Konzert:
Close-Up Båten - Freitag, Turku-Stockholm
Konzert vom Smörgåsbord heißt das leckere Frühstücksbüffet mit mindestens vier
verschiedenen Sorten Fisch für etwa 15 EUR pro Person, das die äußerst
flexiblen finnischen Teller-Taxis heute bis ultimo verlängern. Überhaupt
ist der Service auf dem Schiff trotz des allgemeinen Ausnahmezustandes
unaufdringlich, nett und effektiv. Alle paar Stunden werden die Gänge
von Bierdosen und den Resten von Kissen-Schlachten (und was man nicht
alles sonst noch von einer Kabine zur anderen werfen kann) gesäubert.
Außer den betrunkenen Metalheads und der Crew sind noch einige
Fernfahrer an Bord, die man kurz vor den Häfen aufs Autodeck huschen
sieht -- es gibt zumindest einen Anschein von Normalität im sonst so
absoluten Chaos.
NECROPHOBIC müssen gefühlt noch vor dem Frühstück auf die Bühne -- eine
Klage, die man von vielen Seiten hört. Ob sie allerdings gestern abend
nach HARDCORE SUPERSTAR mehr Zuschauer gehabt hätten als um 12 Uhr
mittags, mag bezweifelt werden. Tobias Sidegard und Co. haben zwei Arten
von Songs: Schon comic-haft böse Songs mit Metzel- und antichristlichen
Texten wie "The Slaughter Of Baby Jesus", bei denen die Provokation auf
einem Gebäude-hohen Plakat im Vordergrund steht; brilliante
Death-Metal-Gassenhauer mit so unglaublich präzisem Riffing wie "Blinded
By Light..." und mit "The Third Of Arrivals" die Mischung aus beidem,
ich sag nur "666 -- we vomit on the crucifix". NECROPHOBIC sind auch in
der Heimat eine Mischung aus legendär und sträflichst unterschätzt.
Egal, sie scheren sich nicht drum, spielen den tightesten Set der
gesamten Bootsfahrt, haben gegen Ende genügend Leute aus ihren Kojen
geholt und konzentrieren sich auf eher neuere Songs. Dafür fliegen alte
Songs wie "Spawned by Evil", für das garantiert Originalsänger Anders
Strohkirk (heute bei BLACKSHINE) auf die Bühne gekommen wäre, von der
Setlist. Aber vielleicht wäre das auch zuviel der guten alten Zeiten
geworden, denn am Bühnenrand stand ein alter Kumpel der Band, der in
eben erwähnten alten Zeiten zum jeweils letzten Song immer seine
vollgemachte Erwachsenen-Pampers auf die Bühne geschmissen hatte -- und
davor wollten NECROPHOBIC dann sich und das Publikum doch bewahren.
Setlist NECROPHOBIC
The Slaughter Of Baby Jesus
Blinded By Light, Enlightened By Darkness
Into Armageddon
I Strike With Wrath
Mourningsoul
The Crossing
Shadowseeds
The Third Of Arrivals
Nailing The Holy One
The Nocturnal Silence
Peter Tägtgren hat ein Händchen für PAIN-Premieren auf Booten:
Schon das allererste PAIN-Konzert fand vor acht Jahren auf einem Kahn
vor Stockholm statt. Jetzt bekommt das neue Live-Line-Up die Feuertaufe
auf dem Wasser. Weil es logistisch leichter ist, wollte er wieder ein
schwedisches All-Star-Team, sagte Peter in einer Pressemitteilung. Nun
stehen also zwei nicht mehr ganz so junge Männer an seiner Seite, und
sind offensichtlich versierte Instrumentalisten und Stage-Poser.
Trotzdem ist der eine oder andere Song noch nicht 100% auf den Punkt,
aber das mag auch am gefühlten Restalkohol liegen. Schlagzeuger Davod
Wallin ist im Line-Up geblieben und sorgt für das wichtigste, den Beat,
denn in Schweden tanzen die Mädels zu PAIN und die Jungs strecken ihre
Hand zum Hörnchen aus. Der neue Song "Zombie Slam" macht da keine
Ausnahme, allerdings singt Peter dazu auffällig verändert mit einer
sonoren Singstimme.
