Interview:

2005-10-27 Criminal

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Südamerika ist nicht gerade die Brutstätte für allseits bekannte Metal - Acts, doch hin und wieder schafft es eine Band, sich auch diesseits des großen Teiches eine ordentliche Gefolgschaft zu erspielen. Dazu gehören CRIMINAL aus Chile, die nicht nur aus einer kriminellen Gegend kommen, in der es für wenig Geld viel Mord und Totschlag gibt, sondern vor Allem kriminell gute Musik machen, die ohne Frage internationale Standards erfüllt. Das Gespräch mit einem übrigens perfekt deutsch sprechenden Anton Reisenegger ist jedenfalls sehr aufschlussreich, was den Werdegang, die Hintergründe und das sehr gelungene, neue Album seiner mittlerweile knapp 15 Jahre existierenden Band betrifft. InterviewDein Nachname klingt sehr deutsch. Bist Du denn deutscher Herkunft?



Nein, ich bin Chilene, aber deutschstämmig und in einer deutschen Familie aufgewachsen. Ich war zudem auf einer deutschen Schule und daher spreche ich auch deutsch.



Juan Cueto, Euer alter Bassist, ist anscheinend wieder zu Euch zurückgekehrt. Wieso hatte er die Band überhaupt verlassen?



Eigentlich hatte er uns gar nicht verlassen, das lief eher andersrum. Als ich damals beschlossen hatte, nach Europa zurückzukehren, war es ungewiss, wie die Zukunft der Band aussehen würde. Ich fing an, in England mit ein paar Leuten zu musizieren und daraufhin stieß dann Rodrigo, unser Leadgitarrist, zu uns und wir beschlossen, das Ganze als CRIMINAL weiterzuführen. Zu diesem Zeitpunkt war unser alter Drummer schon gar nicht mehr in der Band, weil er kein Interesse mehr hatte. Wir fragten also Juan, ob er nicht Lust habe, sich zu uns zu gesellen, aber der Umzug war ihm zu riskant. Wir haben dann das Album "No Gods No Masters" eingespielt und hatten große Probleme mit Line - Up - Wechseln, weswegen wir als Trio weitergemacht haben, das waren unser englischer Drummer, Zac O´Neil, Rodrigo und ich. Nachdem Juan sich doch noch entschlossen hatte, zu uns zu stoßen, nahmen wir dann das neue Album auf. Mittlerweile ist er aber wieder zurückgegangen, weil es ihm hier in Europa nicht so gefallen hat. Er hatte einfach Heimweh und somit sind wir jetzt wieder zu dritt und suchen einen Bassisten.



Hat sich dieses ganze Hin und Her denn nicht negativ auf das kreative Schaffen, sprich: das Songwriting, ausgewirkt?



Nein, eher umgekehrt! Der ganze Ortswechsel und die andere Umgebung haben uns einen kreativen Schub beschert, glaube ich. Zu Zeiten unserer letzten Platte war alles ein wenig chaotisch, weil wir nicht wussten, wohin und weil eben diese ganzen Line - Up - Wechsel stattfanden. Mit "Sicario" haben wir aber zu unserem alten Stil zurück gefunden und das Songwriting lief sehr glatt. Es war fast schon beängstigend, wie einfach es war, dieses Album einzuspielen.



Die beiden Eckpfeiler, die ich als Einflüsse aus Eurem Sound heraushöre, sind ganz klar KREATOR, aber auch melodischer Death Metal der AT THE GATES / THE HAUNTED - Schiene. Kommt das in etwa hin?



Ja, das passt schon, aber viele andere Leute hören zum Beispiel SEPULTURA oder MACHINE HEAD heraus, aber dies alles sind Bands, die wir sehr cool finden. Und wir denken ebenfalls nach der Grundidee, dass ein gutes Riff, ein gutes Solo und ein guter Refrain einen guten Song ausmachen. In dieser Richtung wird heute nicht mehr so viel gemacht, sondern es wird vielmehr auf irgend welchen Genre - Klischees herumgeritten, die nichts bringen.



Der Titel "Sicario" bedeutet ja so etwas wie "Auftragskiller". Wie seid Ihr denn auf diese Idee gekommen?



