Die Band NEUROTOX legt mit „Echt“ ihren sechsten Longplayer im zehnten Jahr Bandgeschichte vor. Die Band aus Rheinberg/Wesel hat sich zum Jubiläum schöne „Geschenke“ für die Fans ausgedacht: den Release gibt es als Digi mit Studio-Album auf der ersten und einem Livemitschnitt auf der zweiten CD und als Box-Set mit tollen Goodies wie Beanie, signierten Plektren und Drum-Stick-Schlüsselanhänger, Stickern und Autogrammkarte. Ich persönlich bevorzuge es, einen richtigen Tonträger in der Hand zu halten, im Booklet Songtexte nachlesen zu können und solche reichhaltig ausgestatteten Box-Sets sind auch irgendwie ein Dankeschön an alle, die Musik tatsächlich noch kaufen und nicht nur streamen, woran Bands ja bekanntlich so gut wie nichts mehr verdienen.
Das Album geht mit dem Titelsong gleich in die Vollen und es gibt Punkrock in unterschiedlichen Variationen zu hören. Da könnte man z. B. DIE TOTEN HOSEN oder DIE ÄRZTE erwarten, oder auch mal fetteren CALIFORNIA SKATE PUNK, wird dann aber doch auf eine etwas andere Schiene geleitet, denn Bennys Gesang ist jetzt nicht unbedingt der feinste und die Texte nicht die poetischsten. Das Ganze ist definitiv Richtung Party mit alkoholischen Hopfen-Getränken ausgelegt, bei der Anreise zum Festival oder hinterher auf dem Campingplatz. Musikalisch gefällt es mir gut, aber mir persönlich sind die Texte etwas zu simpel und zu „alles schon mal da gewesen“ (wobei: ist hier für irgendeine Band noch etwas zu holen? Fragen wir Gutalax....). Insgesamt ganz gut, aber der Song, der tatsächlich für einen halben Punkt-Abzug sorgt, ist „Weniger Schlafen“; „Weniger scha la la la la la lafen und mehr sau sau saufi saufi saufen...“ Meinen die das Ernst? Der Gegenpol hierzu kommt kurz darauf mittels echt schönen Piano Versionen von „Heute Nacht“ und „Nur einen Herzschlag“,
Ich empfehle das Album allen, die auf DEUTSCHROCK stehen und/oder bei Songs die Lyrics nicht so wichtig sind. Es gibt von mir 3,5 von 5 möglichen Schweissbändern. Vom Spaßfaktor der vierköpfigen Gruppe kann man sich auf der kommenden Tour ab September machen.
Der Marcel ist ein Dummer, aber EXISTENT sind nicht scheiße. Der Opener klingt sehr typisch nach dieser Neuen Deutschen Härte, mit Marcels leidend-pathetischem Gesang und diesen eingängigen-klebrigen Zeilen, leicht aufdringliche Refrain gibt es auf der CD immer wieder. Ab er wer genau hinhört, der bemerkt hier schon einen anderen Ansatz: Nicht Underdog-Gejammer, sondern Gesellschaftskritik ist angesagt. Und in der Folgezeit beschränken sich die Hamburger Jungs nicht auf das Kopieren der Deutschrock- und Metall-Blaupausen von BO über DTH und DÄ bis RS. Das ganze Feeling ist punkiger als vieles im polierteren Deutschrock-Bereich, trotz sehr, sehr, sehr professioneller Produktion. Das Prädikat der Kompetenz verdient sich auch die Präsentation – das golden-schwarze Make-Up der Jungs auf Fotos und in Videos sowie das Layout des Digi-Packs (inklusive Poster) sind echt schick und markieren einen weiteren Schritt nach vorn. Klar, es gibt immer wieder Parallelen zu den genannten Platzhirschen, aber im Groben machen die Hansestädter ihr eigenes Ding und letzteres bringt Spaß. Das Abschluss-Duo „Willkommen im Untergang“ und das Klavier-Outro „Untergang“ – „…die Welt ist abgedreht, bevor dieses Stück zu Ende geht…“ – lässt einen aber recht nachdenklich zurück. Wer hätte schon gedacht, dass die Titanic jemals untergeht? Aber wenn das schon alles so kommen wird, dann gibt es ja immer noch ganz gute Musik. Jedenfalls sind EXISTENT keine stillen Helden, weder plump noch peinlich und schon gar nicht … scheiße.
