Review:

Distance Over Time

(Dream Theater)

TIPP

Mit ihren letzten Album „The Astonishing“ hatten sich DREAM THEATER etwas übernommen. Darauf gibt es zwar durchaus einige erinnerungswürdige Passagen, in seiner Gesamtheit ist das wie eine Rock-Oper angelegte Mammutwerk aber doch zu aufgeblasen und erinnert stellenweise unangenehm an Disney-Soundtracks. „Distance Over Time“ scheint schon rein formell wie ein Gegenstück dazu: kein Konzept, kein aus mehreren Teilen bestehender Long-Track, einfach eine Sammlung neuer DREAM THEATER-Stücke. Und tatsächlich agiert die Band darauf wie befreit. John Petruccis Gitarrenspiel wirkte schon lange nicht mehr – vielleicht noch nie – so angriffslustig. Man höre sich dazu nur die schwer rockenden Riffs in „Fall Into The Light“, „S2N“ oder „At Wit's End“ an. Und dann Mike Mangini: Endlich tritt er aus dem Schatten von Mike Portnoy heraus, begnügt sich nicht mehr mit einer bloßen Kopie, sondern zeigt mit stellenweise genial unangepasstem, scheinbar verquerem Drumming, was er eigentlich drauf hat und leistet immer wieder Unglaubliches, so dass einem nur noch der Mund offensteht. Der irre Mittelteil von „S2N“ etwa ist nicht nur Gitarren-, sondern gleichzeitig auch Drum-Solo.

Überhaupt ist die Spielfreude der Band in jedem Stück zu spüren. Auf überlange Soli wird in den meisten Stücken verzichtet, stattdessen deuten die Musiker oft nur an, was sie eigentlich sonst noch können und geben der Songdienlichkeit den Vorzug. Dafür nehmen sie sich etwa mit Akustikgitarre oder Piano immer wieder auch Zeit für ruhige Momente. Dass sie tatsächlich viel Spaß bei den Aufnahmen gehabt haben müssen, hört man einem Stück wie „Room 137“ an, das mit BEATLES-Harmonien und einem Swing-Part überrascht.

Gut, vieles auf diesem Album meint man so oder ähnlich schon von dieser Band gehört zu haben.  Aber Selbstreferenzen sind bei einer derartigen Diskographie im Rücken kaum zu vermeiden und sind teils sicher auch gewollt. Und wenn man ehrlich ist, muss man zugegeben, dass man eigentlich nicht genug bekommen kann von diesen groß angelegten Refrains und Petruccis Hook-Lines wie in „Fall Into The Light“ oder „Barstool Warrior“, die einfach immer wieder zum Niederknien sind. Mit „Out Of Reach“ gibt es dann zwar leider doch auch wieder eine verzichtbare Ballade zu hören, doch mit knapp über vier Minuten kommt man als Nicht-Anhänger der typischen DREAM THEATER-Schnulzen noch relativ glimpflich davon.

„Distance Over Time“ ist das stärkste DREAM THEATER-Album seit langem, zumindest seit dem Ende der Portnoy-Ära. Die gesamte Band spielt hier so zwingend, druckvoll und auf den Punkt, dass ihre Energie unmittelbar ansteckend wirkt. Lohnenswert sind übrigens die limitierte Digipack- sowie vor allem auch die Vinyl-Version, der das komplette Album zusätzlich als CD beiliegt. Denn mit „Viper King“ gibt es auf beiden einen Bonus-Track, der es in sich hat. So dreckig, rockig und bluesig hat man DREAM THEATER wohl nie gehört.

 

 

Distance Over Time


Cover - Distance Over Time Band:

Dream Theater


Genre: Progressive
Tracks: 9
Länge: 56:57 (CD)
Label: Inside Out
Vertrieb: Sony