Band:

Blind Passengers

BiografieIm Oktober 1987 beschlossen Rayner Schirner und Nik Page, um der Langeweile der Randberliner Vorstadtsiedlung Blankenfelde zu entrinnen, die Blind Passengers zu gründen.
Da die Beschaffung von Equipment für elektronische Musik in der DDR ein äußerst schwieriges Vorhaben war, dauerte es einige Zeit bis sich mit Hilfe eines monophonen Vermona-Synthesizers und eines analogen Korg MS10 Geräuschmüll in songähnliche Strukturen verwandelte.
Ihren ersten Auftritt bestritten die Blind Passengers auf der Silvesterparty (1988/89) von Rayner´s älterem Bruder.
Da die Passengers schon damals englische Texte zu elektronischer Musik vertonten, was sehr ungewöhnlich und verpönt in der ostdeutschen FDJ-deligierten Musikkultur war, hatten die Passengers so einige Probleme mit der sogenannten Einstufungskomission.

Um öffentlich auftreten zu dürfen, mußte man in der DDR eine Lizenz (Einstufung genannt) vorweisen können. Dieses Instrumentarium sollte verhindern, daß sich konterrevolutionäres und faschistoides Gedankengut mit Hilfe von Musik im Arbeiter und Bauernstaat verbreiten konnte.
So dauerte es bis 1989 eh man nach etlichen Diskussionen endlich den Status „Amateurband der Sonderklasse“ erhielt und mit Konzerten richtig loslegen konnte. Diese Jury namens "Einstufungskomission" legte unter anderem den ihrer Meinung nach künstlerischen Wert der Band fest und damit wieviel man als Gage bei Konzerten verlangen durfte. Nur der obersten Liga der Ostrocker war es erlaubt ihre Gagen z.T. frei aushandeln. Das Gagenlimit für die Blind Passengers wurde auf maximal 94 Mark (kein Tippfehler) für beide Personen zusammen + Spritkostenerstattung festgelegt.
Aber zumindest konnten Rayner und Nik so im Herbst 89 etliche Kurzkonzerte in kleinen Diskotheken und Clubs, hauptsächlich in Ostberlin und dem damaligen Bezirk Potsdam geben.

Amiga (die einzige Plattenfirma der DDR) hatte kein Interesse mit den Blind Passengers ein Album aufzunehmen, aber beauftragte die Produktion eines Titels (Don´t Turn Around) in einer Maxi-Version für den ersten DDR-Electro-Sampler namens „Mega Maxi-Mix“, dessen Veröffentlichung jedoch etliche male verschoben und schließlich erst 1990 erschien.

Erst mit dem Fall der Mauer ergab sich für die Passengers die Chance mit zumindest semiprofessioneller Technik ausgestattet, ernsthaft an eine Musikerkarriere zu glauben.
Allerdings waren die technischen Möglichkeiten für elektronische Musik nicht annähernd vergleichbar mit den heutigen. Einziges Metronom war eine kleine Roland-Drum-Maschine, der Rest war „handgemacht“. Ein Wort das eher widersprüchlich zu elektronischer Musik scheint, aber bis man sich irgendwann dann endlich einen ATARI-Computer mit Sequenzer-Programm leisten konnte, bedeutete das 5 Minuten lang eine Synthie-Sequenz in Echtzeit sauber spielen zu müssen und bei jedem Verspieler wieder von vorn beginnen zu müssen. Mit einer analogen Bandmaschine konnte man eben nicht quantisieren (Rechner rückt automatisch rhythmisch ungenaue Noten zurecht) oder schneiden.

Im Zuge der euphorischen Verbrüderung von Ost und West wurden die Passengers Ende April 90 von Radio 4U (SFB) zur damals wichtigsten Berliner Hörercharts-Sendung "Hey Music" eingeladen. 4 Wochen später kam der Titel "Headlights" sensationell bis auf Platz 4.

