Vor ein paar Tagen wurde das Erbgut des Quastenflossers entschlüsselt. Was das in einer Musikrezension zu suchen hat? Genau, wie man vom Quastenflosser Rückschlüsse erwartet, wie sich das Leben im Wasser zum Leben am Land weiterentwickelt hat, kann man "The Book of Truth" versuchen zu verstehen, wie sich der Gothenburg Death Metal entwickelt hat - so, wie die Vorfahren des Quastenflossers an Land gekrochen sind. CEREMONIAL OATH kann man als ganzer Band - von heute zurückgeschaut - das Motto "Jugend forscht" umhängen: Oscar Dronjak (heute bei HAMMERFALL), JESPER STRÖMBLAD (ex-IN FLAMES, heute THE RESISTANCE) und ANDERS IWERS (TIAMAT) waren zum Zeitpunkt der Aufnahme von "The Book of Truth" zwischen 19 und 21 Jahre alt. In Stein gemeißelt war damals noch gar nichts, die Bandmitglieder waren noch nicht einmal auf ihr heutiges Instrument festgelegt. Oscar Dronjak hat nicht nur Gitarre gespielt, sondern vor allem gesungen (sic!), Jesper Strömblad spielte damals noch Bass, Anders Iwers dagegen Gitarre. Am Schlagzeug saß Markus Nordberg. Alle Bandmitglieder hatten zeitweise andere Bands. Und Death Metal? Auf "The Book of Truth" schreien die Gitarren wie auf Thrash-Metal-Werken von ACCEPT oder SLAYER, der "Gesang" kreischt zwischen VENOM und MORBID ANGEL. So wichtig es damals war, zur "Szene" dazu zu gehören, so wenig kann man das musikalisch definieren. Roh und ungeschliffen fielen die Vorlieben der Musiker in einen Topf, der nicht mehr so richtig umgerührt werden konnte: MISFITS, deutscher Thrash, amerikanischer Bay-Area-Thrash, Black Metal der ersten Generation wie VENOM, und Crust Punk - das haben die Bandmitglieder damals selbst gehört. Außerdem norwegischen Black Metal wie MAYHEM (das hätte nur damals niemand zugegeben). Und raus kam dieser laute, wütende Klumpen an Musik. Ja, in Sachen Ästhetik spielen der Quastenflosser und "The Book of Truth" ebenfalls in einer Liga - nicht schön, aber sehr, sehr selten. Den Geburtshelfer hat übrigens Fredrik Nordström im Studio Fredman gespielt. Mit diesem Album hat also auch die lange Strecke an Death-Metal-Alben aus diesem Studio seinen Anfang genommen. Noch ein Wort zur musikalischen Qualität dieses Albums: Ich freu mich immer wieder, wenn ein Song davon sich in meine iTunes-Playliste schiebt und dort die wohltönende Eintönigkeit aufmischt - aber schön oder zugänglich ist wirklich anders. Das Nachfolge-Album "Carpet" ist viel netter anzuhören - aber wenn man wirklich wissen will, wie drei der einflussreichsten Musiker Göteborgs zusammen ihre Instrumente und das Songschreiben von der Pike auf gelernt haben, dann muss man dieses Album hören, nicht den Nachfolger in völlig anderem Line-Up! Die Reunion scheint außerdem ein Segen gewesen zu sein: Anders Iwers bekommt wieder Bock aufs Spielen und TIAMAT geben wieder mehr Konzerte. Oscar Dronjak kuriert mit der Reise in die Death-Metal-Vergangenheit seine "kreative Pause" bei HAMMERFALL und Jesper Strömblad hat mit THE RESISTANCE wieder eine Band. Alles wird besser mit ein bißchen Krach! Jetzt noch zu den Hard Facts: Außer den von Fredrik Nordström persönlich remasterten Aufnahmen von "The Book of Truth" sind auf der zweiten Scheibe noch zwei Demos (im Sunlight Studio bei Tomas Skogsberg aufgenommen) und die EP "Lost Name of God" zusammengefasst. Und wer seiner Nostalgie die Kugel geben will, kauft sich das Ding als Doppel-LP auf goldenem Vinyl!