Setlist PAIN:
Greed
Same Old Song
End Of The Line
Nothing
It´s Only Them
Dancing With The Dead
Dark Fields Of Pain
Supersonic Bitch
Walking On Glass
Just Hate Me
Zombie Slam
On And On
Shut Your Mouth
Waren PAIN die arschtretende Tanzveranstaltung der Veranstaltung, sind
DARK TRANQUILLITY ihr guter Geist: Überall laufen die sechs
Göteborger schon seit gestern im Schiff herum, scherzen mit Fans und
Freunden in Bar oder Restaurant, gucken die anderen Göteborger Bands und
feuern sie an und sorgen all-überall für gute Laune und ein fettes
Grinsen. Und das soll jetzt bei ihrem eigenen Auftritt noch breiter
werden. DARK TRANQUILLITY begannen mit den Songs der letzten beiden
Alben und spielten sich in einen Rausch: Bereits bei "Lost To Apathy"
hatte Mikael Stanne jeden im unteren Bereich persönlich davon überzeugt,
mitzusingen, bis "The Wonders At Your Feet" hatte er auch alle dort
abgeklatscht. Die heftigeren Songs dazwischen wurden zum Headbangen
genutzt und bis zum neuen "Focus Shift" hatten DARK TRANQUILLITY ihr
Publikum in eine willenlose, verschwitzte Masse gespielt, die den neuen
Song dankbar aufnahm. So erobert man die Welt mit dem Boot, liebe
Wikinger!
Setlist DARK TRANQUILLITY:
The Treason Wall
Lost To Apathy
White Noise Black Silence
The Sun Fired Blanks
The New Build
The Wonders At Your Feet
Terminus
The Endless Feed
Focus Shift
Hedon
Damage Done
ThereIn
Monochromatic Stains
Punish My Heaven
My Negation
Final Resistance
class="head3">Bericht vom Donnerstag lesen
Konzert:
Close-Up Båten -- Donnerstag, Stockholm-Turku
Konzert vom Wir sind gewarnt worden: "You´re gonna go on that boat?! You´re gonna
die!" Der Tenor im voraus: Schweden gingen nur auf das Boot, um den
Triathlon "Drink, fight and fuck" zu bestehen. Wie sich schon
herausgestellt hat, sind die "Specialkryssningar" - also
Motto-Kreuzfahrten der Fährenanbieter Silja- und Colour-Line billiger
selbst als deutsche Festivals: Die Überfahrt in einer Vier-Bett-Kabine
(Kabinen-Buchung ist Pflicht) kostet pro Person umgerechnet zwischen 35
und 40 EUR. Das erstklassige Line-Up ist da im Preis inbegriffen:
Hardcore Superstar und Dark Tranquillity sind die Headliner, außerdem
spielen Tiamat den ersten Gig im Großraum Stockholm seit zwölf Jahren;
Pain, Necrophobic und Dimension Zero sind auch dabei. Anders als auf
üblichen Festivals hat jede der Bands komfortable ein bis eineinhalb
Stunden Spielzeit zur Verfügung.
Also aufs Boot: Den Ausstieg aus der Tunnelbana an der Station Gärdet
und den Weg von der Station zum Fährhafen kann man gar nicht verpassen,
da einem die zahlreichen Metal-kompatibel gekleideten Langhaarigen den
Weg weisen. Beim Check-In geht alles noch sehr ordentlich zu,
Alkohol-Konsum ist wie in Schweden üblich nur in den gekennzeichneten
Bereichen und erst ab einem bestimmten Alter möglich (je nach Prozenten
des Alkohols ab 18, 21, 23 oder 25 Jahren), auf das Schiff darf man erst
ab 20. Natürlich darf Indoor in Schweden nicht geraucht werden. Aber
kaum berühren die Füße den Schiffsstahl, bricht die Anarchie los: Gleich
in der Schiffslobby werden die ersten Zigarretten angezündet, dazu
zischen die Bierdosen. Nachdem das Schiff abgelegt hat öffnet der
Duty-Free-Shop -- und viele verlassen ihre Kabine ausschließlich, um
dort Nachschub zu holen: Die Bierdosen-Paletten werden gleich mit
Sackkarre ausgeliefert, und geübte Ostsee-Kreuzfahrer benutzen die erste
Bierdose als Stöpsel im Handwaschbecken und haben so eine Wasserkühlung
für alle anderen.
Derart vorgeglüht geht es zur ersten Band: DIMENSION ZERO sind
die Lausebengel des Death Metal! Klar schütteln Jesper Strömblad und
Daniel Antonsson die messerscharfen Riffs nur so aus ihren Ärmeln, dass
man merkt: Dies ist genauso Spaß- wie Herzblut-Projekt der Beteiligten.
Ab und zu grinst Jesper seinen Sidekick an, mimt aber ansonsten den
Stoiker. Es tut DIMENSION ZERO augen- und ohrenscheinlich sehr gut, dass
Niclas Andersson (sonst bei Lord Belial) den Bass übernimmt und Jesper
jetzt das auf der Gitarre runterschrubbt, was er eh geschrieben hat.
