Interview:

2004-10-01 Liquid God

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Die nordeutschen LIQUID GOD haben unlängst ihr Debut "Nangol" veröffentlicht und werden in Kürze passenderweise einige Dates mit den großartigen THE DILLINGER ESCAPE PLAN spielen. Der erst kürzlich in den Norden gezogene Bassist Gregore erklärt warum Wagner noch keine E-Gitarren kannte und was Straßenbahnen und Musik gemeinsam haben... und natürlich noch einiges mehr!InterviewIhr scheint etwas Probleme mit den Schlagzeugern zu haben. Wer ist denn der "Neue" und was ist mit dem alten passiert?



Der "Neue" heißt Nac und ist seit Jahren in der Szene beschäftigt. Er ist zwar etwas ruhiger als sein Vorgänger, aber sein musikalischer Output hat zweifelsohne nix mit ruhig zu tun. Das faszinierende ist wohl, dass er sein Set instrumental einsetzt. So schön es ist einen Beat zu haben, der so richtig räudig rotzt, so interessant ist es durch den Einsatz vieler verschiedener Percussionelemente die Stimmungen einzelner Songs nicht nur zu unterstützen, sondern mitzuprägen. Und das hat er raus. Es geht ihm halt nicht nur um die gängigen Drum-Stereotypen. Er hat, wie wir anderen auch, nicht das Bedürfnis "wie" irgendjemand zu sein, sondern er selbst zu sein. Der "Alte" war ein vielbeschäftigter Mann. Und wenn ich hier Mann sage, dürfte schon zu erkennen sein, daß er eine starke Wirkung auf Frauen hatte. Sich dadurch ergebende Gelegenheiten auszulassen fällt wohl jedem schwer, und so standen wir manchmal allein im Proberaum. Aber wir sind ihm trotzdem sehr dankbar für das Stück Weg, das er mit uns ging. Sein straighter Rock´n´Roll und der ultrabrachiale Backbeat (im Gegensatz zu vielen anderen Metalproduktionen, die mehr Wert auf Doublebass-Attacken legen) zeigte uns, wie vielseitig unsere Musik funktionieren kann. All die anderen Drummer
haben natürlich auch einen Anteil an dem, was wir heute "unsere" Band nennen.


Es war ja für euch sozusagen aus geografischen Gründen lange Zeit nicht möglich, immer gemeinsam zu Proben. Wie entstanden in so einer Umgebung neue Songs?



Die Hauptsongwriter sind Roman und Chris. Sie liefern die Songgerüste oder einzelne Parts. Dann wird in gemeinschaftlicher Arbeit von Drums, Gitarren und Gesängen musikalisch reflektiert (soll heißen: "gejammt") bis jeder weiß, was er dazu spielen will, und wie oft welche Teile wann und wie kommen, um vernünftig zu funktionieren. Dann komme ich, und jamme mit. Dabei kann es dann passieren, dass die Songs wieder total umgestellt werden, oder ich Riffs von einer Gitarre übernehme, und diese dann entweder was anderes oder gar nicht mehr spielt. Wir basteln eigentlich dauernd an unseren Songs rum. So wie man bei Aufnahmen eigentlich ständig weiterarbeiten könnte, kann man das auch beim Songwriting. Nur will man die CD ja irgendwann fertig haben. Songs zwar auch, aber dabei hat man keinen Zeitdruck. Man darf also bei Auftritten von uns immer gespannt sein, etwas Neues in den Songs zu entdecken.




Über ein Jahr habt ihr an den Songs gearbeitet und endlich ist das Album fertig. Zufrieden?



Irgendwas ist ja immer. Aber das ist zweifelsohne die beste Aufnahme, die ich je von einer Band gehört habe, in der ich spiele. Ich bin aber froh, dass ich nur der Basser bin. Das kann man auch noch erkältet einspielen. Mit der Stimme sieht das ganz anders aus, und jeder der sich mal durch ein Mikro gehört hat, wird festgestellt haben, dass es gar nicht so einfach ist genau den Ausdruck auf Band zu bekommen, den man sich vorstellt. Aber da haben sich Chris und Roman zu Recht Zeit gelassen. Das Ergebnis spricht für sich. Dann entwickeln sich noch so viele neue Ansätze für die Instrumente, wenn man hier noch ein bisschen am Sound dreht, und da noch ein bisschen... Nein, eigentlich ist man nie restlos zufrieden.



Besteht hierbei nicht auch die Gefahr kein Ende zu finden? Gab es Momente, in denen Deine Aufnahmen im Kasten waren, Du aber noch Ideen dafür hattest, die eben jetzt nur Ideen geblieben sind?



