Review:

Testimony 2

(Neal Morse)

Mit den Solo-Werken von Neal Morse habe ich mich ehrlich gesagt noch nie beschäftigt. Sein missionarischer Eifer, aufgrund dessen er ja auch bei SPOCK’S BEARD ausgestiegen ist, hat mich komplett von seinem weiteren musikalischen Werdegang abgeschreckt. Aber auch die SPOCK’S BEARD-Alben nach seinem Ausstieg haben mich aufgrund ihrer Tendenz zu immer geraderem, konventionellerem amerikanischem Rock nicht mehr besonders interessiert, so dass ich mich ausschließlich an die zwischen 1995 und 2002 erschienenen Alben gehalten habe. Live ist die Band zwar immer noch eine sichere Bank, aber die echten Höhepunkte ihrer Konzerte sind eben doch die Neal Morse-Songs; das sind die Momente, wo man wirklich Gänsehaut bekommt. Erst die TRANSATLANTIC-Reunion 2009 hat mir bewusst gemacht, dass es sich lohnen könnte, zu verfolgen, was Morse abseits seiner Gottesdienst-Touren eigentlich noch so treibt.


Als ich mir dann „Testimony 2“, den zweiten Teil des ersten Post-SPOCK’S BEARD-Albums „Testimony“ von 2003, zum ersten Mal angehört hatte, war mir klar: Es hat sich nicht nur gelohnt, sondern ich hätte wirklich etwas verpasst. Um es schon einmal vorwegzunehmen: „Testimony 2“ klingt mehr nach den alten SPOCK’S BEARD als deren Alben nach 2002, und zwar in einem Ausmaß, dass einem schon fast die Freudentränen kommen. Textlich gesehen muss man zwar ab und zu ein Auge bzw. Ohr zudrücken. Da gibt es dann eben auch mal Songzeilen wie „Jesus’ blood can make the vilest sinner clean“, „Jesus bring me home“ oder „The God of the whole universe / Sent his son to lift the curse / And live His holy life through me and you“. Der religiöse Anteil hält sich aber zum Glück in Grenzen: Vor allem erzählt Morse hier über die Zeit von der Gründung von SPOCK’S BEARD bis zu seinem Ausstieg, und das ist sogar stellenweise recht spannend.


Aber kommen wir lieber zur Musik. Die lässt einen nämlich wie bereits erwähnt im siebten Prog-Himmel schweben. Einen Überblick über die Songs zu bekommen, ist dabei zunächst schwierig: Auf der ersten CD sind Teil 6, 7 und 8 von „Testimony“ enthalten, die jeweils noch in einzelne Stücke unterteilt sind, auf CD 2 befinden sich zwei kürzere Songs sowie das 26-minütige „Seeds Of Gold“. Aber schon mit dem Opener und seinem gefühlvollen Klavier-Intro und dem anschließenden wunderbaren Thema hatte mich diese Scheibe. Und auch schon beim ersten Durchlauf bleibt man immer wieder an diesen ganz großen Themen hängen, die sich zugegebenermaßen manchmal nahe an Bombast und Kitsch befinden und einen doch immer wieder fast schon gegen den eigenen Willen mitreißen. Daneben gibt es ruhige, getragene Passagen zum Reinlegen und auch einige wilde Frickelparts, und zwischendurch wird auch immer mal wieder straight und bluesig gerockt. Alles da also. Die beiden ersten Songs der zweiten CD, „Absolute Beginner“ und „Supernatural“, fallen demgegenüber allerdings etwas an, bieten eher konventionelle Kost und klingen im Vergleich zum Rest des Albums ziemlich belanglos. Das abschließende epische „Seeds Of Gold“ entschädigt dafür aber großzügig, indem es noch einmal die besten SPOCK’S BEARD-Zutaten bündelt.


Auffällig ist, dass diverse Passagen schon fast als direkte SPOCK’S BEARD-Zitate durchgehen könnten. Zumindest in „Time Changer“ scheint das durchaus beabsichtigt zu sein: Dessen mehrstimmiger Gesang, schon von Anfang an ein Markenzeichen der Band, erinnert stark an Songs wie etwa die beiden Teile von „Thoughts“. Wobei „erinnern“ es hier wohl nicht trifft – tatsächlich IST das hier SPOCK’S BEARD-Gesang. Die Jungs sind nämlich zu Neal ins Studio gekommen und haben die Parts eingeträllert. Damit standen die alten SPOCK’S BEARD zum ersten Mal seit den Aufnahmen für „Snow“ wieder zusammen im Studio. Zur Seite standen Morse außerdem auch wieder seine langjährigen Studio-Gefährten Mike Portnoy und Randy George, so dass sich spielerisch alles auf höchstem Niveau befindet. Dazu sind einige weitere prominente Gäste mit an Bord, so etwa der Übergitarrist Steve Morse (der übrigens kein Bruder von Neal und Alan ist, dafür aber neben seiner eigenen Band schon bei den DIXIE DREGS und KANSAS spielte und bei DEEP PURPLE Joe Satriani ersetzte).


Kleine Abstriche gibt es wegen der Texte dann doch, denn Morse singt einfach etwas zu häufig „Jesus“. Ob man deshalb gleich sein komplettes Solowerk ablehnen möchte, sei jedem selbst überlassen. Ich jedenfalls habe mich durch „Testimony 2“ eines Besseren belehren lassen, höre an den schlimmen Textpassagen einfach weg und erfreue mich der großartigen Musik. Ist ja auch kein schlechter Mensch, der Neal Morse, er meint es ja nur gut mit uns. Und mit diesem Album hat er eindeutig bewiesen, dass er es musikalisch immer noch drauf hat.

Testimony 2


Cover - Testimony 2 Band:

Neal Morse


Genre: Progressive
Tracks: 16
Länge: 115:14 ()
Label: Inside Out
Vertrieb: EMI