by Markus Mai
JOHN WETTON war und ist mit seinem charismatischen Timbre noch immer einer meiner absoluten Lieblingssänger. Der britische Bassist hat Anfang der 80er mit der Gründung von ASIA, einer der ersten sogenannten Supergroups mit prominenten Mitmusikern, einige wirklich lohnenswerte Alben veröffentlicht. Zuvor war er bereits in so bekannten (Prog)Formationen wie WISHBONE ASH, URIAH HEEP oder KING CRIMSON aktiv. Nach dem erfolgreichen ASIA-Comeback 2006 ist der Gute wieder voll ausgelastet und neben diversen Touren mit den Bombastrockern sowie dem letzten Output hat er sogar noch die Zeit gefunden mit "Raised in Captivity" ein weiteres Solowerk aufzunehmen.Für dieses Album hat sich der mittlerweile 62-jährige zwar einige hochkarätige Gastmusiker wie u.a. Steve Morse (DEEP PURPLE), Robert Fripp (KING CRIMSON) oder auch Steve Hacket (GTR, GENESIS) mit an Bord geholt aber auch die können dieses allenfalls gerade noch so als mittelmäßig zu wertende Album nicht herausreißen. Bei mir jedenfalls macht sich schon etwas Enttäuschung breit, soundlich sind einige Tracks natürlich schon mit typischen ASIA-Sachen vergleichbar, dies liegt aber sicher auch hauptsächlich an der tragenden Stimme. Ansonsten wird hier durch weniger Keyboardpräsenz der Bombastanteil merklich nach unten geschraubt, die Gitarren der Gäste dürfen sich mehr in den Vordergrund spielen. Nur es sind einige zu viele und vor allem arg seichte pathetische Schnulzen (erinnern etwas an die ICON-Sachen zusammen mit Tastenguru Geoff Downes) auf dem Silberling vertreten. Der Großteil des Materials dieser zwölf Tracks bietet vielfach nur passable Ansätze und sicher viel guten Willen etwas vom Gewohnten wegzukommen. Aber was hauptsächlich fehlt sind wirklich hängen bleibende große Melodien und catchy Refrains – an das letzte recht gute ASIA-Werk „Omega“ kommt Wetton hier qualitätsmäßig leider nicht im entferntesten ran.
Vieles plätschert einfach zu belanglos oder schlicht etwas langweilig dahin, zig Refrainwiederholungen (u.a. bei dem melancholischen “The Devil In The Opera House” könnte auch ein ASIA-Song sein aber warum sieben Minuten lang - der musikalische Inhalt reicht für knappe drei) ziehen einige Songs nur künstlich in die Länge. Die vielen gezogenen „uhhuus“ u.a. beim Titelsong reißen ebenfalls nichts raus und sind für einen Sechzigjährigen auch eher etwas peinlich. An der Stimme als solche liegt es ganz klar nicht, die ist nach wie vor klasse, sehr volumig mit typischen Timbre und auch live habe ich ihn zuletzt auf der letzten Asia-Tour absolut in guter Form gehört.
Es liegt leider einfach am recht unspektakulären Songwriting, nur drei,vier mit viel Wohlwollen fünf solide Songs auf einem Album sind schlichtweg viel zu wenig für so einen profilierten Musiker. Vielleicht hätte er sich lieber etwas mehr Zeit nehmen sollen, um manches besser auszuarbeiten. Der relativ schnelle und kraftvolle Opener „Lost for Words“ wartet mit einem guten Gitarrensolo auf, es klingen schöne Hammonds durch – ein solider Start. Der flotte Titelsong "Raised In Captivity" (mit Morse an den Saiten) hätte schon noch etwas besser funzen können wären die erwähnten banalen „uhhus“ nicht und dann folgt gleich der Tiefpunkt des Albums das unheimlich lasche und total seichte „Goodbye Elsinore“. Weitere nicht viel bessere Songs sind das zwar recht rockige (mit Mick Box) mit einem schwachen Refrain aufwartenden „New Star Rising“, das auch textlich recht platte AOR-Gegurke „We Stay Together“ und die gräusliche Ballade „Don’t Misunderstand Me“.
Das etwas „verschachtelte“ und mit vielen Tempowendungen versehene „The Last Night Of My Life“ überzeugt hingegen auch mit schönen mehrstimmigen Backings genauso wie das eher etwas schleppend startende „The Human Condition“ mit relativ krachendem Rockambiente. Beide Songs erinnern stark an YES zu mainstreamigeren Zeiten – kein Wunder hier war ex-YES-Mann Tony Kaye an den Tasten dabei. Weitere positive Sachen sind „Steffi's Ring", eine leider zu kurze melancholische Folknummer die Downes mit gelungenen Panflöten-Klängen veredeln darf. Der mit Abstand stärkste Song kommt erst zum Schluss denn die tolle etwas düstere orchestrale Hymne „Mighty Rivers“ ist ein tolles Duett von Wetton zusammen mit der niederländischen Sängerin und ehemaligen THE GATHERING-Frontfrau Anneke Van Giersbergen. Hier harmonieren diese beiden außergewöhnlichen Stimmen in schönen Wechseln perfekt.
Letztlich kann Wetton (die Fanbrille mal abgesetzt) mit diesem achten Solowerk leider nur teilweise überzeugen und ganz sicher nicht sein bestes Werk abgeliefert. Daher empfehle ich allen Nichtfans lieber seine wohl stärkste Scheibe „Battle Lines“ aus dem Jahr 1994, die ist qualitativ einfach besser.
Raised In Captivity
Band:
John Wetton
Genre: Rock
Tracks: 12
Länge: 54:25 (CD)
Label: Frontiers Records
Vertrieb: Soulfood Music