Freunde des in letzter Zeit gar zu oft als aussterbende Art erscheinenden melodiösen Gothic Rocks: das hier ist für euch. Ja, ich meine explizit auch euch, liebe HIM-Fans, die ihr – verlassen und düster-melodisch ausgehungert – in der musikalischen Einöde ausharrt: hier naht Linderung für eure Pein (und ich weiß, wovon ich spreche – ich bin eine von euch). Gothic Rock (und erst recht Gothic Metal) neigt bekanntlich dazu, in zwei Kategorien zu zerfallen. Da sind die, welche die klinische Depression quasi zum Leitprinzip erhoben haben: Stimme und Instrumente erheben sich nie über die tiefsten Grabestiefen hinaus, in welchen sich das Ganze schleppend in Todessehnsucht ergeht und in denen Eingängigkeit eher als Schimpfwort gilt, nach dem allenfalls verweichlichte Charthörer trachten. Anhänger dieser Fraktion können jetzt wieder weghören, wir wollen sie in ihrer bleiernen Hoffnungslosigkeit hier nicht weiter stören. Und dann gibt es jene, die die Schönheit im Vergänglichen sehen, das Licht, das den Schatten wirft, und in denen bei aller Düsternis doch die Flamme der Leidenschaft brennt, die gegen die Dunkelheit ankämpft und sie gleichzeitig erhellt. In diese Kategorie fällt „Chasm“.
„Poetry for the broken-hearted who still like to dance from time to time“, so die Selbstbeschreibung von Mastermind Ashton Nyte – klingelt da was? All diejenigen, die bei diesen Worten die Ohren gespitzt haben, können jetzt getrost den Lautstärkeregler auf Anschlag drehen, denn schon die ersten Töne des Openers „Other Ghosts“ ziehen einen mit ihrer dichten Atmosphäre sofort in ihren Bann und spätestens sobald der Gesang einsetzt, beginnt einem der erste, wohlige Schauer über den Rücken zu rieseln. Wer mehr Tempo bevorzugt, braucht sich bloß bis zum nachfolgenden „Shore“ zu gedulden, einer düster-romantischen Hymne, die sich, einschmeichelnd und rockig zugleich, direkt im Ohr festkrallt und das Herz eines jeden Dark Rock-Fans umgehend höher schlagen lässt– hell, yeah! Der Mann hat das in der Stimme, was es braucht, um musikalische Dunkelheit anziehend statt depressiv zu machen: diese gewisse Mischung aus Abgründigkeit, Leidenschaft, Dichterschmerz und Sinnlichkeit, die die Hochkaräter des Genres auszeichnet. Und er hat die passenden Melodien dazu. Das hochgradig eingängige „Back To Wonderland“ rockt sich wunderbar ins Ohr und ist zum Live-Kracher bei künftigen Konzerten prädestiniert, die nachfolgende Ballade „Gave Up The Ghost“ schillert in allen (dunklen) Farben: wunderschön und traurig, samtig, sinnlich und sehnsüchtig, ist das Lied ein wahres Schmuckstück– laut aufdrehen, Augen schließen und dann genießen, wie sich langsam, aber unaufhaltsam eine Gänsehaut von der sehr, sehr guten Sorte ausbreitet. Melancholie kann so schön sein. „Minor Incision“ stellt einen Ausflug in schwere und tiefschwarze Gefilde dar, mit denen man sich bei THE AWAKENING ja durchaus auskennt, aber diesmal bleibt es nur ein kurzer Exkurs – mit den nachfolgenden Songs „Hear Me“ und „Shadows In The Dark“ kehrt Nyte wieder in die eingängig-dunkelmelodischen Gefilde zurück, mit denen er begann. Kurz: „Chasm“ ist eine höchst willkommene, düsterschillernde Perle, die bei jedem Liebhaber dieser Art von Musik erst mal in Dauerrotation gehen dürfte. Bitte mehr davon!
Chasm
Band:
The Awakening
Genre: Gothic Rock
Tracks: 10
Länge: 41:28 (CD)
Label: Intervention Arts
Vertrieb: Intervention Arts