Eines mal vorweg: diese Veröffentlichungsflut von DIO-Tribute-oder-wie-auch-immer-Gedächtnis-Werken in den letzten Monaten empfand ich als völlig daneben, hat mir aber auch gezeigt, dass die Metalszene, genau wie der normalerweise von uns allen verhasste Mainstream, anfällig für Leichenfledderung im kommerziellen Sinn ist. Ronnie James Dio, der vielleicht einflussreichste, aber auch stets fannahe, Metalsänger aller Zeiten, hätte das vermutlich genauso zum Kotzen gefunden, aber egal. „At Donington UK“ ist ein von Dios Ehefrau Wendy offiziell autorisiertes Doppelalbum, das das beste aller nach seinem Tod veröffentlichten Werke darstellt. 1983 und 1987 (als Vorband von BON JOVI, hahahahaha!) spielten DIO jeweils einen Gig im englischen Donington Park; mit dem seinerzeit aktuellen Debüt „Holy Diver“ sowie später mit „Dream Evil“ im Gepäck. In die beiden genialen Setlists mischen sich natürlich (früher mehr, später weniger) diverse Klassiker aus der RAINBOW-, und BLACK SABBATH-Ära des Sängers, die genauso intensiv und spielfreudig dargeboten werden wie das damals aktuelle Material. Auch Dios Affinität zu Medley-artigen Spielereien und spontanen Bereicherungen der Songs kommt hier vollends zur Geltung, wenn etwa „The Last In Line“ mal eben mit einem Auszug aus „The Temple Of The King“ (Gänsehaut pur!) garniert und später im Set als Reprise fortgesetzt wird. Ähnliches gilt für „Man On The Silver Mountain“ und natürlich die Langfassung von „Heaven & Hell“ (die der auf „Live Evil“ sehr ähnelt), die zusammen mit Dios coolen Ansagen unendlich viel Spaß machen. Auch das Publikum wurde bei der Aufnahme nicht übergangen und ist stets präsent, nachzuhören beim Mitgrölspielchen in „Long Live Rock´n´Roll“. Um es kurz zu machen: „At Donington UK“ ist noch stärker als „The Last In Live“, gehört zu den besten Live-Dokumenten der letzten Zeit und versprüht eine ähnlich warme Atmosphäre wie DEMON´s Götterwerk „One Helluva Night“. Auch wenn Dio noch leben würde (also ohne Sentimentalitätsbonus), wäre dieses Doppelalbum ein Pflichtkauf für jeden Metaller. Ein grandioses Zeitdokument!
ANATHEMA haben schlanke sieben Jahre für ihr neues Werk gebraucht, von der zwischenzeitlichen Verwurstung eigener Songs auf “Hindsight” einmal abgesehen. Anno 2010 also endlich neues Material der ex-Death Metaller, was wie erwartet verträumt, melancholisch und progressiv ausgefallen ist. Selten, dass etwas mehr Tempo und Härte in einem Song zu finden sind („Angels Walk Among Us“), zu sehr haben Vince Cavanagh und Co. mittlerweile Gefallen an den ruhigeren Tönen gefunden. Getragen von der charismatischen Stimme des Masterminds Vince, die sich seit ihren unbeholfenen Anfängen zu einer kraftvollen und gleichzeitig zerbrechlichen Stimme entwickelt hat, bauen die Songs von „We’re Here Because We’re Here“ problemlos die träumerische, melancholische Stimmung auf, für die ANATHEMA so geliebt werden. „Thin Air“ ist der perfekte Einstieg in das Album, welches sehr homogen ausgefallen ist und am Besten am Stück gehört werden sollte, um die Atmosphäre zur vollen Entfaltung kommen zu lassen. Natürlich besteht die Gefahr, dass ANATHEMA sich zu sehr auf den sanften Kurs einschießen und beim nächsten Langeisen die kraftvollen Passagen gänzlich unter den Tisch fallen lassen, aber soweit sind wir ja noch nicht. „We’re Here Because We’re Here” vereint Vergangenheit und Gegenwart des künstlerischen Schaffens der Briten in gekonnter Art und Weise, was das Album zu einem Pflichkauf für Fans der Band macht. Ob sich beinharte Metaller damit anfreunden können, bleibt abzuwarten. Und ob im Popbereich neue Fans gewonnen werden können, ebenso. Zu wünschen wäre ANATHEMA beides, denn dieses Album ist viel zu gut, um als Geheimtip zu versauern!
Andy Brings ist als ehemaliger SODOM-Gitarrist und Kopf von POWERGOD und den TRACELORDS kein ganz Unbekannter im Metal-Geschäft. Fans der eben genannten Bands wird sein Solo-Album „Rock ´n´ Roll“ in Erstaunen versetzen – und ebenso ist es mir ergangen. Zunächst muss man sich erst mal daran gewöhnen, dass Herr Brings hier fast ausnahmslos auf Deutsch singt. Dabei erzählt er banale sowie mehr oder weniger lustige Geschichten und gibt schmalzige Liebeslyrik zum Besten. Aber auch die Songs selbst passen so gar nicht zu dem, was man von dieser Scheibe erwartet hat. Die Musik muss man wohl als Mischung aus Pop, (Hard-)Rock und … ja, Schlager bezeichnen. Diese Kombination klingt in ihren besten Momenten wie die ÄRZTE in ihren schlechtesten, ohne dass Brings deren Wortwitz jedoch auch nur ansatzweise erreicht. In „Komm Zurück“ versucht er sich dann – völlig unironisch – sogar an Rap, und das kann man sich einfach nicht anhören, so fürchterlich ist das. Diese Scheibe mit ihrem schwachbrüstigen Sound, der oberflächlichen Einheitsbrei-Mucke und den pseudowitzigen Texten ist ein echtes Machwerk. Keine Ahnung, wer das Zielpublikum des Albums sein soll, ich gehöre jedenfalls definitiv nicht dazu.