Jocke Göthberg hat dagegen sowas von den Schalk im Nacken und spannt
auch dann noch die Mundwinkel von einem Ohr zum anderen, wenn er die
Töne aus der heisersten Ecke seiner Kehle hervorholt. Bravo, die
Nackenmuskeln sind nach dieser Granate auf Betriebstemperatur!
Allerdings in erster Linie beim VIP-Fanclub: Der durchschnittliche
schwedische Bootsbesucher beschäftigt sich auf der Kabine noch mit der
Alkoholzufuhr, während Martin Henriksson und Niklas Sundin von Dark
Tranquillity den Gig ihrer Göteborger Kumpels mit Handycam aufnehmen.
Björn Gelotte und Peter Iwers sind auch mitgekommen -- um endlich mal
wieder nur zum Spaß ein Konzert anzusehen und wie alle anderen auch --
zu saufen. Zusammen mit etwa 350 Leutchen sehen und hören sie:
Through The Virgin Sky
The Murder Inn
Blood On The Streets
Unto Other
Not Even Dead
Dimension Zero
Darkest Hour
He Who Shall Not
Immaculate
Silent Night Fever
Zum heimlichen Headliner TIAMAT kugeln sich dann aber ziemlich
viele aus ihren Kojen, egal wie betrunken: 2500 Leute mögen etwa auf dem
Schiff sein, gequetscht passen vielleicht 800 bis 1200 verteilt auf zwei
Stockwerke vor die Bühne. Die ist zwar mondän vom Materialeinsatz, vom
Platzangebot für Musiker und Techniker aber nur ungefähr so groß wie die
des MarX in Hamburg -- hat also so viel Bewegungsradius wie ein
Handtuch. Der Zuschauer-Saal ist auch eher für ein Captain´s Dinner bei
Piano-Geklimper eingerichtet, aber bei Tiamat stehen die Zuschauer halt
auf Tischen, Sesseln, Wendeltreppen und Abtrennungen. Zum Glück ist kein
Seegang, so segelt niemand herunter. Mit "Vote For Love" steigen Johan
Edlund und seine graubärtigen Familienväter in die Liebesbekundungen
ihrer Landsleute ein. Noch euphorischer das Geklatsche und Raunen beim
Übergang zu "Cain" - TIAMAT spielen heute nicht mit allem, was sie
haben, ich habe sie definitiv schon mit mehr Show und mehr Glamour
gesehen -- aber sie spielen aus voller Seele und so verdammt ehrlich und
direkt auf den Punkt, dass der berühmte Funke von der ersten bis zur
letzten Sekunde überspringt. Also bis genau zu der letzten Sekunde, an
der Peter Tägtgren breit wie ein Amtmann seinen Kumpel Johan Edlund um
die Growls bei "The Sleeping Beauty" erleichtert und einen
unfreiwilligen Kopfsprung in den Fotograben macht. Über diesen Slapstick
muss selbst Keyboarder Martin Brandström herzhaft lachen, der bisher mit
Kippe im Mundwinkel die Coolness selbst in diesem insgesamt eher
gefühlsduseligen Abend war. Wie heißt es so schön in "Gaia": "When
nature calls we all shall drown". Gutes Motto mitten auf der Ostsee!
Setlist TIAMAT:
Vote For Love
Cain
Brighter Than The Sun
To Have And Have Not
In A Dream
Wildhoney
I´m In Love With Myself
Clovenhoof
Cold Seed
Wings Of Heaven
Phantasma Deluxe
As Long As You Are Mine
The Sleeping Beauty
Gaia
Seit ungefähr "To Have And Have Not" haben wir den Stockholmer
Schärengarten verlassen, ab jetzt wissen die meisten nicht mehr
auseinander zu halten, ob das Schiff schaukelt, oder ob vereinzelte
Gleichgewichtsausfälle auf gewisse Promillegerade zurückzuführen sind.
Zu HARDCORE SUPERSTAR´s Rotz´n´Roll kann man ganz galant
weiterfeiern. Inzwischen hat das Sicherheitspersonal aufgegeben, nach
aus den Kojen mitgebrachtem Alkohol im Konzertbereich zu fahnden und
muss sich stattdessen konzentrieren, Streitigkeiten in den Gängen und
der Lobby zu schlichten. Während wir die Åland-Inseln passieren, fliegen
die Bierdosen also tief und die vier Göteborger auf der Bühne geben
alles, um dagegen anzukommen. It´s only Rock´n´Roll -- aber sie mögen es!
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