Review:

Kollaps

(THE HIRSCH EFFEKT)

TIPP

Jetzt ist tatsächlich Konzentration angesagt. THE HIRSCH EFFEKT haben in der Vergangenheit schon mit vier Full-Length-Alben auf sich aufmerksam gemacht und bringen mit "Kollaps" ihr fünftes Werk auf den Markt. Warum sollte man sich auf ein konzentriertes Hören einstellen? Die Hannoveraner bieten keine 08/15-Musik von der Stange, sondern präsentieren höchstkomplexen, deutschsprachigen Indie-Mathcore, der schon erfolgreich auf Festivals der Größenordnung Wacken Open Air, With Full Force oder dem Euroblast die Zuschauer erfreute und die Reichweite der Band deutlich erhöht hat, was Platz 21 in den deutschen Album-Charts eindrucksvoll untermauert hat. Richtig einordnen kann man die Band nicht, da sie sich aus dem Besten der Bereiche Prog-Metal, Death-Core, Rap, Musical, Pop, wildem Geprügel und leisen Parts bedient und dies zu einem fast unhörbaren Ganzen vereinigt. Unhörbar aber nur fast, da man sich mit dieser Scheibe langfristig auseinandersetzten sollte um die Vielschichtigkeit der Songs zu begreifen.

Fängt es mit "Kris" noch recht seicht und melancholisch an, reißt uns "Noja" sogleich aus unseren Träumen. Die Geschwindigkeit wird erhöht, und die Musiker zeigen selbstbewusst, das sie ihre Instrumente nicht erst seit gestern spielen. Dies gilt im Übrigen für die ganze Platte! Ein Wahnsinn, mit welcher Selbstverständlichkeit völlig wirre Riffs in noch vertracktere Schlagzeugparts zu einem koordinierten Chaos werden. Hier fängt selbst die Musikerpolizei an zu staunen, und ein schnöder 4/4-Rhythmus wird wie selbstverständlich ausgeblendet und nur in Notfällen benutzt.

"Deklaration" beginnt völlig konfus, und dies zieht sich durch den ganzen Song. Zurücklehnen ist hier unmöglich, und mich erinnert das Durcheinander an technischem Hintergrund und völlig abgedrehten Stimmlagen (hier ist echt alles drin) ein wenig an WALTARI, was ja nun wirklich keine schlechte Gesellschaft ist. "Allmende" wirkt trotz pfiffigem Gitarrenspiel ein wenig aufgeräumter und geht glatt als einer der wenigen straighten Songs durch, welcher nur am Ende durch gut gesetzte Breaks ein wenig Ruhepause verspricht.

"Domstol" fängt herrlich entspannend mit einer cleanen Gitarre an und verbreitet mit den fast an Deutsch-Pop erinnernden Vocals ein irgendwie nicht passendes Feeling, welches dann in wüstes Tech-Gefrickel mündet. Ziemlich konfuse Geschichte, aber das kennt man ja mittlerweile schon. "Moments" beweist sich als ein gefühlvoller Appetizer für "Torka", welches uns in ruhige Fahrwasser bringt und uns einen Moment zum Durchschnaufen lässt.

"Bilen" begrüßt den Hörer musikalisch verständlicher als die vorhergehenden Lieder und wird jedem open-minded Core-Hörer ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Der siebenminütige Titeltrack "Kollaps" eröffnet verträumt und irgendwie symphatisch. Manchmal kommen bei mir hier sogar Vergleiche mit neueren Werken von ANATHEMA in den Kopf. Kurzzeitig wird ein wenig aufs Gas gedrückt, aber die chillige Grundstimmung bestimmt ganz eindeutig das Geschehen. Mit "Agera" kommen wir zum letzten Stück von "Kollaps". Hier geht es wieder wild durcheinander, es vereint alle Trademarks der vorhergehenden Songs und lässt den Hörer und den Rezensenten staunend und verwirrt zurück.

Textlich wird die persönliche Auseinandersetzung mit den Werten unserer Welt in den kritischen Fokus genommen. Fragen werden gestellt und damit verbundene Wahrnehmungen gekonnt reflektiert. Die Frage, welche sich mir stellt, ist, warum alle Songtitel in der schwedischen Sprache gehalten sind, der vertonte Kollaps aber dann doch in Deutsch stattfindet. Aber die größte Frage ist noch immer: Was denken sich THE HIRSCH EFFEKT eigentlich bei ihrer Musik? Für mich ist dieses Album fast nicht bewertbar. Ich für meinen Teil kann mit "Kollaps" bestens leben, aber diese Art von Musik wird nicht Jedermanns Sache sein. Von mir eine Kaufempfehlung und an alle Neu-Hirsche der "Tipp", viel und hochkonzentrierte Zeit der Scheibe zu widmen. Daumen hoch im 7/16-Takt!

 

Kollaps


Cover - Kollaps Band:

THE HIRSCH EFFEKT


Genre: Metalcore
Tracks: 10
Länge: 48:22 (CD)
Label: Long Branch Records
Vertrieb: SPV