Review:

Night Castle

(Trans-Siberian Orchestra)

Unlängst war das TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA zum ersten Mal live auf Europas Bühnen zu sehen und zu hören. In den Staaten läuft dieses, bereits 1996 gegründete Projekt, seit Jahren so erfolgreich, dass sogar zwei Ensembles gleichzeitig den Kontinent von West nach Ost bereisen und dabei die ganz großen Konzertarenen locker füllen. Bei uns tut sich diese Musik, eigentlich schon etwas unverständlich, deutlich schwerer, obwohl die Musicalschiene grundsätzlich ebenfalls einen großen Boom verzeichnen kann. Denn in seiner ursprüngliche Intention versuchen die Macher des TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA mit ihrer charakteristischen Musik und den pompösen Liveproduktionen nichts anderes, als eine tolle Mischung aus bombastischem (Hard) Rock mit klassischem Orchester und Chören in einem musicalartigen Kontext zu einer kompakten Einheit zu verbinden.

Die Idee für diesen Sound hat sich aus den 90er Jahren Konzeptrockalben „Dead Winter Dead“ oder „Streets“ der Rock-/ Metalformation SAVATAGE entwickelt, hieraus zogen die Hauptsongschreiber (Keyboarder Jon Oliva sowie Gitarrist Paul O`Neill), die eher etwas episch-getrageneren Passagen heraus und formten zusammen mit Robert Kinkel den typischen TSO-Sound.

Das jetzt erschienene Doppelalbum "Night Castle" war in den Staaten bereits 2009 draußen. Die Präsentation ist super aufgemacht, eine Art Comic-Digibook mit tollem Artwork, ausführlichen Linernotes im Booklet (eigentlich eine Art Kurzroman mit der kompletten Geschichte) sowie den Songtexten hinter „Night Castle“. Auf insgesamt 26 Songs (sowie drei zusätzlichen Liveaufnahmen als Basis) wird eine schöne Geschichte ganz grob um einen guten Charakter sowie einem Bösewicht erzählt, der der sich im Laufe der packenden und gegen Ende überraschenden Story bekehren läßt und eine Art Erlösung findet. Die Handlung läuft auf verschiedenen Ebenen, mit Zeitsprüngen und an wechselnden Orten ab und stellt so eine Art modernes Märchen dar. Dabei werden geschickt anhand der Story aktuelle Themen wie Krieg, Völkermord (Vietnam), Drogen, persönliche tragische Ereignisse sowie die „philosophischen“ Beweggründe dahinter verarbeitet.

„Night Castle“ ist erst das zweite Album mit einem nicht-weihnachtlichen Bezug, die ersten drei Werke waren auf diese besondere Zeit ausgelegt. Der naturgemäß etwas stark kitschige Touch bei diesen Geschichten hat der „Band“ in hiesigen Rockkreisen leider völlig zu unrecht ein etwas belächeltes Image verschafft. TSO packen auch auf dem neuen Werk natürlich den ganz großen Bombasthammer aus, mit vielen melodramatischen Epicnummern, herzergreifende Balladen (aber nicht zu schnulzig) mit vielen verschiedenen Broadwaysängern, Stimmen und den entsprechenden Atmosphären. Die Melodie steht dabei immer im Vordergrund, die Songs decken eine schöne Bandbreite ab zwischen kraftvoll-losrockend bis hin zu symphonisch-hymnisch verspielt. Nach „Beethoven’s Last Night“ (2000) ist dies nun die zweite Scheibe ohne Weihnachtsthema. Trotzdem klingen einige Elemente davon auch hier durch, viele Molltonarten, die Gospelsachen wurden reduziert, aber ansonsten viel pianogetragene Powerballaden im Stile von MEAT LOAF und dessen Sachen mit Jim Steinmann.

