Review:

Origins

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Schwermütige auditive Trostlosigkeit, die Spaß macht.

„Origins" ist eine Zusammenstellung von frühem WHITE WARD-Material mit herrlich epischen Blackgaze-Klageliedern.

WHITE WARD ist eine von diesen Bands, die verschwindend wenig mit dem Black Metal aus der ersten und zweiten Welle zu tun hat. Auf einem Bandfoto sieht man die junge Gruppe in einer U-Bahn. Dabei sehen sie so aus, als würden sie nach der Uni noch zum Poetry-Slam fahren. Das ist meilenweit entfernt von Corpsepaint und von skandinavischen Satans-Black Metal-Zirkeln mit Morden und Kirchenverbrennungen. Musikalisch haben wir im Prinzip die gleichen Zutaten, wie wir sie bei BURZUM, WATAIN und EMPEROR hören und schätzen. Aber was daraus geköchelt wird, ist etwas ganz anderes: ohne Punk und ohne rohe Räudigkeit. Und ich habe lange versucht, dieses Subgenre nicht zu mögen, weil es zu glattgebügelt ist. Wo kommen wir denn dahin: Hipster-Black Metal? Man stelle sich folgende Situation vor: Mr. „Satan“-Gaahl hätte im Jahr 2000 WHITE WARDs Interpretation von Black Metal gehört. Er hätte die Jungs mit einem abgetrennten Schafskopf windelweich geprügelt und sie angeschrien: „Zum Teufel, leg das Saxophon weg, und wo ist eigentlich Dein Pentagramm?“. Heutzutage würde Gaahl wahrscheinlich mit seinem Gläschen Rotwein schwenkend im Takt mitwippen, mit verträumtem Blick den Pinsel kreisen lassen und ukrainisch urbane Siedlungen malen. Viele Post Black Metal-Bands erzeugen einfach eine fantastische melancholische Atmosphäre und verbinden Härte mit Melodie, dass es eine wahre Pracht ist. Und so ist es auch bei WHITE WARD.

Sie wurden 2012 gegründet und spielten zu Beginn eher Depressive Black Metal. Nach einigen Kurzveröffentlichungen hatten die Ukrainer 2017 mit „Futility Report“ ihr erstes Album am Start. Inzwischen hatte sich ihr Stil weiterentwickelt und lässt sich als Post Black Metal oder Blackgaze kategorisieren. Sie entwickelten eine eigene moderne Fusion mit Ambient-Sound, Shoegaze und Darkjazz. Seitdem ist die Band unter Vertrag bei Debemur Morti Productions, einem französischen Label, das sich auf Black Metal und verwandte Genres spezialisiert hat. Tempowechsel, mehrstimmige Gitarrenwände und elektronische Effektgeräte sind auch im 2019er Nachfolger „Love Exchange Failure“ an der Tagesordnung.

Bei „Origins“ handelt es um die Demos, EPs und Splits, die vor ihrem ersten Album erschienen; wir erleben also die Anfänge von den Avantgarde-Black Metallern, noch ohne Saxofon, das den beiden Alben einen sehr charakteristischen Anstrich verlieh. 2016 wurde die Compilation bereits in digitaler Form veröffentlicht, und nun ist sie auf CD, Vinyl und Tape erhältlich. Das Line-Up wechselte, und vom Beginn der Truppe ist nur noch Songschreiber und Gitarrist Yuriy Kazaryan aus der kriegsgebeutelten ukrainischen Metropole Odessa übrig.

Die Compilation startet mit „Walls MMXV“, die Single-Veröffentlichung von 2015, wobei das Stück „Walls“ sowohl in der ursprünglichen Version, als auch in dieser moderneren Version vertreten ist. Eine interessante Idee, da so der stilistische Wandel verdeutlicht wird. „When Gift Becomes Damnation“ beginnt locker entspannt, dann überrumpelt uns ein explosiver Raserei-Anfall. Der Titel und das folgende „Inhale My Despair“ stammen von der Split mit SAUROCTONOS und SILENCE OF THE OLD MAN von 2012. „Inhale My Despair“ beinhaltet eingängige Bass-Grooves und Percussions, zuerst dachte ich an INCUBUS und Strand-Feeling. Die Drums sind knackig und sauber. „Drowned In Cold“ von 2014 beginnt jazzig relaxt; es wird aber abwechslungsreich mit schroffen Black Metal-Parts, elektronischen Klängen, ruhiger Gitarrenmusik und schließlich hymnenhafter tremolo-gezupfter Gitarrenarbeit. Die drei Songs von der EP „Riptide“ („Drowned In Cold”, “Nautical Child”, „Depths Of Arcane“) sind wütend und verzweifelt. Depressivität und verregnete städtische Isolation und Einsamkeit scheinen aus den Lautsprechern zu kriechen. Hin und wieder blitzen dabei ALCEST-typische Gitarrensounds auf, und in „Depths Of Arcane“ gibt’s elektronische Trance-Passagen. Mit „Walls“, „Guilty If“ und „World Of The Closed Graves“ wird es eine Spur roher; die letzten Songs von „Origins“ stammen von der EP „Illusions“ aus 2012. In „Guilty If“ begeistern schöne Basslinien und Soli der Leadgitarre, und effektveränderte Moll-Akkorde kitzeln im Ohr. Stimmlich klingen die letzten Songs anders als spätere Veröffentlichungen, die Vocals sind hier gepresst-knurrend. „World Of The Closed Graves“ hat doomig-traurige Zwischenparts.

WHITE WARDs Entwicklung und Veränderung des eigenen Stils in den ersten Jahren ist anhand der Compilation gut nachzuvollziehen. Es lassen sich Parallelen zu Bands wie DEAFHEAVEN, LANTLÔS, ANOMALIE, VIOLET COLD, NUMENOREAN und A LIGHT IN THE DARK ziehen. Ob Euch der Großstadt-Blues packt und derbe hinunterzieht oder doch kathartische Erlösung verschafft, müsst Ihr selbst entscheiden. Eine variationsreiche Ergänzung zu den beiden Longplayern von WHITE WARD ist „Origins" allemal!

 

Origins


Cover - Origins Band:


Genre: Nicht angegeben
Tracks: 9
Länge: 64:4 ()
Label:
Vertrieb:
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