Mit DYS geht es zurück in die Anfänge des Hardcore, damals in den wilden 80ern in Boston. Zwei Alben hat die Band veröffentlicht, die sowohl in der Straight Edge-Szene Akzente setzten, wie auch in der Kombination von Hardcore und Metal. Danach war Schluss und die Jungs wandten sich anderen Betätigungen zu, unter anderem SLAPSHOT. 2010 war dann der Zeitpunkt für eine Reunion, wenn auch nicht im originalen Line-Up (es halfen u.a. ehemalige Mitglieder der FOO FIGHTERS und POWERMAN 5000 aus). Die Reunion Show wurde mitgefilmt und wird jetzt via Bridge9 veröffentlicht – ob es ein cleverer Schachzug ist, eine so rohe Live-Platte wie „More Than Fashion“ als Comebackscheibe zu nutzen, ist fraglich. Wer mit der Band bisher nichts am Hut hatte, wird auch bei viel Affinität zum SxE-Hardcore und der Boston-Szene schwer Zugang zu den DYS-Songs finden, gerade weil sie Live-typisch roher und ungeschliffener klingen als es eine reguläre Studioplatte würde. Mit 1.000 Besuchern war die Show wohl ausverkauft und es dürfte gut was los gewesen sein wären der gut 30 Minuten DYS-Show, aber die Platte vermag die Atmosphäre nicht wirklich zu transportieren. Als erstes Lebenszeichen nach zig Jahren ist „More Than Fashion“ ok, aber besser wäre eine EP mit ein paar neuen Songs gewesen, auf der sich einige Live-Songs als Zugabe gefunden hätten.
Baltimore. Subtil geht da nicht, RUINER, “The Wire” und die Realität haben das zuletzt eindrucksvoll bewiesen. TRAPPED UNDER ICE reihen sich da ein, „Big Kiss Goodnight“ ist ein direkter Schlag in die Fresse. Modern Hardcore-Anleihen sind nicht zu finden, stattdessen geben sich die Kerle von der New Yorker Chose und TERROR beeinflusst (mit letzteren ist man ja eh dicke), also schön stumpf, prollig und direkt auf den Hörer los. Die Breakdowns sitzen, die Moshparts lockern die Songs immer wieder auf und der Gesang ist kraftvoll-räudig, sogar einige melodischere Passagen finden sich da. Das ergibt NYHC-lastige Stampfer wie „Born To Die“ oder „Outcast“, die auch in Sachen Attitüde und Inhalt klarmachen, was bei TRAPPED UNDER ICE Sache ist. „Reality Unfolds“ packt den HipHop in den Tank, „Dead Inside“ schwingt die Brutalo-Keule, genug Abwechslung also, um die Hardcore-Meute zufrieden zu stellen. „Big Kiss Goodnight“ ist ein starkes HC-Album geworden, mit dem sich TRAPPED UNDER ICE klar im New Yorker Lager positionieren und sich als Sprachrohr der Underdogs verstehen, was ihnen abgenommen wird. Ehrlich und direkt, so soll muss das in Baltimore eben sein!
In der Sony Serie „Original Album Classics” sind dieses mal die Rock-Dinosaurier von DEEP PURPLE an der Reihe. Drei Alben von Anfang der 90er in einfacher Ausführung zu einem sehr günstigen Preis (Cardboard-Sleeves des Originalcovers, kein Booklet und sonstige Extras). Das mit Sänger Joe Lynn Turner eingesungenen, recht mainstreamige und unter den Fans umstrittene „Slaves And Masters” (1990), die MK II Wiedergeburt „The Battle Rages On” (1993) und das doch etwas außergewöhnliche „Purpendicular” (1996).
„Slaves And Masters” wurde in der Besetzung Gesang Joe Lynn Turner, Gitarre Ritchie Blackmore, Bass Roger Glover, Keyboards Jon Lord und Schlagzeug Ian Paice eingespielt – also mit drei Mitgliedern des letzten RAINBOW Line-Up - Stammsänger Ian Gillan schied 1989 im Streit mit Blackmore. Das Album weist dementsprechend eine recht starke AOR-Schlagseite auf und hat zusätzlich noch mit einem suboptimalen Sound zu kämpfen. „Slaves And Masters” läßt einfach zuviel der gewohnten PURPLE-Trademarks vermissen und erinnert eher an eine der mainstreamigen RAINBOW-Scheiben. Obwohl man mit „King Of Dreams“ und „Fortuneteller“ zwei richtig gute Songs am Start hatte, darf man „Slaves And Masters” als eine der schwächsten DEEP PURPLE Alben bezeichnen. Die Verantwortung dafür alleine bei Turner abzuladen, greift sicher zu kurz. Aber er wurde auch bei den DEEP PURPLE Fans nicht akzeptiert - für das Nachfolgealbum kam wieder Ian Gillan an Bord.
