Bei SALTATIO MORTIS hat in sich in den letzten Jahren viel geändert. Einem kompletten Stilwechsel folgte nun der weitestgehende (Live-) Ausstieg von Schlagzeuger, Texter, Songwriter und „Live-Märchenonkel“ Lasterbalk dem Lästerlichen, der in Zukunft zwar noch hinter den Kulissen mitwirken wird, dem Tourleben aber zugunsten seiner Familie abgeschworen hat. Konzerte ohne ihn und seine Anekdoten erscheinen schwer vorstellbar, prägten sie doch zwei Jahrzehnte lang die Auftritte der Band, aber andererseits ist inzwischen ja sowieso alles anders im Hause SALTATIO MORTIS.
Bereits letztes Jahr erschien „Für Immer Frei“ erstmals, nun veröffentlicht die Band ihr jüngstes Werk noch einmal in aufgemotzter Version mit reichlich Zusatzmaterial. „Für Immer Frei (Unsere Zeit Edition)“ heißt das Ganze nun und präsentiert insgesamt 22 Songs auf zwei CDs. Vom Mittelalter-Rock haben sich die (Ex-)Spielleute bereits spätestens mit „Brot Und Spiele“ weitestgehend verabschiedet und sich seitdem dem Deutschrock verschrieben. Diese Linie wurde auch auf „Für Immer Frei“ beibehalten – schon der erste Track „Bring Mich Zurück“ hört sich an wie die TOTEN HOSEN in ihrer Stadionrock-Phase der jüngeren Vergangenheit, und daran ändert sich auch im weiteren Verlauf des Albums nicht viel: schrammelige Gitarren, Schlagzeug mit Punk-Tendenz und generell erhöhtem Tempo, viele „Ooohhh ohhh ooohs“ im Refrain, dabei wird wahlweise die Freiheit besungen oder der Zustand der Welt im Allgemeinen und Besonderen beklagt. „Palmen Aus Stahl“ kommt schwermetallisch und im Refrain fast schon mit einer Art Sprechgesang daher, bei „Mittelfinger Richtung Zukunft“ ist letzterer dann vollausgeprägt vorhanden. Die neue Ausrichtung der Band wird schon an den Songtiteln und Gastmitwirkenden offenkundig: bei „Mittelfinger Richtung Zukunft“ sind H-BLOCKX-Frontmanm Henning Wehland und Rapper SWISS / SWISS UND DIE ANDERN beteiligt, der Titel „Palmen Aus Stahl“ ruft unweigerlich Assoziationen an „Palmen Aus Plastik“ wach, und auch mit „Keiner Von Millionen“ und „Für Immer Jung“ wird sicherlich nicht zufällig auf andere deutsche Erfolgstitel angespielt. Neue Zeiten, neue Freunde.
„Loki“ und „Löwenherz“ versuchen noch eine Art Spagat zwischen Alt und Neu, was bei „Loki“ tendenziell besser gelingt, ohne das inzwischen offenbar obligatorische „Ohh ohh ohh“ geht es allerdings auch bei diesen beiden nicht ab. Das einzige Lied des regulären Albums, das genauso gut von einem der älteren Werke oder auch direkt vom nächsten Mittelaltermarkt stammen könnte, ist „Factus De Materia“ – hier wird noch Mittelalter in Reinkultur zelebriert, wie die Band es lange Jahre auf großartige Weise getan hat. Auf „Für Immer Frei“ wirkt das Lied, so gelungen es auch ist, daher eher wie ein musikalischer Fremdkörper, wie ein Relikt aus längst vergangener Zeit zwischen all den Versuchen, den modernen Zeitgeist zu treffen und die Message der Band rüberzubringen.