Hierbei muss ich eingestehen, dass ich dazu neige als Basser die Songs zu "überspielen". Diese Ideen, wenn die Aufnahmen im Kasten sind, haben wir aber alle. Deshalb unterliegen unsere Songs einem stetigen Wandel. Aber wie schon gesagt, dann bleibt´s spannend.



Du erwähntest andere Bands in denen Du gespielt hast... was waren das für welche?



Geographisch eigentlich aus ganz Deutschland. Wobei ich damals noch in der Nähe von Stuttgart gewohnt habe. Musikalisch war das zum Beispiel so No Doubt-like "Frauenpoprock", oder Jazzstandards, Fusion, Musicalzeug und so. Damals noch mit dem kunstfeindlichen Hintergedanken davon leben zu wollen. Meine Wurzeln als Konsument lagen aber immer in der Erde des Metalls.



"Nangol", ein altes Ritual. Seht ihr LIQUID GOD in irgendeiner Tradition oder was hat es mit dem Titel auf sich?



Tradition nur, insofern es sich um unsere gesellschaftliche Entwicklung dreht. Die kann man nie ausblenden. Nangol ist ein Reinigungsritual, bei dem sich Leute an Lianen gebunden von Bäumen stürzen. Für uns funktioniert unsere Musik ganz ähnlich. Wir sind Teil einer pluralistischen Gesellschaft, in der so viel Scheiße läuft, dass man sich häufig schämen muss, ihr anzugehören. Reinigung ist also erforderlich. Wenn wir uns dann in den Proberaum stellen, verarbeiten wir diese Eindrücke und versuchen alles zu tun, um unserem Dasein einen Sinn zu geben, hinter dem wir moralisch stehen können. Wer weiß, würde Weltfrieden herrschen, würden vielleicht auch Songs wie "Here Comes The Sun" von den BEATLES rauskommen. Aber solange ich, und da spreche ich jetzt nur für mich, solange ich in einem System lebe, das auf der Ausbeutung Schwächerer basiert (und nicht anders funktioniert das Wirtschaftswachstum in unserem Land, als durch billige Rohstoffe aus den ausgebeuteten Drittwelt-Ländern, die wir ihnen als teure Konsumartikel wieder zurückverkaufen) wird extreme Musik wohl immer mein Ausdrucksmittel sein. Klar kann man mit dieser Musik auf die Schnauze fallen. Aber da zeigt sich eine weitere Parallele zum Ritual: Zu lange Liane...Matsch.



Bei einem derart hohen eigenen Anspruch, was hörst Du sonst für Musik?



Meine Hörgewohnheiten haben sich in den letzten drei Jahren völlig verändert. Früher, als frühpubertärer Junge, konnte es nicht hart genug sein. Wie mich meine Eltern angeschaut haben, als "Reek Of Putrefaction" unsere Wohnung erschütterte war ein Bild für Götter. Mit 15 kam dann so eine intoxikationsbedingte Hinwendung zu Hendrix und Konsorten (was für eine blasphemische Verallgemeinerung). Mittlerweile habe ich eine Abneigung gegen nahezu jede Art von kommerzieller Musik entwickelt. Man wird ja förmlich damit belästigt. Ich möchte hier jetzt keine Namen nennen, aber selbst in expliziten Metalsendungen im Fernsehen oder Radio hört man immer das Gleiche. Ich kann diese Geringschätzung von Musik als Unterhaltung einfach nicht mehr ertragen. Musik ist Kunst. Und Kunst ist verdammt ernst, da echte Kunst Wahrheit in sich trägt. Und ich hasse es, belogen zu werden. Um diese Art von Wahrheit zu finden höre ich momentan fast ausschließlich analytisch Musik. Musik im Hintergrund läuft bei mir fast nie. Gerade beschäftige ich mich mit den "Bagatellen" von Webern. Eine Musik mit derartiger Informationsdichte gibt es kein zweites Mal. Ich kann nur jedem empfehlen sich die CD zu besorgen, auf "Repeat All" zu schalten, wer will und kann: Noten zur Hand nehmen, und einen Abend verbringen der mit nichts zu vergleichen ist.

Wenn Kunst im wagnerschen Sinne stets die tiefe Intention haben muss, den Geist des Menschen wirklich zu verbessern und eine stets äußerst tiefsinnige Beschäftigung mit der Musik fordert, limitiert das doch ungemein auf einem Konzert einfach mal Party zu machen, einfach mal den Kopf im Takt zu wippen und die Musik nur zu fühlen...?