Die Polen HATE sind irgendwie ein hoffnungsloser Fall: so sehr sie sich auch bemühen, sie kommen keinen Millimeter aus dem übermächtigen Windschatten ihrer Landsmänner BEHEMOTH und VADER heraus, obwohl sie seit mindestens einer Dekade durchweg gute bis sehr Alben veröffentlichen. Damit teilen sie ein ähnliches Schicksal wie die ebenfalls in diesem Fahrwasser schwimmenden DECAPITATED und LOST SOUL, die alle zusammen das Genre „Second Fiddle Polish Death Metal“ neu erfinden könnten… zweite Reihe und so. Auch „Solarflesh: A Gospel Of Radiant Divinity“ stellt keinen Bruch mit dieser Misere dar, ist zwar ein ordentlich fett und voluminös produzierter, technisch sehr gut umgesetzter Midtempo-Todesmetallhaufen, setzt aber keine neuen Akzente und bietet keinerlei Außergewöhnliches. Bandgründer/Gitarrist/Grunzer Adam The First Sinner und seine Mannen (Bassist Mortifier verstarb leider Anfang diesen Monats an einem Herzleiden, ist aber auf „Solarflesh: A Gospel Of Radiant Divinity“ natürlich noch zu hören) verstehen es immer noch, ihre kernigen, dicht gepackten Riffmassaker mit teilweise blackmetallischen, majestätischen Melodien zu garnieren, was „Alchemy Of Blood“, „Timeless Kingdom“, „Sadness Will Last Forever“ oder das ganz am Ende versteckte Highlight „Mesmerized“ zu richtig guten Angelegenheiten macht, aber eben nicht zu Weisheiten letzten Schlusses. Auch MORBID ANGEL, NILE oder GOD DETHRONED haben die Trauben einfach zu hoch gehängt.
Obwohl dieser norwegische Haufen im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte als Kultband des Black Metal in die A(n)nalen eingegangen ist, nicht zuletzt, weil einige Szene-Promis wie Abbath, Demonaz und Varg Vikernes mal dort spielten, hatten OLD FUNERAL seinerzeit eher räudigsten Death Metal gezockt. „Our Condolences (1988-1992)“ enthält als erste Compilation überhaupt alles, was diese Band in den vier Jahren ihrer Existenz aufnahm. Rein musikalisch war diese Truppe meilenweit entfernt von dem, was einige ihrer Mitglieder später fabrizierten und wohlgemerkt auch von dem, was ungefähr zeitgleich bereits an Göttergaben in Form von DARKTHRONEs „Soulside Journey“ und „A Blaze In The Northern Sky“ losgetreten wurde. Dennoch besitzt gerade dieses fiese, dilettantische Gerumpel, das von alten Helden wie CELTIC FROST, KREATOR oder SODOM (nachzulesen auch im Interview mit Bandgründer Tore Bratseth) inspiriert war, einen gewissen Charme, den viele Bügelfalten-Hochglanz-Sound-Fans sicher niemals verstehen werden. Darüber hinaus nahmen sich OLD FUNERAL nie sonderlich ernst („Grandma Is A Zombie“…); sie wollten nur spielen, wie man auf dem ersten Demo „The Fart That Should Not Be“ (geilo!), dem zweiten Demo „Abduction Of Limbs“ sowie der EP „Devoured Carcass“ (allesamt von 1989 und 1990) hören, aber kaum glauben kann. Deutlich ranziger sind nur noch die Konzertmitschnitte von 1991 und 1992, unter Anderem aus der „Garage“ in Bergen und den „Grieghallen“, die für normal gepolte Lauschlappen garantiert reine Folter sind. „Our Condolences (1988-1992)“ ist insgesamt ein äußerst sympathisches und tatsächlich mal kultiges Zeitdokument, das viele überteuerte Bootlegs nun völlig unnötig macht!
ARA geben mit „The Blessed Sleep” ihr erstes Lebenszeichen von sich, in gut 20 Minuten werden fünf Death Metal-Nummern zum Besten gegeben. Dabei kann die Gitarrenarbeit des NORTHLESS-Sideprojects durchaus überzeugen, balanciert sie doch gekonnt zwischen Frickelei und Eingängigkeit, so dass der komplexe Sound der Amis gleichzeitig auch gut hörbar ist. Beim Gesang hapert es dagegen etwas, der ist zu eindimensional und würde eher zu einer Crust-Combo passen; zwar brutal, aber auf eine unpassende Art und Weise. Beim Songwriting können ARA ebenfalls noch zulegen, da sie doch recht ähnlich gelagerte Songs geschrieben haben, von denen keiner wirklich im Ohr bleiben will. Für ein Debüt ist „The Blessed Sleep“ in Ordnung, das nächste Ding muss aber durchdachter sein.