Der frühere Geschichtslehrer der Rezensentin pflegte zu sagen, man müsse immer von dem Allerdümmsten ausgehen. Zwar hat er damit grundsätzlich erschreckend oft recht, ob man diesen Satz deswegen allerdings zur Songwriting-Maxime erheben sollte, darüber lässt sich wohl streiten. Der Wechsel von subtileren, mit Metaphern versehenen Texten hin zur, sagen wir mal, Brachial-Lyrik bei SALTATIO MORTIS ist von der Band nach eigenen Aussagen durchaus intendiert und dem Wunsch geschuldet, die eigene Meinung zu bestimmten, als wichtig erachteten Themen klar, eindeutig und ohne jeden Interpretationsspielraum verstanden wissen zu wollen. Das mag man nun grundsätzlich mögen oder nicht, aber einige Passagen – oder sollte man besser sagen: Entgleisungen? – lassen sich auf diese Weise trotzdem nicht erklären. Wenn man von Musikern, die zuvor wohlformulierte Texte über Götter, Titanen und andere mythische Gestalten verfassten, plötzlich Zeilen hören muss wie „Seitdem du weg bist, geht´s mir geil“, dann schmerzt das und ist auch durch die beste politische Absicht der Welt nicht schönzureden.
Aber wenden wir uns dem Bonusmaterial der „Unsere Zeit“-Edition zu. Hier kredenzen SALTATIO MORTIS eine Mischung aus neuen Songs, alternativen Versionen und Cover-Versionen. Der erste Track „Nie Allein“ hat das Zeug, zusammen mit dem einschlägig bekannten Material der TOTEN HOSEN zur Fußball-/ Stadionhymne erhoben zu werden, die man auch problemlos noch in volltrunkenem Zustand aus voller Kehle schmettern kann. „Unsere Zeit“ und „Funkenregen“ ziehen das Tempo nochmal deutlich an. „Wellerman“ braucht man nicht mehr groß vorzustellen: es ist natürlich ein nettes Lied und passt auch durchaus zur Band, krankt aber leider etwas daran, dass es nun mal inzwischen bereits ungefähr eine Million Versionen davon gibt und vermutlich kaum jemand das dringende Bedürfnis nach einer weiteren haben dürfte. Mit „My Mother Told Me” hingegen kehren SALTATIO MORTIS in ihr ureigenes Terrain zurück – zwar mögen böse Zungen ihnen hier Anbiederei an den aktuellen Wikinger-Trend vorwerfen, aber sei´s drum: der Song, die Thematik und das archaische Flair stehen der Band einfach verdammt gut zu Gesicht. Auch wenn „My Mother Told Me“ auf die Serie „Vikings“ zurückgeht, so liegt die textliche Grundlage doch in der sehr viel älteren Egils-Saga, und tradiertes Material, Mythen und andere Überlieferungen waren schließlich von jeher eine der großen Stärken von SALTATIO MORTIS. Mit auschließlich altnordischem Text wäre das Ganze vielleicht sogar noch ein kleines bisschen stimmungsvoller gewesen, aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Ganz abgesehen davon, freut man sich ja inzwischen angesichts manch deutscher Textzeile ohnehin über jegliches fremdsprachige Material, egal in welcher Sprache es verfasst ist. Bitte mehr davon! Was die Band hingegen dazu veranlasst haben mag, „Hypa Hypa“ von Eskimo Callboy zu covern, erschließt sich einem nicht ganz so leicht. Die Bonus-CD schließt mit Alternativ-Versionen von „Geboren Um Frei Zu Sein“ und „Nie Allein“, wobei letzteres im akustischen Gewand und dadurch etwas weniger schunkelig, bier- und stadionselig als die reguläre Albumversion daherkommt.
Abschließend lässt sich sagen, dass SALTATIO MORTIS ihrer neuen Linie treu bleiben und fast schon mit Gewalt bestrebt scheinen, sich zu modernisieren. Da wird auf verschiedene Musikstile und Themen geschielt, mit Gastmusikern experimentiert und musikalisch ausprobiert. Natürlich ist es künstlerisch verständlich, wenn eine Band sich weiterentwickeln oder andere musikalische Pfade beschreiten möchte, und es ist klar, dass man es niemals allen recht machen kann. Was dabei allerdings leider etwas auf der Strecke geblieben ist, ist die ursprüngliche Originalität, die die Band einmal ausgemacht hatte – sie hatten ihre eigene Nische mit ihrem eigenen Härtegrad und standen in dieser Nische relativ für sich allein, auch wenn der Weg zu den Kollegen vielleicht nicht gar zu weit war. Jetzt haben sie sich neu erfunden - wobei der Erfolg ihnen ja offensichtlich recht gibt -, klingen dabei aber nur gar zu oft, als würden sie einfach nur jemand anderen kopieren. Das ist schade, aber letztendlich natürlich auch Geschmackssache. Mit Mittelalter-Rock hat das, von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen, nichts mehr zu tun. Wer hingegen geradlinigen, schrammeligen Deutschrock mit simplen Riffs und Mitsingrefrain mag, ohne sich dabei an reichlich Gesellschaftskritik zu stören, wird zu „Für Immer Frei“ wahrscheinlich wunderbar feiern (und trinken) können und somit auch an der „Unsere Zeit“-Edition sicherlich seine Freude haben.