Die südtiroler Band UNANTASTBAR legt mit dem neuen Album „Wir leben laut“ inzwischen schon ihren zehnten Longplayer vor. Die Band ist erst seit kurzem beim Rock-Label Spinning Goblin Productions gesignt, das zu Napal Records (Powerwolf, Accept, Cradle of Filth, Kissin' Dynamite, Schandmaul, Oomph!, usw. usf.) gehört.
Mit UNANTASTBAR bin ich bisher musikalisch überhaupt gar nicht in Berührung gekommen und kann mir deshalb keine Vergleiche zu früheren Releases erlauben. Der Opener „Die Hand die ich mir reichte“ startet gleich mit Vollgas und zeigt, wohin die Reise geht. Hier gibt es richtig fetten Punkrock auf die Ohren, der ab und an mal an stärkere Tote Hosen erinnert, außerdem US-College-Punk („Goodbye“, „Flieg weg von mir“) und auch eine Prise Oi-Ska („Du bist nicht echt“). Die Geschwindigkeit wird nur selten gedrosselt, praktisch jeder Song ist ein Ohrwurm und lädt spätestens beim Refrain zum Mitsingen ein.
Textlich behandeln UNANTASTBAR so ziemlich alles, was das Leben ausmacht. Der Haupt-Tenor ist, dass man auch, wenn man als Underdog startet („Hier bin ich“), sich nicht unterkriegen lassen darf und auch selbst aus dem Sumpf ziehen kann. Des Weiteren geht es in den Lyrics natürlich auch um Liebe, Freundschaft, Zusammenhalt und darum, eine gute Zeit zu haben. Es findet also jeder einen Song, der zu „seinem/ihrem“ werden kann. Mit ganz viel Straßenattitüde und einem eigenen „Fan-Song“ („Ich will euch alle wiedersehen“) könnte das hier die neue Lieblings-Scheibe der treuen Fangemeinde werden.
Ich stand dem Album anfangs etwas skeptisch gegenüber, da die Band auch der Deutschrock-Szene zugeordnet wird, aber ich muss ehrlich zugeben, dass es mir mit jedem Mal Hören besser gefällt und ich nun so langsam auch Fan werde. Es gibt hier eigentlich keinen Ausfall, die Scheibe ist fett produziert und macht richtig Spaß. Die „Ohhhh-ohhhh“-Chöre in so gut wie jedem Refrain bringen das Konzert-Feeling nach Hause.
Das Album erscheint am 30. Dezember 2022 auf normaler CD (13 anstelle 15 Songs), sonnengelbem und orangenem Doppel-Vinyl, orangener Kassette, Earbook und in einer Deluxe Holzbox mit CD, Sonnenbrille, vier Schnapsbechern, Ohrstöpseln, Sturmfeuerzeug, Flaschenöffner (also einer kleinen Festival-Ausrüstung), drei Aufklebern und signierter Autogrammkarte. Da bleibt garantiert kein Fan-Auge trocken. Insgesamt vergebe ich „Wir leben laut“ 4,5 von 5 Nieten-Westen (also die höchste meiner Review-Bewertungen dieses Jahr), den halben Punkt Abzug auch nur wegen der, für meinen Geschmack, etwas monotonen Melodien in den Strophen. Eine uneingeschränkte Kaufempfehlung an alle Supporter; alle UNANTASTBAR-Neulinge und Punkrocker sollten hier auch unbedingt mal reinhören.
Die Archive öffentlich-rechtlichen Anstalten bieten doch noch viel lohnenswertes, vor allem gute Musik - daher macht es durchaus großen Spaß, sich diese Konzertreihe der ROCKPALAST-Serie mit BAP anzutun. Tatsächlich hat keine andere deutsche oder internationale Band öfter unter diesem Banner gespielt. Die Kölner Vorzeigerocker waren über die Jahre gleich siebenmal zu Gast beim Rockpalast und so werden jetzt alle diese Gigs auf insgesamt 5 DVDs veröffentlicht. Nach dem wir zuletzt das älteste Konzert vom 28. November 1981 in der Hamburger Markthalle mit den Mannen um Sänger/Bandleader Wolfgang Niedecken in der Urbesetzung besprochen hatten, bietet jetzt dieser Mitschnitt ein Konzert von der 1999er "Tonfilm"-Tour und größer könnten die Gegensätze eigentlich nicht sein.
