Kalt erwischt wurde ich beim ersten Hören von "Lilith". Die ersten beiden Songs sind super-entspannte Songs voller Atmosphäre, so dass ich mich auf eine ruhige halbe Stunde chilliger Musik einstellte. Dann kam Song drei, "Lilith", über mich, so unvermittelt und brutal wie ein kalter Regenschauer. Da legen TRIP FONTAINE richtig los und lassen ein heftiges Core-Gewitter auf den Hörer los. Auch wenn sich ein paar ruhige Parts in den Song verirrt haben, ist der Tiltetrack definitv nichts für Weicheier. Dafür ist der folgende Song wieder einer aus der ruhigen Kategorie und klingt wie ein schlechter Hamburger Schule-Klon, während "Talking To You…" richtiggehend punkig daherkommt. Man sieht, TRIP FONTAINE lassen sich nicht gerne in eine Schublade stecken und fühlen sich im Dreieck Emocore-Independent-Rock ganz wohl. Da schippern sie durchaus versiert und wissen zu jeder Minute, wo sie im aktuellen Song hinwollen und auch technisch haben die Jungs einiges auf den Kasten. Ich würde TRIP FONTAINE in eine Ecke mit Bands wie JR EWING stecken und auf großartiges Schubladendenken verzichten. Macht Spass, "Lilith" zu hören, da man nie weiß, was die Band als Nächstes vorhat. Und das ist immer ein Merkmal für eine gute Platte, nicht wahr?
Mit der letzten CD von JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE hatte ich so meine Probleme und wurde nicht so recht warm damit. "Deutschland von Vorne" liegt mir da schon eher. Dieses Mal haben sich die Jungs acht deutsche Songs vorgenommen und ziemlich durch den Wolf gedreht. So mussten unter anderem EISENVATER, DIE GOLDENEN ZITRONEN und sogar TOCOTRONIC einen Song hergeben und dran glauben. Was JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE aus "Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst" gemacht haben, ist Fungrind pur, inklusive "Final Countdown"-Theme beim Keyboard. Sehr cool. Heftiger ist da schon "Der Greuel" von EISENVATER, was einen fast schon TOTENMOND-mäßigen nihilistischen Flair versprüht und zeitweise echt schleppend aus den Boxen kriecht. So arbeitet sich die Band durch die acht Songs und hat jedem ihren ganz eigenen Stempel aufgedrückt und unterm Strich ein respektables Ergebnis erzielt. Mir hat es gefallen, dass die Band nicht einfach stumpf acht Klassiker 1:1 nachgespielt hat (das kann jede Schülerband), sondern sich an für Metal-Verhältnisse ungewöhnliche Songs gewagt hat und diese ordentlich verändert haben, das spricht eindeutig für JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE. Für meinen Geschmack deutlich besser als "Hardcore aus der ersten Welt".
Schwierig, die Musik von MORPHYN, dem Quartett aus Karlsruhe, zu beschreiben. Die Jungs spielen zähen, räudigen, deutschsprachigen Metal, der (besonders durch den fiesen Brüllgesang von Volker Bruder) stellenweise wie ONKELZ in Zeitlupe klingt, aber auch in Richtung TOTENMOND schlägt, ohne deren Intensität und Dampframmenpower zu erreichen. "Vollkontakt" ist ganz sicher nichts für zart besaitete Deutschrocker, sondern tönt ordentlich "undergroundig" und ist auch nicht gerade sehr transparent produziert, was jedoch gut zur Musik passt. So ganz warm werde ich mit dieser EP aber nicht, denn die vier Stücke bleiben nicht wirklich hängen. "Nuklearer Tod" etwa fällt mit seinem leicht nervigen Refrain sogar eher negativ auf (ich verstehe immer: "Noch vier Jahre tot"), aber auch "Vergangenes Begleitet" und "Bewegung" sind nicht gerade mitreißende Ohrwürmer. Besser gefällt mir da schon das live mitgeschnittene "Erkenntnis", zwar auch kein Überflieger, aber mit seinem rotzigen, fast schon deathmetallischen Geknüppel (inklusive Growls) ein netter Stampfer. Auch der sehr kurze, ebenfalls todesbleierne Bonustrack fällt positiv ins Gewicht. Ganz schlecht ist "Vollkontakt" nicht, aber ich persönlich habe mich mit dieser EP etwas schwer getan und wirklich mein Fall ist sie nicht. Wer auf heftigen, deutschsprachigen Metal steht, sollte die Band aber ruhig mal anchecken!
Bei dem Bandnamen WOJCZECH habe ich eine plolnische Band erwartet, aber die Combo ist in Deutschland beheimatet und frönt auf "Sedimente" deutschen Texten. Jedenfalls haben die Songs deutsche Titel, beim Hören versteht man eh nix. Aber das soll bei Grindpunk so sein. Genauso wie die rauhe Produktion und die kurzen, brutalen Songs. WOJCZECH machen niemanden etwas vor, die Jungs haben offensichtlich Spass an knackigen Songs, die sich im Geiste alter NAPALM DEATH, REPULSION und alter Punkbands bewegen. Roh, direkt und voll auf die Fresse, egal welchen Song man anspielt. Abwechslung gibt es in den engen Grenzen, die sich die Band selbst auferlegt hat, auf jeden Fall, sogar etwas Groove hat sich versteckt ("Dogmafalle"). Wer kompromisslose brutale Mucke sucht, ist bei "Sedimente" auf jeden Fall gut aufgehoben.
