Review:

Acoustic Sessions

(Thin Lizzy)

TIPP

Nach über vier Jahrzehnten der Stille erscheint nun endlich neues Material von THIN LIZZY! Manch einer mag denken, dass der ‚Giftschrank‘ nur geöffnet wurde, um ein wenig Geld zu scheffeln. Doch mit “Acoustic Sessions“ erwartet uns ein wahres Juwel, das sich keiner entgehen lassen sollte, der auf gepflegten (akustischen) Rock steht. Es handelt sich hierbei um ein außergewöhnliches Projekt, das von Decca Records initiiert wurde und für das man mit Eric Bell (Gitarre) ein Gründungsmitglied der legendären Truppe gewinnen konnte.

Zunächst wurden die meisten Titel akustisch auf der Gitarre oder einem Klavier aufgenommen, und man entwickelte später daraus die Endfassungen, verriet uns Eric. Von Phil Lynott (Gesang und Gitarre) und Brian Downey (Schlagzeug) wurden im Folgenden die Originalparts verwendet, und Eric nahm sein Gitarrenspiel zum Teil neu auf. Der ein oder andere Track wurde so erst unplugged erschaffen.

Die Songs stammen allesamt aus der ersten Phase der Iren, bevor der Twin-Lead-Gitarrensound zu ihrem Markenzeichen wurde. Allerdings ist mit “Whiskey In The Jar“ ein absoluter Kracher mit am Start. Obwohl sich die Band zunächst von diesem Traditional distanzierte, da sie den Kultsong nur auf Drängen ihres damaligen Managers eingespielt hatte, verhalf es ihnen zum Durchbruch und adelte das Album “Vagabonds Of The Western World“, indem man es nachträglich (1991) hinzufügte. Selbstverständlich funktioniert diese Nummer ohne Stromgitarre vorzüglich.

Der Einstieg freilich mit “Mama Nature Said“ ist ein roher, fast schon intimer Moment, den Phil mit viel Leidenschaft, lediglich von Eric dezent begleitet, vorträgt. Demgegenüber wirkt “A Song For While I'm Away“ mit orchestraler Untermalung nahezu overdressed. Der sanfte, melodische Gesang hingegen fungiert buchstäblich als Weichzeichner. “Eire“, ursprünglich auf dem Debüt, ist eines der musikalischen Sahnestückchen auf dem Longplayer. Man kann hier schön die Bassspur von Mr. Lynott hören, und Eric hat auf die 12-saitige eine diskrete Slide-Gitarre oben drauf gepackt. Das Stück wurde dann noch mit einem unwiderstehlichen Akustiksolo veredelt, sodass es am Ende doppelt so lange ist wie im Original.

Beim “Slow Blues – E.B.“ (E.B. steht für Eric Bell; mit den Initialen G.M. findet man auch eine Version von Gary Moore auf der D2C-Edition als Bonus) wurde schlicht und ergreifend das Thema verfehlt, zum Glück möchte man sagen. Hier ist nämlich die volle Kapelle am Start, plus Clodagh Simonds am Piano. Brian Downey hat das Stück nicht nur mitgeschrieben, sondern auch durch sein Spiel mitgeprägt. Ein düsterer Blues, der mit feinen Jazzeinflüssen verwoben ist, entfaltet eine hypnotisierende Atmosphäre, was am Ende zu einem psychedelischen Flair führt – passend zum Albumcover von “Vagabonds Of The Western World“, wo es ursprünglich zu finden ist.

Der Rausschmeißer “Remembering Pt 2“ ist der Titel mit dem meisten Drive. Die Dynamik, die allein Brian am Schlagzeug erzeugt, treibt den Rest des Triumvirates im wahrsten Sinne des Wortes im Galopp durch das Lied.

“Acoustic Sessions“ ist ein wunderbares Stück Musik, das uns an der Hand nimmt und zurück in eine Zeit führt, als alles noch eine Spur langsamer und gemächlicher war. Es geleitet uns zu den Anfängen einer wahrlich großen Rockband, die auch jenseits von gewaltigen Gitarrengewittern und epischen Hymnen mit unfaßbar viel Gefühl und leisen Tönen großes Liedgut erschaffen hat. Über all dem schwebt die unverwechselbare Stimme des viel zu früh verstorbenen Phil Lynott (R.I.P.), die genauso facettenreich ist, wie sein Heimatland, das er so sehr geliebt hat.

 

 

 

 

Acoustic Sessions


Cover - Acoustic Sessions Band:

Thin Lizzy


Genre: Rock
Tracks: 9
Länge: 42:26 (CD)
Label: DECCA
Vertrieb: Universal Music