Nicht zu übersehen ist jedoch, dass der Kontrast zwischen altem und neuem Material inzwischen so groß geworden ist, dass er nahezu unüberbrückbar erscheint und sich daher die Frage stellt, ob es nicht langfristig gesehen vielleicht besser für alle Beteiligten wäre, den Spagat aufzugeben und SALTATIO MORTIS in Zukunft als zwei verschiedene Projekte weiterzuführen: eins mit alter und eins mit neuer Ausrichtung. Diese Herangehensweise würde der Band alle Freiheit lassen, sich musikalisch auszuprobieren und umzuorientieren, ohne dabei zwangsläufig ihren alten Stil komplett an den Nagel hängen zu müssen, und sie würde gleichzeitig den verschiedenen Fan-Fraktionen ersparen, sich bei Konzerten ein halbes Set oder mehr an Material anhören zu müssen, mit dem sie beim besten Willen nichts anfangen können, alles in der Hoffnung, vielleicht am Ende doch noch ein paar Songs kredenzt zu bekommen, die ihnen tatsächlich gefallen. Es wäre allen damit gedient.
Nun ist es endlich da: Das neue KÄRBHOLZ-Album. Nach vielen Verzögerungen und diversen Release-Verschiebungen kommen die Chartstürmer endlich mit „Kontra“ aus dem Quark und präsentieren ihre Version von deutschsprachiger Rockmusik. Eins vorweg - die Welt wird sich auch nach „Kontra“ weiterdrehen. Die Band liefert genau den Stoff, welchen die Fans von ihr verlangen. Räudiger Gesang paart sich mit einprägsamen Riffs, die immer eine Mischung aus den HOSEN und den ONKELZ darstellen. Soweit so gähn, aber KÄRBHOLZ schaffen sich trotzdem ihre ganz eigene Lücke und Vision von deutschsprachiger Musik. Hier werden auch gerne mal Umwege und der Fuß vom Gaspedal genommen, um neue Stilelemente einzubringen. Natürlich dürfen auch ruhige Klänge nicht ganz fehlen. „Voran“ wartet mit einer sanften Gesangsstimme auf, die einen Gegenpol zu den meist rohen Vocals bietet und überzeugt mit cleanen Gitarren, Klavier und Violinen. Guter Song, der die weiche Seite von KÄRBHOLZ bestens aufzeigt. Einen ganz anderen Weg schlägt der Song „Rückenwind“ ein. Hier fühlt man sich ein wenig an THE BOSSHOSS erinnert, und ein typisches Western-Feeling kommt auf. Man kann förmlich die Strohballen über die Route 666 rollen sehen… Etwas seltsam und durchaus gewagt kommt „Easy“ durch die Boxen. Hier dominieren Beats aus der Konserve und ein durchaus tanzbares Grundkonzept. Nicht gut und nicht schlecht, aber gewiss nicht passend für ein Album wie „Kontra“.
Ansonsten dominieren solide bis wirklich gute Deutschrocker, die oftmals kritische Themen intelligent beäugen und auch interessant vertont werden. Textlich distanziert man sich gleich im Opener von der AFD/NPD-Fraktion und stellt klar: „Es darf nie wieder sein wie vor 88 Jahren“. Klar, es gibt viele Songs gegen rechtes Gedankengut, aber einer mehr kann bestimmt nicht schaden. Die Hooks, das wahrscheinlich wichtigste Element auf einer Platte dieses Genres, treffen alle sicher das angesteuerte Ziel und dürften live für gute Laune sorgen.
