Koskinen stürmte jetzt mit Gitarre um den Hals und unter dem Kampfnamen "Ruoja" die Sue-Stage, und im baumbestandenen Rund stapelten sich die Kids mit hohem Adrenalin-Spiegel. Unterstützt wurden Pasi, Bassist "Atoni" und Drummer "Malakias III" alias Atte Sarkima - also AJATTARA - von Pasis altem AMORPHIS-Kollegen Tomi Koivusaari an der Gitarre und einem ziemlich jungen Mann mit Kopftuck im Hintergrund, der die hohe Stimme auf einigen der neueren Songs sang. Der Focus lag auf alten Haßbolzen vom "Itse"-Album - nach dem letzten, "weicheren" Album von AJATTARA wird niemand unbedingt erwartet haben, dass Pasi noch oder wieder derart bellen kann, ein scharfer Wachhund klingt kaum freundlicher. Die Gitarren zerschnitten die heiße Luft, dass es eine schwarze Pracht war. Und die finnischen Kids brüllten jede einzelne Zeile der ausschließlich finnischen Songs aus tiefstem Herzen mit. Dadurch angefeuert gingen Tomi und Atoni mit den Köpfen aufeinander los wie die Böcke - und hauten sie sichtbar schmerzhaft aneinander. So sieht Spielfreude aus bei einer Band, die zwar Wut und Hass in Noten gegossen hat, aber mit sich und den Kids gerade eine großartige, atmosphärische Party feiert. Nach diesem Lehrstück in Sachen "Mitsing-Blackmetal" gab es berechtigte Zweifel, ob DIMMU BORGIR nachher das Level an Einsatz und Entertainment würden halten können...
Als nächstes stand erst eine weitere Welle der "German Invasion" auf der Hauptbühne: GAMMA RAY. Und im Gegensatz zu den offensichtlich sonst nicht allzu sonnenverwöhnten Finnen hatten sie als erste Band den richtigen Dresscode parat: Sonnenbrillen! Außerdem scheinen entweder die Soundrestriktionen heute nicht so hart zu sein wie gestern oder GAMMA RAY einfach einen plietschen Soundmann dabei zu haben, es ist heute jedenfalls deutlich lauter als gestern (mit Betonung auf Adjektiv und Adverb). Das heute deutlich auf Blackmetal getrimmte Publikum weiter hinten zog zu "New World Order" noch eine skeptische Schnute, aber mit der gewohnten Spielfreude und Kai Hansens Mutterwitz holten GAMMA RAY sich auch die auf ihre Seite. Einige Mitsingspielchen und ein "Heavy Metal Universe" später schrieen etwa 3000 bis 4000 Kehlen ein begeistertes "yes", als Kai Hansen ankündigte, dass die Hamburger schon im Herbst nach Helsinki wiederkommen würden.
Setlist GAMMA RAY:
New World Order
Man On a Mission
Rebellion in Dreamland
Land of the Free
Blood Religion
Armageddon
Heavy Metal Universe
I Want Out
ROTTEN SOUND sind schon ewig in der Death-/Grindcore-Szene dabei. Und momentan, nach Jahren des Herumknapsens am unteren Ende der Bekanntheitsskala, steigt ihr Stern und die Finnen werden immer populärer. Erstaunlicher Weise. Denn es gibt keine unnötigen Melodien und nur die nötigsten Breaks. Knüppel-knüppel-knüppel, fertig. Nächster Song. Ob die Texte finnisch sind oder englisch kann man in der Hyper-Geschwindigkeit nicht heraushören, die Ansagen sind leider durchgehend in finnisch. Aber ich bin noch verwöhnt und habe beim Gedanken an Crustcore DISFEAR von letzter Woche im Hinterkopf, und das soll so bleiben. Also ab ins "Hellsinki"-Zelt:
Von ganz schnell zu ganz langsam, aprupter kann mann nicht umschalten. Im erstem Eindruck wirkt es, als würden LAKE OF TEARS Eulen nach Athen tragen. Schließlich haben anscheinend die Finnen das Patent für Depri-Elegien erfunden. Im Gegensatz zu den Festivals letztes Jahr haben die Schweden auf dämliche Hüte oder ähnlichen Schnickschnack verzichtet, die Festivalorganisatoren lassen sie vor einer Zeltplane mit Sternchen spielen, und LAKE OF TEARS bringen sie zum Funkeln. Und: LAKE OF TEARS werden richtig geliebt. Daniel Brennare flüstert sich seine Ansagen in den Bart, stolpert von englisch auf schwedisch und wieder zurück und wird noch mehr geliebt. Seltsamer, entrückter Beifall in einer gerade entrückten Welt...
TESTAMENT haben einen Haufen an Menschen vor der Hauptbühne versammelt, bisher sicher die größte Anzahl an Personen für dieses Festival. Aber denen kann ich nur von weitem zugucken, denn es ist Zeit für ein kleines Interview.
Mit THUNDERSTONE, und für die Band geht es gleich anschließend in die Konzertmuschel der "Sue Stage". THUNDERSTONE haben inklusive TUSKA einen Festival-Hattrick in den Knochen und sind erst vor etwa zwei Stunden in Helsinki angekommen. Aber Sänger Pasi Rantanen, Bassist Titus Hjelm, Schlagzeuger Mirkka Rantanen, Keyboarder Kari Tornack und natülich Bandkopf Nino Laurenne lassen sich die Müdigkeit in ihren Knochen nicht anmerken und geben ein geiles Heimspiel.