Mir gefallen TSO immer dann besten, wenn man etwas mehr Tempo gemacht wird, mit vielen rhythmischen Sachen; sehr viel stärker gitarrenorientiert als sonst und auch mit wunderbar knackigen instrumentellen Parts. Und dann werden gekonnt viele bekannte klassische Melodien und Versatzstücke mit dem eigenen Sound verwurstelt. Da sind dann weder Mozart, Bach („Toccata – Carpimus Noctem“ was ein klasse Gitarrenfurioso), Beethoven oder auch Grieg (in „The Mountain“ wird auch das bereits von SAVATAGE adaptierte Grieg-Thema „In der Halle des Bergkönigs“ eingesetzt) vor den Herren sicher. Weitere solche Hämmer der Marke Klassik meets Rock sind „Mozart And Memories“ oder auch das wunderbar „Moonlight And Madness“ - hier dominieren echte Rockriffs die mit genügend Power und Streichern sehr mitreißend verwoben.

Überhaupt sind die Anleihen oder Zitate an alte SAVATAGE-Zeiten sicher ganz bewußt (u.a. "Another Way You Can Die") und stärker präsent als bei allen Werken davor. Auch etwas betont düsterer, dunkel-atmosphärisch geht es zu, der Gitarrenanteil wurde deutlich gesteigert. Auch Jeff Scott Soto ist in mehreren Stücken als Singcharakter dabei, einmal mehr sehr überzeugend u.a. dem rhythmischen „Night Castle“ klingt wie Flash Gordon mit QUEEN meets „Dead Winter Dead“. Trotzdem sind dazwischen immer wieder große melodramatische Chorarrangements wie bei „Night Entchanted“ zu finden, dann kommen auch wieder diese typischen theatralische Refrains, mit viel Gefühl und Dramatik. Bei Sachen wie „The Safest Way Into Tomorrow“ oder Bombastepen “There Was A Life“ und „Epiphany“ mit dem charismatischen Rob Evan an den Vocals beiten „Drama Baby Drama“ pur, hart an der Grenze zum Kitsch und mitunter einen Tick zu lang geraten. Aber TSO schaffen den Spagat einfach immer wieder sehr fesselnd und emotionaler Tiefe.

Auf der zweiten CD sind auch einige sehr überzeugende weibliche Leadvocals zu finden u.a. zeigt hier Jennifer Cella bei „Father, Son And Holy Ghost“ eine tolle Performance voller Inbrunst und Emotionalität. Mir gefällt die zweite Seite aber nicht ganz so gut wie der erste Teil, da sind doch einige Längen enthalten. Auch die neue Version des Kultklassikers „Believe“ ist eher mittelprächtig, dafür überzeugen der beliebte und sehr flotte „Nussknacker“ sowie das kraftvolle „Tracers“ im Bonusprogramm um so mehr. Auch Meister Orff’s "Carmina Burana" kommt nicht wirklich 100 Prozent überzeugend daher, klingt mir zu flach ohne echten Orchestersound.

Sei’s drum insgesamt ist „Night Castle“ trotz kleinerer Mäkel ein stimmiges TSO-Werk, das bisher gitarrenlastigste ganz klar. Allen SAVATAGE-Fans denen die Herren bisher zu weihnachtsmäßig unterwegs waren, dürften jetzt wieder zuschlagen. Wer sich gerne aufgemotzte Rockmusicals mit stärkerer Gitarrenbetonung, tolle Melodien und dem gewohnt aber nur leichten Kitschglasurüberzug reinzieht kommt an diesem Orchester erneut nicht vorbei. Gegenüber dem überragenden „Beethoven's Last Night“ ist das Album quailitätsmäßig aber leicht schwächer einzuordnen.

Jetzt hoffen wir mal, dass die Band 2012 dann wie versprochen wieder live bei uns aufkreuzt und diesmal mit Jon Oliva an den Tasten und viel Material aus „Night Castle“.

Night Castle


Cover - Night Castle Band:

Trans-Siberian Orchestra


Genre: Rock
Tracks: 29
Länge: 121:32 (CD)
Label: Atlantic Records
Vertrieb: BMG/Tonpool