Bei MARGENTA HARVEST toben sich Leute von FINNTROLL, …AND OCEANS und weiteren finnischen Bands aus, die sich mit diesem Projekt dem schwermütig-heftigen Death Metal verschrieben haben, für den das Land der tausend Seen bekannt ist. „Apparation Of Ending“ ist ihre zweite EP und macht klar, dass hier Routiniers am Werk sind, die sich nicht am angesagten höher-schneller-weiter beteiligen, der bei so vielen Death Metal-Bands mittlerweile angesagt ist. Statt immer technischer zu werden oder die Produktion noch brutaler (und künstlicher) klingen zu lassen, legen MAGENTA HARVEST das Augenmerk auf stimmiges Songwriting. Das gelingt ihnen, wie das schleppend-bösartige „Carrion Of Men“ eindrucksvoll belegt: runtergestimmte Gitarren erschaffen eine bedrohliche Grundstimmung, die vom Shouter passend ergänzt wird. Death Metal der alten Schule, brutal as fuck und gut geschrieben. So soll das sein. Wer darauf steht, wird mit „Apparation Of Ending“ gut bedient. Modern ist das vielleicht nicht, aber Scheiß was. Krasse Gitarrenarbeit, krasse Breakdowns, krasse Tattoos machen noch lange kein krass gutes Album. Gutes Songwriting und Konzentration auf das Wesentliche dagegen schon.
HYPOCRISY sind eins der vielen Projekte, mit denen sich Peter Tägtgren seine Zeit vertreibt (und praktischerweise seine Brötchen verdient). „End Of Disclosure“ ist dann auch schon das zwölfte Album und kommt gute drei Jahre nach „A Taste of Extreme Divinity“ in die Läden. Anfänglich überrascht die Scheibe ob ihrer Berechenbarkeit, so zumindest die ersten Durchläufe. Alles schon mal gehört, Tägtgrens Gesangsstil ändert sich auch nicht mehr und die Produktion (von Tägtgren himself natürlich) ist auch gewohnter Standard. Aber mit der Zeit wird klar, dass das Schwedentrio nicht einfach alten Wein in neuen Schläuchen verkauft, sondern bewusst auf eine Balance aus Trademarks und dezenten Neuerungen gesetzt hat - viel von „End Of Disclosure“ erinnert an selige 90er-Zeiten, während das lange „Tales Of Thy Spineless“ ob seiner Wucht überrascht und der Titelsong eine echte Hymne geworden ist. Beim Gesang hat sich dann doch was getan, er ist in den selbstgesteckten Grenzen facettenreicher geworden, ohne auch nur ein bisschen seiner Aggressivität zu verlieren. In den neun Songs findet sich dann auch kein Ausfall, eher verdichtetes, auf den Punkt gebrachtes Songwriting: das gilt für das Groovemonster „The Eye“ ebenso wie für das brachiale „Hell Is Where I Stand“. „End Of Disclosure“ ist ein verdammt starkes Death Metal-Album geworden, mit dem HYPOCRISY keinen Fan enttäuschen werden. Auf der anstehenden Tour werden die Songs ebenso gut knallen wie in der heimischen Anlage. Der Peter, der kann’s halt einfach.
DESTINITY konnten mit ihrem letzten Werk „XI Reasons To See“ zumindest bei Freunden gepflegt modernen Metals einen guten Eindruck hinterlassen. „Resolve In Crimson“ macht dann natürlich neugierig, immerhin hatten die Franzosen zwei Jahre Zeit, ihren Stil zu verfeinern. Und siehe da, Veränderungen gab es nicht, die Zeit wurde tatsächlich zum Feintuning der DESTINITY-Komponenten genutzt. Der zweistimmige Gesang kann überzeugen, das Songwriting macht sowohl flotte Nummern („Redshift“) ebenso wie wuchtige Songs („Only War“) gut hörbar und die handwerkliche Leistung ist ingesamt noch einen Ticken besser als beim Vorgänger. Gerade der Drummer hat noch eine Schippe drauflegt und zeigt sich gerne öfter mal beim schicken Blastpart spielen. Der Wechsel aus Melodie und Brutalität geht der Band immer noch leicht von der Hand und bringt die Chose wieder stark Richtung Schwedentod, diesmal sogar noch mehr als bei „XI Reasons To See“. „Resolve In Crimson“ zeigt die Band somit durch die Bank verbessert, statt UEFA-Cup (jaja, Euro League) kratzen sie so an der Quali zur Champions League.
