Review:

Force Of Gravity

(Sylvan)

Die Hamburger Progrocker SYLVAN haben sich mit ihren seit der Gründung 1998 sowohl inhaltlich als auch vor allem musikalisch stetig steigernden Alben zu Recht viele Fans im New Artrock bzw. Neo Progrock Genre erspielt. Die Band hat sich auch auf internationaler Ebene durchgesetzt und dabei auch die in diesem Zusammenhang oft genannten MARILLION (ob der Vergleich jetzt immer so 100-prozentig passt kann man sich streiten) längst überholt, da man für meinen Geschmack deutlich songorientierte unterwegs als die doch sehr experimentell und nur noch wenig packenden Urväter aus Großbritannien agiert.

Sei’s drum - die letzten beiden Werke, das konzeptionell-opulente „Posthumous Silence“ (2006), das songlich deutlich reduziertere aber punktuellere „Presets“ (2007) sowie die tolle Live-DVD „Posthumous Silence – The Show“ (2008) waren schon echte Meisterwerke und die lassen sich nicht einfach so in Serie beliebig wiederholen.
Das aktuelle Album „Force of Gravity“ zeigt dies ganz eindeutig, egal ob es so gewollt war oder nicht. SYLVAN mussten oder besser wollten eine Art Schnitt machen. Mit dem neuen Gitarristen Jan Petersen ist die Band doch deutlich rockiger, manchmal schon betont heavier geworden (und nicht nur mit leichten Spitzen wie früher) und sie lassen es auch musikalisch lockerer angehen. Ein gewisser Reifeprozess gepaart mit gesteigerter Spielfreude und dem WIllen vielleicht nicht alles bis zu letzten Note auszufeilen sowie die Arrangements auch mal luftiger und weniger komplex aufzubauen, lässt sich ebenfalls feststellen.
Doch keine Angst, trotz dieser vermeintlich stilistischen Weiterentwicklung mit einer nur ganz groben Mischung aus „Presets“ und „Posthumous Silence“ sind die typischen Trademarks und auch Songs nach wie vor noch enthalten.

So ist das opulente „Vapour Trail“ mit seinen 14 Minuten eine hochklassige Achterbahnfahrt durch den SYLVAN Kosmos geworden. Das Ding ist der Höhepunkt Art-Rock pur mit vielschichtigen Wendungen, ganz großes Gefühlskino mit rassigen Gitarren und einfühlsamen Melodien aber nicht zu pathetisch und getragen. Und jetzt kommen wir zu den eher weniger gelungen Songs: Die Eröffnung mit dem schwermütig langsamen Titelsong "Force Of Gravity" ist mehr als unglücklich, da hier die Vocals einfach zu stark im Vordergrund stehen, zu betont leidend (beinahe schon nervig) sind und der Song einfach so auf mich wirkt, als wäre es aus einem komplexen Gesamtstück der Mittelteil, nur der Anfang und Schluss fehlen irgendwo komplett. Auch "Turn Of The Tide" überzeugt mich nicht so recht, nach dem zarten Anfang folgen brachiale Riffs, dann wieder der Gesang mit etwas komischer zweiter Stimme, die Pianos klingen überbetont, kurzum: hier will man etwas zu viel zu Lasten des Songs, der rote Faden fehlt.
Das aufwühlende „Follow Me" (die erste Single) ist dann aber ein klasse Rocksong geworden mit nur leichter Progressivität, krachenden Drums und kommt sofort auf den Punkt und reißt den Zuhörer richtig mit. "King Porn" geht in eine ähnliche Richtung, das ist stellenweise bei den heftigen Momenten lupenreiner Progmetal, gesanglich richtig aggressiv mit vertrackter Rhythmik sowie vielen Tempowechseln und dann wieder diese gefühlsbetonten Parts dazwischen - echt klasse.

„Embedded“ ist dann so was wie Pop (Prog), aber zum Glück jetzt nicht so platt wie dies zuletzt COLDPLAY teilweise gemacht haben, mit typisch eingehendem Refrain, einfach 3:29 Minuten Musik, unterhaltsam und locker auf den Punkt gebracht. "Isle In Me" ist ebenfalls eine wunderbare Nummer mit wohlig warmen Pianoklängen sowie den genau richtig dosierten Vocals von Marcus Glühmann und den herrlich elegischen Gitarrensoli zum reinlegen. Beim getragenen "Midnight Sun" gibt es ein schönes Duett mit Sängerin Miriam Schell zu hören, sie klingt dabei wie eine junge KATE BUSH zu ihren besten Zeiten, da ist Gänsehaut pur angesagt. Das relativ einfache „Good Od Rubbish“ zeigt SYLVAN in einem völlig neuen Gewande - ein schnell rockender Track mit schöner Hook, da wird der Prog gar völlig in den Keller verbannt.

Insgesamt ist „Force Of Gravitiy“ diesmal „nur“ ein gutes Album geworden, da es erstmalig ein paar Songs gibt, die mich nicht so ganz überzeugt haben. Trotzdem kann man den Hamburgern ein sehr vielseitiges Album bescheinigen. Es ist ein Schritt nach Vorne ohne die Wurzeln aus den Augen zu verlieren. Insbesondere auch der große Mut sich aus bekannten Fahrwassern etwas weg zu bewegen ist absolut Anerkennenswert, verdient großen Respekt und ist ein großer Pluspunkt dieses Albums. Dass man dabei songtechnisch nicht immer absolut unfehlbar ist, macht die Band nur noch sympathischer.

Force Of Gravity


Cover - Force Of Gravity Band:

Sylvan


Genre: Progressive
Tracks: 11
Länge: 69:33 (CD)
Label: Sylvan Music/
Vertrieb: Rough Trade