Das fängt schon an mit dem etwas theatermäßigen Ambiente des Kölner Musical Dome mit dem sitzenden Publikum in den bequemen Sesseln, obwohl gesessen haben die Fans ja beim Markthallengig größtenteils auch, aber hier wie da geht das nicht allzu lange und die Livebegeisterung reißt die Leute schließlich doch relativ schnell mit. Aber die „neuen“ BAP sind an diesem 22.11.99 eigentlich nicht mehr mit den Anfangstagen zu vergleichen. Einzig Mastermind und Urmitglied „Wolfjang“ Niedecken sowie Drummer Jürgen Zöller (seit 1987 dabei) sind noch übrig geblieben und dies hört man auch musikalisch recht deutlich. Da spielen Profimusiker durch und durch „ihre“ Musik, will sagen die neuen Songs aus dem durchaus gelungenen „Tonfilm“-Werk, aber natürlich auch die alten Sachen. Es fehlt mir persönlich zwar aus sentimentalen Gründen ein wenig, heute würde man sagen der „Spirit“ der alten Tage, aber sei’s drum, der Major Heuser hat nun leider auch endgültig abgedankt jetzt ist Wolf Maahn Gitarrist, Helmut Krumminga der Leadgitarrist und der pflegt einen ganz anderen Stil. Der kommt auch rockig aber eher etwas STONES-artiger, verzockter und mit mehr Breaks geprägt und nicht so wild-energiegeladen wie Heuser daher. Egal, es muss weitergehen, eine neue Epoche der BAP-Geschichte wurde eingeläutet und trotzt vieler Vorbehalte gelingt es tatsächlich, dieses neue Bandgefühl auch hier filmisch gut rüberzubringen.
Niedecken ist bei seinem Heimspiel natürlich gut drauf, äußerst redselig gibt sich als Plaudertasche und lässt dabei immer wieder mal ernste aber auch komische Kommentare sowie interessante Hintergrundinformationen zu den Inhalten von manchen Tracks raus. Auch seinen Textständer hat er wie meistens vor sich stehen. Die Aufnahmen sind gegen das Hamburgkonzert gestochen scharf, geradezu auf Hochglanz getrimmt. Die Schnitte sind nicht übertrieben, im Vordergrund steht meistens der Sänger. Bei diesem Konzert handelt sich um so eine Art "unplugged Gig", das heißt die Musiker haben den Songs zum Teil völlig neue Arrangements im akustischen Gewande verpasst, es gibt viele neue Instrumente wie Mundharmonika, Saxophon usw. Man sitzt dabei meistens entspannt auf Barhockern wie bei MTV und musiziert gemeinsam sehr gekonnt und auch als absolut eingespielte Einheit.
Der Anfang dieser DVD ist mir allerdings etwas zu bedächtig, das fängt schon an mit dem recht unorthodoxen Song „Vum donnernde Lääve“ mit dem zwar schönen Schifferklavier sowie dem Kommentar Niedeckens „Gestern ham ’se dabei geschunkelt“ - ne muss ja wirklich nicht sein wir sind ja nicht bei den HÖHNERN. Die Band ist gut drauf, bietet einen wirklich satten Altherrenrock mit viel Groove, das hat was von E-Street Band auf Kölsch wenn das Saxophon klasse röhrt - nicht zuletzt durch die super orgelnden Keyboards von Michael Nass wie u.a. bei „Diss Naach ess alles drinn“. Zwischendurch wird natürlich auch ordentlich abgerockt aber man hat sich mit Bedacht doch viele eher sonst nicht gespielte Songs auf die Playlist gesetzt. Auch die Mitwirkung von Sheryl Hackett die von 1999 bis 2003 festes Mitglied der Band war, ist hier so eine Art Vermächtnis, denn diese unglaubliche „schwarze“ Stimme veredelt mit ihren Percussion- sowie Gitarreneinlagen den doch eher unspektakulären Gesang Niedeckens oder drängt ihn gar lässig zur Seite wie bei der geilen Coverversion von „Hungry Heart“, „Nemm mich met“, „Vill passiert sickher“ - diese eindrucksvolle Lady verstarb leider schon 2005.