„The Battle Rages On” war dann das letzte Album in der klassischen MK II Besetzung. Gillan kam zurück – Blackmore war dagegen – ein Album wurde trotzdem gemacht. „The Battle Rages On” hatte keinen großen Hit zu bieten, kam recht roh aus den Boxen, lies aber gekonnt heavy Passagen neben bluesigen und progressive Ansätzen wirken und überzeugt vor allem durch seine Ausgeglichenheit auf hohem Niveau. Mit dem orientalisch anmutenden Titelsong „The Battle Rages On”, „Anya“ (noch heute ein Highlight), „A Twist In The Tale“ und dem melancholischen Hit „Solitaire“ (nicht der stärkste Songs des Albums) konnte sich jeder PURPLE Fan anfreunden. Gillan lieferte dabei eine richtig gute Gesangsleistung ab - was Blackmore anders sah und wegen Gilian nicht mal die Tour zu „The Battle Rages On” fertig spielte und DEEP PURPLE verließ ist dann Musikgeschichte.
„Purpendicular“ hatte mit Steve Morse (DIXIE DREGS, KANSAS; LIVING LOUD) anstatt dem Genie Blackmore einen neuen Gitarristen zu bieten (der bis heute diese Stelle inne hat) und den Versuch des neuen Line-Up etwas andere Akzente zu setzen. DEEP PURPLE sind auf „Purpendicular“ fast unheimlich melodiös und für ihre Verhältnisse experimentell, Gillan sang befreit (wenn auch nicht so stark wie noch 10 Jahre zuvor) und Songs wie „Ted The Mechanic”, „Sometimes I Feel Like Screaming” und „Cascades: I'm Not Your Lover” zeigen natürlich Morse statt Blackmore. Trotz eines gewissen Überhanges an ruhigeren Material war „Purpendicular“ in mehr als guter Neustart für DEEP PURPLE.
Finnisch ist so eine schöne Sprache, gerade die ganzen Crustbands aus dem Land der tausend Seen stellen das immer wieder unter Beweis. UNKIND haben mit „Harhakuvat” den Nachfolger ihres gelungenen „Yhteiskunnan Pikkuvikoja“-Albums fertig. Und auch auf dem neuen Werk geben sie ihre coole Symbiose aus Crustpunk, Doomfeeling und Hardcore zum Besten, was besonders bei dem sich langsam aufbauenden "Ylpea Perhe" und dem emotionalen (ja, richtig gelesen!) "Laumasielut" hervorragend funktioniert. Gut Arsch treten können die Finnen aber auch ("Kaivannot“), wie es sich für eine Crustband gehört. Der Sound ist passend rotzig und roh, ohne dass „Harhakuvat” zu wenig Druck aufbauen kann. Kurzum, das ist eine feine Scheibe, mit denen sich UNKIND einmal mehr auf dem gleichen hohen Niveau wie VICTIMS und DISFEAR bewegen. Die finnischen Lyrics und die den Songs innewohnende doomige Atmosphäre geben der Platte dabei die ganz eigene Note, durch die sie sich von der Konkurrenz abheben kann.
PULLING TEETH hatten ihre Fans mit „Paranoid Delusions | Paradise Illusions“ gut gefordert, was naturgemäß nicht jedem gefallen hatte. „Funerary“ wird die Fanschar wieder mit der Band versöhnen und ihnen mit „Brain Drain“ und „Exticntion“ die ersehnten Songs geben, die viel mehr an „Martyr Immortal“ als an den letzten Longplayer erinnern. Den rohen Charme irgendwo zwischen INTEGRITY und CONVERGE haben sich PULLING TEETH dabei bewahrt, ebenso die punkige Fuck Off!-Einstellung, wenn es um Erwartungshaltungen geht – auch „Funerary“ hat seine experimentellen, doomig-bösen Songs („The New Dark Age“ und der Titeltrack). PULLING TEETH können die beiden Seiten ihrer musikalischen Existenz auf diesem Album besser verbinden als beim Vorgänger. Ihre Zerrissenheit wird so spürbar und macht „Funerary“ zu einem intensiven und ungewöhnlichen HC-Album, das der CONVERGE-Crowd mehr zusagen wird als den TOUCHE AMORE-Hipstern.
BRUTAL TRUTH haben mit “End Time” ihr zweites Post-Reunion-Album fertig, auf dem es soundmäßig dreckiger zugeht als auf „Evolution Through Revolution“ vor zwei Jahren. Der Beginn mit dem fies-zähen „Malice“ fordert den Hörer direkt heraus, ehe mit dem gnadenlosen „Simple Math“ der erste Grinkracher losgelassen wird, bei dem deutlich wird, wie sehr sich Kevin Sharp & Co. auf „Sounds Of The Animal Kingdom” besonnen haben, so roh und im besten Sinne grindig sind Sound und Attitüde. Was Scott Hull (PIG DESTROYER, AGORAPHOBIC NOSEBLEED) wohl beim Mastern der Songs dachte? BRUTAL TRUTH geben sich derweil kompromisslos wie immer und haben neben reinen Grindnummern einige doomige Nummern geschrieben („Drink Up“), was beides gleichermaßen zu gefallen weiß. Schön klassisch ist der abschließende Song, „Control Room“ gibt 15 Minuten lang total abgefahrenen Krach zum Besten, mit dem „End Time“ die erneute Hommage an „Sounds Of The Animal Kingdom”gelingt. BRUTAL TRUTH haben eine zu ihnen passende Scheibe eingespielt, die zwar nicht mit ihren eigenen Klassikern mithalten kann, in Sachen Attitüde und Abgefucktheit aber in bester BRUTAL TRUTH-Manier punkten kann, somit für Band- und Genre-Freunde eine lohnende Anschaffung ist.