Die Ampel zeigt also insgesamt grün für KÄRBHOLZ, die sich hier zwar kein Denkmal gesetzt haben, aber für solide und gute Kost sorgen. Der Mut zum Experimentieren steht der Band gut zu Gesicht, aber zu viel sollte man in Zukunft auch nicht wagen, wie der Song „Easy“ beweist. Nach dem Schulnotensystem würde ich hier eine Zwei minus vergeben – die Versetzung ist somit nicht gefährdet und wird durch einen zu erwartenden Chart-Einstieg untermauert werden.
Man könnte es sich sehr leicht machen und die Band aus Ruppichteroth in der Nähe von Köln als müden Abklatsch der TOTEN HOSEN, ÄRZTE oder BÖHSEN ONKELZ abtun, aber diese sich schon fast von selbst aufdrängende Kritik greift einmal mehr definitiv zu kurz. Der einzige "Vorwurf", den man KÄRBHOLZ machen kann, und das ist auch schon meine Hauptkritik an "Herz & Verstand", dem inzwischen achten Album des Quartetts, ist, dass sie genau diesen oben genannten Referenzen keine neuen Nuancen entgegensetzen, sondern ein relativ mutloses musikalisches Fundament legen, nämlich konservativen, zugegebenermaßen öfter mal relativ harten (Hard-) Rock ohne große Experimente. Dieser Umstand hebt die Band zwar wenig von ihren Stadien füllenden Kollegen ab, dafür kann sie mit fast durchweg gutem Songwriting und intelligenten Texten aufwarten. Die Märtyrerrolle liegt den Jungs dabei ebenso fern wie banale "Tage Wie Diese"-Schunkeleien oder gesellschaftlicher Pessimismus, denn KÄRBHOLZ versprühen sehr viel positive Energie und stellen eine sehr erdige Form von Lebensbejahung und Freiheitsgefühl in den Mittelpunkt, sehr gut zu hören in Stücken wie den flotten "Tabula Rasa", "Keiner Befiehlt", "Herztier", "Mein Persönlicher Krieg", "Falsche Alternativen" (ein Schelm, wer da keine leise politische Botschaft heraushört...), "Meine Melodie" oder den wenigen ruhigen Momenten wie "All Meine Narben" (saucoole Nummer!), "Alle Systeme Auf Vollgas" und "Zwischen Uns" (klasse!). Lediglich die etwas banalen, platten "Musizin", "Mutmacher", "Stein & Sand" und "Frei Sein" fallen gegenüber dem stärkeren Rest hörbar ab. Für einen "Tipp" langt es am Ende nicht, aber "Herz & Verstand" ist ein gelungenes und über einige Strecken sehr gutes Album, das mir persönlich zwar etwas zu porentief rein daherkommt, Deutschrockfans aber klassischen Stoff bietet, an dem objektiv nur wenig auszusetzen ist.
Nach dem sehr gelungenen Ausblick "Zwischen Emscher & Lippe" liegt mit der Doppel-CD "Bier Ernst" nun das inzwischen siebte Langspielwerk der trinkfreudigen Truppe um SODOM-Kopf ONKEL TOM Angelripper vor. Und man kann wie immer festhalten, dass das Album niemanden bekehren wird, der Toms Zweitband bereits seit ihrer Gründung im Jahr 1995 nichts abgewinnen kann. Zwar haben die ernsteren Untertöne (besonders auf der zweiten CD) etwas zugenommen, aber primär geht es nach wie vor um den guten Freund Alkohol, dem mit Stücken wie "Flasche Zu Flasche" (sehr gute Nummer!), "Wir Trinken Wenig" (im Original von Mike Krüger), "Durst Ist Schlimmer Als Heimweh", "Jacky Cola", "Trunkenbold" (im Original von TORFROCK) oder "Bier Bier Bier" gefrönt wird. Auf besagter zweiten Scheibe finden sich etwa mit "Ich Finde Nur Metal Geil" (cool!), "Ich Muss Hier Raus", dem oben erwähnten "Zwischen Emscher & Lippe", "Auf Dünnem Eis" oder "Das Blaue Buch Des Lebens" einige Songs, die nicht von flüssigem Brot handeln, stellenweise düstere Inhalte offenbaren und mich in Sachen Songwriting sogar bisweilen dezent an die BÖHSEn ONKELZ erinnern. Lediglich die beiden gruseligen Nummern "Von Arschlöchern Für Arschlöcher" und das abschließende "Polizisten" hätte sich das Quintett klemmen können, ansonsten ist "Bier Ernst" von vorne bis hinten eine sehr unterhaltsame Angelegenheit geworden, die einmal mehr zwar nicht als Meisterwerk durchgeht, jedoch eine äußerst spielfreudige Band auf qualitativ hohem Niveau präsentiert, deren Gesamtkonzept man eben mögen muss. Weitere Argumente für diesen Doppeldecker sind die fette Produktion sowie das sehr ansehnlich aufgemachte Digipak mit dickem Booklet. In dieser Form darf ONKEL TOM also gerne noch ein paar Jährchen weitermachen!
Neben den überwiegend hochqualitativen Erzeugnissen aus dem Hause SODOM hat mich Tom Angelrippers zweites Standbein ONKEL TOM immer herzlich kalt gelassen; nicht mal der jährliche Absch(l)uss in Wacken konnte mich seinerzeit auch nur ansatzweise mitreißen. Daher war meine Erwartungshaltung, was diese neue EP betrifft, eher neutral, um es diplomatisch zu formulieren. Doch mit dem Titelsong hat der trinkfreudige Barde nebst Begleit-Quartett eine echte Sternstunde hymnischen Deutschrocks abgeliefert, die nicht das Mitgröl-hoch-die-Tassen-Konzept aufkocht, eher nachdenklich und getragen daherkommt und die raue Jugend im Ruhrpott thematisiert - definitiv nicht partytauglich, sondern melancholisch. Dieses Niveau können das lahme "Für Die Ewigkeit" mit Gastsänger Torben Höffgen von KÄRBHOLZ am Mikro (Thema: Schalke) sowie das deutliche rockigere, etwas stärkere "Die Erben Des S04" (dreimal dürft Ihr raten...) nicht halten. Zusätzlich gibt es noch eine gelungene Live-Version des "H.E.L.D."-Vinyl-Bonustracks "Ruhrpott" aus Erfurt nebst kultiger Ansage: "Es dürfen natürlich auch Leute auf die Bühne, aber jetz´ noch nich´!". Insgesamt geht "Zwischen Emscher & Lippe" jedoch trotz des starken Titeltracks größtenteils als Erzeugnis für beinharte ONKEL TOM- und Schalke-Fans durch, auch wenn die ernsteren Töne den einen oder anderen Hörer mit Vorurteilen überraschen könnten.
In seiner Biografie auf der Homepage behauptet das Quintett aus Leipzig, dass es zwischen Deutschrock, Punk, Metal und Pop seinen eigenen Stil gefunden habe und „fernab von jeglichem polemischen Garagenrock“ stehe. Derartige Selbstdarstellungen kann man in etwa so ernst zu nehmen wie die Aussage, dass es in der DDR demokratische Wahlen gab. SAITENFEUER spielen zugegebenermaßen etwas härteren Deutschrock, der jedoch mehr mit Pop als mit Metal oder Punk zu tun hat. Sie wollen lieber tote Hosen als böse Onkels oder dritte Wahl sein, und um Arzt zu werden, haben sie definitiv zu wenig Wortwitz und Selbstironie. In den Club der stillen Sportfreunde könnten sie mit „Kein Zurück“, ihrem zweiten Album seit der Gründung im Jahr 2008 (rechnet man die Neuaufnahme des Debütalbums „Auf Und Davon“ nicht mit), jedoch mühelos eintreten. „Kein Zurück“ ist ein über weite Strecken hymnisches, kraftvolles Album, das vom (hard-) rockigen Fundament der Herren Benny Mertens, Roberto „Norbi“ Weise (Gitarren), Robert Kunze (Bass) und Johannes Kreißig (Drums) genauso lebt wie vom glasklaren, wenn auch etwas uncharismatischen Gesang (Carsten Thiecke). Musikalisch ansprechend und handwerklich sauber, stört eher die porentiefe Reinheit der Songs, die immer schön mit eingängigen Mitgröl-Refrains und textlich banalisiert eher Kirmesabende (inklusive Wacken) beschallen können als zum Nachdenken anregen – Schmutzfaktor Null. Wer es jedoch genau so gemäßigt und radiotauglich mag, wird mit Songs wie „Bis Ins Herz“, „Begierde“, „Flussaufwärts“ (richtig gut und mein persönliches Highlight!), „Komm Mit Mir“ oder „Das Ist Der Moment“ kein Problem haben und „Kein Zurück“ als hörenswertes, aber inhaltlich wenig gehaltvolles Werk neben „Ballast Der Republik“ im Regal einreihen.