Auch sehr cool geworden ist die ungeheuer lässige „Müsli Män“-Version im JADE’s „Smooth Operator“ Gedächtnissound, sehr geil. „Rita, mir zwei“ hätte ich absolut nicht gebraucht, aber sehr überzeugend ist das zuletzt eher selten gespielte „Wat, user Rock'n'Roll?“ mit schönen Backings. Wie gesagt, der „neue“ Sound ist manchmal etwas "anspruchsvoll", man zeigt was man alles kann oder drauf hat, sehr viele Details, Breaks usw. aber es hat schon was und man gewöhnt sich schnell daran. Die neuen Interpretationen von „Nemm mich met“, "Jupp", "Arsch huh, Zäng ussenander" und "Ruut-wiess-blau querjestriefte Frau" lassen die Halle dann doch begeistert mitgehen. Dann „Verdamp lang her" im Akustiklook und ohne Majors Solo aber mit Tastenbetonung im Mittelteil - ja, geht schon, aber dieser Song muss eigentlich mehr rocken. Ein würdiger Schluss ist dann der Klassiker „Helfe kann dir keiner“, wunderbar melancholisch klingt ein gelungener Konzertabend passend aus.
Insgesamt bietet diese etwas andere Form BAP’scher Unterhaltung im Musical Dome sehr viel Spaß auf hohem spieltechnischem Niveau, mit viel stilistischer Abwechslung, ob dies alles noch so viel mit der ursprünglichen Rockformation von BAP zu tun hat, muss jeder (Fan) selbst entscheiden, sehen-und hörenswert ist diese DVD allemal.
Die Spielzeit beläuft sich auf über 200 Minuten, weshalb man auch die letzen fünf Songs des Gigs auf die zweite DVD verbannte. Danach gibt es ein 1999 geführtes Interview mit Niedecken und Rockpalast Ikone Peter Rüchel. Nur dieser Mann übertreibt es in dieser Viertelstunde mitunter schon etwas mit seinen sehr auf Intelekt getrimmten Ausführungen mit zuviel Klugsch***en und versucht sich als eine Art Literarisches Quartett auf Musik. Da sagt dann Niedecken schon mal „.. ich versteh jetzt nicht ganz was du meinst“. Immerhin interessant: der „Major“ Heuser wollte mehr internationalen Pop als „Kölsch Rock“ spielen und musste daher zwangsläufig aussteigen.
Tracklist:
01. Rockpalast-Vorspann / Ansage / Intro
02. Vum donnernde Lääve
03. ’Ne schöne Jrooß
04. Niemols verstonn
05. Diss Naach ess alles drinn
06. Rock’n’Roll Star
07. Müsli Män
08. Für ‘ne Moment
09. Rita, mir zwei
10. Wat, user Rock’n’Roll?
11. Allerletzte Chance
12. Nemm mich met
13. Verdamp lang her
14. Jede Draum jedräump
15. Jupp
16. Arsch huh, Zäng ussenander
17. Mayday!
18. Leechterkette Locke
19. Novembermorje
20. Ahn ’ner Leitplank
21. Miss Samantha’s Exklusiv-Discount-Jeschenkboutik
JENSON, wem der Bandname zunächst mal nicht allzu viel sagt - kein Wunder, denn diese vier jungen Herren aus München haben gerade ihre erste Single "Wir werden ..." am Start. Dem ein oder anderen Fußballfreak könnte dieser dynamische Rocktrack mit leichten Pop-Vibes aber dann doch bekannt vorkommen, denn der Song war der offizielle Teaser zuletzt bei SAT1 im Rahmen des DFB-Ligapokal Ende Juli 2007. Die Jungs machen erfreulicherweise unaufgesetzten Rock in deutscher Sprache, auch der Text der Nummer kommt wirklich gelungen daher, ist positiv gestimmt und nicht kontraproduktiv oder weltschmerztriefend. Die Message ist klar: "Wir werden die Welt heute Nacht verändern, wir lassen unsere Wünsche frei, wir werden das Grau der Stadt zum Leuchten bringen und einmal glücklich sein!". Und geprägt von dieser Philosophie kommt "Wir werden…" als temporeiche, vor Energie nur so strotzende Hymne daher (der knallige Refrain hat etwas von TOTEN HOSEN) und spiegelt die derzeit nicht gerade modische Einstellung der Band wieder. Ganz egal ob vor fünf oder vor 500 Leuten, egal ob’s dir gerade dreckig oder super geht, diese Jungs stellen sich zumindest textlich dem Leben und seinen Widrigkeiten. JENSON bewegen sich ganz klar im Fahrwasser von Bands wie REVOLVERHELD oder auch MADSEN, sind insgesamt zwar nicht so innovativ (im Sinne von neuen Ideen für das Genre). Die Band ist aber durch und überzeugend, klingt frisch beziehungsweise unverbraucht und muss sich keinesfalls vor den Etablierten verstecken. Gute Ansätze sind da, die Instrumente werden beherrscht und "Wir werden .. " ist ein gut gemachter Rocksong, basta. Das kommende erste Album "Großstadtschmutz" im Herbst wird dann aber erst wirklich zeigen, inwieweit man eigenes Potential über diese vier Minuten hinaus anzubieten hat. Dieser Anfang war schon mal so schlecht nicht. Ungekünstelter Rock auf Deutsch - bitte mehr davon.