Wenn man die Musik, die den Geist verbessern soll zum ersten mal hört, dann ist das mit dem bangen/ Kopf wippen natürlich nicht so leicht. Wenn man die Songs aber kennt, dann kann man auch auf einen 7/8-Takt bangen, und freut sich noch darüber, da man reflektiert bangt. Das Problem bei Wagner ist nur: Der hatte noch keine verzerrte E-Gitarre. Der musste den Druck aus seinen Bass-Tuben und den Hörnern nehmen. Auch nicht gerade die Instrumente für schnelles Sechzehntel-Riffing.



Ihr benutzt Pseudonyme, good old black metal style. Was versprecht ihr euch von der künstlichen Distanz zum Hörer?



Nun, es geht eben nicht um die Personen für die uns andere halten, sondern um unsere Identität in der Musik. Es wäre wahrscheinlich auch am besten keine Fotos von uns zu veröffentlichen. Als ich zum Beispiel das erste Foto von Joni Mitchell sah, war ich echt enttäuscht, dass sie so gar nicht der Schönheit ihrer Stimme entspricht. Wenn ich jetzt ihre Musik höre, ist das nicht mehr so wie früher. Wir sind als Musiker eben nicht die, die wir in unserer angepassten Rolle in der Gesellschaft sind (auch Metaller spielen ihre "Rolle" in der Gesellschaft). Wir wollen nur der Katalysator für das sein, was sich um uns herum bewegt. Nicht Müller aus Büro 204 und nicht Ackermann von der Deutschen Bank. Nur das musikschaffende Individuum.



Das mag auf einer CD funktionieren, aber live würde das doch eine Clownerie und aufgebauschte Heimlichkeit bedeuten wie sie beispielsweise KISS aufrecht hielten?


Oder Slipknot oder Ähnliche. Aber eine CD ist ja auch ein ganz anderes Medium. Das ist Einbahnstraßenmusik. Live kommt viel aus der Interaktion zwischen Publikum und Band. Dabei sind dann nicht nur wir die, die die Stimmung der Musik prägen, sondern auch das Publikum. Die kennen wir aber auch nicht mit Namen, und sie sich untereinander wahrscheinlich auch nicht



Und doch fordert grade eine tiefgehende Beschäftigung mit einem Künstler - sei es Musiker, Maler oder Schriftsteller - u.a. die Einordnung ebendiesen in seinen gesellschaftlichen und privaten Kontext. Dafür muss man sicherlich nicht unbedingt den Namen kennen, aber ein "Kunstwerk" alleine und ohne Hintergrundwissen zeigt selten seine ganze Dimension, oder?



Da hast du voll und ganz recht, weshalb ich hier jeden Leser auffordern möchte auf unserer Homepage auf dem Crewfoto solange herum zu fahren, bis Gregore@Liquidgod.com erscheint. Dann einfach ein paar Thesen, Gedanken, Fragen, Worte in eine E-Mail packen, und abschicken. So kann sich jeder, der an der Aussage unserer Musik interessiert ist, meine Sichtweise anhören/lesen. Wie gesagt: MEINE Sichtweise. Wenn ihr die von den anderen wollt: gleicher Vorgang, andere E-Mail Adresse. Das ist als Aufruf zu verstehen!



Ein weiterer Punkt der im Publikum bei jedem Konzert zu Diskussionen führt. Wieso hält eine deutsche Band englische Ansagen auf der Bühne?



Wieso fragt eigentlich niemand, warum wir auf Englisch singen? Wir haben uns natürlich damit auseinander gesetzt. Roman spricht Englisch, Chris macht deutsche Ansagen, mein Französisch ist mittlerweile etwas eingerostet, aber vielleicht … Der tiefere Sinn ist darin zu suchen, dass es völlig unerheblich ist, wo wir herkommen. Es stellt eine Art Absage an Lokalpatriotismus dar. Es geschieht also reflektiert, es steht eine Aussage dahinter. Außerdem finde ich es gut, wenn Leute über das nachdenken, was auf der Bühne passiert, und nicht in einen Konsumententrott verfallen. Stichwort "Einbahnstraßenmusik".


Kommen wir noch mal kurz zurück zu etwas mehr Fakten... wie geht es nach der Releaseparty Anfang Oktober in Hamburg mit euch weiter?


Wir spielen ein paar Dates der THE DILLINGER ESCAPE PLAN Tour, schreiben ein neues Album, vorproduzieren, Konzerte, Proben, vielleicht ein Video(?), und außerdem haben wir noch einige Ideen, die die Erscheinungsform unseres nächsten "Produktes" betreffen. Dazu wird aber nichts verraten, bevor du gleich Luft holst. Das hört sich zwar unspektakulär an, aber das ist der Musikeralltag, und selbst der macht höllisch Spaß!