ICONS OF BRUTALITY sind die Spielwiese einiger holländischer Musiker (u.a. von ABSORBED, GRINDMINDED), die hier dem guten alten Death Metal frönen wollen. Also schön ein paar Metalabende mit BOLT THROWER, VADER und der ganzen Schweden-Baggage gemacht und ab dafür. „Between Glory And Despair“ ist dann auch die erwartete Hommage an die eigenen Helden des Death Metals. Schön mit Sunlight-Sound ausgestattet, schön schnell gespielt und schön simpel gehalten. Ist alles nix neues und von Innovation so weit entfernt wie nur was, macht aber durchaus Laune, auch wenn sich in den neun Songs kein echter Hit findet. Dafür ist „Between Glory And Despair“ auf durchgehend hohem Niveau angesiedelt und die perfekte Untermalung für den nächsten Abend mit Metal und Bier. Mehr wollen ICONS OF BRUTALITY nicht, weder für sich noch für potentielle Fans, also alles richtig gemacht.
Chris Barnes hatte vor dem „Unborn“-Vorgänger „Undead“ ja beinahe die komplette SIX FEET UNDER-Besetzung geändert, was dem Sound der Band erkennbar gut getan hatte. Vor „Unborn“ gab’s dann eine erneute Umbesetzung, Ola Englund (SCARPOINT) stieß zur Band dazu und ersetzte Rob Arnold, wobei der weiterhin beim Songwriting beteiligt war. So klingt „Unborn“ dann auch nach der konsequenten Fortführung von „Undead“. In Anbetracht dessen, dass beide Scheiben im Abstand von gerade mal einem Jahr erscheinen, ist das noch weniger überraschend. Schon beim Opener „Neuro Osmonis“ fällt die dynamische Gitarrenarbeit auf, die so bislang bei SIX FEET UNDER lange nicht mehr zu hören war. Scheinbar hat Steve Swanson durch die Zusammenarbeit mit Ola Englund wieder Bock auf neue Ideen bekommen. Das zeigt sich auch in den folgenden Songs, die Gitarrenarbeit ist insgesamt frischer und facettenreicher als in den älteren SIX FEET UNDER-Werken. Zwar schient Chris Barnes immer noch dem Daumen auf den Songwriting zu haben, aber seinen Kollegen zumindest mehr Spielraum zu lassen – langweilige, schleppende Kiffermetal-Songs finden sich auf „Unborn“ nicht. Die zweite große Überraschung ist die Gesangsleistung von Mr. Barnes himself; so kraftvoll klang er schon lange nicht mehr. Zwar ist nicht alles auf „Unborn“ gelungen, heftige Nummern Marke „The Sinister Craving“ oder das als Hommage an die eigene Vergangenheit zu verstehende „Zombie Blood Curse“ machen ebenso viel Spaß wie das Blast-lastige „Alive To Kill You“. SIX FEET UNDER haben mit „Unborn“ ein überraschend vielseitiges Album geschrieben, das die Band auf dem richtigen Weg zeigt. Chris Barnes hat gut daran getan, der Band frisches Blut zukommen zu lassen und den auf „Undead“ eingeschlagenen Weg weiter zu gehen.
Peter Wichers nicht mehr mit dabei, das letzte Album nur so semi-spannend – und dann wollen Björn „Speed“ Strid mit einem Doppelalbum allen beweisen, das noch Leben in SOILWORK steckt? Spinnen die? Wer sich an „The Living Infinite“ wagt, wird schnell überzeugt sein und den Schweden zu Mut und Chuzpe gratulieren: die 20 Songs wirken wie aus einem Guss, sind gleichzeitig vielfältig und homogen. SOILWORK zeigen sich von ihrer besten Seite und haben ein facettenreiches Werk geschrieben, das keine Füller aufweist und von knackigen Songs (wie dem Opener „Spectrum Of Eternity“) bis zum experimentellen „The Windswept Mercy“ viel zu bieten hat. Björn Strid liefert eine seiner besten Leistungen ever ab; nicht nur als Sänger, sondern auch als Songschreiber, hat er es doch geschafft, seine Gesangslinien so gut zu arrangieren wie seit „Natural Born Chaos“-Zeiten nicht mehr. In der Gitarrenfraktion wird Wichers’ Weggang nicht gespürt, die Lücke schließt David Andersson souverän. Schlussendlich darf die Tatsache, dass sich bei 20 Songs kein Ausfall befindet, nicht unterschätzt werden – andere Bands nehmen so viele Songs für ein Album auf, nur um dann die Hälfte zu verwerfen, währen SOILWORK für „The Living Infinite“ auf durchweg erstklassige Stücke zurückgreifen konnten. So gibt’s richtig value for money und mehr als 80 Minuten erstklassigen Schwedentod. Das ist nicht einfach nur eine neue Scheibe, „The Living Infinite“ ist ein deutliches Lebenszeichen und der Beweis, dass mit SOILWORK wieder zu rechnen ist.