Schon am Dresscode war heute den ganzen Tag über zu sehen, auf welche Band die Mehrheit der Zuschauer wartete und durch wen das Tuska an diesem Samstag ausverkauft wurde: DIMMU BORGIR. Für die Norweger zogen sich sogar ein paar Wolken vor der Sonne zusammen und vermischten die Gänsehaut bei den ersten Keyboard-Akkorden mit kühlenden Regentröpfchen. Sänger Shagrath weiß jede Sekunde davon zu würdigen, er wolle "Hell- (Pause) -sinki" eine Lektion in "Violence" erteilen. Simen sieht dafür heute aus, als hätte es im Dressing Room keinen Spiegel gegeben und jemand das Corpsepaint gleich eimerweise verteilt, aber er singt wie ein Engel. Ob man das von Aushilfsdrummer Tony Laureno auch behaupten kann, sei dahin gestellt, seinen Job zieht er routiniert und ordentlich durch, er ist halt ein professioneller und gut auf die Band eingespielter Drummer. Inzwischen haben Shagrath, Silenoz und Galder ihrer Rasselbande einen Sack voll Hits geschrieben und den lassen sie auf das plötzlich so kalte Hellsinki drauf los. Ungerührt wird auch nicht geblinzelt, als gegen Ende des Sets die Sonne wieder durch kommt. Die Finnen tragen DIMMU BORGIR auf Händen: Beim ersten Sample von "Progenies Of The Great Apocalypse" gehen mindestens 20.000 Hände gleichzeitig nach oben, und Shagrath gefauchtes "I wanna hear you scream" lässt sich das Tuska-Publikum auch nicht zweimal sagen. Nur ein Klassiker kann das noch toppen, DIMMU BORGIR spielen eine perfekte Version von "Mourning Palace" - und Schluß. Keine Zugabe, kein unnützes Theater - der Soundmann zieht gleich die Regler der Rausschmeißer-Mucke hoch und DIMMU BORGIR gehen ohne einen Blick zurück von der Bühne. Das ist Attitüde!
Und wir gehen genauso schnell vom Gelände, denn für heute abend haben wir einen detaillierten Plan: Der beginnt in der neuen Night Life Rock Bar. Die ist das neueste Baby des Tuska-Erfinders Tony Taleva und heißt Szene-intern schon "Talevala". Die Bar ist nicht übermäßig groß, aber auf den paar Quadratmetern wird man in auf den Sofas zum Rumfläzen tatsächlich nicht von zu lauter Musik belästigt, die Djs sind szenekundig und sehr gut, ein Spieltisch läd dazu ein, ganz viel Geld zu verlieren und Flippern kann man weiter hinten auch. Vor der Tanzfläche kann eine Bühne aufgebaut werden, und auf der stehen gleich DEFUSE und werden vorher von einem verrückten Fan im Biene Maja-Kostüm angesagt, der es sich nicht nehmen läßt, auch gleich den kleinen Willi vorzuzeigen.
Und ab geht die Luzi - DEFUSE haben fast rührende englische Ansagen und müssen sich gegen die allgemeine Spätabend-Langeweile wehren, geben aber dafür alles. DEFUSE rocken gerade darauf los, erinnern ein wenig an BUCKCHERRY mit nur halb so großem Sänger und sind soweit die beste Rockband dieses Wochenendes. Mitreißend!
Trotzdem packen wir schon wieder unsere Sachen und wollen noch rechtzeitig ins Gloria - genau, das ehemalige Filmtheater von gestern abend. Das Gloria ist den dritten Tag in Folge ausverkauft, am Donnerstag fand bereits eine Tuska-Warm-Up Party hier statt. Auf die Empore kommt man dennoch nur, wenn laut Ausweis über 18 ist - Alkohol-Restriktion.
Auf der Bühne findet einer der schlechtesten Abschnitte der "German Invasion" dieses Wochenendes statt - TO/DIE/FOR covern SANDRAs "In The Heat Of The Night". Können nicht wenigstens die stinkendsten Leichen der Achtziger in ihrer wohlverdienten Totenruhe gelassen werden? Frontmann Jape hat sich mit einem rosa Schal dekoriert und ist eher eine Heulboje als ein Sänger. Und sieht ein bißchen aus wie Mille Petrozza in über 1,80. Ich bin hier zwar nicht die einzige, die sich da mit leichtem Zahnschmerz abwendet, aber den Jugendlichen und von der Empore runtergekraxelten Erwachsenen gefällts wohl.
Auf SPIHA hatte ich mich nach dem Bericht aus dem letzten Jahr sehr gefreut, aber der Zenit der Seventies-Rocker ist anscheinend bereits überschritten. Der Set fängt ordentlich mit anscheinend älteren Songs und einem guten Keyboarder an, der einen warmen Moog-Sound aus seinem Yamaha herauskitzelt. Aber mit zunehmender Glam-Schlagseite fallen zunehmend Details wie die zu enge Lederhose von Sänger Nenne oder der dämliche Kerzenständer auf, der hier als Mikroständer dienen muss und mit dem sich Nenne im Verlauf des Abends noch einen ungewollten Slapstick-Kampf liefert. Schade um die guten Ideen des Lead-Gitarristen...
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