"Remember, we can” sagt der gesampelte Mann am Ende von "Nightmare Inc.”, der neuen Scheibe von A TRAITOR LIKE JUDAS. Und wie recht er damit hat, denn die Braunschweiger können es richtig! Metalcore vom Allerfeinsten, an dem sich in Zukunft andere Bands messen lassen müssen. Nach der coolen Split mit UNDER SIEGE hab ich mit einem echten Knaller gerechnet, aber "Nightmare Inc." Hat meine Erwartungen um Einiges übertroffen. A TRAITOR LIKE JUDAS geben permanent Gas und verbreiten dermaßen viel Aggressivität, das selbst die wenigen ruhigen Parts wie ein Pitbull in Lauerstellung wirken. Sänger Björn hat in meinen Ohren den größten Satz gemacht und kreischt-keift sich ungemein wütend durch die Songs und verzichtet beinahe komplett auf das mittlerweile angesagte aggro/clean-Wechselspielchen. Dadurch bleibt der Silberling jederzeit im roten Bereich, was die Brutlität angeht. Denn trotz aller melodischen Gitarrenarbeit und Moshparts ist das Album von vorn bis hinten ein Ausbund an Brutlität, wie ich es 2005 selten gehört habe. Dabei vestehen es A TRAITOR LIKE JUDAS auch noch eingängig und abwechslungsreich ohne Ende zu sein, so dass ich gar nicht anders kann, als diesem Album meine uneingeschränkte Kaufempfehlung zu geben - wer mir nicht glaubt, sollte sich beim Händler seines Vetrauens einfach "A Good Day To Die" oder "You Rip Our Guts Out" anhören. Wer dann nicht angefixt ist, dem ist nicht mehr zu helfen.
Deutsch-Punk? Wegen allgemeiner Verständlichkeit fährt der Musiker in diesem Genre gerne die peinliche Schiene. Zudem stellt sich die Frage: Was ist eigentlich Punk heutzutage? Für DRITTE WAHL allerdings sind diese Fragen und Bemerkungen unerheblich, weil sich die Kapelle aus Rostock seit Anfang der 90er durch überzeugende Outputs ihre eigene Nische erspielt hat, viele, viele Platten (etwa 12) rausgebracht hat und energetische und umjubelte Live-Gigs spielt. Woran liegt’s? Auf dem neuen Rundling, dem ersten nach Buschn, geben die Meck-Pommesse viele Antworten. Fast hat es den Anschein, als pickten sich die Jungs das Beste der Kollegen raus. Immer wieder kippt die Stimmung in Richtung Slime (Refrain bei "Feige Helden"), mal die Onkelz ("Wo?" oder "Fortschritt") oder Hosen ("Zeit Bleib stehen!" oder "Alle Tage - Alle gleich"). Diese Mischung der Einflüsse mutiert zur eigenen Note, und zwar keinesfalls zweite oder dritte Wahl…. Im eigentlichen Sinne jetzt. Das obercoole "Plakativ" reicht allein als Anreiz zum Kauf, eine Ballade mit schottischem Spirit gibt’s auch ("Auf der Flucht"), eine plattdeutsche Verabschiedung, und vieles mehr wie Gastmusiker von Daily Terror und anderen. Schlimm ist "Wir kaufen uns ein kleines Stück" (fuck for Rap oder HipHop!") und auch das Reggae-Stück "Rastermann" nervt Reggae-Unfreunde trotz netter Text-Idee. Aber: Und das ist wichtig: Es gibt’s ganz viele Dosenbier-mitsing- und feier-kompatible Stücke, eigentlich alle! Und das eben macht DRITTE WAHL aus. In Sachen Stimmung sind die Nordlichter nämlich erste Wahl. Deutsch-Punk eben - überhaupt nicht peinlich.
Schon wieder eine neue Veröffentlichung von KEN? Wohl kaum - hatte doch das Koblenzer Projekt um BLACKMAIL-Sänger Aydo Abay grade im Mai diesen Jahres gleich zwei komplette und zu Recht viel umjubelte Alben auf den Markt gebracht. "Have A Nice Day" ist dann auch ein um zwei Bonus-Tracks erweiterter Re-Release des Debüts von 2002, das den Grundstein für das zur Zeit wohl interessanteste deutsche Musik-Projekt und für die bis jetzt wohl besten beiden deutschen Alternative-Alben des Jahres legte. Auf "Have A Nice Day" erinnern KEN noch wesentlich stärker an BLACKMAIL, was wohl daran liegt, dass die Ingredienzen dieselben sind: Treibende Drums, noisige Schrebbel-Gitarren, melancholische bis düstere, teils leicht psychedelische Harmonien und darüber Aydo Abays charismatischer und einzigartiger Gesang. KEN im Jahre 2002 sind dabei vielleicht noch ein bisschen eingängiger - wenn es nach vorne geht, dann grade und schnörkellos, wie in den Rockern "Husk" oder "Voltage Point", wenn es ruhiger wird, entstehen Songs wie die fast schon meditative Ballade "On(n)", und gelegentlich wird sich mit Stücken wie "Whirlpool Of Terror" und "Swell" auch mal leichter Ohrwurm-Pop und Country gegönnt. Mit "Artificial Movement" und "1/2 bb" kommen dann aber auch die Psycheledic-Fans auf ihre Kosten. Insgesamt ist das Debüt von KEN druckvoller und rockiger als die beiden Nachfolge-Alben, dafür aber noch weniger verspielt und eigenständig. Ganz davon abgesehen ist "Have A Nice Day" aber eine großartige Scheibe, die jede Menge geniale Songs enthält und intensive Stimmungen vermittelt, und die sich jeder BLACKMAIL-Fan, der nicht aufs nächste Album warten will, dringend zulegen sollte. Und jeder KEN-Fan - sofern er sie nicht schon besitzt - sowieso. Und überhaupt alle, die auf erstklassigen Indie-Rock stehen.