Zwar nicht die längste Single der Welt, die hat ja schon ein gewisser Freundschaftsbändchenfetischist aus dem Pott vor Jahren herausgebracht, aber eine verdammt lange Single haben jetzt die Vorzeige-Kölschrocker von BAP mit ihrem sicherlich größten Hit anläßlich ihres 30-jährigen Bühnenjubiläums auf eine Maxi-CD gepackt: "Verdamp lang her" eine wahre Kulthymne, die man entweder begeistert mag oder abgrundtief hast aber mal abgesehen davon verbirgt sich hinter dieser Sonderveröffentlichung nur ein einziger Track aber gleich in 11 unterschiedlichsten Versionen.
Und es funktioniert tatsächlich, wird zu keiner Sekunde langweilig, riecht nicht billig Kohle scheffeln und beweißt hiermit, daß sich satte 75 Minuten (!) lang den eigentlich gleichen Song anzuhören doch äußerst unterhaltsam sein kann. Es macht diese beinahe schon unheimliche Vielseitigkeit aus, egal ob wunderbar intensiv wie im unplugged Format, die äußerst lustige, gemeinsam mit den TOTEN HOSEN fabrizierte Weihnachtsaufnahme "Verdamp lang Haar" oder auch die äußerst impulsiv gemachte Big Band Adaption - immer wieder kann dieser Track bestehen und fasziniert gleichermaßen, ja er gewinnt sogar noch dazu und bietet ganz neue Facetten. Insbesondere die Bandentwicklung ist deutlich zu hören, von den Anfängen bei den legendär abgefeierten Livetourneeen in den 80’ern (hier gefällt mir die "Affrocke-Version einfach mit am besten) sowie die ebenfalls schon historische Wackersdorf-Aufnahme bis hin zur heutigen Zeit, wobei die "Överall"-Aufnahme (mal abgesehen von der Stimme Niedeckens) deutlich zeigt, daß hier eine musikalisch völlig andere Band auf der Bühne steht. Im aktuellen Line-up ist ja "Uns" Wolfjang der mittlerweile einzig verbliebene Ur-BAP’ler seit Gründung der Band. Für Fans sicher ein absolutes Schmankerl und ansonsten stoßen wir gerne mal auf die nächsten 30 Jahre an.
Endlich mal wieder was deutschsprachiges im CD-Fach und gar nicht mal so übel, klingt wie ne coole Mischung aus ÄRZTE (nicht ganz so lustig-ironische Texte) meets HOSEN (aber etwas mehr packenden New Rock statt nur Punk). Die Jungs nennen sich KRONZEUGEN und stehen auf diesen 13 Tracks für recht abwechslungsreiche Rockmucke ohne großen Schnickschnack, geradeaus frech drauflosspielend, mit frischer Dynamik, man verzichtet auf modisch tiefergestimmte Riffs so hört man bei diesem Vierer deutlich mit jeder Note ihren Spaß heraus. Obwohl zunächst das wirklich grausig schlechte, in übelster neuer deutscher Härte Manier gehaltene Cover und dann dieser Titel "Schlachtfeld" dieser jungen Band aus der Schweiz zunächst nicht viel Gutes befürchten ließen, kann man sich die CD durchaus gut in einem Durchlauf anhören, "Gemetzel Rock" gibt´s hier also Gott sei Dank nicht. Die Produktion rumpelt zwar manchmal ein wenig unsauber, paßt aber so ganz gut zum erdigen Sound der Formation, und keine Angst es gibt hier keine Texte in "Schwietzer Dütsch" der durchaus solide Frontmann Felix Baumann singt in akzentfreiem Hochdeutsch mit einigen recht starken Texten. Stilistisch bringen die Jungs durchaus authentischen Rock mit allerlei Versatzstücken wie Punk oder auch mal Zitaten aus den glorreichen 70ern gewürzt wie dass äußerst gelungene "Nachtmittags um Vier" mit spitzenmäßigen typischen psychedelischen Heulgitarren. Die Tracks sind meistens schnell, kurz, prägnant mit schönen Refrains gehalten, ziemlich sauber gespielt - diese typische etwas leicht versiffte Poloattitüde a la ONKELZ oder Düsseldorfer Zeigefingertext Punkrock sind ihnen zum Glück völlig fremd. Die Kronzeugen sind eigentlich die direkte Nachfolgeband der mittlerweile längst aufgelösten ZEUGEN UTOPIAS (wenn auch jetzt mit einem anderen Sänger) und waren daher schon länger in Sachen Deutschrock unterwegs, diese nützlichen Erfahrungen hört man ihnen deutlich, wer auf solche hier absolut glaubwürdig und ehrlich vorgetragene Musik abfährt wird hier absolut fündig werden. Bei der ebenfalls schönen Ballade "Perfekte Lüge" zeigen die KRONZEUGEN weiterhin, dass man auch mal mit etwas leiseren Zwischentönen umgehen kann, das hat schon irgendwie was von den leider nicht mehr existenten SELIG. Wie gesagt der Rest geht ansonsten recht gut ab, von ein mäßigen paar Füllern mal abgesehen (u.a. "Kriegerclub"), sind die Songs stets eingängig gehalten mit klaren Riffs und einem meist auffällig druckvollen Bass. Als Höhepunkte haben mich besonders "Folge Jedem" oder "Kleines Gedicht" sowie dass etwas aus dem typischen Schema herausfallende "Marihuana" mit diesen klasse Stakkatogitarren genannt. Der etwas zu verworrene Hiddentrack wäre dann eher wieder verzichtbar gewesen. Egal insgesamt ne recht solide Angelegenheit, die zeigt, dass es im Eidgenossenland doch mehr gibt als "nur" hochklassigen Hardrock!
Tatsächlich dreißig Jahre einer durchaus beeindruckenden Karriere haben BAP jetzt schon hinter sich gebracht und dies allein wäre schon Anlass genug mit der Scheibe "DREIMAL ZEHN JAHRE", als eine der erfolgreichsten "deutsch bzw. kölschsprachigen" Rockbands entsprechend Rückschau zu halten. Obwohl, der Blick zurück trifft hier musikalisch nur auf die Namen der Titel zu, denn sämtliche Tracks wurden für dieses Doppelalbum komplett neu eingespielt, außerdem gibt’s noch drei ganz neue Songs. Da ja mittlerweile bei BAP (leider) einzig Uns-Wolfjang Niedecken von der Urbesetzung noch übriggeblieben ist und er mit seinen neuen musikalischen Mitstreitern in den letzten Jahren bereits auf der Bühne die ollen Kamellen in etwas veränderten Interpretationen umgesetzt hat (aufsteigend geordnet nach dem Entstehungsjahr), ist dies durchhaus ein legitimes und nachvollziehbares Unterfangen. Die Idee wurde zwar auch schon vor Jahren mal auf der "Tonfilm" CD mit ein paar Stücken umgesetzt aber nicht mit dieser, sagen wir mal fast schon teilweise recht radikalen Konsequenz. Wie da von vielen Kritikern behauptet wurde, denen falle nichts mehr ein wir hier eines besseren belehrt, ob die neuen Versionen allerdings jedem Fan so gefallen werden, darf man fast sicher bezweifeln. Denn als weiteren Gag haben sich BAP für die neuen Interpretationen Bekannte, Freunde, Vorbilder ins Studio geholt u.a. Martha (DIE HAPPY), Henning Wehland (H-BLOCKX), Ray Davies (THE KINKS), Thomas D. (Fanta 4), Xavier Naidoo, Nino Skrotzki (Virginia Jetzt!), Meret Becker, Laith Al-Deen, Hubert von Goisern sowie das Berliner Worldmusic-Kollektiv Culcha Candela und an so manchem Partner werden sich die Geister sicher scheiden. Als besonderen Bonus gibt es dann ganz zum Schluß der zweiten Seite ein ungewöhnliches Geburtstagsständchen von Herbert Grönemeyer, der "Einmal Nur In Unserem Leben", eine Klavierballade mit einem Gedichttext Goethe’s, zur Musik von Christoph Willibald Gluck interpretiert. Das Doppelalbum gibt es auch mit einer Bonus-DVD, die randvoll gepackt mit Filmen, Videos und Interviews rund um das Album "Dreimal zehn Jahre" ebenfalls die Anschaffung lohnt.