Mit den ONKELZ konnte man mich immer schon jagen. Und ob die Band-Mitglieder nebenbei auch noch Solo-Projekte laufen hatten, hat mich schon mal gar nicht interessiert. Jetzt ist das neue Solo-Album von Ex-ONKELZ-Gitarrist Matt Gonzo Roehr bei mir gelandet, das nicht sein erstes, aber sein erstes auf Deutsch gesungenes ist. Und ich muss sagen: Der Typ rockt wie Sau. Roehr präsentiert sich hier mit rotzigem, angepunktem Rock, schnörkellos, tight und simpel gehalten, aber nie um einen guten Ohrwurm-Chorus verlegen. Pathetisch wird's nie, sondern mit dreckiger Stimme haut er einen Kracher nach dem anderen raus. Die Songs sind dabei sehr vielseitig, flirten auch mal mit Stoner, Blues oder Sleaze-Rock. Der dreckige, energiegeladene Sound kommt dazu mit ordentlichem Wumms aus den Boxen. Die Texte sind angenehm unpeinlich – keine Selbstverständlichkeit im deutschen Rock. Pseudo-tiefschürfend wird es nie, sozial- und gesellschaftskritisch schon, das dann aber direkt und gerade heraus und ohne erhobenen Zeigefinger. Mit „Blitz & Donner“ hat Matt Gonzo Roehr ein starkes Album vorgelegt, das zeigt, dass es möglich ist, auch mit deutschen Texten unverstaubten Rock zu spielen, der kickt und gute Laune macht.
THE BURDEN REMAINS haben sich für ihr Debütalbum „Downfall Of Man” viel Zeit genommen und im Grunde alles richtig gemacht, was Produzentenauswahl, Sound und Aufmachung angeht. Gleichzeitig ist die Scheibe der Beweis, dass noch so viel professioneller Einsatz und Vorwissen nicht automatisch en Kracheralbum nach sich ziehen, denn auch wenn „Downfall Of Man“ sehr gut klingend aus den Boxen kommt, fehlt was. Stellenweise wirken THE BURDEN REMAINS zu verkrampft, gerade in der betont progressiven Gitarrenarbeit und den schwurbeligen Refrains wird das deutlich, auch ist Sänger Tommy nicht immer in Bestform und hat einige Ausreißer nach unten. Das Songmaterial hat ebenfalls Höhen und Tiefen, am Ende der Scheibe ist kaum ein Song wirklich beim Hörer hängen geblieben, gerade die zweite Hälfte des Albums hat viele Längen. Schade um den ganzen Einsatz, den die Band hier reingesteckt hat, aber das Ergebnis wirkt so, als wäre sie von den eigenen Erwartungen erdrückt worden.
Mit „Future Selves“ hat das Quartett TRANSFER aus San Diego sein Debüt veröffentlicht. Der vielschichtige Sound der Band ist beim ersten Hören nicht so leicht zu erfassen. Moderner Indie-Rock vermischt sich hier mit psychedelischen Sounds und Brit-Pop. Oder anders gesagt: Die BEATLES treffen auf PINK FLOYD, GLASVEGAS und ARCADE FIRE. Klingt komisch? Ist es nicht. Und funktioniert sogar erstaunlich gut. Oft geht es dabei ruhig und sphärisch zu, und auch die schnelleren Songs, wie „Like It Used To Be“ oder „Enojado“, wirken aufgrund der nur wenig verzerrten Gitarren nie wirklich rockig und hart. Tight und treibend sind TRANSFER dann trotzdem, laden aber weniger zum Kopfnicken, sondern aufgrund ihrer sphärischen Sounds vielmehr zum Abheben ein. Kann man ja auch mal machen. Über die Länge des Albums will der Vierer vielleicht etwas zu viel. Oft vermischt sich der Sound oben genannter Bands nicht innerhalb eines Songs, sondern jeder Song klingt nach einer anderen – manchmal auch nach etwas noch anderem, wie z. B. „Like A Funeral“ nach SIMON & GARFUNKEL plus Blechbläsereinlagen. Deshalb ist es eben auch nach mehrmaligem Hören schwierig, einen wirklichen Band-Sound auszumachend. Man nimmt immer nur war, wonach es jetzt gerade klingt. Ein spannendes Album ist TRANSFER hier auf jeden Fall trotzdem gelungen. Nur an Eigenständigkeit mangelt es den Jungs eben (noch) etwas.