Es dauerte nicht lange bis bei Nik das Telefon klingelte und A&R-Manager David Brunner (Hansa Records /BMG) plötzlich doch sehr viel Zeit für die beiden „Zonen-Popper“ hatte und sogar den Vorschlag machte, ein komplettes Album zu produzieren. Aki Lehmann, in dessen Studio die Passengers für teures Geld auch die besagte Headlights-Version aufgenommen hatten, witterte seine Chance und bot den beiden sofort einen Produzentenvertrag an.
Ein halbes Jahr lang fuhren Rayner und Nik jedes Wochenende nach Treuenbrietzen, eine verschlafene Kleinstatd ca. 1 Autostunde südlich von Berlin, um in Aki Lehmann´s Line In-Studio 13 smarte Synth-Pop-Nummern mit viel Charme einzuspielen. Allerdings war man bei Hansa Records nicht so begeistert vom Sound der Aufnahmen „Das Line In Studio sei zu DDR-Zeiten sicherlich eines der besten gewesen, aber nicht mit dem Equipment ausgerüstet um international im Spitzenfeld mithalten zu können". So machte David Brunner den Vorschlag die Aufnahmen noch mal von Tolger Flim Flam Balkan, der es damals gerade mit dem "Best of Join"-Mix auf Platz 4 der deutschen Verkaufscharts gebracht hatte, neu abmischen zu lassen. Aki ,von der Produktion voll überzeugt, war jedoch nicht bereit, die Aufnahmebänder dafür rauszurücken. "Warum soll sich ein anderer Produzent in das von mir gemachte Nest setzen?". So kam es, daß die Aufnahmen bis zum Jahre 1996 in Aki Lehmanns Privatarchiv verschwanden, bis sie zumindest in großen Teilen von SPV unter dem Namen "The Forgotten Times" veröffentlicht wurden.


Nach etlichen Auftritten bei Szeneparty´s und kleinen Festivals wurden im März 1991 das erste mal in kleiner Auflage Blind Passengers-Plakate gedruckt und das RAW in Berlin-Friedrichshain mit immerhin 350 zahlenden Zuschauern gefülllt. Bei diesem Auftritt standen die Passengers erstmals zu dritt auf der Bühne. Einige Monate zuvor hatten sie Marc Range kennengelernt, der Rayner nach einem Passsengers-Auftritt angesprochen hatte und Ende 92 schließlich offiziell in die Band aufgenommen wurde.


Wie jeder jungen Band blieb es auch den Blind Passengers nicht erspart hunderte Demotapes (CD-Brenner für den Hausgebrauch gab es ja noch nicht) an sämtliche A & R-Manager von Plattenfirmen und Musikverlagen zu schicken, bis eines Tages Mickey Zollondz, zu dieser Zeit Talentscout des Peer Musikverlages in Hamburg, aus dem Papierkorb ihres Kollegen ein Blind Passengers-Tape fischte.
Daraufhin finanzierte Peer Music die Studioproduktion von 4 Songs bei Colin Pearson, Produzent der beiden Erfolgsalben von Alphaville, der dann für die Mixe der “Small Town Night”-Maxi noch Alphaville Keyboarder Bernhardt L´Loyd mit ins Boot holte.

Die "Small Town Night"-Maxi war die erste eigenständige Blind Passengers-Veröffentlichung (Mai 92, auf RCA Records /BMG) wurde aber leider außerhalb von Berlin und Brandenburg kaum promotet und ausgeliefert, ... und somit trotz eines beachtlichen 6.Platzes in den Berlin Verkaufscharts (die damals von WOM und RTL ermittelt wurden) bundesweit gesehen zum Flop.

Damit gehörten die Blind Passengers zu den 90% der Testballons der Majorplattenfirmen die bereits nach der ersten Veröffentlichung zerplatzen.
In dieser Hinsicht haben sich die Plattenkonzerne bis heut kaum verändert. Nach RCA kündigte auch Peer Music den Vertrag.

Durch eine Art Trotzreaktion beflügelt, beschlossen die Passengers ihr Debüt-Album "The Glamour Of Darkness" in Eigenregie im damals noch sehr dürftig ausgerüsteten Bandstudio zu produzieren.
Für die Endabmischung wurde ein winziges Tonstudio in Berlin-Tempelhof angemietet, das wenigstens über eine moderne Grundausrüstung verfügte.
Mit letzter Kraft kratzte und borgte man das Geld zusammen um zunächst 1000 CDs professionell herzustellen, die auch ohne Hilfe einer professionellen Vertriebsfirma binnen weniger Wochen verkauft waren.
Diesmal bemusterte man nur wenige ausgewählte kleine Independent-Plattenlabel. Eines von ihnen war Strange Ways Records in Hamburg, dessen damaliger Labelchef Lothar Gärtner eines Tages bei Nik anrief um den Passengers die Lizensierung von "The Glamour Of Darkness" anzubieten. Leider beschränkte Strange Ways bei den Passengers die Labeltätigkeiten auf die Herstellung und den Vertrieb der CDs, sodaß der Erfolg der Band maßgeblich von Eigeninitiative abhing.

Bei der ostdeutschen Jugendsendung Elf 99 hatten die Passengers mit Too Much ihren ersten Fernsehauftritt (07.01.93) und erreichten bei einem Headlinerkonzert in Berlin erstmals über Tausend Zuschauer (24.10.92 - Tränenpalast Berlin).