Natürlich erklärt Niedecken uns alten oder auch den jüngeren Fans im gelungenen Booklet ganz genau die Entstehung bzw. die Hintergründe zu den einzelnen Songs und manchmal auch warum die neue Version eigentlich so viel besser sei, als die Urfassung(en). Darüber kann man ebenfalls manchmal sogar etwas schmunzeln oder nur die ungläubig Schultern zucken, bei der Zusammenstellung der Songs an sich gibt es eher wenig zu bemängeln. Dass "Verdamp lang her" gleich zweimal vertreten ist, hätte man sich aber zugunsten eines anderen Tracks aber lieber schenken sollen. Für die insgesamt neun Duette kann man gerade noch das Prädikat "gelungen" aussprechen wobei mich vor allem Thomas D. als nicht rappender sondern recht respektabler Sänger bei eben erwähntem "Verdamp .." überzeugt. "Widderlich" hat dann tatsächlich mit H-Blockx’s Henning gegenüber dem Original deutlich hinzugewonnen, dies gilt übrigends genauso für das ansonsten recht unspektakuläre "Rita, mir zwei" mit Hubert von Goisern, er gibt diesem Song erst den richtigen Kick. Der Versuch "Kritstallnaach" etwas moderner klingen zu lassen, gelingt wiederum nicht so ganz (was aber bestimmt nicht am soliden Gesang von Al-Deen liegt), der Song wird zu sehr verwässert, die harten Gitarren fehlen einfach, der vormals bedrohliche Charakter geht leider stark verloren. "Dir allein" mit Soulheulboje Naidoo überzeugt mich mit am wenigsten aber auch die etwas schwülstige Barversion von "Paar Daach früher" mit einer soliden Meret Becker ist nicht so packend wie dass Original. Da kann das coole "Lena" mit Martha Jandová schon eher ein paar Punkte machen. BAP haben viel jedenfalls viel Mut bewiesen, die eigene Vergangenheit doch deutlich zu entstauben und zu versuchen mit neuen Ideen frisch und innovativ zu klingen. Getreu dem aktuellen Bandmotto "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu" sind viele gelungene Beispiele herausgekommen u.a. "Frau, Ich Freu Mich", "Wellenreiter" (als geile Bob Marley Gedächtnisversion), "Nemm mich met" rockt klasse genauso wie "Ahl Männer", "Ne schöne Jrooß" oder "Alexandra, nit nur do". Das kultige "Anna" geriet eher etwas daneben, kommt einfach zu hektisch rüber auch das zu bombastische "Du kanns zaubere" ist eher etwas lauh geworden. Mir fehlen, nicht erst seit dieser CD, die melodischen und kraftvollen Gitarren des Major und so kann mich gerade der andere neue Track "Nähxte Stadt" nicht so toll überzeugen. Um so besser ist dafür aber neue der Opener "Dreimohl Zehn Johre" geworden, eine wunderbar melancholische Zeitreise auf der wichtige politische Ereignisse aber auch BAP eigene Themen oder denkwürdige Konzerte/Tourneen verarbeitet wurden. Viele Bands hätten sich diese Aufgabe zum 30’ten sicher etwas einfacher gemacht aber BAP waren in ihrer Karriere noch nie wie "Andere" oder gar berechenbar, das macht die Jungs nach wie vor irgendwie sympathisch.
Eine junge Nachwuchsband aus Bayern namens AEON und das ist es dann auch schon, was vom Bandumfeld selbst so berichtet werden, da mir leider weder ein Infoschreiben vorliegt noch derzeit eine eigene Homepage zu finden ist. Die Jungs liefern aber gar kein so übles Demo ab und die absolut handgemachte Mucke, die hier auf die Menschheit losgelassen wird, ist ingesamt o.k. Von relativ geradlinigem bis etwas leicht verspielterem Deutschrock reicht die Palette der Band. Der Sound ist absolut riffbetont (wenn auch teilweise mit recht simplen Akkorden), die Songs sind eingängig gehalten und der Drumer gibt ordentlich Gas. Manchmal etwas an die ONKELZ angelehnt, wenn auch bei weitem nicht so "aggressiv-dreckig", Sänger Frank agiert ebenfalls mit einem recht glatten Organ meistens ohne zu schreihen, wobei der ein oder andere schiefe Ton schon noch zu hören ist. Die Texte sind natürlich reine Geschmaccksache haben aber manchmal durchaus "sozialkritische" Ansätze. Mir gefällt jedenfalls das mit etwas vertrackteren Breaks ausgestattete "Immer noch" mit am besten, das eingängige "Vielleicht" klingt etwas nach härterer (Neue) Deutsche Welle die etwas Nu Metal artige Schreiorgie "Schief" hätte man sich lieber schenken können. Ach ja, daß die drei Jungs auch noch etwas skurilen Spaß verstehen zeigt der zusätzlich noch enthaltene und super profesionell gemachte Videoclip zu "Überflieger", auf VIVA-MTV läuft eine ganze Menge größerer Müll - mein Kompliment!