Mensch eine Live-DVD von SPLIFF, da wurde es aber echt auch mal Zeit. Die Herren Herwig Mitteregger, Bernhard Potschka, Manfred Praeker und Reinhold HeiL lernten sich ursprünglich mal Ende der 80er kenne und waren zunächst als NINA-HAGEN-(Begleit)Band bekannt geworden. Ab 1980 zog man es aber vor sich lieber selbstständig zu machen und war fortan als SPLIFF unterwegs und brachte bis zur Auflösung 1985 vier Alben unters Volk.
Aus der Reihe "Live at Rockpalast" gibt es jetzt historisches Material aus den Jahren ab 1981/82 von zwei Konzerten zu hören und natürlich sehen und die Aufnahmen belegen recht eindrucksvoll den ganz speziellen SPLIFF-Sound: deutschsprachige (obwohl das Debüt sogar in English war) Rockmusik mit starker Betonung elektronischer Parts wobei insbesondere das elektronische Schlagzeug und die prägnanten Keyboardsounds von Reinhold Heil hier ihren Beitrag leisteten.
Die Band wird ja in vielen Texten der NDW zugeordnet, was ich aber nie so recht verstanden habe, denn mit diesem vielfach oberflächlich-einfachen Spaßgedudel so ab 1981 hatte die Berliner eigentlich nicht viel am Hut. Klar einer ihrer größten Hits „Carbonara“ war ein lustiger Track und paßt da bestens ins Klischee aber ansonsten war man musikalisch doch wesentlich hochwertiger aufgestellt als viele andere NDW‘ler. Das jahrelang von vielen Fans erhoffte Comeback der Jungs hat sich ja mittlerweile leider erledigt, da am 12.09.2012 der damalige Bassist Manfred Praeker leider überraschend verstarb - ohne sein prägnantes funkiges Bass-Spiel sowie seine tolle Stimme u.a. bei der Hammerballade „Heut‘ Nacht“ – ist die Band für mich unvorstellbar.
Die Aufnahmen der DVD beginnen mit einem Konzert von 1983 mitten in der Pampa als man am 20.05.1983 in Elspe (Sauerland) aufschlug und dort am Abend erhebliche Stromengpässe verursachte. Mehrfach viel auch gut hörbar aufgrund zu schwachen Leitungen das Equipment aus so dass Synthies, Verstärker und das Plastikschlagzeug mehrfach stockten, den Geist aufgaben oder nicht die volle Leistung brachten. Ja wie sang die Band damals schon recht treffend „Computer sind doof“ wie war aber die Band lies sich nicht beirren und legte ein enorm intensives, spielfreudiges und stimmungsvolles Konzert hin.
Egal, ob der für mich beste Song der Band "Déjà Vu", Jerusalem", "Notausgang", „Kill“, "Heut' Nacht", "Das Blech", „Herzlichen Glückwunsch“, natürlich “Carbonara“ oder auch "Rock Is A Drug" die Band zeigte ein Hammerset und das Publikum in der proppenvollen Halle ging ebenfalls sofort gut ab. Drummer Herwig Mitteregger wechslet ob gewollt oder nicht auch mal an ein „richtige“ Naturschlagzeug (paßt aber auch sehr gut) und auch Tastenmann Heil ist viel unterwegs und geht auf’s Publikum zu, klatsch ab und wünscht locker nen guten Abend. Die Band kommt absolut sympathisch rüber, profitiert auch von ihren drei Sängern und zeigt dabei SPLIFF wohl auf dem Höhepunkt der Karriere. Trotz der vielen technischen Pannen kommt das Konzert irgendwie sehr ehrlich rüber. Klar, die Qualität ist sicherlich nicht die Beste und auch von den Aufnahmen und Schnitten her ist dies nicht der Stand heutiger DVD-Technik - aber hey dass hier ist ein amtliches Zeitdokument mit dem vollen Charme der 80er Jahre, wer das nochmal erleben will oder nachzuvollziehen versuchen ist hier goldrichtig.