Im Dezember 93 entstand der von den Passengers selbstfinanzierte Videoclip zu "Walking to Heaven". Das entsprechend kleine Produktionsbudget und riesiges Pech mit dem Wetter während des Drehs auf der tschechischen Schneekoppe, sorgten dafür, daß man letztendlich mit der Qualität des "Walking to Heaven"-Clips nicht richtig zufrieden war, dennoch schaffte es der Titel 3 Wochen lang auf Platz 1 der Charts von Radio Fritz, dem wichtigsten Berliner Jugendsender.

Diesem Sender verdankte die Band letztendlich auch ihren Durchbruch und eine regionale Popularität, die es ihnen ermöglichte, ihre Jobs zu schmeißen und ins Profilager zu wechseln.

Für den Januar und Februar 94 hatten die Blind Passengers die "Electronic For Nature"-Deutschland-Tournee auf die Beine gestellt. Mit einem Teil der Eintrittseinnahmen konnten mit Hilfe von „Artists United for Nature“ 44.000 qm Regenwald in Belize (Mittelamerika) aufgekauft und somit vor der Rodung bewahrt werden. Ab diesem Zeitpunkt waren die Blind Passengers zu viert auf der Bühne.
Daniel Nowack spielte zunächst E-Drums und wechselte später zu einem klassischen Akustikschlagzeug.


Nach der Veröffentlichung der Maxi-CD "Born To Die" nervte die Band wegen weiterhin absoluter Promotion-Passitivität die Strange Ways Clique dermaßen, daß Lothar Gärtner überraschend die Blind Passengers aus dem Vertrag entließ.
So erinnerte sich Nik an das Interesse von Peter Meisel, einem der bekanntesten deutschen Verleger und es begann die scheinbar endlose Arbeit an Absurdistan. Dabei kooperierten sie unter anderem mit Gördi Gerhardt, der bereits für "die Ärzte" und "die Krupps" hinterm Mischpult saß. Als der Song endlich auf den Punkt gebracht und Peter Meisel mit der Produktion zufrieden war, besorgte der Musikmoguls einen Singledeal bei Hansa (BMG).

Absurdistan war der erste Passengers-Song mit krachigen Gitarren, und für krachige Gitarren braucht man nunmal einen amtlichen Gitarristen. Beim Potsdamer Waschgang-Festival hatte Nik einen Auftritt der Punk-Legende "die Skeptiker" gesehen, und deren Sägemeister Lars Rudell alias „Rudi“, als Studiogitarrist rekrutiert.

In einer verlassenen russischen Kaserne wurde ein sehr aufwendiges Video für "Absurdistan" gedreht, das leider weder bei MTV noch bei dem damals noch blutjungen Sender VIVA eine Chance erhielt, da es zu hart sei, was auch immer damit gemeint gewesen sein möge.

Am 22.06.95 hatte Rudi schließlich auch sein Blind Passengers-Bühnendebüt bei einem Konzert im Berliner House Of Music. Bei der Kölner Popkomm 95 spielten die Blind Passengers beim Popkomm-Ringfestival, bei dem sich unter den Zuschauern auch Anne Clark befand, und die Passengers daraufhin einlud ihre Deutschland-Tournee im Okt. und Nov.95 zu supporten.

Im Februar 96 erschien schließlich „Destroyka“, das 2. reguläre Album der Blind Passengers. Der Synth-Pop ihrer Anfangsjahre wurde nun durch zunächst noch dezente Rockgitarren und Cross-Over-Elemente ergänzt.

Im April und Mai 96 schickten sich die Blind Passengers an, das auf dem Album "Destroyka" gebotene mit einer 2-monatigen Deutschland-Tournee auf der Bühne umzusetzen. Beim Tourstart in Dresden erschienen 1860 zahlende Gäste.

Thomas Weiß hatte an den Drums Daniel Nowack ersetzt und Gabriel Feitel war als neuer Gastmusiker für Backgrounds, Trompete und die ein oder andere abgefahrene Showeinlage zur Liveformation der Band gestoßen. 1997 spielte die Band dann erstmals auch auf den großen Open Airs und war seitdem auf folgenden Sommer-Festivals zu sehen:

Während der Arbeiten zum 97er Album („The Trash inside my Brain") erlitt Keyboarder Marc Range einen Nervenzusammenbruch der langfristig leider dazu führte, daß er nicht mehr seine Arbeit bei den Blind Passengers fortsetzen konnte.