Denke mal ansonsten haben AEON noch nicht so ganz ihren Stil gefunden zeigen aber passable (eigene) musikalische Ansätze.
Das Personalkarussell stand ja in den letzten Jahren, seit dem quasi als Urvater der Kölschrocker BAP nur noch "Wolfjang" Niedecken übriggeblieben ist, eigentlich nie mehr so ganz still und so sind mittlerweile auch leider der Multi-Instrumentalist Jens Streifling sowie die langjährige Background-Sängerin sowie Percussionistin Sheryl Hackett mehr oder weniger freiwilig ausgestiegen. Auf SONXS wollte man daher laut eigenem (Band-)Bekunden endlich wieder deutlich rockorientierter mit ordentlich Power zu Werke gehen. Dieses ehrenwehrte Vorhaben ist eindeutig so umgesetzt worden, wenn auch mit der ein oder anderen leichten Einschränkung. Die in manchen Foren vertretene Meinung, daß der für den Großteil der Musik verantwortliche Gitarrist Helmut Krummiga kein besonders guter Songschreiber sei, kann ich so jedenfalls nicht ganz nachvollziehen, denn bis auf eine Ausnahme sind alle Tracks mit seiner Handschrift gut gelungen und vor allem rifftechnisch sehr knackig ausgefallen. Es fängt gleich an mit dem klasse Stampfer "Wie, Wo un Wann" bei dem die Riffs tatsächlich nach einer bekannten australischen Hardrockformation klingen. Auch der nächste Song "Jedenfalls Vermess" glänzt mit rauen ja beinahe heavy anmutenden Gitarren und kommt so total rockig wie zu seeligen "X für E’ U" Zeiten daher. Etwas düsterer folgt dann für mich aber einer der stärksten Titel "Rövver Noh Tanger" mit sattem Basslicks sowie schönen Chorarrangements. O.k. über "Für Maria" - eine typische Niedecken Beziehungskistenklamotte, kann man sich wirklich streiten aber nach mehreren Durchläufen ist dies bei weitem nicht der schlechteste Song. Neben einigem Durchschnittsmaterial wie "Et Ess Vorbei" oder "Jedanke em Treibsand" gibt’s natürlich auch wieder den obligatorischen aber trotzdem guten STONES-Song "Absolut ziellos". Weitere echte Highlights sind zweifellos "Wann Immer Du Nit Wiggerweiss" mit einem gewissen West Coastcharme al BRUCE HORNSBY, "Unger Linde enn Berlin" besitzt stimmungsmäßig eine große Nähe zu BRUCE SPRINGSTEEN’s "I’m on Fire" und das knackige "Einfach ussortiert" dass stellvertretend für die vielen eingängigen Melodien steht, die größtenteils im frischen Rockgewande daherkommen. Da können müde (Ost-) Altrocker wie u.a. die PUHDYS nur davon träumen. Manch eingefleischtem Fan könnten vielleicht die relativ vielen Rückblicke und ähnlichen Thematiken, die bereits in früheren Alben schon mal aufgegriffen wurden, etwas sauer aufstoßen aber Liedermacher Niedecken ist nach wie vor ein intelligenter sowie einfühlsamer Textschreiber, der niemals mit dem "Erhobenen-Zeigefinger-Syndrom" zu kämpfen hat. Außer den beiden relativ schwachen Nummern wie das seichte "Ich wünsch mir, do wöhrs he"sowie dem überflüssigen Schlußlied "Die Welt ess jrausam" läßt sich SONXS zusammenfassend sehr gut anhören und bietet solide Rockkost für den geduldigen BAP-Fan. Neue Hörerpotentiale werden durch die neue Scheibe zwar wahrscheinlich eher nicht erschlossen aber bei dem Bekanntheitsgrad ist dies auch nicht nötig. Ihre wahre Stärke entfalten auch die "neuen" BAP sowieso erst auf der Livebühne!