Ich hatte schon seit einer Weile dieses Thema im Kopf und wollte einen Text darüber schreiben. Es gibt in Südamerika Länder, die stark von Gewalt heimgesucht werden. In Kolumbien oder Mexiko gibt es tatsächlich Auftragskiller im Alter von zwölf Jahren! Dort ist ein Menschenleben vielleicht 200 oder 300 Dollar wert! Ich war davon so schockiert, dass ich es in einem Text verarbeiten wollte, wobei ich mit dem nötigen Respekt an das Thema herangegangen bin. Der Text ist mir sehr gut geglückt, finde ich und da haben wir uns gedacht, dass wir gleich das ganze Album so nennen können. Es ist ein Begriff in unserer Heimatsprache und repräsentiert die Band besser, als wenn wir einen englischen Begriff benutzt hätten. Es ist ein interessanter Titel und viele Leute werden sich fragen, was er bedeutet. Daher war es eine sehr gute Wahl!



Dafür, dass Du das Thema sehr vorsichtig angegangen bist, wie Du sagst, ist das Cover - Artwork aber sehr eindeutig!



Haha, ja! Wir wollten nur von der typischen Fotomontage weg, wie sie noch bei unserem letzten Album zu sehen war. Zuerst stand auch der Titel und wir hatten noch kein Cover, und unser Designer hat es dann vorgeschlagen und wir mochten es einfach. Es ist simpel, sticht ins Auge, passt zum Titel, aber sehr subtil ist es echt nicht, haha!



Es gibt meiner Meinung nach zwei Songs auf dem Album, die ein wenig heraus stechen. Das ist zum einen "The Root Of All Evil", das für mich prägnanteste Stück der Scheibe. Was ist denn für Dich die "Wurzel allen Übels"?



Hmm… das liegt im Menschen selbst, man kann es nicht im Teufel suchen oder in der ursprünglichen Sünde. Es ist etwas, das tief in uns drin ist und mit dem tierischen Trieb zu tun hat. Es wird in unserer modernen Kultur mit den heutigen Moralvorstellungen als böse empfunden, was es aber vielleicht gar nicht ist. Das ist aber nur ein Teil der Texte, ein anderer handelt vom Selbstzerstörungstrieb, der den Menschen als einziges Individuum betrachtet. Es ist etwas schwer zu erklären, aber wenn man den Text liest, macht es schon Sinn. Ich schreibe meine Texte auch "frei von der Leber weg" und übe keinerlei Selbstzensur. Wenn ein Text doch mal etwas härter ist, dann ist das nicht unbedingt schlecht und auch so gewollt.



Der andere Song, den ich meine, ist "Por La Fuerza De La Razon". Was bedeutet das denn?



Das ist spanisch und ein wenig schwierig, auf Deutsch zu erklären. Es gibt einen Spruch, der auch auf dem Nationalwappen von Chile steht und der heißt: Por La Razon O La Fuerza". Es bedeutet so etwas wie "Mit dem Guten oder mit der Kraft". Und diesen Slogan habe ich einfach umgedreht. Es ist auf die Vergangenheit von Chile gemünzt, auf den Militärputsch und darauf, wie sich alles soweit zugespitzt hat, dass die Konflikte nur noch mit Gewalt zu lösen waren und darauf, dass so etwas nie wieder vorkommen darf. Die Zeit vor dem Putsch habe ich nicht mehr mitbekommen, denn ich war etwa vier Jahre alt, als es losging. Später habe ich dann nach und nach erfahren, was dort vor sich ging und es war echt schockierend, weil man ja immer in dem Land gelebt hatte. Das Militär ist gegen das eigene Volk vorgegangen; das kann man sich als Nachkriegseuropäer nur sehr schwer vorstellen. Der Song ist also als Mahnung zu verstehen, dass so etwas niemals wieder passieren sollte.



Seid Ihr denn insgesamt mit Eurem neuen Werk zufrieden? Ist alles so gelaufen, wie Du es Dir vorgestellt hattest?



Eigentlich schon, denn bei jedem anderen Album vorher war ich stets nach dem Verlassen des Studios nicht mehr ganz zufrieden, sei es mit dem Sound, den Songs oder auch den Texten. Irgendetwas war immer verbesserungsbedürftig. Und das ist mir bei "Sicario" bisher noch nicht so gegangen. Ich finde den Sound immer noch cool, er knallt ohne Ende, die Songs und die Songreihenfolge sind in Ordnung und die Texte sind auch gelungen. Es gibt echt nix zu meckern!



Auf meinem Exemplar des Albums ist mit "Self Destruction" außerdem ein Bonustrack zu hören, der angeblich nur für die europäische Version von "Sicario" gedacht sei. Warum wird das Stück nicht weltweit veröffentlicht?