„The Trash Inside My Brain“ erschien am 18.08.97 auf SPV und spaltete die Blind Passengers auf Grund des streckenweise sehr experimentellen, melancholischen und trippig-kollagenartigen Charakters in zwei Lager, dennoch gelang es mit dem eher gitarrenlastigen Titel „Golden Years“ (2.Albumauskopplung) einen lokalen Radiohit zu produzieren - insgesamt bereits der 5.Titel der es beispielsweise auf Platz 1 der Hörer-Charts von Radio Fritz schaffte.
Am 16.03.98 gab dann auch Schlagzeuger Thomas Weiß bei einem TV-Konzert für den WDR-Rockpalast seinen Abschied bei den Blind Passengers. Er wurde durch Andy Laaf (ex-Cassandra Complex und ex-Skeptiker) ersetzt.

Wie auch die beiden Vorgänger-CDs entstand das 99er Werk „Bastard“ (erschienen auf Epic/Sony Music) im bandeigenen Studio unter der Regie von Chef-Maschinist Rayner Schirner.
Das 4.Album war das bislang kraftvollste und reifste Werk der Blind Passengers. Allerdings hatte sich Electro-Wave-Band Ende der neunziger zu Vorrreitern der ein paar Jahre später boomenden deutschen Industrial/New-Metal-Bewegung entwickelt. Als Zeugnis dieser unglaublichen Metamorphose wurde „Bastard“ sogar von den Journalisten des Metal-Hammers zur CD des Monats gekürt.


Nachdem in den vergangenen Jahren bereits mehr 150.000 DM für Blind Passengers-Videoclips investiert wurde, die nie auf den großen Musikkanälen zum Einsatz kamen, war es der Sony endlich gelungen das Video zu „Gunman“ wochenlang bei VIVA 2 auf Heavy Rotation zu bekommen und das Album ohne Tricks in die Top 100 zu hiefen.

Nach einer ausgedehnten Bastard-Clubtournee supporteten die Passengers die Deutschland-Tour von Kid Rock und spielten im November 99 auch erstmals mit hervorragender Resonanz außerhalb des europäischen Kontinents. Leider kam während des Aufenthaltes in Mexiko Christoph Zimmermann (Organisator und Livebassist der dortigen Tour) bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.

Am 26.Februar 2001 erschien das 5.Blind Passengers-Album (Titel: „Neosapiens“), das inzwischen in über 15 Ländern lizensiert wurde, zeitgleich mit dem gleichnamigen Science Fiction-Roman von Nik Page (Verlagshaus Sonneberg).
Trotz abermals euphorischer Pressereviews und VIVA 2-Rotation, beschlossen nach der Neosapiens-Tour, Lars Rudel und auch Drummer Andy Laaf, spontan die Band zu verlassen.


Nachdem auch Rayner um eine Schaffenspause der Band bat, veröffentlichte Nik Page die von der Presse gefeierten Solo-Alben „Sacrifight“ und „Sinmachine“ (CD des Monats im Zillo 09/2004), bevor er sich Anfang 2005 ein letztes mal mit Rayner zusammen tat um 6 neue Songs aufzunehmen und all ihren Klassikern einen neuen frischen Sound zu verleihen, ohne den Hits der Band ihren alten Charme zu nehmen.
Das Doppel-Album „Timemachine“ (Release: 09.05.2005) bietet alle Highlights ihrer so turbolenten Entwicklung, aber auch viel Neues zu entdecken, es ist eine Verneigung und ein würdiges Abschiedsgeschenk für alle Fans die die Blind Passengers zu einer Legende machten.



Blind Passengers Line Up:

Rayner Schirner 1987-2005

Nik Page 1987-2005



1993 - 1997 Marc Range (keys)

1996 - 2001 Lars Rudell (guitars)

1998 - 2001 Andy Laaf (drums)

1999 - 2002 Andre Jorgens (bass)



Livemusicians:

1993 - 1996 Daniel Nowack (drums)

1994 - 1995 Michael Waurich (guitars)

1996 - 1999 Gabriel Feitel (backings, brass)

1996 - 1998 Thommy Weiß (drums)

1999 Christoph Zimmermann (bass)


Quelle: http://www.blindpassengers.deDiscografie2005 Timemachine 1995 - 2005

2001 Neosapiens

1999 Bastard

1997 The Trash Inside My Brain

1996 Destroyka

1993 The Glamour Of Darkness

1990/1996 The Forgotten Times
www

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Mit "Time Machine 1992 - 2005" verabschiedet sich die Berliner Band BLIND PASSENGERS nach fünf bzw.