Da muß man dann halt mal verzeihen, dass bei "S.O.S." fast kein Bass zu hören ist und Tastenguru Heil mit seine Keyboard und Moogsgebirgen, die öfters etwas zu weiten nach hinten gemsicht sind dafür aber das Elektrodrum viel zu zu laut erscheint. Egal die Jungs verströmen dafür die Spielfreude pur, die Kapelle zockt mit viel Herz und Verstand und reißen die Fans förmlich mit.
Nach diesem Gig gibt es ein lustiges (nicht nur wegen der typisch bunten Klamotten) Interview mit Spliff, dass geringerer als der junge „Uns“ Tommy Gottschalk führt und die Jungs gewohnt locker und flapsig ausfrägt. Die knappen 2:43 Minuten im Vorfeld des Rock-Pop Festival am 19.12.1981 in der Dortmunder Westfalenhalle sind sehr unterhaltsam es geht locker zu und hätte ruhig noch etwas länger gehen dürfen. Genauso wie die sieben Songs, die mit einem "Intro" starten und qualitätsmäßig den Sauerland deutlich in den Schatten stellen. Der Sound ist wesentlich voluminöser, die Bilder sind etwas wesentlich abwechslungsreicher Man gibt hier wohl zum ersten Mal neues Material vom kommenden Album "85555" vor, dass zu dem Zeitpunkt noch gar nicht veröffentlicht war. Es war das erste in Deutsch und war nach seiner Katalognummer benannt. Insbesondere "Heut' Nacht“ ist gänsehautmäßig geworden, es gibt auch noch etwas Material aus der Vorgängerscheibe "The Spliff Radio Show.
Unter dem Strich kann man allen Fans und natürlich auch Nostalgikern diese DVD nur wärmstens empfehlen. Wie gesagt Hochglanzmaßstäbe heutiger Veröffentlichungen muß hier natürlich außen vor lassen (es gibt auch nur einen PCM-Stereo-Sound) aber so bekommt man über zwei Stunden amtliche Deutschrockvollbedienung mit großem Spaßfaktor aller Beteiligten von einer Band die den Sound der 80er maßgeblich geprägt hat.
9MM (Assi Rock ‘n‘ Roll) habe ich mit ihrem schwer nach vorne gehenden Deutschrock / Heavy Metal 2011 das erste Mal Live gesehen und seit dem durchaus einen Blick auf die Truppe geworfen – und nun kommen sie kurz vor Ende des Jahres mit „Volle Kraft Voraus“ noch mal einem neuen Studioalbum daher.
Songs wie „Jetzt Feiern Wir Mit Freunden“ oder auch insbesondere „Prosit“ sind dann direkt klassische Sauflieder deren Titel eigentlich den Inhalt vorweg nimmt: Wenn „Jetzt feiern wir mit Freunden und scheißen auf den Rest“ als Lyrics mit entsprechend simplen & trotzdem mächtigen Powerchord-Riffs und Einspielern aus einer Kneipenszene mit klirrenden Biergläsern kombiniert werden kommen hier zwangsläufig wunderbare Partysongs bei rum - welche man bei 9MM aber auch erwarten würde. Wer es lieber textlich etwas abwechslungsreicher mag könnte an Songs wie „Mainstream“ oder „Popstars 2015“ gefallen finden; mit wenig subtiler Kritik an den jedes Jahr neu durch die Massenmedien generierten „Popstars“ kriegt man bei „Volle Kraft Voraus“ also auch Musik & Texte abseits von Kneipenfantasien präsentiert. Das wird übrigens auch noch mal durch den mit Manowar-mäßigen Chor-Elementen gespickten Song „Libertad o Muerte“ bewiesen – eine Nummer die ich nun beim besten Willen nicht erwartet hätte.