Das war unsere Entscheidung und der Song ist auch nicht neu, sondern er war bereits auf unserer ersten LP zu hören. Wir haben den Song zwar neu aufgenommen, aber etwa die Fans in Südamerika kennen ihn bereits. Es ist dort sogar eines unserer bekanntesten Stücke. Die Leute in Europa sollen einfach einen Einblick in die Sachen bekommen, die wir früher gemacht haben.



Wie sieht denn überhaupt die Metal - Szene in Chile aus? Es ist ja ein Land, von dem wir im Allgemeinen nicht viel wissen.



Das ist eigentlich schade! Ich merke aber selbst, dass sich die Szene hauptsächlich um Europa und die USA dreht. Es gibt aber in Südamerika, wie wahrscheinlich auch in Afrika oder Asien, sehr gute Bands, die nur keine Möglichkeit bekommen, sich einem breiten Publikum präsentieren zu können. Ich Chile gibt es eine ganz normale Metal - Szene, nur arbeiten dort Labels und Presse längst nicht so professionell wie hier. Dafür sind dort die Leute noch mit sehr viel Idealismus bei der Sache und es ist noch nicht so sehr zum puren Geschäft verkommen.



Fragt man die Fans nach südamerikanischen Bands, dann hört man "SEPULTURA" und vielleicht noch "ANGRA", aber dann kommt erstmal gar nichts…



Ja, das stimmt und das ist schade, denn es gibt dort hervorragende Bands in allen möglichen Stilrichtungen. Ob technischer Death Metal, Doom, Hardcore oder Rock´n´Roll; von Allem ist etwas sehr Gutes dabei! Die Szene ist aber nicht groß genug, dass sich dort aufwendige Produktionen lohnen würden, weil der Markt zu klein ist. Und die Labels hier sind anscheinend nicht daran interessiert.



Dabei gelten die Fans in südlichen Ländern generell als sehr heißblütig und euphorisch.



Das stimmt und da kannst Du jede beliebige Band fragen, die Südamerika einmal betourt hat.



Wer sind denn Deine Lieblingsmusiker, bzw. wer hat Dich in all den Jahren beeinflusst?



Ich muss trotz Allem sagen, dass James Hetfield ein sehr, sehr wichtiger Einfluss für mich war. Damit meine ich nicht mehr Sachen wie "Load", aber Gitarre spielen und gleichzeitig singen ist nicht ganz einfach und er hat es einfach raus, dabei noch ein souveräner Frontmann zu sein. Er hat auch einige der besten Riffs der gesamten Musikgeschichte geschrieben und METALLICA haben einen ganzen Stil kreiert und einen ganzen Sound definiert. Von daher würde ich ihn schon als mein großes Vorbild bezeichnen!



Deine frühere Band hieß PENTAGRAM. Ich musste sofort an die Doom - Formation aus Amerika denken…



Die US - Doomer gab es schon etwas früher als uns. Wir hatten PENTAGRAM 1985 gegründet und die Band existierte bis etwa 1988. Wir spielten Death Metal und sogar NAPALM DEATH haben auf ihrer "Leaders Not Followers" - Scheibe einen Song von uns gecovert! Es war absoluter "Ur - Death Metal", weil es fast noch gar nichts in dieser Richtung gab. Ich habe auch von Mitgliedern von Bands wie AT THE GATES, CARCASS, NAPLAM DEATH oder DISMEMBER gehört, dass sie PENTAGRAM damals geil fanden und als Einfluss betrachten. Das finde ich echt cool!



Mittlerweile gibt es noch eine türkische Band dieses Namens!



Ja, ich weiß, und auch eine schwedische Band heißt so, glaube ich. Und davon gibt es wohl noch mehr. Der Name bietet sich ja auch an, hahaha! Ich habe mich selbst mal gewundert, als ich in einem Plattenladen eine LP von einer Band namens PENTAGRAM fand, deren Logo unserem gar nicht mal so unähnlich war…



Spielt Ihr denn die alten Songs heute noch live?



Das haben wir früher öfter gemacht, aber heute nicht mehr, obwohl es vielleicht mal wieder ganz lustig wäre.



Apropos: habt Ihr denn Ambitionen, demnächst für eine Tour nach Deutschland zu kommen?



Ja, auf jeden Fall! Bis auf mich ist die Band momentan in England angesiedelt und ich selbst lebe gerade in Deutschland, in der Nähe von Stuttgart. Wir waren zuletzt als Support von SIX FEET UNDER unterwegs und wir hören uns gerade um, was machbar ist. Es kostet ja leider alles einen Haufen Geld, aber wir sehen zu, dass wir Anfang nächsten Jahres in Deutschland touren können.




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