TURIN – das sind fünf ziemlich talentierte Musiker aus dem Vereinigten Königreich, die sehr gerne hochwertigen BlackenedDeathcore fabrizieren. Das brachte dem Quintett auch schon Auftritte auf allerlei renommierten Festivals und im Vorprogramm von Größen wie WithinDestruction oder Decapitated ein. Der Name spielt nicht etwa auf eine gewisse gleichnamige Stadt im Piemont mit stilvoller Architektur und hervorragender norditalienischer Küche an, sondern ist ein Akronym für "The Unforgiving Reality In Nothing". Das neue Album, das am 12. Juli über MRNK erschien, trägt diese Worte als Titel und bildet musikalisch die Kernthemen der Band ab, die sie auch zu dem vielsagenden Namen verleitet haben. Es möchte der schonungslos und gnadenlos harten Realität ein musikalisches Gesicht geben und den persönlichen Verlusten und dem Kampf mit den eigenen Traumata Ausdruck verleihen. Und welche Musik wäre hierzu besser geeignet als brachialer Extrem-Metal, namentlich minutiös ausproduzierter Deathcore mit einschlägigen Black-Metal-Elementen, garniert mit einer guten Portion düsterer Melodeath-Walze und einem Schuss Death-Metal? Ein Fest für Liebhaber der extremsten Auswüchse unseres geliebten Genres, das deliziöser nicht sein könnte – konkrete Genuss-Tipps gibt es hierzu am Ende des Reviews.
Die Jungs präsentieren uns jedenfalls mit der neuen Scheibe ein schmackhaftes und hochinteressantes Menü. Da wäre beispielsweise die sehr interessante Arbeit mit dezenten Kontrasten gleich zu Beginn des Albums: Hier hören wir auf „Envy“ epische, massive Gitarrenriffs auf schnellen, schmackhaften Doublebass-Parts, elegant im Wechsel mit gnadenlosen Blastbeat-Gewittern. Das folgende „Abyssal“ bildet durch sein schnelles Riffing einen herrlichen Kontrast, ohne dass die beiden Songs ihre Stimmigkeit nebeneinander verlieren würden. In einem durchaus kreativen Solo erleben wir die Fortsetzung dieses Ansatzes ein weiteres Mal: Entgegen der Erwartung entbehrt das eigentliche Gitarrensolo technischer Spielereien, der Kollege an den Drums hingegen fährt virtuose Geschwindigkeiten und Raffinesse auf. Stilsicher performen die Jungs die genretypische Kombi aus Streichorchester, sphärischen Synthesizern und brachialen Gitarren, wobei die Highlights klar „Apostat“, „Loss“ und „Hopeless Solutions“ sind. Einen technischen Höhepunkt des Albums stellt unweigerlich der Titeltrack dar, der als wahnwitziges Doublebass-Massaker daherkommt und selbst für sein Genre bemerkenswert anspruchsvoll und beeindruckend ist. Hier fahren die Jungs auch einige der seltenen verhältnismäßig klaren Gesänge auf. Die Vermischung mit groovigen Elementen des Melodeath kommt am besten im treibenden Halftime-Epos „Reflections“ hervor. Im letzten Track „Our Reality In Nothing“ zeigen die fünf Herren auf beeindruckende Weise und anhand einer herrlich komplexen Riff-Salve, dass sie auch progressive Einflüsse geschickt aufgreifen und in ihren Stil elegant integrieren können. Der Titel deutet zudem eine Konzepthaftigkeit der Komposition an, das Album wirkt insgesamt also sehr durchdacht.Thematisch und lyrisch greift „The Unforgiving Reality In Nothing“ erwartbar tief in die Klischeekiste des BlackenedDeathcore, doch musikalisch bedienen sich TURIN einer gut gewählten Palette an Genres, ohne dabei Gefahr zu laufen, größere Irritationen zu verursachen.
Was hingegen überrascht, ist die ungewöhnlich geringe Resonanz, die die Band bisher erfahren hat. Die eingangs erwähnten Karrierehighlights des Quintetts können sich natürlich sehen lassen, aber bei einer derart hochwertigen Produktion mit solch ausgereiftem Songwriting und musikalischer Virtuosität (insbesondere am Drumkit!) verwundert doch die geringe Bekanntheit dieser Band, die sich nun schon im zehnten Jahr ihrer Bandgeschichte befindet. Klar, das Genre ist auf seine Weise speziell und eher etwas für Kenner und Leute mit deutlich von jedem Mainstream abweichendem Musikgeschmack, aber es bleibt den Jungs zu wünschen, dass sie auf der Welle der derzeitigen Popularität des Extrem-Metal mitreiten können.
Mir liegt „The Unforgiving Reality In Nothing“ auch als Vinyl vor. Puristen und Genießer kommen also auch haptisch voll auf ihre Kosten. Wer stilsichere Abende mit Plattenspieler und massiven Ledersesseln sucht und dabei den musikalischen Ausflug in die extremsten Gefilde des Metal wagen möchte, dem sei das Auflegen der Platte als hochwertiges und stimmiges Gesamtkonzept dringend angeraten. Dazu empfehle ich einen tiefdunklen und extrem schweren Rotwein mit herben Tanninen, schwungvollem Auftakt und stimmigem Körper, der geballten Geschmackswucht schwärzester Beeren und dunkler Kakaobohne, vielleicht einem Hauch angenehmer Säure und unbedingtem Willen, sich schonungslos und mit kurzem, aber bemerkenswertem Abgang die gustatorische Wendeltreppe den Gaumen hinabzuprügeln. Vorschlag: ein 2014er Amarone della Valpolicella Classico, dazu ein paar Stücke piemonteserCastelmagno und ein feines Bouquet dunkler Früchte.
Autor: Jakob Pflüger
The Unforgiving Reality In Nothing

TURIN
Genre: Metalcore
Tracks: 10
Länge: 41:50 (LP)
Label: MNRK heavy
Vertrieb: SPV