Davon abgesehen, dass das Album meiner Meinung nach etwas stark basslastig abgemischt daher kommt und der ein oder andere Song („Die Nach Der Werwölfe“) eher unnötig, da wenig spannend ist: „Volle Kraft Voraus“ ist ein solides Deutschrock-Album, welches zwar gefühlt ein ordentliches Stück weniger Metal-Elemente beinhaltet als etwaige Vorgänger, dafür zweifelsohne trotzdem noch Spaß macht und sich auch so neben die anderen Pressungen von 9MM einreihen darf.
Woher diese vierköpfige Truppe kommt, muss man wohl nicht erklären, wohl aber, dass sie primär nach einer nicht mehr existenten Frankfurter Kapelle tönt, wie (leider!) viel zu viele deutschsprachige Rockbands der letzten Zeit. Positiv ist bei den HAMBURGER JUNGZ zu werten, dass sie sich keine Märtyrernummer auf die schwarz-weiß-blaue Fahne geschrieben haben. Zusammen mit Lotto King Karl, der hier einen Gastauftritt hat (im Song „Irgendwie“, einer etwas platten, aber sympathischen Liebeserklärung an die große Hansestadt), lassen die Jungz den netten, saufenden Proll raus, was „Rock´n Roll, Fußball & Tattoos“, das zweite Album der Band, musikalisch aber auch nicht retten kann. Da gibt es die üblichen Fußballhymnen „Rautengeil“ (bei dem auch die Kollegen von ABSCHLACH! zu hören sind; der Song handelt übrigens nicht vom FC St. Pauli…) und „Fußballgötter“ (mit dem üblichen Wir-werden-bei-der-EM-siegen-Gedöns, das die deutlich cooleren KNEIPENTERRORISTEN bereits in ähnlicher Form verwurstet haben), die Wir-sind-die-Geilsten-Rocker („Mit Gottes Segen In Die Hölle“ und „Jungz United“) sowie tatsächlich ein halbwegs gelungenes Stück über Kindesmissbrauch in der Kirche („Der Schein Trügt“), das sogar einen Kinderchor auffährt, leider aber textlich wie der Rest in Sachen Flachheit sogar Holland als Mittelgebirge dastehen lässt. Die beiden dieses Album beschreibenden Adjektive sind bereits erwähntes „sympathisch“ sowie „belanglos“.
Seit dem Ableben der ONKELZ versucht jede Bauerntruppe, die Lücke zu schließen, die die Frankfurter hinterlassen haben. Das eine Problem ist nur, dass die Erfolgsgeschichte der wahrscheinlich umstrittensten deutschsprachigen Rockband einmalig war und nicht auf Kommando von jedem beliebigen Haufen Vollpfosten kopiert werden kann. Das andere Problem ist, dass es diesen Möchtegerntruppen anscheinend noch niemand gesagt hat. Bands wie die KNEIPENTERRORISTEN oder auch die HAMBURGER JUNGZ gehen das ganze Thema mit mächtig Jux und Dollerei an, nehmen sich dabei nicht ernst und machen dadurch sogar ordentlich Laune, aber STÖRTE.PRIESTER gehören zu den Combos, die sogar die von den ONKELZ selbst völlig ausgelatschte Märtyrerrolle für sich einnehmen wollen – garniert mit dem Hinweis, ja kein politisches Lager bedienen zu wollen. Den Hinweis hätte es aber nicht gebraucht, da Stücke wie „Rock Aus Der Hölle“, „Sie Ist Abgehauen“ (Ich kann mir auch denken, warum…) „Sexgott“ (Argh!) oder der Bonustrack „Mein Herz Mein Land“ (Stammtisch-Prollgehabe, tatsächlich ohne politisches Motiv) sowohl textliches als auch musikalisches Vakuum bieten, das man sich vor lauter Fremdschäm-Attacken kaum am Stück reinziehen kann. „Höllenrock“ ist platt, humorlos, unkritisch und schlichtweg überflüssig.